Freitag, 29. April 2022

KW 17, 2022: Die luserlounge selektiert

Quelle: darosina.ch
(sb/ms) Sprache triggert. Ganz extrem. Und da bin ich leider auch komplett borniert und neige zu etwas sinnloser Aggression. Da reicht in der Regel nur ein einziges Wort aus, und der Puls steigt ins Unermessliche. Dann steige ich innerhalb kürzester Zeit auf ein gigantisches Ross der scheinbaren Deutungshoheit und Intoleranz auf und schmeiße mit besserwisserischen Kommentaren und aus meiner Sicht hervorragenden Vorschlägen zur Weltverbesserung um mich. So auch dieser Tage geschehen. 
Wir fuhren nur ein kurzes Stück mit dem Auto und meine Fäuste ballten sich, um dem Vorfahrenden seinen dämlichen Schriftzug auseinanderzunehmen. "Pizzawerkstatt" stand da drauf. Was zu Hölle soll das denn sein? Offenbar eine Lieferkette, die sich 'Mundfein' nennt. Es wird immer schlimmer und widersprüchlicher. Klar, selbstredend liebe auch ich Pizza, aber warum diese Begriffe. 'Werkstatt' hat doch etwas mit Ausbildung und Fachwissen und so zu tun. Bei aller Liebe, aber an jeder bekackten Ecke gibt es einen Pizza-Lieferdienst. Gute und Schlechte. Als ob die da GesellInnen und MeisterInnen im Pizzahandwerk beschäftigen und ein geheimes Firmenrezept für ein enormes Alleinstellungsmerkmal haben. Ich raste aus. Zum Glück war ich nur Beifahrer. In einer Werkstatt möchte ich Menschen mit Fachwissen und Leidenschaft sehen, die mir helfen können. Im Zweifel kann ich mir auch eine Pizza backen oder nach Italien fahren. Ja, ich neige zu sinnloser Aggression...

Und als Heilmittel ist Musik immer die beste aller Möglichkeiten. Das steht auf unseren Fahnen!

Regener Pappik Busch
(ms) Ja, Jazz ist so 'ne Sache. Seitdem ich mich mit B. über Musik unterhalte, betrachte ich dieses Thema mit gänzlich anderen Augen, denn B. ist Expertin und ich Laie. Sie mag Free Jazz und ganz experimentelle Dinge und fasst eine sehr breite Definition von diesem Genre. Das ist neu für mich, aber auch sehr gut, um Festgefahrenes ein wenig anders zu sehen. Da ich selbst jahrelang Saxophon gespielt habe, und dabei war viel Jazz, komme ich von einer extrem klassischen Sichtweise auf diese Spielweise: entspannt, zurück gelehnt, im Hintergrund unterhaltsam, unaufgeregt. So muss Jazz nicht sein, kann aber. Läuft dann wiederum Gefahr, etwas langweilig zu sein. Das könnte auch beim zweiten Album von Regener Pappik Busch so sein. Die zwei von Element Of Crime plus Ekki Busch haben bereits letztes Jahr ein Jazz-Album aufgenommen und mit Things To Come erscheint am 27. Mai der Nachfolger. Man kann schon reinhören, nur umhauen tut mich das bei aller Liebe überhaupt nicht. Das hätte ich noch nicht mal gerne selbst gespielt. Dann lieber abgefahrenen Free Jazz Shit, oder B.?


Crucchi Gang
(ms) Letztens ja ein zweites Mal in Quarantäne gewesen. War auch beim zweiten Mal uncool, aber so eine ungeplante Auszeit hat durchaus Vorteile, glaubt mir (wenn der Verlauf okay ist)! Die Zeit war ideal, um Urlaubspläne zu schmieden. Und das ist immer eine gute Idee. Erste (und direkt beste) Idee war, endlich mal wieder nach Italien zu düsen. Das ist schon viel zu lange her und insbesondere kulinarisch eine irre Wonne. Mehr dazu im Herbst! Das gute, alte Fernweh wird durch die gute, alte Crucchi Gang eingeheizt, die mal wieder ein neues Stück abfeuern und für extremes Schwelgen sorgen. Initiator Francesco Wilking hat sich mal wieder hingesetzt mit seinem Langenscheidt-Wörterbuch und einen irren Hit umgeformt. Dieses Mal hat die Gang es auf den Goldenen Reiter von Joachim Witt abgesehen. Sicher einer der prägnantesten Lieder aus der NDW! Super Song! Cavaliere D'Argento heißt das Lied nun und ich sehe mich schon in den Straßen Roms staunen zwischen Moretti, Espresso, Marinara und sorgloser Leichtigkeit. Der Soundtrack ist hiermit klar, oder?


Nichtseattle
(sb) Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk. So, der Tocotronic-Bezug ist somit abgefrühstückt und wir können übergehen zu Kommunistenlibido (VÖ: heute!), dem neuen Album von Nichtseattle. Und hoppla: Wieso kannte ich die vorher nicht? Eine Liebe zur Musik, eine Liebe zu den Tönen - wer die Referenz erkent, darf sie behalten. Wie wunderbar ist das denn bitte? Die Berlinerin Katharina Kollmann zieht emotional komplett blank, lässt dabei aber auch gesellschaftliche und politische Ebenen nicht vermissen. Ich habe das gute Stück als mp3-Download erhalten und da mein Player im Auto sich seit Neuestem einbildet, die Tracks in alphabetischer Reihenfolge abzuspielen, kam Die Idee (siehe unten) zuerst. Komplettflash! Stimmlich driftet es teilweise in Richtung Holofernes ab, dennoch gelingt es der Künstlerin, mich mit diesem einen Track mehr zu überzeugen, als es der Fronfrau von Wir Sind Helden je gelang. Aber das nur am Rande. Und das Beste: Es geht genau so weiter... Was für ein wundervolles und authentisches Album!



Ultraflex
(ms) Es ist ja nach wie vor eine total dämliche Idee, einen bestimmten Sound mit einer geographischen Position in Verbindung zu bringen. Diese Zeiten sind doch vorbei, oder? Ja, es gab mal den (!) bestimmenden Klang des Brit-Pop beispielsweise, hält ja aber niemanden in Graz, Osnabrück, Krakau oder Brügge davon ab, ähnliche Musik zu machen. Doch so ganz komme ich aus dieser Assoziationskette oder zumindest einem gewissen Erstaunen nicht raus, wenn zwei scheinbar unerwartete Teile ein hervorragendes Ganzes ergeben. Das Duo Ultraflex hat seine Wurzeln in Norwegen uns Island. Der Sound kommt jedoch nicht nur von einem anderen Ort, sondern auch aus einer anderen Zeit. Dass die 80er irgendwie eine Revue feiern, ist klar. Warum das so ist, eher schleiherhaft, aber auch herrlich egal. Denn: Es geht auf. Verträumter Discopop zum hüftbetonten, aber durchaus lässigen Tanzen oder Träumen bieten die beiden und mit Baby darf es durchaus ein wenig kitschig in Klang und Optik daher gehen - auch wunderbar egal. Wenn es aufgeht, dann geht es halt auf. Punkt. 


Django 3000
(sb) In Bayern besitzen Django 3000 spätestens seit ihrem Hit Heidi Kultstatus und bewahren sich diesen nicht zuletzt dank ihrer tollen Live-Auftritte. Am 17.06. folgt nun auch endlich Nachschub aus den Boxen, denn AliBabo erscheint als achtes Album der Band vom Chiemsee. Dabei kehrt das Quartett gewissermaßen zu seinen Gypsy-Wurzeln zurück orintiert am Sound seiner ersten Veröffentlichungen. Poppige Elemente werden wieder etwas mehr in den Hintergrund gedrängt und das steht den vier Herren aus dem Chiemgau außerordentlich gut. Ich verfolge die Band ja schon sehr lange (eben seit dem angesprochenen Song Heidi im Jahr 2011...), muss aber auch zugeben, dass mich ihre Alben selten über die gesamte Laufzeit in ihren Bann zogen. So ist es auch diesmal: Tracks wie Stoaadler, Charlie, Des Oanzige oder I Kimm Vorbei sind natürlich bockstark und machen Lust auf mehr, andere (u.a. AliBabo, Mashallah) ziehen die Scheibe leider aber doch wieder runter. Schade eigentlich, aber aus Sicht von Django 3000 aber halt auch konsequent, weil man merkt, dass sie da voll dahinterstehen und das direkt aus dem Herz kommt. Fazit: Auf Platte gut, live richtig gut! Also Augen offenhalten, wann und wo die Herrschaften demnächst bei Euch in der Nähe auf der Bühne stehen.


 
Quinquis
(ms) Dass Musik Kunst ist, ist klar. Diese Kunst besteht unter anderem darin, mit kreativer Energie Melodien und Rhythmen zu erschaffen, einen (poetischen) Text zu schreiben und alles in Einklang zu bringen. Dafür braucht es Talent und Hingabe, Zeit und Geduld, Muße und Disziplin. Der Kunstbegriff in der Musik kann jedoch noch wesentlich weiter gefasst werden und einen kulturellen Rahmen ziehen. Das tut beispielsweise Émilie Tiersen, die sich als Musikerin Quinquis nennt. Auf ihrem bald erscheinenden Album SEIM (20. Mai) nutzt sie viele verschiedene Sprachen, die nur noch von wenigen Menschen gesprochen werden und hält sie somit fest. Bretonisch zum Beispiel. Wenn auf dem Werk diese Sprache zu hören ist, singt sie es selbst. Für andere holt sie sich Gäste dazu, auf Walisisch beispielsweise singt Emily Chappell auf dem Stück Netra Ken. Doch es reicht anscheinend nicht, diesen seltenen Sprachen Raum zu geben, es werden auch noch Geschichten erzählt. Der Text der Single stammt beispielsweise aus einem Buch der Sängerin. Sowas fasziniert mich extrem. Die weiten Kreise der Kunst, die in Musik ihren Kanal gefunden hat. Das ganze auf einem elektronisch-minimalistischen Klangteppich, der warm ummantelnd ist und mich als Hörenden leicht in den Bann zieht. Enorm!


De Staat
(ms) Wie unglaublich gern würde ich mal Mäuschen spielen, wenn eine Band sich darüber Gedanken macht, wie die neuen Lieder am besten der Öffentlichkeit präsentiert werden. Welches ist die Single? Wie ordnen wir die Lieder auf dem Album an? Wie viele Singles wollen wir überhaupt rausbringen und wann sollen sie erscheinen? Dass da das Label gewichtig mitzureden hat, wenn nicht sogar in bestimmender Funktion, ist ebenso klar. Die Band De Staat fährt da nun auch eine ganz besondere Veröffentlichungsstrategie. Ähnlich wie The Kooks erscheinen ein paar Lieder zu selben Zeit, statt gebündelt auf einem Album. Doch nicht nur das. Sie beschreiten einen künstlerischen Weg, der nicht nur die Musik in den Vordergrund stellt, sondern die Lieder werden einer bestimmten Grundfarbe - rot, blau, gelb - zugeordnet. Je nach Stimmung der Lieder. Das ist schon wirklich sehr ausgefuchst und spricht mich von konzeptioneller Seite ziemlich an. One Day, die aktuelle Single, wird der Farbe blau zugeordnet. Also kalte, etwas traurige, betrübte Lieder. Bei diesem Stück geht es um die Verarbeitung von Verlusten und es kommt in einem herrlichen, tragenden elektronischen Gewandt daher, das an Bands von der Insel denken lässt, jedoch aus den Niederlanden stammt, was ja aber auch herrlich egal ist. Sehr gelungen das ganze!


Nullmillimeter
(ms) Sie kommen aus allerbester Gesellschaft. Und wenn da Menschen mitmachen, die woanders schon gute Arbeit abgeliefert haben, könnte ja der Druck steigen, abliefern zu müssen. Oder wenn man aus irgendeinem Podcast empfohlen wird. Doch was das Thema Musik anbelangt, bin ich hoffnungsloser Romantiker. Dann sind diese Dinge nur ein einziger Hinweis, der sagt: Hey, hör mal her, das könnte richtig schön werden, was zum schwelgen und nachdenken. Das ist die Band Nullmillimeter aus Hamburg und Berlin, die aus dem Umfeld von Olli Schulz, Staring Girl und Gisbert zu Knyphausen kommt. Gute Gesellschaft. Anfang des Monats erschien ihre erste Platte mit dem ungeheuer guten Namen Wer Die Wahrheit Sagt Braucht Ein Schnelles Pferd. Der Sound und das Gewandt der Band sind sehr nah an ihrer Bezugsgruppe: gitarrenbasierter, kluger Pop, der gerne Streicher oder Bläser dazu holt und mit feinen, schönen Texten auf sich aufmerksam macht, die nicht zwingend was zum nebenbei hören sind, sondern mal zum Nachdenken und Verdauen anregen. Das ist richtig, richtig gut und ein tolles Zeichen, welch gute TextschreiberInnen hier wohnen. Allen voran Frontfrau Naëma Faika! Hut ab, Boxen auf gedreht, Hirn und Herz inne gehalten!


Die Sterne
(ms) Weiter, immer weiter. Das könnte vielleicht das Motto von Frank Spilker sein. Wenn die Stammband in den letzten Jahren einfach nicht mehr existiert, aber der Wille, die Freude, die Kreativität und die Bereitschaft nach vielen, vielen Jahren im Geschäft immer noch da sind, dann sucht man sich halt neue Leute und macht aus der Band Die Sterne eher sowas wie ein Projekt, in dem Spilker in der Mitte steht als kreatives Element und andere ihm einfach bei der Umsetzung helfen. So läuft das schon seit dem letzten selbstbetiteltem Album von 2020 und so wird es auch weiter gehen, wenn im Spätsommer (VÖ 19.09) mit Hallo Euphoria das neue Werk erscheinen wird. Seit dieser Woche lässt sich da rein hören und Alles Was Ich Will ist ein klanglich und textlich typischer Sterne-Track. Startet er mit vermeintlicher Konsumkritik, wird schnell klar, dass es um die Suche nach der scheinbaren Perfektion an der eigenen Seite geht, die auf einer Plattform oder im Alltag zu finden, wenn der Anspruch nicht so seltsam verschoben wäre. Einfach stark, dass Frank Spilker es seit so vielen Jahren konstant schafft, die Wirklichkeit scharf zu beobachten, all ihre Widersprüchlichkeiten sieht und daraus Musik macht. Ich hab Bock auf die neue Platte!

14.05. Mohnheim - Draußen Tanzen Festival
18.08. Oberhausen - Druckluft 
19.08. Idar-Oberstein - Theatersommer 
20.08. Karlsruhe - Jubez 
26.08. Leer - Kulturzentrum Zollhaus 
27.08. Schleswig - NORDEN - The Nordic Arts Festival 
08.10. Osnabrück- Kleine Freiheit 
09.10. Köln - Gebäude 9 
11.10. Freiburg - Jazzhaus Freiburg 
12.10. Nürnberg - Z-Bau 
13.10. München - Hansa 39 
14.10. Wien - WUK 
15.10. Linz - Posthof - Zeitkultur am Hafen 
17.10. Dresden - Beatpol 
18.10. Erfurt - Zentralheize 
19.10. Berlin, SO36 
21.10. Hamburg - Uebel und Gefährlich 
16.11. Wiesbaden - Schlachthof Wiesbaden 
17.11. Zürich - Moods 
18.11. Konstanz - Kula Konstanz 
19.11. Schorndorf - Club Manufaktur

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