Dienstag, 1. Oktober 2019

Wie Spotify & Co. Hörgewohnheiten ändern, Teil 2: Das Album als Kunst!

The Horror, Get Well Soon. Quelle: streetclip.de
(ms) Natürlich kann man bei Spotify ganze Alben hören, logisch. Entweder klickt man diese ganz bewusst an oder man gelangt über eine Playlist an eine Band, eine Künstlerin, einen DJ, der neugierig macht.
Diese Playlisten sind zum Teil von einem Algorithmus konzipiert oder von einem der 150 Kuratoren weltweit. In Deutschland sitzen fünf Leute daran eigenhändig Playlisten zusammenzustellen. Die sind nach Thema, Stimmung oder Musikrichtung gegliedert. Während des Hörens einer bestimmten Playlist gibt es sicherlich viele Menschen, die dann bewusst auf eine bestimmte Band, die aufhorchen ließ, klicken, um sich intensiver damit auseinanderzusetzen. Doch ich vermute, dass oft die Songs aneinander gereiht am Hörer vorbei laufen und dabei eine entspannte, gute, tanzbare Stimmung erzeugen, bei der Name der Band oder des Künstlers eher zweitrangig oder halt völlig egal ist. Völlig legitim, dafür ist Musik ja unter anderem da. Namen bleiben dann jedoch nicht haften.

Worauf ich hinaus will, ist Folgendes: Diese Playlists haben zunehmend eine enorme Wichtigkeit, ja, Macht. Die Klick- und Streaming-Zahlen von Spotify beeinflussen seit einiger Zeit auch die Charts und damit natürlich nicht nur den Spotify-internen Erfolg. Spotify ist also zu einem wesentlichen Gradmesser von Erfolg und Beliebtheit geworden. Bei 150 Millionen Nutzern weltweit absolut logisch. Doch worin besteht der Erfolg der Künsterlinnen und Bands darin? Klar: finanzielle Einnahmen (nächster Teil), wesentlich einfacher ein breiteres Publikum erreichen können und Daten darüber bekommen, wie die eigene Musik konsumiert wird.
Auf den Kanälen der sozialen Medien kommt es infolgedessen dazu, dass ein Posting erscheint, worin sich die Band bei Spotify bedankt, dass ihre neusten Songs auf deren Playlisten gelandet ist. Für manche ist es auch eine Krönung, wenn das eigene Band-Logo das Emblem der Spotify-Playlist ist, man also als Aushängeschild für eine ganze Reihe anderer Musik agieren kann.

Genau dort mit seinen Liedern - oder dem Bild - zu landen, scheint also sehr erstrebenswert zu sein: große Reichweite, potentielle Popularität und die Hoffnung, dass sich dadurch neue Stammhörer generieren lassen. Die Aufnahme auf die Playlist ist also mächtige, hoffnungsvolle Werbung!
Was also tun, um genau da zu landen?
Die großen Bands müssen sich da sicherlich keine Sorgen machen. Ihr Erfolg funktioniert auch unabhängig von solchen Trends. Ansonsten: Einen Track zu schreiben, der catchy und originell ist, groovt, neugierig macht, Ohrwurmcharakter hat und innerhalb von drei bis fünf Minuten so viel Eindruck macht, dass er dazu verleitet, sich intensiver mit dem Gesamtwerk zu beschäftigen.
Bestenfalls ist dieser Song repräsentativ für das gesamte Schaffen der Sängerin, der Band. Schlimmstenfalls wird er nur für diesen Zweck produziert. Das kann man eindrucksvoll hier nachsehen. Gerade im Rap ist das zur völligen Normalität geworden; Edgar Wasser fährt damit sehr gut.

Woran reibe ich mich also?!
Meine These ist, dass der unbedingte Wille in solch eine Playliste mit einem Song aufgenommen werden zu wollen, dem Musikalbum, der Platte, dem größeren Werk den Gestaltungswillen zur Ästhetik nimmt. Ist es nicht wunderbar, sich intensiv mit einer Platte zu befassen, einen roten Faden zu erkennen, Verweise zwischen den Songs zu entdecken. Gerade im größeren Umfang erlangt oft die Energie einer Band erst richtig seine Wirkung. Bologna ist ein Übertrack, der noch größer wird wenn ähnlich starke Songs wie Luzia oder Schick Mir Die Post unmittelbar danach laufen. Dann ist richtig Drive drin. Auch möchte ich eine provokative Platte wie Totschlagargumente von Waving The Guns im Ganzen hören, die zwischen politischer Aussage, Pöbelei und Battle-Rap tangiert. Die Abwechslung kommt innerhalb der Platte besser raus, als wenn die einzelnen Songs Stück für Stück kommen.
Noch krasser wird es bei Konzeptalben. Eindrücklich: Get Well Soon. Auf Vexations geht es um Stoizismus. Da musste erstmal drauf kommen. Was Spotify nicht leisten kann: Durch eine Playlist den genialen Geist eines mannigfaltigen Künstlers abbilden. Für das Werk von Konstantin Gropper braucht man mindestens einen ganzen Abend inklusive wissenschaftlichem Vortrag. Während Vexations noch sinnvoll auskoppelbare Singles ausweist - 5 Steps 7 Swords - funktioniert das beim letzten Album The Horror weniger. Diese Platte funktioniert ausschließlich als vollständige Einheit. Selbst die am besten kuratierte Playliste vermag nicht diese Magie heraus zu kristallisieren.

Teil 2: Die Tiefe eines richtig starken, in sich harmonisch funktionierenden Albums kann keine Playlist abbilden. Das Album als Kunstform.

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