Mittwoch, 16. Januar 2019

Yassin - Ypsilon

Das Cover von Chehad Abdallah
(ms) Rap, wir müssen reden. Wir sind nun keine Experten auf dem Gebiet wie die KollegInnen bei backspin, splash! mag oder Visa Vie etcetcpp. Aber wir hören wirklich sehr gerne Rap!
Daher stellt sich ganz automatisch die Frage: Was soll der dämliche Hype um die Nutzung von Autotune?
Es ist ja nicht nur ein billiges Stilmittel sondern implizit auch die Erklärung, dass man keine besonders sichere oder gute Stimme braucht, um Musik zu machen. Jeder Ton, jede Sequenz wird zum Grauen verzerrt und derzeit ist es die Modeerscheinung Nummer eins im Rap. So erfolgreich zum Beispiel Trettmann derzeit ja ist, ich erkenne die teils gute Qualität seiner Texte, aber wozu Autotune?! Wenn man sich dann Standard mit Ufo361, Gringo und Gzuz anhört, schwillt die Halsschlagader bedrohlich an. Intern nennen wir soetwas Turboscheißdreck3000. Eine bessere Bezeichnung fällt mir persönlich auch gar nicht mehr ein.
Nun gibt es auch wesentlich sympathischere Rapper als diese vier. Von uns verehrt werden beispielsweise Fatoni und Juse Ju. Doch als die beiden auf dem Im Modus-Mixtape auch Autotune nutzten, wurde ich stutzig. Die gleiche Frage: Wozu?! Weil es cool ist?! Aufgrund großen Fan-Seins verzeihe ich es den beiden.
Und jetzt springt ein weiterer bärenstarker Interpret auf diesen Zug auf und die bereits gestellte Frage wird automatisch wieder aufgeworfen und in einem Zug beantwortet: Yassin, das hast Du nicht nötig.



Und auch Yassin verzeihe ich das. Denn sein erstes Solo-Album Ypsilon, das diesen Freitag (18. Januar) auf dem eigenen Label Normale Musik erscheint, ist ein wahres Brett geworden.
Nachdem ich ihn zusammen mit Audio88 vor zwei Jahren auf einem Festival live gesehen habe, verfolge ich beide mit Begeisterung. Der Mix aus bösesten Zeilen, guten Beats und astreinen Texten und dem bewussten Ausbleiben eines Reims ließ mich schnell überzeugen.
Zum Glück setzt Yassin Autotune nicht auf jedem der elf Lieder von Ypsilon ein.

Zuerst erschien letztes Jahr als Vorbote Abendland und ich war total begeistert, trotz des Stilmittels. Denn in gut dreieinhalb Minuten zeigt er, was gutes Songwriting ausmacht. Der Song zeigt zwei wegweisende Eckpfeiler für das Album: Yassin klingt solo anders als mit Audio88 zusammen - breiter, größer, nicht so minimalistisch - und textet auch anders. Man darf Abendland schon als persönliches Lied mit klarem politischem Einschlag sehen. Insbesondere das Video arbeitet ganz stark mit der Verbindung von Bild, Text und Beat. Klasse!
Dann erschien Haare Grau und es wurde klar, dass Autotune prominent eingesetzt wird, es lustig statt nur zynisch zur Sache geht und dennoch mit qualitativ hohen Texten gearbeitet wird. Das etwas gaga wirkende Video lässt darauf schließen, dass Yassin sich hier selbst nicht ernst nimmt und ganz profan seine Haarfarbe zum Thema macht.
Als dritte Auskopplung wurde 1985 gewählt. Erinnert halt stark an die gemeinsame Veröffentlichung von Casper und Marteria; unsere Ablehnung diesem furchtbaren Album gegenüber müssen wir eigentlich nicht noch mal wiederholen. Yassin hat die autobiographische Sicht auch viel besser drauf. Die Aufarbeitung der eigenen Kindheit und der Liebe zur Musik, die bis heute alles - wirklich alles - übersteigt, gelingt bestechend gut. Und siehe da: Kein Autotune!



Und dann warten noch acht weitere Songs auf den aufmerksamen Hörer. Samthandschuhe spielt mit Rollenklischees und einem abwechslungsreichen Beat. Junks thematisiert wahnsinnig eindrücklich, fast schon einschnürend die eigene Geschichte im Umgang mit Drogen.Okay, wir können auch direkt Sucht sagen. Dass Koks scheiße ist, muss man ja keinem sagen. Das so zu hören ist ein weiteres gutes, überzeugendes Argument davon weg zu bleiben.
Natürlich hat er sich auch ein paar Gäste mit auf die Platte gehört. Ohne Audio88 geht es nicht, zusammen mit Casper ist das mehr oder weniger als Dis-Track einzustufende Eine Kugel, das durchaus auch schmunzeln lässt.
Für Nie So holt er sich Mädness dazu. Auch ein alter Bekannter, denn mit Döll und Audio88 haben sie kürzlich erst zwei Tracks veröffentlicht. In dem Lied geht es um den Vergleich mit sich und den eigenen Eltern, der Familie. Als Einwandererkind keine leichte Sache. Darüber kann man sich gut Beiträge von Aladin El-Mafaalani anhören oder durchlesen, der beschreibt nämlich sehr genau, welche Herausforderungen auf die unterschiedlichen Generationen von Zugewanderten einprasseln.

Die Trap- und Autotune-Passagen gefallen mir nicht alle gleich gut. Da Yassin auf seinen Tracks jedoch inhaltlich wirklich zu überzeugen weiß, ist es ihm zu verzeihen. Ansonsten muss Linus Volkmann recht gegeben werden, der letztens gefordert hat, dass Autotune dieses Jahr aussterben muss.
Ypsilon ist ein textlich und klanglich breit aufgestelltes Album, das so nicht zu erwarten war, wenn man die gemeinsame Arbeit mit Audio88 verfolgt. Daher: Hut ab zu dem Mut und dem großen Können.

Bald geht Yassin auf eigene Tour und wir empfehlen den Besuch an diesen Orten:

18.01. - Berlin, Baumhaus Bar (Release Show)
26.03. - München, Strom
27.03. - Stuttgart, Schräglage
28.03. - Frankfurt, Zoom
29.03. - Berlin, Musik & Frieden
30.03. - Leipzig, Naumann's
31.03. - Hamburg, Prinzenbar
02.04. - Köln, Yuca

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