Mittwoch, 3. November 2021

Live in Rotterdam: Grandbrothers

Quelle: facebook.com/grandbrothers
(ms) Reisen ist en vogue. In meiner Altersgruppe (Anfang dreißig) ist man beinahe ein Niemand, wenn es nicht schon mal nach Australien, Vietman oder Peru ging. Sicher, alles tolle Orte. Könnte ich momentan mit meiner persönlichen Klimaagenda aber nicht in Einklang bringen. Daher suche ich mir stets Orte, die mit dem Zug gut zu erreichen sind. Wenn an diesen Orten dann zusätzlich noch sehr gute Livemusik geboten wird, hält mich wenig davon ab, diese Reise zu beginnen. Ich nenne es privat gern Konzerttourismus. Andere Städte kennenlernen, andere Clubs oder Veranstaltungsorte, schauen wie das Publikum dort so reagiert, welches Bier es an der Theke gibt und was den Ort so einzigartig macht. Denn nach Rotterdam wäre ich sicherlich nicht einfach so gefahren, besonders schön ist die Stadt gar nicht. Klar, die Maas und ihre Brücken sind sehenswert und auch architektonisch ist diese Stadt sehr mutig und kreativ. Darüber hinaus fiel mir nichts nennenswertes ein - nun gut, es war ja auch nur ein Wochenende.

Das Duo Grandbrothers ist momentan auf All The Unknown-Tour! Um diese Band, um so einen faszinierenden Abend überhaupt zu verstehen, sind Informationen über ihre Art des Musizierens zwingend notwendig. Denn dann lässt es sich noch viel besser staunen. Und wer staunt nicht gerne?! Eben. Erol Sarp und Lukas Vogel haben sich beim Musikstudium kennengelernt. Der eine, Sarp, eher am Piano interessiert, der andere, Vogel, ein unglaublich kreativer Klangtüftler. Sie haben etwas wirklich Einzigartiges, Geniales, Neues geschaffen. Jeder Ton, der von ihnen zu hören ist, kommt aus dem Konzertflügel. Auch live! Das ist wirklich erstaunlich. Vogel hat nämlich mehrere Apparaturen gebaut, die auf den Flügel gesetzt werden, mit denen er dann samt Samplern und viel Technik Töne im Klavier erzeugen kann. Sarp spielt dazu auf klassische Art. Also: Es spielen gleichzeitig zwei Menschen am gleichen Instrument, der eine analog, der andere digital. Das ist ganz, ganz grob das Grundprinzip. Wie innig und tanzbar das werden kann, stellen sie live eindrucksvoll unter Beweis!

Das LantarenVenster ist ein sehr schönes, wenn auch modernes Kino im Zentrum Rotterdams, hinter großen Anlegestellen für Kreuzfahrtschiffe gelegen. Aus dem Foyer blickt man auf die Maas, das Licht erschafft eine heimelige Atmosphäre, sogar essen kann man dort.
Der Abend fand in einem der Säle statt, wo man die ersten - grob geschätzt - fünfzehn Reihen quasi einfahren kann, sodass dort eine große Tanzfläche entsteht. Weiter oben ließ sich der Abend auch sitzend verfolgen. Anfangs hatte ich bedenken, dass das Konzert schwach besucht sei. Doch der Großteil der Gäste kam erst kurz vor der Vorband rein - also gut gefüllt. Ein wenig habe ich gehofft, dass die Tontechniker den 360°-Sound des Kinos nutzen. Das war leider nicht der Fall, dennoch war der Klang hervorragend.

Das stellten schon Coma unter beweis, die den Abend kurzweilig begonnen haben. Das Duo hat mit Synthies, Gitarre und Bass sehr atmosphärische elektronische Musik erzeugt, die wirklich gut ausgesucht war für das, was darauf folgte. Denn es war dicht im Sound, aber noch nicht so wuchtig und ausgefeilt im Showelement. Dennoch haben die beiden extrem gute Musik gemacht, zu der es leicht fiel, die Augen zu schließen und sich mitnehmen zu lassen.
Kurze Umbaupause und dann stand auf der Bühne nur noch der offene Konzertflügel und ein recht großer Tisch, auf dem Vogels Technikspielereien aufgebaut waren. Zudem war hinter ihnen eine breite, weiße Leinwand aufgezogen, links und rechts standen zudem kleine Lichttürme. Die Lichtshow sollte noch erheblich zur Atmosphäre des Abends beitragen.
Denn was in den kommenden eineinhalb Stunden passierte, habe ich noch nicht erlebt. Klanglich vielleicht schon. Aber nicht auf technischer Ebene. Auch wenn man als Zuschauer nicht genau sehen konnte, was Vogel mit den ganzen Knöpfen und Schaltern macht, so war das Wissen darum ausreichend, um wirklich hohes musikalisches Können live zu erleben. Ich fragte mich, wie viel Platz ihnen zur Improvisation bleibt und glaube, dass so gut wie keine dafür da ist. Das war schon sehr abgestimmt, choreographiert, aber das passt schon so. Grandbrothers erzeugen einen Klang, in den ich mich sofort fallen lassen konnte. Vor dem inneren Auge passierte gar nichts mehr, als ich sie geschlossen habe. Ich habe nur noch die Musik und ihre Stimmung gespürt und fühlte mich endlich wieder in einem Stadium, das ich lange vermisst habe: Mit ein, zwei Bier erheitert mich der Musik hingeben, versinken, tanzen, tief einatmen. Wow! Das haben sie wirklich mit spielerischer Leichtigkeit geschafft. Die Lichter waren super eingesetzt, es wurde immer mehr, das Kino wurde in eine bebende Tanzfläche verwandelt.

Am liebsten stünde ich heute Abend immer noch dort und wünschte, nie zu gehen!

Ein umwerfendes Erlebnis!

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