Dienstag, 24. April 2012

WIR. Nervige Pärchensprache und The Young Evils.

(mb) Neulich im Café. Am Nachbartisch ein Pärchen. Ich bestellte ein großes Glas stilles Wasser und einen Filterkaffee. Die zwei Gegenüber ein hedonistisches, überteuertes, westliches Frühstück. Zuvor berieten Sie sich, was Ihnen den schmecken könnte. Satzfetzen wie "nee, das mögen WIR doch gar nicht, Schatzi", flogen an meine Luser. Dazu dieses verniedlichende Babystimmen Gebrabbel. Ätzend, dachte ich. Das StimmenWIRwarr brachte mich um meine Konzentration.
Nennen wir das Pärchen idealtypisch Magnus und Susi. Sie lernten sich in der Unibibliothek kennen. Magnus, markant - muskulöser Managementstudent und Susi, superschlau - schüchterne Soziologiestudentin. Smalltalk.
Dann Date im Szenecafé. Mehr Smalltalk. Sein BWL - Kragen steht, ihre Frisur sitzt. Tiramisu als gleichermaßen Nachspeise und Vorspiel für die erste gemeinsame Nacht. 3 Wochen später sind Sie ein Paar, 3 Monate später ist alles in trockenen Tüchern - dank gemeinsamer Wohnung samt Geschirrspüler. Magnus und Susi verbringen jede freie Minute zusammen und vergessen all ihre Freunde. Sie existieren nur noch miteinander. Alles wird geteilt, nur das Glück hat sich verdoppelt - so zu entnehmen ihrer gemeinsamen Wohnzimmerwand. Halt die Fresse! Genau in diesem Moment ist es bereits zu spät! Beide sind bereits verloren in den Niederungen der Pärchenrhetorik. Der WIR - Form. Sie übernimmt die Regentschaft. Wir mögen keinen Fußball, wir essen abends nur noch Salat, wir kuscheln bei Grey´s Anatomy. Damit einhergehend ist oftmals der piekfeine Schnöseltypus. Man spricht sich gegenseitig nur noch mit vollem Vornamen an. "Susanne, komm doch mal bitte!". "Sofort, Magnus - Peter!". Das Schlimme: Ich könnte jetzt ewig so weiter machen. Das Schlimmere: Es nervt jeden und die Pärchen merken es nicht einmal.

Die musikalische Wir Form bei The Young Evils

Musikalisch könnte man hierbei eine Ausnahme machen. So entdeckte ich neulich "The Young Evils", eine junge fünfköpfige Band aus Seattle, welche stets zweistimmig singen. Mit regelmäßiger Verlässlichkeit sogar in der Wir - Form. Troy Nelson und Mackenzie Mercer, Mittelpunkte der Band,  dürfen das allerdings auch, denn es hört sich ausnahmslos gut an, wenn gemeinsam geträllert wird. Die erste LP "Enchanted chapels" ist gitarrig - leicht, akustisch - beschwingend und macht prinzipiell gute Laune. Momentan trifft das auf noch nicht allzu große Resonanz, dennoch hat hochwertige Musik sich schon immer ein Sprachrohr verschaffen können. Die bald erscheinende neue EP "Foreign spells" sollte dieses Vorhaben freilich fördern.

Vulgär höflich

Wo war ich? Ach ja, im Café. Das Schlimmste: Susi und Magnus nerven mich gerade. Das StimmenWIRwarr brachte mich aus der Contenance. Ich forderte sie vulgär aber höflich auf, bitte die verfickte WIR - Form zu vermeiden. Sie tauschten entsetzte Blicke. Susi setzte zu einer Moralpredigt an. Und wie es so bei Predigten üblich ist - in der WIR - Form. Ich hielt es nicht mehr aus. Wir wurde schwindelig. Ich kramte meinen letzten Fünfer aus meiner Hosentasche. Mein großes Glas stilles Wasser war zu tief, um es auszutrinken.



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