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Foto: Noel Richter |
Golden Years!
Ja, wenn Tocotronic für eins bekannt ist, dann sind es die großen Gesten. Textlich und auch visuell. Insbesondere Dirk von Lowtzow kann wirklich allem mit seinem Körper, seiner Gestik, Mimik, seinem Sein viel Bedeutung verleihen. Viel Pathos. Viel Ernsthaftigkeit. Vielleicht ist es nach all den Jahren mal Zeit, einen etwas anderen Blick auf diese Band zu werden. Können Tocotronic lustig sein? Hat diese Band Humor? Könnte in den Texten etwas zum Schmunzeln drin stecken? Nehmen sie sich vielleicht doch gar nicht mal so ernst?
Wenn die neuen Stücke der Platte laufen, fällt direkt auf: Musikalisch werden wir hier nicht überrascht! Das ist Tocotronic-Gitarrenrock, wie man ihn seit langer Zeit kennt. Wenn nun ein eventueller humoristischer Zug in ihrem Texten erkennbar sein sollte, müssen die Erwartungen dafür klar sein. Hier spielen nicht Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen, die witzige, kurzweilige Geschichten erzählen. Tocotronics Humor funktioniert anders. Auch bei weitem nicht auf jedem Stück, das wäre ja auch falsch. Aber er lässt sich finden und tut dem Bild dieser Band mal ganz gut. Es müssen nicht immer die großen Gesten und die große Bedeutungsaufladung sein.
Das Titelstück ist zum Beispiel so eins, wo man schmunzeln kann. Ein Rückblick auf zahlreiche Zugreisen und Konzerte, die die Band gespielt hat. Freilichtbühne Recklinghausen, Motel One, Schlafmittel. Dazu beinahe eine Musik, zu der man schunkeln kann. Dass es hier Verse gibt, die mal ein wenig profaner sind, ist schön und nicht einfallslos. Mein Unfreiwillig Asoziales Jahr ist ja per Titel schon unterhaltsam. Worum es genau geht, bleibt im Unklaren. Doch es kann sein, dass es um massiven Handykonsum geht - sitzen und starren auf den tiefblauen Bildschirm. Dazu Dirk von Lowtzows herrlicher Bariton - tolle Kombination! Nach all den Jahren darf man auch definitiv über mäßig gut gelungene Zeilen amüsieren. Zum Beispiel: „Vergiss die Finsternis / Finsternis ist Mist.“ Puh, da gilt es mal eben durchzuatmen. Zum Schmunzeln ist auch Bye Bye Berlin mit all seinen Kischees, um die es im Text geht. Insbesondere von außen darf man ja Berlin als Stadt, als Lebenskonzept gar nicht so ernst nehmen, das tun die BewohnerInnen der Stadt schon zu Genüge. Doch: Schließen Tocotronic hier ihre Berlin-Jahre? Keine Ahnung. Schöne Ungewissheit.
Und dann sind Tocotronic zurecht für gute, wahre, dringend benötigte Parolen bekannt. Dafür brauchen wir diese Band unbedingt. Denn Sie Wissen Was Sie Tun ist die erste Singleauskopplung gewesen und seitdem läuft das Lied immer wieder bei mir, weil es so einfach, so klar, so klug, so wahr ist. Insbesondere die Entwicklungen in den letzten Wochen in Österreich, den USA oder hier Bundestag zeigen, dass es viele recht Hardliner gibt, denen alles vollkommen egal ist. Außer die Superreichen werden noch superreicher. Neben den ganzen faschistischen Einstellungen ist und bleibt die AfD eine Partei der Bestverdienenden, die schonungslos den Staat abschaffen will. Diese Menschen sind gefährlich.
Doch mein ganz persönliches Highlight von Golden Years ist Wie Ich Mir Selbst Entkam. Es ist ein typisches Tocotronic-Lied, das ein Szenario eröffnet, das unklar ist. Ein Lied, das in einem philosophischen Metastadium funktioniert. Das erzählende Ich findet sich im „Asyl für Tagediebe“ ein und findet dort Erlösung. Ein Sanatorium, um sich selbst zu finden. Oder sich zu entkommen. Vielleicht ist beides ja das gleiche, je nachdem, woher man kommt. Die Liebe dieser Erde und die Veränderung begegnen sich dort und beobachten sich. Ein schwer zu greifendes Lied, das mich aber ganz enorm berührt. Mystisch, wundervoll!
Golden Years! Die 14. Platte von Tocotronic kommt ohne einen großen Knall daher. Damit muss diese Band auch gar nicht aufwarten. Wer so lange unterwegs ist und so erfolgreich ist und stets kreativ bleibt, der muss niemandem etwas beweisen. Es ist ein tolles Album zum Schmunzeln, Skandieren und Träumen. Wenn die Band demnächst auf Tour ist, bin ich extrem gespannt, wie sie als „neues“ Quartett funktionieren. Bestimmt gut!
20.03.25 Stuttgart, Im Wizemann
21.03.25 Nürnberg, Z-Bau
22.03.25 Wien, Konzerthaus
26.03.25 München, Tonhalle
27.03.25 Freiburg, E-Werk
28.03.25 Zürich, X-tra
29.03.25 Wiesbaden, Schlachthof
09.04.25 Bremen, Schlachthof
10.04.25 Dortmund, FZW
11.04.25 Hannover, Capitol
12.04.25 Köln, E-Werk
20.04.25 Berlin, Columbiahalle
26.04.25 Hamburg, Große Freiheit
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