Dienstag, 28. August 2018

Justice - Woman Worldwide

Foto: Hector Camacho
(ms) Es muss zwischen 2008 und 2010 gewesen sein. Es war die Hochzeit der richtig innovativen Indiemusik. In kurzen, regelmäßigen Abständen haben zahlreiche Bands aus den elektronischen und gitarrenverstärkten Genres umwerfende Alben veröffentlicht, von deren Magie und Energie man heute immer noch zehrt. Sie werfen einen voller Nostalgie in eine Zeit zurück, die verzaubert und großartig war. Zu dieser Zeit veranstaltete das Visions-Magazin eine Partyreihe in vielen Städten. Darunter war auch Bielefeld. Jeden ersten Freitag im Monat wurde das wunderbare Forum zum Mekka des guten Musikgeschmacks. Erst spielten zwei oder drei Bands und danach wurde getanzt. Da gab es eine Zeit, in der es uns jeden Monat dorthin zog. Für uns Leute aus der Kleinstadt eine irre Geschichte. Eine Phase, in der man viel neue Musik kennengelernt hat und die großen aktuellen Hits abzufeiern wusste.
Viele der Interpreten gibt es heute in der Form nicht mehr wie Bratze. Einige sind richtig groß geworden wie die Editors oder Franz Ferdinand oder The Killers oder The Hives. Andere waren damals schon phantastisch und sind es immer noch, wie Nada Surf. Dann gibt es noch Gruppierungen wie MGMT, die mit Oracular Spectacular ein überirdisches Album herausgebracht haben und danach einfach mies wurden, völlig bedeutungslos für die Indie-Szene.

Und dann gab es noch eine andere Band. Mit einem Remix bekannt zu werden ist zwar etwas billig, aber beweist auch eine gewisse Bauernschläue. Höre ich heute noch We Are Your Friends kann es sein, dass ich für wenige Momente alles um mich herum vergesse. Ein riesen Ding!
2007 begann dann der Siegeszug von Gaspard Augé und Xavier de Rosnay, die sich nun Justice nannten. Erstaunlicherweise haben sie danach innerhalb von zehn Jahren erst drei Studioalben veröffentlicht. † war noch sehr wild, Audio, Video, Disco wurde breiter und Woman blieb aufregend.
Letzte Woche ist nun zum Jubiläum das Mega-Release Woman Woldwide über Caroline erschienen. Es hat sage und schreibe eineinhalb Stunden Spielzeit und ist ein Ritt durch die eigene Bandhistorie.
Für ihre Liveshows haben sie immer schon die eigenen Lieder abgeändert und modifiziert. Sonst ließe sich einem Electronica-Duo live schnell und einfach vorwerfen, dass sie nur ihre Tracks abspielen, wenn sie auf Play drücken. Doch es ist Handwerk, es ist live gespielt. Die frühen Songs durchliefen also seit langer Zeit schon ein Transformationsprozess: Sie wurden größer, breiter, kleiner, schneller, langsamer, wuchtiger, feiner, derber, energischer, bassiger, luftiger, tanzbarer.

Man kommt beim Hören nicht drumherum, dass die gut neunzig Minuten den Adrenalinspiegel in ungeahnte Höhen schießen. Dabei gehen die Lieder ineinander über, es kommt einem vor wie ein Liveset. Nur halt als Studioversion. Clever und brutal. Denn ein tiefer Bass untermauert so gut wie jedes Lied. Und irgendwie ist es den beiden gelungen, das Album dadurch nicht langweilig zu machen. Zu abwechslungsreich sind die Originale, zu innovativ einzelne Hooks. So ist nicht und zugleich alles neu. Bei der Ankündigung um das Album war ich zunächst ein wenig skeptisch, was das denn soll. Nach mehrmaligem durchhören weiß ich genau, welchen Plan Justice damit verfolgt haben. Man kann ohne Probleme innerhalb eines Albums zehn Jahre Bandgeschichte durchlaufen. Und wenn man mehr oder weniger regelmäßig dabei war, erkennt man den Prozess und weiß sich zu den Originalen zurückversetzt: Zurück in die Zukunft!
Dance war damals schon klasse und einer der Tracks, der vielleicht am wenigsten abgeändert wurde. Auch Genesis macht in der neuen Version noch verdammt viel Spaß. Zugegebenermaßen war Stress damals schon ein furchtbar anstrengendes Lied, das mit dem gewaltbereiten Video provoziert hat; eine reine Wucht. Ein richtiges Brett, vor dem man sich hüten muss, ist auch Waters of Nazareth geworden, da knallt der Bass nur vor Energie durch die Decke. Phantom 2 beamt mich dann wiederum zurück ins stickige, paradiesische Bielefelder Forum! Stop bewahrt sich den Ruf als catchiger Hit. Zum Schluss gibt's noch die siebenminütige Essenz im Song DancexSASxFire.

Danach muss man erst einmal durchatmen.
Eine große, kalte Apfelschorle trinken. Oder einen Schnaps.
Woman Worldwide ist eine Wucht, lang und intensiv.
Das Album eignet sich sowohl zum ausdauernden Sporttreiben.
Als auch für den Start in ein nie enden wollendes Wochenende.
Morgens oder nach dem Feierabend sollte man guten Gewissens was anderes hören...
Doch dann schleunigst wieder diese Platte auflegen und laut drehen!





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