Dienstag, 9. April 2019

Hania Rani - Esja

Foto: Alfheidur Gudmundsdottir
(ms) Diese Rezension sollte mit der Frage und derer Beantwortung starten, warum im weitesten Sinne klassische Musik in den letzten Jahren beim Ottonormal-Indie-Publikum an Popularität und Erfolg gewonnen hat. Ich habe mir darüber den Kopf zermartert und bin zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis gekommen. Daher folgen nun ein paar wirre Ideen.
Es könnte sein, dass mein Musikgeschmack und ich in den letzten Jahren gemeinsam gewachsen sind und daher die Wahrnehmung dieser Entwicklung nur eine ganz natürliche Sache ist. Das mag auch am gesteigerten Arbeitsaufkommen liegen. In gehäuften Nachdenkphasen, bei denen meistens etwas Kreatives herausspringen soll, lässt sich instrumentale, minimalistische Musik nebenbei wesentlich besser hören als textlich verwirbelte Musik von Die Sterne, Mine oder gar textdichter Rap von Audio88.
Klaviermusik wie das neue Album Esja von Hania Rani sind da genau das Richtige. Es sind im besten Sinne Stücke, die man gut nebenbei hören kann, ohne dass sie ihre Schönheit und Dramatik verlieren oder ganz zu verschwinden drohen.
Es kann jedoch auch sein, dass die Avantgarde sich eine gewisse Position im Pop-Business erarbeitet hat und damit einen Gegenpol zum sehr erfolgreichen wenn auch schlimmen Cloud-Rap oder Schlager setzt. Sehr gut besuchte und gar ausverkaufte Konzerte von Nils Frahm, Malakow Kowalski oder Martin Kohlstedt beweisen das. Wobei ersterer und letzterer häufig - je nach Anlass - ins Elektronische abdriften. Und das, insbesondere bei Kohlstedt, mit einer ungeheuren Wucht.
Hania Rani geht auf Esja eher Richtung Kowalski. Zum Glück jedoch nicht so streng minimalistisch und einsiedlerkrebsmäßig. Die zehn Stücke entfalten sich auf einer guten Dreiviertelstunde in ruhige Schönheit und werden nie langweilig. Denn das ist durchaus das Anspruchsvolle des Genres, das man nun Neo-Klassik (oder sonstwie) nennt. Trotz, dass es derzeit in und cool ist, muss der Hörende natürlich am Ball bleiben.
Das schafft Hania Rani in vielfältiger Weise. Unter anderem auch mit ihrer anderen Gruppe tęskno. Das polnische Ensemble, Ranis Heimat, nutzt klassische Arrangements mit Streichern und Klavier und setzt darüber einen Gesang, der schnell Gänsehaut erzeugen kann.

Für ihr Solo-Album konzentrierte sie sich dann wiederum ganz und gar auf das Klavier, das ihr Herzensinstrument ist. Somit tritt sie zum ersten Mal alleine als Künstlerin auf, ohne Teil etwas Größeren zu sein. Das bringt viel Spannung, Mut aber auch Freiheit mit sich.
Was ihr eigenes Schaffen am meisten beeinflusst, fasste sie folgendermaßen zusammen: "Die Form meiner Stücke kann zum Beispiel von Architektur und Design beeinflusst sein. Ich übersetze dann diese ‘fremde’ Formsprache in meine eigene Sprache, die Musik, und das Ergebnis finde ich sehr viel spannender als das reine Bezugnehmen auf die Musik selbst." Was für ein Statement!

Schwierig ist es bei solch einer Art von Musik stets, einzelne Songs genau rauszupicken. Ich denke, dass man damit der Kunstform als solcher auch nicht gerecht wird. Mir erscheint Ejsa vielmehr als Gesamtwerk, das einen in 45 Minuten schnell hilft aus dem Alltag zu entfliehen. Es spielt mit Tempo, Dramatik und Melodieführung. Und insbesondere in Zeiten von Streaming, das einzelne Lieder schnell in ihrer Umfänglichkeit entwertet, ist es mehr als angebracht mal wieder ein ganzes Album durchzuhören. Dass dies die Königsdisziplin ist, da kein Gesang vorhanden, macht es nicht leichter, aber viel aufregender. Hania Ranis Debut-Album funktioniert sehr gut bewusst als auch nebenher.

Wir legen Euch Esja, das letzte Woche über Gondwana Records erschien, sehr ans Herz.
Es ist war nicht die ideale Musik für diese ersten richtig sonnigen Tage, aber man kommt ja auch irgendwann nach Hause, dann ist die Sonne untergegangen und man kann den Tag dabei hervorragend revu passieren lassen!

Live gibt es das demnächst hier:
11.05. Berlin - XJAZZ Festival
25.05. Hamburg - Futur 2 Festival


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