Samstag, 25. August 2018

Ólafur Arnalds - re:member

Foto: Benjamin Hardman
(ms) Wie sieht nun also die Zukunft der Musik aus?
Gehen wir mal davon aus, dass vieles beim Alten bleiben wird: Pop, Punk, Rock, Metal, Electro, Techno, Minimal, Indie, Folk, Rap, Trap, Volksmusik, Schlager etcetcpp. Daran wird sich höchstwahrscheinlich in den kommenden zehn, zwanzig Jahren nichts ändern. Die großen Genres bleiben sich treu, einzelne Subgenres entstehen und werden wieder gehen, so wie es halt immer schon war.
Wie sieht aber die Denkrichtung aus? Was für ein Konzept wird Musik haben? Wie werden die Kreativen, Mutigen, Verrückten dieses Thema angehen? Wo liegen die Grenzen, was ist möglich, was machbar und was wohl abstus? Gibt es ein back to the roots? Werden die Ideen und Möglichkeiten aus der Vergangenheit in die nahe Zukunft projiziert? Gibt es bald wieder mehr Jazz, klassische Instrumentierung?
Beispiel Get Well Soon: Das aktuelle Album The Horror ist eine konzeptionelle Anlehnung an das Werk von Frank Sinatra, eingespielt mit einer Big Band. In den Songs verarbeitet er zum Teil seine Alpträume. Das ist von der Denke schon sehr stark. Das Album ist sehr breit, hat keine wirklichen Hits, ist phasenweise schwer zugänglich und daher kamen die Macher um Konstantin Gropper wohl auf die Idee, die Veröffentlichung mit einer Mini-Serie zu verbinden. Das ist schon ziemlich intensiv.
Beispiel Damon Albarn: Das vierte Album von den Gorillaz hat er komplett auf dem Tablet komponiert, ohne Band, ohne Studio, einfach nur mit diesem zu groß geratenen Smartphone. Und das 2010.
Beispiel Sigur Rós: Diese Woche ist bekannt geworden, dass die Isländer - ja, ich verehre ihre Musik - in Kooperation mit den Magic Leap Studios den Kern ihrer Musik in ein Programm für eine VR-Brille inklusive Sound umgesetzt haben. Das ist schon reichlich abgehoben aber irgendwie auch genial. Mit Bewegung und Gestik kann man in ihre musikalische Welt eintauchen. Die Grundausstattung kostet jedoch 2.300$!

Beispiel: Ólafur Arnalds. Damit sind wir bei seinem neuen Album re:member angekommen, das diesen Freitag (24.08) via Universal erschienen ist. Was hat der junge Pianist zukunftsweisendes getan? Er hat mit einem Freund ein Computerprogramm entwickelt, das sie Stratus genannt haben. Es funktioniert ungefähr so (soweit ich das verstanden habe): Sie haben zwei selbstspielende Klaviere gebaut. Diese sind durch das Programm an den Klang desjenigen Klaviers verbunden, das Arnalds spielt. Der Ausgangston erzeugt durch Stratus variierende Assoziationen bei den beiden Sekundärklavieren. Spielt Arnalds Melodie A, folgt ihm automatisch die zufällige Melodie A+. Spielt er die gleiche Melodie nochmals, wird höchstwahrscheinlich Melodie A# folgen; es unterscheidet sich also. Das ist schon reichlich genial und abgefahren. Hoffentlich wird hier klar, was gemeint es, wenn es um die Frage der Zukunft von Musik geht.
re:member beinhaltet 12 Lieder, die sehr abwechslungsreich sind, wenn auch alle unterschiedlich ruhig. Denn wer das Schaffen von Ólafur Arnalds ein wenig verfolgt hat, weiß, dass er im Bereich der elektronisch angehauchten Klaviermusik beheimatet ist.
Wie klingt nun ein volles Album, das so eine Software nutzt?

Der Start mit dem Opener re:member ist perfekt: Es beginnt mit zarten, sanften Pianotönen, so wie man es auch irgendwie erwartet hat. Dann dauert es nur wenige Takte und man verschwindet in einer neuen, hellen, freundlichen Welt, die sich da durch die Boxen auftut. Kaum auffallend ist es daher, dass plötzlich Streichher zu hören sind und das Klavier pausiert. Bis es schneller wieder einsetzt und sich allmählich eine Melodie herauskristallisiert; Bass ist dann auch vernehmbar. Dann tatsächlich auch Schlagzeug. Wahnsinn, wie sich dieses Lied nach und nach aufbaut, es ist ein warmer, angenehmer Sog, in den man gezogen wird. Hier lässt sich bereits anmerken: Große Klasse!
Mit unfold geht die Reise weiter und wird dominiert von einem Streicherquartett. Es ist der erste Frühlingsspaziergang im Jahr, es taut noch leicht, die Sonne erhellt das grasgrüne Feld und die Luft ist neugeboren frisch. Wo genau SOHN bei diesem Lied mitgeholfen hat, ist nicht bemerkbar; vielleicht beim höchst minimalistischen Gesang. Denn den gibt es auf dem ganzen Album nicht und SOHNs eigene Musik geht doch in eine wesentlich andere Richtung.

Albumcover
saman ist eines der Lieder, die schnell im Kopf bleiben aufgrund der innewohnenden Schönheit und Klarheit. Erstaunlich ist hier nur das höchst abrupte Ende; das war so nicht zu erwarten. Wer weiter aufmerksam weiterhört, wird bemerken, dass dies keine belanglose Nebenbei- und easy-listening-Musik ist. Der Grundton ist ruhig, logisch, aber die Bandbreite darin ist groß. So kann man genüsslich zu inconsist oder undir den Kopf wackeln. Und während they sink ein Intro von den Landleuten Sigur Rós (ja, ich komme nicht davon weg) oder eine Demonstration vom Musikprogramm Stratus sein könnte, so stehen bei partial Sythiesounds im Vordergrund. Langweilig wird es hier in keinem Moment.
re:member ist ein beachtliches Album, das einer Phantasiereise gleicht. Selbst das Hingucker-Cover wurde von dem Programm gestaltet - wie auch immer das funktionieren mag.
Um sich live von seiner Machart und Qualität zu überzeugen, gibt es bald einige Möglichkeiten:

05.10. - Hamburg, Elbphilharmonie (ausverkauft)
06.10. - Dortmund, Konzerthaus
07.10. - Kurhaus, Wiesbaden
08.10. - Ludwigsburg, Forum
10.10. - Leipzig, Gewandhaus
11.10. - Berlin, Tempodrom
15.10. - Linz, Posthof
17.10. - Zürich, Volkshaus



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