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Quelle: berlin030.de |
(ms) Was habe ich mich am Freitag und Samstag noch über das Publikum bei Bukahara aufgeregt. Immer noch zu Recht, wie ich meine. Umso besser, wenn es Veranstaltungen gibt, die auch dem Wirken der Künstler abseits der Bandkonstellation Raum geben. Dazu gehört die lit.ruhr, die in den letzten Tagen auf dem Gelände des Zollvereins in Essen stattgefunden hat. Fünf Tage lang gab es dort zahlreiche Veranstaltungen aus dem Literaturkosmos für Groß und Klein. Einen wahren Höhepunkt lieferte am Sonntagabend ein Interview von Marcus Wiebusch, das von Ingo Neumayer geleitet wurde. Zuerst muss jedoch würdigend hinzugezogen werden, auf welch atemberaubendem Gelände die lit.ruhr stattfand. Der Zollverein in Essen ist ehemalige Kokerei und Steinkohlebergwerg und heute Weltkulturerbe. Wer mal da war, weiß dann auch wieso. Das Areal ist riesig, die Anlagen, Gebäude, Konstruktionen lassen den Besucher staunen. Was dort wohl für ein Lärm, ein Geruch, ein Tempo, ein Gewusel, eine Temperatur vor vielen Jahren geherrscht haben. Unabhängig vom Literaturfestival ist dies einen Ausflug von nah und fern wert!
Marcus Wiebusch also. Er ist in diesem Jahr 50 geworden und erlebt seit letztem Jahr die wohl erfolgreichste Zeit als Musiker. Das Kettcar-Album
Ich vs. Wir ist das Beste an deutschsprachiger Gitarrenpopmusik, das in den letzten Jahren das Licht der Welt erblickt hat. Das gibt er selbst auch offen zu, wenn er den klugen Fragen von Ingo Neumayer geantwortet hat. Einige hundert Leute sind gekommen, um diesem Gespräch zu lauschen. Die Halle auf dem Kokerei-Gelände war schön und schnell voll. Dass so eine Menge einen erfahrenen Künstler immer noch nicht kalt lässt, macht Wiebusch so nahbar und extrem menschlich. Nach kurzer Ansage kamen er und Neumayer auf die Bühne und der Sänger war sichtlich aufgeregt, knetete die Hände, suchte an Schuh und Hose nach Halt. Klar, das verflog auch, dafür ist er zu lange im Business.
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Kokerei am frühen Abend. Foto: luserlounge |
Und genau darum ging es. Es ging nicht nur um Kettcar, um das Grand Hotel van Cleef, um ...But Alive oder sein Solo-Album. Es ging um Marcus Wiebusch als Songwriter, Mensch, Musiker. Dass er dabei auf einer Literaturveranstaltung auftrat, verdankte er hauptsächlich Juli Zeh, die seine Lieder mit guter Literatur verglich, als das letzte Album erschien. Es war ein Abend für Nerds, Fans, Kenner. So ist das halt. Über 90 Minuten lang wurden die Aufmerksamen mit Hintergrundinfos, Geschichten von Kalkül, Krise, Kunst gefüttert. Über die Wichtigkeit eines guten Musikvideos, warum Humor in seinen Songs kaum eine Rolle spielt, über den Moment, als Kettcar kurz vor dem Aus standen und den großen, lohnenden Anstrengungen, sich aufzuraffen. Über das Idol Bruce Springsteen, der Schwäche der deutschsprachigen Popmusik und warum die wenigsten seiner Lieder autobiographischen Anteil haben und immer wieder um den - ja, man kann es sicherlich so sagen - Hit
Sommer '89. Und über die wunderbare, vorbildhafte Einstellung eines politischen Menschen, dass Zynismus und Fatalismus nie, nie, nie eine Option sein werden: Sich von den Verbitterten nicht verbittern lassen. Klar, er hat auch ein paar Lieder gespielt:
Benzin und Kartoffelchips,
Rettung,
Balkon Gegenüber mit zweiter Strophe,
Was hätten wir denn tun sollen,
Ich werde sie Yoko Ono nennen und auch zum gleichzeitigen Erstaunen und der Freude der Anwesenden
Balu.
Was mich jedoch noch beschäftigt hat, um den Bogen zu den ersten Zeilen zu spannen, er sprach auch über die großen Gefühle als Musiker. Es seien zwei. Der eine ist der Moment, wenn er auf der Bettkante eine Idee für einen Song hat, bei der er sofort merkt, dass die zündet. Ja, da ist auch Kalkül dabei. Wenn jemand jedoch seit 30 Jahren Musik macht, ist das doch verständlich. Der zweite Schlüsselmoment ist das Stehen auf der Bühne und Spielen der eigenen Lieder, die dann im besten Fall ganz nah an den Menschen gehen. Wenn Band und Publikum Synergieeffekte bilden und verschmelzen. Und das ist bei Kettcar-Konzerten oft zu bemerken: Das Publikum ist enorm aufmerksam, hört zu, lauscht, singt mit, goutiert die Leistung mit Applaus, man kennt sich irgendwie. Solch eine Haltung zwischen Musiker und Publikum finde ich sehr erstrebenswert. Marcus Wiebusch hat eine Menge zu sagen, man sollte ihm noch öfter zuhören. Gelegenheiten wird es ausgiebig geben, denn neue Songs sind bereits in der Mache!
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