McPhail, von Lowtzow, Müller, Zank: Tocotronic. Foto: Michael Petersohn |
Dass die vier Wahlberliner niemandem mehr ihre Qualität, ihren Intellekt und auch ihren Humor beweisen müssen, ist ihnen selbst am besten klar. Stopp: Humor? Über Tocotronic und ihre Texte lachen? Nein, derart unterhaltend, dass es einem einen herzlichen Lacher provoziert, sind ihre Lieder nicht. Ihre Selbstinszenierung und ihre teils irren Ansagen auf der Bühne lassen jedoch einen feinen Sinn für Ironie und Witz erahnen.
Die Unendlichkeit ist nun also ein weiteres Konzeptalbum. Es ist nicht so wuchtig wie Schall & Wahn. Es ist nicht so programmatisch wie Kapitulation. Und es ist auch nicht so rosa-harmonisch wie das letzte, rote Album. Die Themen, für die sie vorher schon standen, kommen hier doch in einzelnen Zeilen, Strophen und Refrains durch, was sicherlich auch Ziel des neuen Albums ist. Es ist selbstreferentiell, autobiographisch und äußerst gelungen. Private Begebenheiten und bandhistorische Anekdoten ziehen sich durch die Lieder, die unterschiedliche Spielarten des Gitarren-Rock bedienen.
Alle zu betrachten ist gar nicht notwendig.
Einige, die auf besondere Weise herausstechen, wollen wir dennoch kurz charakterisieren.
Die Unendlichkeit: Opener und albumbetitelnder Track (oder andersherum, wer weiß?!). Der Klang ist tief und voll so wie er sich bei den letzten Alben schon entwickelt hat. Schwere Gitarren im Refrain und eine tolle Bass-Melodie in den Strophen bringen Groove und musikalisches Know-How zum Vorschein. Haus-und-Hof-Produzent Moses Schneider war am Werk. Sie sind sich natürlich auch nicht zu schade für eine Buzz-Lightyear-Referenz, die durch Dirk von Lowtzows einnehmenden Bariton eine neue Seriosität bekommt.
Electric Guitar: Zweierlei Lied. Zum Einen ist es eine Ode ans Saiteninstrument zu seinem 100-jährigen Geburtstag: Ein Centennium verstärkter Gitarrenklang. Zum Anderen ist es ein kurzgeschichtenartiger Großwerd-Song (Coming-of-Age wie man sagt), der Rebellion im Reihenhaus thematisiert. Am besten kann man dies durch das Video von Maximilian Wiedenhofer verstehen. Als Darsteller ist auch dies mal, wie bei zwei weiteren Songs (Die Unendlichkeit und Hey Du), Maximilian Scheller dabei. Große Kunst.
Unwiederbringlich: Erst Xylophon. Dann ein Blasinstrument (Klarinette oder Saxophon?). Anschließend Percussion in zweierlei Weisen. Dann Klavier. Dann wohl noch ein Marimbaphon. Dann noch mehr Instrumente, die einen wunderbar wohlig-warmen Klang und verschachtelten Rhythmus erzeugen. Darauf Gesang über einen vorhersehbaren Tod. Eine Geschichte zu einer Zeit, in der es keine Handys gab und zweitausendundachtzehn Science Fiction war. Die Story ist kurz, doch die Intonation so super, dass man es gern wieder hört.
Diese drei Lieder sollen ausreichen, um Tocotronic mit ihrem neuen Album vorzustellen.
Es ist enorm rund, vielseitig und berauschend. Vielleicht ist Kapitulation noch ein wenig stärker und Dirk von Lowtzow, Rick McPhail, Arne Zank und Jan Müller haben hier das Rad auch nicht neu erfunden, doch die Messlatte für deutschsprachigen Indierock ist für dieses Jahr sehr, sehr hoch gelegt. Jedoch kommt es ohne mindestens einen kleinen Schönheitsfehler nicht aus: Das extrem und viel zu lang gezogene " Und was sagt Google dazuuuuu" in Alles was ich immer wollte war alles erinnert ganz schlimm an ein sehr langes "schöööööön" von Tomte in Das Orchester spielt einen Walzer. Puh! Es sei ihnen verziehen.
Absolute Empfehlung ist natürlich auch ein Besuch der kommenden Tour:
06.03.2018 - Bremen - Schlachthof
07.03.2018 - Münster - Sputnikhalle
08.03.2018 - Heidelberg – Halle 02
09.03.2018 - Erlangen - E-Werk
11.03.2018 - Erfurt - Stadtgarten
12.03.2018 - Wiesbaden - Schlachthof
13.03.2018 - Köln - E-Werk
14.03.2018 - Hannover - Capitol
16.03.2018 - Hamburg – Große Freiheit 36 (Zusatzshow)
17.03.2018 - Hamburg – Große Freiheit 36 (Ausverkauft)
06.04.2018 - Leipzig - Werk II
07.04.2018 - Essen - Weststadthalle
08.04.2018 - Stuttgart - Theaterhaus
11.04.2018 - Freiburg - E-Werk
12.04.2018 - München - Tonhalle
14.04.2018 - Dresden – Alter Schlachthof
16.04.2018 - Berlin – Columbiahalle (Ausverkauft)
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