(sf) „Was ist das denn? Ist der CD-Player kaputt?“ So
ungefähr war die Reaktion meiner Frau, als sie das Wohnzimmer betrat, wo ich
gerade „As Light Return“, das neue Album von The Telescopes probehörte. Zu
diesem Zeitpunkt (Mitte des Openers „You Can’t Reach What You Hunger“) war ich
mir auch noch nicht ganz sicher, ob ihre Diagnose des Zustands unserer
Stereoanlage zutreffend sein, jetzt weiß ich: Anlage okay, CD und Sound gehören
so. Meine Frau wird sicher kein Fan der Band um Mastermind Stephen Lawrie, ich
hingegen bin schon ein wenig fasziniert, wobei man sich schon darüber im Klaren
sein muss, dass Freunde gepflegter Melodien hier nicht auf ihre Kosten kommen
werden. Wer jedoch offen für Experimente und abgefahrene Songstrukturen ist:
das ist genau Euer Ding!
Kreischendes Gitarren-Feedback schwillt an und
schwillt ab, fräst sich durch dicht gewobene Schichten aus vielfach verzerrten
Frequenzen. Obertöne schwirren hierhin und dorthin, überlagern einander und
vereinigen sich auf einem Teppich aus Weißem Rauschen. Im Auge des Sturms
ertönt Lawries Stimme, ruhig, wie abgespalten von all dem Getöse. Er stimmt
seinen leisen, fast Trance-artigen Gesang an, beinahe überwältigt vom Sound der
Instrumente. Die Worte sind kaum zu verstehen. „Ich möchte eigentlich jedes Mal
eine Hörerfahrung erschaffen, die den Bereich des Üblichen erweitert. So wie
ich es sehe, gibt es keine Eindeutigkeit. Diese Welt ist mehrdeutig, und das
spiegelt sich auch in meinen Inspirationen wider. Die Eindrücke, die daraus
entstehen, erlangen für jeden Zuhörer eine eigene, individuelle Bedeutung.“
„As Light Return“ – so lautet der Titel des neunten
Albums der Telescopes. Die Band, 1987 von Lawrie gegründet, hat im Lauf der
Zeit unterschiedliche Phasen durchlaufen. Die Liste der Mitglieder und der
engen Vertrauten ist lang. Doch das einzige wirklich konstante Mitglied der Telescopes
ist Stephen Lawrie persönlich. An diesem Album – aufgenommen im bekannten
Riverside Music Complex in Glasgow – sind zum Beispiel wieder einmal Mitglieder
der Band St Deluxe als tatkräftige Unterstützer beteiligt. So ist der
permanente Wechsel mittlerweile zum Bestandteil des Konzeptes geworden. „Es
verändert sich von Live-Performance zu Live-Performance und bei fast jeder
Aufnahme. Im Moment arbeite ich an einem Album, wo ich alles selbst mache. Ich
spiele viele Live-Shows mit dem Schlagzeuger und dem Bassisten der Koolaid
Electric Company, und dann nehmen wir uns unterschiedliche Gitarristen dazu,
manchmal nur einen, manchmal können es aber auch bis zu acht sein. Aber
gelegentlich spiele ich auch mit einer völlig anderen Besetzung oder trete ganz
alleine auf, akustisch oder mit einer Noise-Show.“
Wie schon das 2015er-Album „Hidden Fields“ erscheint
auch „As Light Return“ beim Hamburger Label Tapete Records und klingt ähnlich
ausgewogen wie sein Vorgänger. Es mäandert souverän zwischen Song-basierten
Noise-Strukturen und ungezügeltem Impressionismus. Dennoch bietet es
Hörerlebnisse, wie es sie bislang im Werk der Telescopes nicht gab – und auch
sonst dürfte so experimentelle Klänge eher selten sein. „Jedes meiner Alben
unterscheidet sich von den anderen, jedes ist einzigartig und unvergleichlich.
Man könnte vielleicht sagen, dass das Haus der Telescopes viele Zimmer hat, und
dass dieses Album – genau wie das letzte – nicht nur auf ein Zimmer beschränkt
ist. Vielmehr wirft es gewissermaßen einen Blick in jeden Raum. Allerdings sind
die Themen, trotz des optimistisch klingenden Albumtitels, dieses Mal sehr viel
düsterer als auf Hidden Fields.“ Tracks wie „You Can’t Reach What You Hunger“,
„Hand Full Of Ashes“ oder das vierzehn Minuten lange Schlussstück mit dem Titel
“Handfull Of Ashes” (Achtung, Verwechslungsgefahr!), sie alle scheinen eine
intuitive Weisheit zu vermitteln, die der Hörer zunächst einmal entschlüsseln
muss. „Mein Interesse gilt vor allem der menschlichen Natur. Es kommt vor, dass
ich mich mit einem ganz bestimmten Thema befasse, um darüber zu schreiben, und
dann feststelle, dass der Grundgedanke sich im Prinzip auch auf völlig andere
Themen anwenden lässt. Ich könnte jeden einzelnen Song auseinandernehmen und
die Gedanken hinter jeder Textzeile und jeder musikalischen Entscheidung
erläutern, aber das wäre ein zu großer Eingriff in die persönliche Beziehung
der Hörer zu den Stücken. Das wäre mir zu nüchtern.“
Seit dreißig Jahren folgt Stephen Lawrie seiner
einzigartigen, künstlerischen Vision, und er tut dies heute mit einer Klarheit
wie nie zuvor. „Anfang der Neunziger hatten die Leute in meiner Umgebung vor
allem eines im Sinn: Nämlich, ob mein nächster Song ein Hit wird oder nicht.
Aus heutiger Sicht ist natürlich klar, dass es den Telescopes niemals darum
gegangen ist, aber damals hat mich das ziemlich abgelenkt, und es hat eine
ganze Zeit gedauert, bis ich diesen Anspruch abschütteln konnte. In der
Zwischenzeit habe ich gelernt, das, was mich wirklich inspiriert, die Quelle
meiner schöpferischen Energie, im Blick zu behalten, und zwar ohne
Kompromisse.“
Diese Songs scheren sich nicht um Konventionalitäten.
Diese Musik besitzt eine unmittelbare Kraft. Der Hörer betritt ein riesiges
Sound-Universum und kann darin seine eigenen, persönlichen Koordinaten wählen.
„Wenn wir die Dinge um uns herum verbessern wollen, dann müssen wir sie
zunächst von innen heraus verbessern.“
„As Light Return“ – Songs aus der verheerenden Leere.
Muss man mögen. Kann man mögen. Auch wenns einem mitunter schon arg schwer
gemacht wird…
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