Freitag, 15. November 2024

Live in Bremen: Nichtseattle

Foto: luserlounge
(Ms) Was ist Kunst, wenn wir über Musik sprechen? In meinen Augen kann diese Frage in zwei weitere aufgesplittet werden. Zum Einen geht es dabei um das musikalische Arrangement, die Instrumentierung. Wie klingt das Stück wenn der Text weg ist? Wie fein werden die Instrumente gespielt? Wie viel Können steckt darin? Wie werden Dynamiken aufgebaut? Wie entsteht Energie? Was bringt mich dazu, dass ich mitschwinge, den Kopf wippen lasse oder sogar tanzen will?!
Auf der anderen Seite steht für mich die Kunst des Texteschreibens. Immer wenn ich über nicht-deutschsprachige Musik hier schreibe, fällt mir das leider etwas schwerer. Klar, ich verstehe und spreche englisch, aber manchmal kann ich gar nicht so gut durch die Kunst des englischen Dichtens durchsteigen. Auf Deutsch fällt es mir bedeutend leichter.
Einen guten Text schreiben - das ist Kunst. Doch was bedeutet das? Was ist ein guter deutscher Song? Er muss mich packen. Egal, auf welcher Ebene. Er kann lustig, unterhaltend sein wie Carsten Friedrichs es oft macht. Da schwinge ich schnell mit, schmunzle, fühle mich wohl. Wenn Judith Holfernes tief aus dem Leben schöpft, denke ich auch nur: Nein, das ist kein Kitsch, so ist es in echt. Wenn Markus Wiebusch und Reimer Bustorff wieder das Storytelling in Perfektion darbieten und auf Probleme aufmerksam machen, dann packt mich das ebenso. Und dann ist da Katharina Kollmann. Sie nennt sich Nichtseattle und macht seit einigen Jahren Musik.
In diesem Jahr erschien ihr neues Album Haus. Noch nie wurde ich direkt beim ersten Hören vom ersten Stück derart angesprochen. Das klingt ganz weich, ganz sanft und zugleich zum Wohlfühlen dicht. Das ist also musikalisch wirklich gut, fein und geschickt gemacht. Und dann schlägt sie auf der Textebene in noch krasserem Maße zu. Denn sie beherrscht eine große Kunstform, hat sicher auch viel Talent dafür. Sie schreibt ihre Lieder auch aus dem Leben, über das Leben, ist also thematisch sehr breit aufgestellt. Ob sie tatsächlich ihr Innerstes nach außen kehrt, weiß ich nicht. Wenn ihre Texte im weitesten Sinne autobiographisch sind: Hut ab, dass sie das so stabil live darbieten kann. Denn es tut oft auch ganz schön weh.
Am Mittwochabend spielte sie in Bremen ein Konzert. Es wurde vom Radiosender Bremen2 organisiert und aufgenommen. Das heißt, wir haben das große Glück, das demnächst nachhören zu können. Zudem war der Schlachthof bestuhlt. Sicher eine gute Idee, ich fühlte mich so sehr wohl. Ohnehin: Diese Location ist enorm - ich bin richtig gerne da, dieses Arrangement an Orten, wo man stehen oder sitzen kann, ist wunderbar!
Um kurz nach acht kam Katharina Kollmann mit ihrer vierköpfigen Band auf die Bühne und hat gut zwei Stunden inklusive Pause ihre Kunst gezeigt. Oft im guten alten Indie-Gitarrenpop-Arrangement. Doch es wurde oft genug leiser oder lauter. Viel Varianz, viel Können. Doch auch hier: Im Mittelpunkt standen ihre Texte. Und die haben mir direkt ab dem ersten Stück voller Glanz und Klarheit in die Magengrube gehauen. Es war gleichzeitig wunderschön und auch richtig hart. Denn eines schafft Kollmann wie ich es noch nie gehört hat. Für das Schwere und Schöne findet sie gleichsam ganz einfache Worte, Bilder, Situationen, Geschichten. Manchmal sind es nur ganz wenige und sie hallen enorm nach in mir. Wie viel Kraft eine Beziehung erfordert. Was es heißt, zusammen zu leben. Ihr Bild vom Frau sein oder halt genau das, was sie damit nicht erfüllen will. Es ist vielfältig und unglaublich menschlich. Insbesondere habe ich mich auf Unterstand (Schirmpilz) gefreut, es läuft ganz oft bei mir zu Hause. Wow - mir fehlen echt die Worte. War das schön und nah. Es wäre so, so cool gewesen, wenn dabei wer Blockflöte gespielt hätte, aber hey… es gab ja zum Glück eine Trompete! 

So sind es, bis auf diese eine Ausnahme, nicht einzelne Lieder, die mich tief beeindruckt haben. Es ist das Gesamterlebnis. Auf der einen Seite habe ich zwei Stunden über die Kunst des Texteschreibens, und was diese in mir bewirkt, gestaunt. Zum Anderen war es auch musikalisch sehr, sehr rund. Mir fällt nichts Vergleichbares ein, was ich je live gesehen habe. An dieser stelle mag ich nicht prahlen, aber ich sah sicher über 500 Konzerte bislang. Vielen Dank, liebe Katharina Kollmann!

Sie ist jetzt auf Tour. Das sollte sich niemand entgehen lassen.

17.11.24 Berlin, SO36 
18.11.24 Hamburg, Nachtasyl
19.11.24 Bochum, Bahnhof Langendreer 
20.11.24 Trier, Mergener Hof 
21.11.24 Freiburg, Slow Club 
22.11.24 Basel, Humbug
23.11.24 Schorndorf, Manufaktur 
25.12.24 Berlin, Deutsches Theater - Rangfoyer (solo) 
20.03.25 Hamburg, Elbphilharmonie (Kleiner Saal) (solo)
23.03.25 Krefeld, Kulturrampe (solo) 
08.04.25 Wiesbaden, Schlachthof 
09.04.25 Aachen, Musikbunker
10.04.25 Osnabrück, Popsalon
11.04.25 Hannover, Cafe Glocksee 
12.04.25 Magdeburg, Moritzhof
12.-13.07.25 Köln, Even Flow Festival 

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