Freitag, 28. Juni 2013

Traumhafte Traumzeit im Pott

(ms) Es gibt Festivals und es gibt Festivals. Viele werden für ein fulminantes Wochenende im Nirgendwo auf Äckern und Feldern aufgebaut und danach verschwinden sie einfach wieder. Daher sind einzigartige Festivalstätten ein Nischenprodukt, das aber rasant wächst. Das populärste Beispiel ist wohl das „melt!“, das in der Ferropolis in der Nähe von Dessau stattfindet. Das Gegenstück im Westen der Republik könnte das „Traumzeit Festival“ in Duisburg sein, das letztes Wochenende stattfand. Die Umgebung: Ein altes Hüttenwerk im Landschaftspark-Nord, wo Jahrzehnte lang Eisen gegossen wurde. Riesige Bauten und große Hallen sind bis heute davon übrig geblieben.

Das Festivalprinzip ist genial und einfach: Es gibt eine Open-Air-Bühne, die sich jeder angucken kann und wo auch sehr gute Bands im Endeffekt für lau gespielt haben und für die drei Hallen (Kraftzentrale, Gebläsehalle, Gießhalle) brauchte man ein Bändchen. Man muss dazu sagen, dass es einen Campingplatz gab, der allerdings nicht so stark frequentiert war, wie man es sonst von Festivals kennt.
Vom Bahnhof ging es mit dem nostalgischen Shuttlebus zum Gelände, wo sich Besucher zwischen Teenies und Frührentnern tummelten; tolle Mischung. Was wohl auch am Line-Up liegt!

Angekommen und erst mal die Gegend inspiziert bis es in die Gießhalle zu Lukas Graham ging; kennt man aus dem Radio, ist live aber irre stark. Mit einem Bier in der Hand ging es zur Kraftzentrale; immerhin warteten die Editors, wahrscheinlich der (!) Publikumsmagnet des Festivals. Erwartungen: Wie klingen wohl die Songs vom neuen Album? Neuer Stil? Alter Stil? Wieder elektronisch?!  Mit aufrichtigem Applaus und Groupie-Gekreisch wurde die Band um Tom Smith empfangen und sofort Vollgas! Über siebzig Minuten ein spitzen Mix aus Altem und Neuem: Papillon, Munich, An End has a start, Smokers outside the hospital door… Meines Erachtens sind die neuen Sachen unter den alten Hits stark untergegangen, in meinem Gedächtnis bleib nicht viel davon übrig.
Mit der Smashline von Papillon ging es weiter zu Thees Uhlmann und Band. Sicher ein Typ, bei dem sich die Geister scheiden. Klar, Tomte war eine Institution, doch seine eigenen Sachen eignen sich gut zum Mitsingen und die ein oder andere gute Geschichte hat der Kerl immer auf den Lippen. Ging gut ins Ohr, hin und wieder auch in den Zeigefinger, den man in die Luft streckte oder in die Beine, die dann tanzen wollten. Auch hier kommt bald ein neues Album raus; es gab eine Kostprobe, die allerdings wie vorher auch nicht wirklich haften bleib. Ich persönlich bin immer froh, Tobi Kuhn zu sehen, der leider von seinen alten Projekten (Monta, Miles) nicht mehr viel hören lässt, sondern oben (Lindenberg, Hosen, Uhlmann, Leslie Clio) mitmischt.

Dann raus aus der Halle, draußen ein frisches Pils holen, Umbauarbeiten abwarten und dann wieder rein zu einem meiner absoluten Highlights: Kyteman Orchestra. Das Album war schon der Wahnsinn; jetzt also das ganze live. Es betreten die Bühne: Bläser, Streicher, ein Chor, Drummer, jemand an den Tasten, drei Rapper und Colin Benders, Kopf des Projekts, Dirigent und Solotrompeter. Es ging fulminant zu, eine erhebliche Dichte an Sounds, Klangspektren, die nur staunen ließen. Ich hab mich selbst dabei erwischt, wie ich mit runtergeklappter Kinnlade dort stand! Benders selbst betonte, welch ungewöhnliche und einzigartige Kulisse sich für ihn dort bietet! Diese Begeisterung und Energie sprang auch auf seine Musiker über. Sowas habe ich noch nicht erlebt. Klassik, Hip Hop, Blues, Elektro: Alles abwechselnd oder gemischt und das live! Wirklich stark.
Dann ab in den Bus, alle Bilder und Impressionen im Kopf behalten und ab nach Haus: schlafen, essen und wieder nach Duisburg. 
Der Samstag hatte es wieder in sich. Wir wollten alles in der Gießhalle sehen: Get Well Soon, CocoRosie, C2C. Und so ging es auch los mit dem bescheidenen „german  Wunderkind“ und seiner Band. Get Well Soon, schon oft gesehen, doch immer wieder ein großes, druckvolles Konzertereignis! Einige Songs, die sonst immer gespielt werden („I sold my hands for food…“) wurden rausgelassen, andere reingenommen; super Abwechslung. Konstantin Gropper, nicht der große Redenschwinger, ließ lieber seine Musik wirken. Nach dem Konzert habe ich ihn noch auf ein paar Worte erwischen können. Er verriet, dass das neue Casper-Album, das er produziert hat, ganz anders wird als die Vorgänger, es soll folkig zugehen.
Dann aber schnell wieder anstellen, immerhin spielen CocoRosie.  Die beiden Schwestern haben sich drei Musiker mit auf die Bühne genommen: Keyboard, Bass und einen Beatboxer! Rosie spielte Harfe und besticht durch ihre klare, teils sehr hohe und faszinierende Stimme, Coco übernahm Sprechgesangteile und spielte Flöte. Und was dabei herauskam war mal wieder erstaunlich, wie so vieles bei dem Festival! Beide sind sehr extravagant gekleidet (fast nichts im Gegensatz zu Verhüllung und einige schwarz angemalte Zähne) und haben die Hörer mit in den Bann gerissen. Einer der Höhepunkte: Das Solo vom Beatboxer! Das hat gesessen, ziemlich stark!


Dann das alte Prozedere: Raus, neues Bier, wieder rein, Party machen. Denn die vier DJs von C2C ließen nicht lange auf sich warten. Die mehrfachen DMC-Weltmeister haben sofort die Regler aufgedreht und die alte Gießhalle in eine Disco verwandelt. Sowohl die Beats als auch die Lichtshow haben ihren Teil dazu beigetragen. Doch sie haben nicht nur einfach aufgelegt, sondern auch die Turntables gewechselt, kleine Battles untereinander gemacht und die tobende Menge animiert ein bisschen abzugehen!
Ende, Bus, nach Hause. Fertig, überwältigt, den Sonntag haben wir nicht in Duisburg verbracht, verpassten dann also Ron Sexsmith, Shout Out Louds, Alex Clare oder Charles Bradley. Schade eigentlich, aber die sonntäglichen Zugverbindungen in die Heimat sind denkbar schlecht.

Was bleibt?!
Impressionen ohne Ende. Eine gewaltige Kulisse. Ein Festival der anderen Art. Hohe Qualität der gebuchten Bands, gute Organisation. Das merke ich mir definitiv für nächstes Jahr!














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