Madsen - Na Gut Dann Nicht

Dunkel gekleidet, ernste Mine. Foto: Dennis Dirksen

(ms) Es war 2005. Ich hatte als Teenie gerade angefangen, die Visions regelmäßig zu lesen und auf Konzerte zu gehen, da haben ein paar Jungs aus dem Wendland eine irre Platte raus gebracht, die sie der Einfachheit wegen auch nach sich selbst benannt haben: Madsen. Mit diesem Album ging ein nicht unbedeutender Aufmerksamkeitsrausch durch die Musiklandschaft: Eine deutschsprachige Rockband, die so gerne so gut schreit und damit auch gefühlvolle Ehrlichkeit vermittelt ("Du bist die Perfektion...") und sich dann noch ein sehr stabiles Standing erspielt hat... das war neu! Dass sie 15 Jahre später immer noch da sind, Bock haben, relevant sind und immer noch so unfassbar sympathisch sind, ist wirklich keine Selbstverständlichkeit.
Persönlich habe ich die Band nach Goodbye Logik ein wenig aus den Augen verloren. Logisch, auf den Festivals im Sommer immer ordentlich abgefeiert, aber die Alben nicht mehr so intensiv gehört.

Damals starteten sie mit knarzig-hartem Gitarrenrock, zwischendurch wurde es ein wenig poppiger. Nun kehren sie ein wenig zu ihren Wurzeln zurück. Vom Klang her zumindest ansatzweise. Sie sind wieder wilder, lauter, ungestümer. Doch was wirklich erstaunt: Sie machen Punkrock! Sie sind (gesellschafts-)politisch. Das waren sie immer. Aber mehr mit ihren Ansagen auf der Bühne zwischen den Songs als in den Texten.
Am 9. Oktober erscheint ihre neue Platte Na Gut Dann Nicht. Und damit wendet sich das Blatt. Auf ihrem achten Album bringen sie ihre Haltung auch auf LP-Länge. Dazu gehört eine ordentliche Portion Reflektion, Mut und ganz viel Leidenschaft. Die Wut, der Zorn, der in ihnen grummelt, ist deutlich zu hören auf Na Gut Dann Nicht.

Man könnte auch denken: Na gut, Punkrock... machen die älteren Jungs jetzt auf cool und jung? Nein, keineswegs! Denn sie gehen keiner anderen vergleichbaren Band nach. Sie sind nicht so verschachtelt wie Pascow oder Turbostaat, nicht so rotzig wie Adam Angst und Sebastian singt halt auch besser als Jörkk Mechenbier (sorry an dieser Stelle). Zudem sind sie auf diesem Album nicht so anarchisch wie Slime oder Swiss.
Tatsächlich klingen sie ab und an ein bisschen wie die (alten) Ärzte oder Knorkator, wenn man beide Augen zudrückt. Der ganz große Trumpf dieser Platte ist, dass sie angesichts der widerlichen Politik der afd und Konsorten in unseren Nachbarstaaten (Polen, Ungarn, Belarus...) keine linksradikalen Parolen brauchen. Die Platte ist zum Großteil ein großer, aufrechter Appell an die Menschlichkeit, an Humanismus, ja, so etwas wie Nächstenliebe. Hören wir mal rein!

Eine schöne Überraschung auf der gesamten Platte ist, dass nicht nur Sebastian singt. So unter anderem auf Protest Ist Cool Aber Anstrengend. Zu den unterschiedlichen Stimmen gesellen sich Tempo, Gitarre, Melodie. Sie greifen Probleme der sogenannten schweigenden Mehrheit auf. Man würde halt so gerne demonstrieren, aber man ist sich viel zu bequem, was für eine riesige Scheiße. Und ich sehe genau dieses Verhalten auch bei mir. Danke für den Spiegel, Jungs! Wir haben es hier mit Musik zu tun, die zum Nachdenken und Handeln anregt. Dem tut der Ohh-Ohh-Gesang im Hintergrund keinen Abbruch.
Alte Weiße Männer ist der Ärzte-Song der neuen Platte. Gut, dass Männer voller Wut im Bauch über Männer singen. Beim gebrüllten Refrain musste ich kurz schmunzeln, weil es so herrlich platt ist, doch die ernsten, klugen Strophen sind wenig witzig, sondern ein großer, auffälliger Stinkefinger an eben jene. Bringen wir mehr Frauen, Homosexuelle, andere sexuelle Identitäten und kluge, junge Leute oben rein. Go, Greta, Go!
Na, wer hat bei Wenn Du Am Boden Liegst auch an einen Hosen-Song gedacht? Keine Sorge, das ist hier keine Aufsteh-Mentalitäts-Stadionrock-Kacke, sondern ein deutlicher Appell hier die Grenzen weiter offen zu halten. Für alle, ausnahmslos alle. Dazu ertönen knarrige, schnelle, wuchtige Gitarren. Madsen, man, saustark! Richtig gut: Sie betonen hier deutlich, dass Gefühlskälte und die Verweigerung von Hilfe uns auf eine Stufe mit Tieren stellt. Richtig so (und alle Haustierliebhaber sind hier mal ganz leise)!
Natürlich muss auf einem Punkalbum auch der Punk diagnostiziert werden, das tun sie auf Herzstillstand. Also, nochmal ganz deutlich: Wer hätte gedacht, dass Madsen den Punk retten (wollen)? Ich nicht! Und das hier überzeugt von vorne bis hinten. Mit diesem Song hauen sie in eine ähnliche Kerbe wie Adam Angsts Das Ist Punk.
Klar, ein paar Schwachstellen gibt es auch. Trash TV und Auf Deinem Balkon zünden bei mir persönlich nicht so sehr. Auch dachte ich, dass die Corona-Songs eine reine Online-Erscheinung seien. Quarantäne Für Immer ist so ein Ding. Man könnte ihn skippen, aber! Aber die Prinzen-mäßige Interlude ist äußerst originell: bamm-ba-damm!

 

Auf Supergau scheppern dann nochmal die Gitarren, das Schlagwerk war im Studio sicher auch kaum zu halten und die Stimmbänder wurden kollektiv aufs derbste ausgereizt. Letztens wurde Philipp 'Kryptik Joe' Grütering von Deichkind im Stern gefragt, ob man einen coolen Song über den Klimaschutz machen könnte. Er hat das bezweifelt. Madsen zeigen es auf diesem Track recht deutlich und laut, dass das geht und räumen diese Zweifel aus dem Weg.

Mensch, Madsen. 2020. Punk. Krass. Das hier ist eine richtig feine Scheibe. Das knallt von vorne bis hinten richtig rein. Saugut. Saustark!
Und für Bands, die diese Energie auf jeden Fall auf die Bühne bringen können, ist die aktuelle Situation auch ein Supergau. Hoffen wir auf Besserung.
Bis dahin rettet und diese ehrliche, zornige, wuchtige, laute, extrem starke Platte!

PS: Das wahre Highlight jedoch ist der Spoken Word-Beitrag von Benjamin von Stuckrad-Barre am Ende. Wahnsinn! Wie. Unfassbar. Geil!