Freitag, 26. März 2021

KW 12, 2021: Die luserlounge selektiert

Bild: stanleypickergallery.org
(ms/sb) So fuhr ich eben nach Hause ab ins Wochenende. Immer mit der Bahn. Unter normalen Umständen hätte ich mich tierisch über meine Nachbarin aufgeregt. Hätte sie telefoniert oder dauernd Sprachnachrichten eingesprochen und abgehört, wäre ich sicherlich nicht zu halten gewesen. Und eigentlich bin ich auch jungen Familien in der Bahn gegenüber konsequent intolerant. Morgens immerhin gibt es ein ungeschriebenes Gesetz: Die Leute auf der gleichen Strecke grüßt man mit einem verschlafenen 'Moin' und hält dann gefälligst den Mund. Eben jedoch ging kein Weg dran vorbei. Der Zug war nur halb so groß und daher voller als sonst. Vielleicht lag es auch an ihrer Stimmfrequenz oder an meinem erschöpften Zustand. Nun denn: Sie las ihrem kleinen Sohn (drei oder vier Jahre alt) ein kleines Büchlein vor. Es ging im Ostern. Mehr kann ich zum Inhalt nicht mehr sagen. Ab und an habe ich auf die Bilder geschaut, konnte mir die Handlung aber auch nicht zusammen reimen. Denn: Ihre Geschichte hatte auf ihren Nachwuchs denselben Effekt wie auf mich: einen Einschläfernden. Normalerweise lese ich selbst in dieser Zeit. Erst des Morgens begann ich ein neues Buch. Doch ich konnte nur drei Stationen innerlich laut dagegen anlesen. Dann meins zugeklappt und mich drauf eingelassen. Ostern. Ja. Schön. Dabei gelernt: Mal wieder öfter jemand anderem was vorlesen. Und vorgelesen bekommen!

Hier wird jedoch beschallt. Gerne laut. Voll drauf. Luserlounge. Freitag. Wir haben selektiert.
 
CRIM
(sb) Ich höre ja wirklich gerne italienisch- oder spanischsprachigen Punk, Ska oder Hardcore. Aktuell haben es mir eher die Italiener angetan, davor die Spanier und Südamerikaner. Geschenkt, dass ich dabei kaum was verstehe und wenn's dann gar ins Dialektale geht, bin ich quasi chancenlos. Trotzdem liebe ich noch immer die mittlerweile aufgelösten Obrint Pas aus Valencia und auch CRIM aus Tarragona haben es mir sehr angetan. Die feiern dieses Jahr ihr 10-jähriges Jubiläum und veröffentlichen zu diesem Anlass ein Greatest Hits-Album, zu dem sie sich zahlreiche internationale Gäste eingeladen haben. Klingt erstmal sehr angenehm, zumal man bei den Features ordentlich Gas gibt. So sind beispielsweise Cecilia von The Baboon Show, Olga von den Toy Dolls und Lion's Law am Start.
Musikalisch ist an 10 Anys Per Veure Una Bona Merda auch rein gar nichts auszusetzen - ganz im Gegenteil! Feinster Punkrock mit Hardcore-Einflüssen, catchy Melodien und einem großartigen Gitarristen. Leider bleibt jedoch das "aber" nicht aus: Die Tracks werden diesmal auf Englisch präsentiert, was für Fans zwar spannend und abwechslungsreich sein mag, dem Sound der Katalanen jedoch seine typische Note raubt. Der Exotik-Faktor geht so leider ein bisschen verloren und lässt das Album leider arg gewöhnlich erscheinen. Sehr, sehr schade, wie ich finde, zumal CRIM halt eigentlich eine richtig geile Band sind.
Die Album-Version mit den Gästen ist übrigens die Standard-Version des Releases. In der Limited Edition gibts noch eine Scheibe dazu, bei der die Band die Songs nochmal alleine performed - allerdings auch auf Englisch. Argh. Es hätte so schön sein können...


Víkingur Ólafsson
(sb) Wie krass produktiv kann man eigentlich sein? Der Pianist Víkingur Ólafsson lässt es in den vergangenen Monaten nur so krachen und veröffentlicht ein Album nach dem anderen. Und das Beste daran: Alle sind qualitativ so hochwertig, dass es eine wahre Freude ist. Ich gebe zu, dass ich in Sachen Klassik nicht wirklich bewandert bin, aber jede einzelne Scheibe des Isländers fasziniert mich und tatsächlich gehören seine Alben zu denen, die bei uns im Haushalt am meisten laufen. Das war schon bei seinen Bach-Interpretationen so, ebenso bei seinen Versionen von Debussy und Rameau.
Auch sein neuestes Werk Reflections (VÖ: 12.03.) lässt den Hörer tief eintauchen in die Schönheit der Klassik und öffnet neue Horizonte. Der Künstler wagt phasenweise sogar den Schritt in Richtung Neo-Klassik und spielt mit elektronischen Elementen, was den entsprechenden Stücken eine ungeahnte Tiefe verleiht. Auch bei der Auswahl der präsentierten Musik geht Ólafsson neue Wege: Zwar interpretiert er auch diesmal Debussy, versucht sich aber auch an Werken von Hugar, Balmorhea und der großartigen Hania Rani. Coverversionen der Klassik sozusagen! Es fällt schwer, dieses Album nicht zu lieben. Gan ehrlich.


The Go! Team
(ms) Durch diese grauenhafte Vereinzelung im Musikhören und dass einem Playlisten generiert werden, fehlen die Hits (ich verweigere die Nutzung einer Streamingplattform weiterhin!). Man kann sich auf nichts mehr einigen. In den Clubs (jaja...) laufen die gleichen Tracks wie vor 15 Jahren. Klar, die waren alle super und ich tanze gerne ausgiebig und intoxikiert dazu. Doch neues, frisches Material fehlt. Wer es locker, allzu locker schaffen könnte, dort auf Heavy Rotation zu laufen, weil sehr gut ins Ohr gehend und extrem tanzbar sind The Go! Team! Als Cookie Scene raus kam, lief tagelang nichts anderes bei mir. Ein phantastischer Track! Nun wird ein neues Album erscheinen, am 2. Juli! Der Sommertrack zieht in den Lockdown ein! World Remember Me Now ist der erste Vorgeschmack. Und er weiß direkt zu gefallen: locker, leicht, cathy, kopfnickend. Der kurzweilige Song behandelt tägliche Routinen und wie eine Frau heute ihren Alltag in der Großstadt bewältigt. Der gute, durchaus ernste, philosophische Ansatz kommt in meinen Ohren kaum zur Geltung, weil ich die ganze Zeit am Tanzen bin. Doch wenn Get Up Sequences Part One im Sommer erscheinen wird und damit noch mehr Hörstoff, ist es soweit. Ich schwöre! Und jetzt: Laut gedreht, abgetanzt!


Fortuna Ehrenfeld
(ms) Reisegruppe Seltsam schlägt erneut zu. Keine Band (und da bestehe ich drauf) war in den letzten zwölf Monaten derart umtriebig, gewillt, kreativ und outputgeil wie Fortuna Ehrenfeld! Shows über Shows, alles was geht. Weil: BockBockBock! Beim WDR in diversen Formaten, im Internet noch und nöcher und auf allen Bühnen, die bespielt werden konnten. Ihr Gig im Wilhelmshavener Strandkorb im September war eine wahre Wonne. Und jetzt wieder ein Album?! Kaum zu glauben! Noch weniger zu glauben, dass es nicht beim Grand Hotel Van Cleef erscheinen wird (soweit ich weiß), sondern auf dem eigenen Label von Martin fucking Bechler: Tonproduktion. Einfach mal so nennen, damit man es versteht. Was man nicht immer versteht, sind seine Texte, aber das muss auch gar nicht sein. Man sollte sie wirken lassen, dann kommt der Rest von alleine. Dass sie immer schon Bock auf gaga hatten, ist jetzt vertont. Die Panamoralische Liebe ist der erste Track aus dem am 28. Mai erscheinenden Album Die Rückkehr Zur Normalität. Wenn nicht mit Fortuna Ehrenfeld, mit wem denn sonst?! Eben! Selten so hart Bock auf gehabt!
 

Flyte
(sb) Das Wissen, dass die Entscheidung, die man im Begriff ist zu treffen, das eigene Leben für immer verändern wird, ist des Öfteren nicht so wirklich befreiend. Klar, kann. Muss aber nicht. Zum Beispiel im Fall einer Trennung. Ist es der richtige Schritt? Oder hat man doch noch nicht alles versucht, um den (einst?) geliebten Menschen auch weiterhin an seiner Seite zu haben?
Mit genau diesen Themen setzen sich Flyte auf ihrem neuen Album This Is Really Going To Hurt (VÖ: 09.04.) auseinander und sie tun das auf eine extrem hörenswerte Art und Weise. Dreistimmige Harmonien, einprägsame Melodien und Texte, die von literarischen Bildern durchdrungen sind, bilden das Gerüst einer Scheibe, die ruhig beginnt, im weiteren Verlauf, aber auch aufgewühlt und aufwühlend rüberkommt. Wie es halt so ist, wenn man mit Zweifeln, Ängsten und Hoffnungen zu kämpfen hat. Obwohl die Band bereits seit 2017 existiert, veröffentlicht das Trio im London im April erst seine zweite LP. Wenn die Zeit aber genutzt wird, um solche Perlen zu erschaffen, dann sei ihnen das verziehen.


Donots & Ingo Neumayer
(ms) "Eine Liebe zur Musik, eine Liebe zu den Tönen." Nein, so pathetisch wie Uhl singen die Donots nicht, stimmen tut es trotzdem. Da werden die Riffs ausgeschöpft. Da knarzen gerne und schief und wummernd die Boxen. Da stehen fünf Typen mit Haltung auf der Bühne. Fünf Kerle, die seit 27 Jahren diese Band am Leben halten und immer wieder überraschend agieren. Aus den ganz frühen Punker-Tagen, wurden rockigere Tracks und dann wiederum solche auf Deutsch. Nimmermüde. Immer Bock. Vollgas auf der Bühne. 1200 Konzerte. 11 Alben. Immer weiter. From Ibbenbüren to the world. Wie dieser Weg aussah, was die Band immer wieder so eng hat zusammen stehen lassen, ist nun endlich nachzulesen. Ist wirklich so. Bandbiographien sind so eine Sache. Leider werden sie schnell schlecht und irre dröge. Zu gewollt. Zu insider. Doch es kann nur lesenswert sein, was Ingo Neumayer über die Donots geschrieben hat. So eine lange Zeit. Eine Band, die von Festivals und Tourplakaten nicht mehr wegzudenken ist: Heute Pläne, Morgen Konfetti. So ist es. Am 16. April erscheint das Buch im Ventil-Verlag und wir werden Euch berichten, wie lesenswert es ist. Nicht ob! Also: Datum merken, ob Click And Collect, online oder sonst wie... Pflicht ist es allemal! 


Eddie Argos
(ms) Zum Ende dieser wöchentlichen Rubrik kommt noch ein wahrer Knaller: Art Bruts Eddie Argos wird ein Solo-Album veröffentlichen. Nach dem, was ich gelesen habe, gibt es noch keinen Titel oder Datum, wann es erscheinen soll. Völlig egal. Wichtig ist doch, dass (!) es passiert. Dieser Typ ist einfach eine irre Energiemaschine. Malt wie er singt. Überzeugter Amateur. Wie dieses Album klingen wird, ist unklar. Wird er wohl experimentieren? Nur mit Gitarre? Elektronischer? Im gewohnten Band-Sound? Auf Deutsch? Lassen wir uns überraschen, wenn er vielleicht schon in diesem Jahr über Duchess Box diese Platte raus bringen wird. Sich einfach mal freuen auf Gutes und Neues. Es kann so leicht sein.

Donnerstag, 25. März 2021

Schreng Schreng & La La - Projekt 82

Foto: Lucja Romanowska

(ms) Auf C. habe ich momentan eigentlich gar keinen Bock mehr. Nein, ich ärgere mich nicht über die Entscheidungen der Politik. Dafür bin ich zu wenig weitsichtig. Und vieles ist mir mittlerweile vollkommen egal, da ich einigermaßen gut zurechtkomme. Nur in den Urlaub möchte ich mal wieder. Oder mit den vielen extrem guten Menschen aus Nah und Fern wieder lachend in einer Runde sitzen. Das ist kein Kitsch, aber großer Pathos. Das ist für mich okay. Wir müssen aber über C. reden, wenn wir das neue, sehr gute Album von Schreng Schreng & La La hören. Denn bei aktuell erscheinender Musik bestimmt es im Wesentlichen den Aufnahmeprozess. Zwischen Kreativität, ein wenig unterwegs sein im Sommer und dann wieder viel Ungewissheit beziehungsweise Verbot einer Zusammenkunft mehrerer Menschen, musste dieses Album raus. Das Ergebnis: Eine beeindruckende Bewältigung der Gegenwart (Czollek lesen - hier aber anders gemeint) und ein nimmermüder Beweis, dass es alles raus muss. Die Akkorde, die Melodien, die Rhythmen und selbstverständlich all die in Zeilen zusammengedichteten Gedanken, Sehnsüchte, Sorgen, Nöte, Reflektionen.

Und wenn da jemand wirklich gut drin ist, dann ist es Jörkk Mechenbier. Was in diesem Kopf los ist, würde ich gerne mal wissen. Manch Texter braucht sehr lange, um alles zu Papier zu bringen, die nötigen Menschen zur Realisierung zusammen zu bringen und es guten Gewissens zu veröffentlichen. Doch Mechenbier sprudeln die Gedanken und Lieder nur so raus. Ob Trixsie, Love A oder Schreng Schreng & La La. Wie viele Lieder er wohl schon geschrieben hat?!
Klar, sie wollten ins Studio - normal. Ging dann nicht. So wurde hin- und hergeschickt, gemeinsam gebastelt voneinander getrennt, immer am gleichen Strang ziehend. Jörkk mit Text, Lasse Paulus mit Musik.
In der dichtesten Phase der Produktion steht ein Abend für sich. Wie wohl die Stimmung war? Wie klar der Kopf wohl gewesen ist? Wie viele Notizen wohl herum flogen? Wie viel Kamillentee aufgekocht wurde? Denn: Jörkk schrieb alle Texte an einem (!) Abend und sang sie genau dann auch ein. Puh! Neben dem irren musikalisch-kreativen Output ist das wohl ein wahrer Höhepunkt an Schaffensenergie.

Dann hin und her. Rauf und runter. Hier und da. So hört man auch im ersten Track von Projekt 82, das am 26. März bei Rookie Records (wo auch sonst?!) erscheinen wird! Hunderte Sprachnachrichten aufgenommen, versendet, abgehört. Ein Best Of im Intro - super Idee. Und ja, die Themen von Jörkk sind auch C.-beeinflusst.

"Ich bin ein Longdrink aus zehn Kurzen, du meine 15 Liter Bier", so startet es auf Fremder Mutter Zwilling, die ersten gesungenen Worte des Albums. Der Gesang sanfter als bei Love A, die bitteren Erkenntnisse die gleichen. Zarte Melodien und Backpfeifen in alle Richtungen: gegen dich, gegen Politik, Wirtschaft und hauptsächlich gegen sich selbst. Du Kaputt Ich Kaputt wiederum ist ein bedingungsloses Liebeslied mit den guten alten Höhen und Tiefen des Zusammenseins. Schön ehrlich, schön bitter, was man von dem anderen erwartet und selbst (nicht) geben kann: "Dass ich genauso kaputt bin wie du dich fühlst."
Doch die allgemeine Wut gegen die EkelhAFDen kommt auch laut zur Geltung, für Alukappenspacken könnten sie sich auch Schrammel Schrammel & Kreisch Kreisch nennen. Insbesondere die letzten beiden Worte des Tracks sollten laut aus den Boxen scheppern!
Und immer wieder Zweifel und Abgrenzung und Selbstreflexion. Und so kluges Songwriting. Es macht sich im Zeilensprung bemerkbar, wenn Jörkk auf 1 Shanty Gegen Doof singt: "Auf Demos ist keiner mehr sicher / [Pause] ob er auf der richtigen Seite steht." Stark! Und wie unendlich schön, beide immer wieder als heillose, unheilbare Romantiker zu hören (Gesichtsmuskelzerrung). Und dass Humor und Musik gut funktionieren kann, dann ist hier auf Ernährungsberatung der nächste Beweis. Süßer, melancholischer Ukulelen-Sound, dazu ein paar Watschen zur abgefuckten Selbstoptiemierung. Lieber Bier genießen (auch in rauen Mengen) statt auf jedes Gramm zu achten! Herrlich!
Was der englischsprachige Titel Summer auf der sehr runden Platte macht, weiß ich ehrlich gesagt gar nicht so genau. Und zum starken Ende hin nochmal zwei irre Zeilen, die man sich sofort unter die Haut brennen lassen möchte: "Für die Überdosis reicht die Kohle nicht / Weil Optimismus lediglich ein Irrtum ist" (Bremse) und "Viele Fehler gemacht - hallo Nacht" (Platzwunde).

Lässt man die Platte an sich heran (am Besten in Ruhe), dann packt es sofort zu. Am Hirn, Verstand und immer wieder ins Herz und gibt dem Hörenden einen Klaps auf die Wange, aufrecht weiter zu machen. Wünschen wir ihnen, dass sie möglichst bald wieder auf der Bühne stehen!


Freitag, 19. März 2021

KW 11, 2021: Die luserlounge selektiert

Bild: 11.lv
(ms/sb) Diese gesellschaftliche Auszeit macht mich ganz unkreativ. Diese kleine Einleitung ist, ich betonte es an unterschiedlichen Stellen, eine große Herausforderung. Es soll kurzlebig oder banal sein. Blöd oder witzig. In der richtigen Länge wichtig. Das sind einige der Möglichkeiten.
Heute entscheide ich mich für banal: Warum erfreut sich der langweiligste Schuh einer derart großen Beliebtheit? Das habe ich noch nie verstanden. Ganz ehrlich. Das ging mir im Sportunterricht früher schon so. Ich habe ihn immer gehasst. Diese dämlichen Poser, die direkt aus der Umkleide kamen, sich einen Ball (o.ä.) schnappten und dann wie nicht gescheit durch die Halle jagten, bevor es überhaupt losgeht. Wie blöd. Wir haben uns umgezogen und erstmal hingesetzt. Homo ludens am Arsch! Ich verzettel mich: sie trugen alle weiße Turnschuhe. Wie öde. Wie unglaublich öde. Genau so wie der Charakter der Träger. Das ist heute nicht anders. Warum weiße Sneaker? Sie sind wahnsinnig klobig, haben überhaupt nichts Ästhetisches und sind sicher auch noch sackteuer. Wozu? Dass sie schnell dreckig werden? Ich bin hier ganz ehrlich: Ich mag es, wenn der Schuh mit seiner Farbe knallt. Aber weiß knallt nicht. Null. Nicht in der Turnhalle früher, nicht heute. Nie. Ein langweiliger Schuh für langweilige Menschen.

Glücklicherweise schreiben wir über Dinge, mit denen wir uns auskennen. Luserlounge. Musik.
 
Loney Dear
(sb) Man könnte es sich nun natürlich leicht machen und einen Verweis auf das Frühwerk von Bon Iver platzieren. Mach ich aber nicht, denn das würde Loney Dear nicht gerecht werden und das Wirken des Schweden abwerten. Man würde dabei unterschlagen, welch brillanter Songwriter er ist, welch fesselndes Motiv er mit seinen maritim angehauchten Texten für sein Album A Lantern And A Bell (VÖ: 26.03.) gewählt hat und wie fragil und emotional er es umgesetzt hat. Das hat durchaus minimalistische Züge, portraitiert aber auf diese Weise ideal, was der Künstler zum Ausdruck bringen möchte. Eine Stimme, die zumeist nur durch ein Klavier, einen dezenten Kontrabass, gelegentliche Akkorde und diffuse Wassergeräusche begleitet wird. Die Niedergeschlagenheit, die Loney Dear bei der Entstehung des Albums begleitete, ist greifbar. Und doch geht man gestärkt aus den knapp 30 Minuten hervor und weiß, man ist nicht allein. Sehr super.

SYML
(sb) Draußen wirds langsam heller, aus den Boxen kommts noch immer düster. Kein Wunder, wenns um Trennung und Ängste geht. In diesem Fall beschäftigt sich Brian Fennell, der Künstler hinter SYML, mit der schweren Erkrankung seines Vaters und der Erkenntnis, ihn bald zu verlieren. Der Künstler war im Frühling des vergangenen Jahres gerade mit Dermot Kennedy auf Tour als sich COVID-19 zu einer Pandemie ausbreitete. Diese Zwangspause nahm der Amerikaner zum Anlass, sich zuhause in Seattle ins Studio zu begeben und weiter an einigen Textentwürfe und losen Kompositionen zu arbeiten, die sich in den Monaten vor der Tournee angesammelt hatten. Das Ergebnis lässt sich hören - und zwar sowohl einfach so nebenher, als auch ganz konzentriert im Vordergrund. Die EP DIM (VÖ: 16.04.) beinhaltet zwar "nur" fünf Tracks, diesen wohnt jedoch eine ungewohnte Intimität inne, die den Hörer unweigerlich berührt.


Jungstötter
(ms) Wenn Talent immer wieder so wundervoll ausgelebt wird, dann bleibt mir nichts anderes als Staunen übrig. Deshalb machen wir es hier auch ganz kurz. Sizarr war bereits eine Band, die zurecht sehr hoch gelobt worden ist. Fabian Altstötter, die treibende Feder, macht seit dem Erscheinen seiner Solo-LP Love Is Musik unter dem pfiffigen Namen Jungstötter und weiß in jedem Klavieranschlag zu überzeugen. War das Album ein unfassbar dichtes, sanftes, brillant arrangiertes Werk, ist Massifs Of Me (VÖ: 5. März) eine zarte, kurze EP, die nur aus Saiteninstrument und Stimme besteht. Zwei neue, zwei neu arrangierte Pianostücke. Fertig. Wunderschön, sehr nah, auf beste Art dramatisch. Eine einnehmende Überbrückung zum kommenden Album!


Feu Follet
(ms) Dark Wave als Genre habe ich lange nicht so richtig verstanden. Sind die Stimmen tatsächlich so oft verzerrt oder die SängerInnen außergewöhnlich talentiert/beschenkt? Was ja auch irgendwie völlig egal ist. Macht man die Augen zu und die neue Platte von Feu Follet laut an, wird man in einen dunklen Traum gesogen. Oft ist man dort in Fast Forward unterwegs, manchmal total verschwommen, dann wieder eher nebulös, beim nächsten Track findet man sich tanzend in einer dunklen Disco, wo es gruselig animalisch zugeht. Beim nächsten Track sitzt man auf einer Art slow-motion-schwarz-weiß- Autoscooter. Ganz unterschwellig beginnt dieser Sound zu faszinieren. Irgendwie ist man drin, gefangen. Und es ist nicht ganz klar, woher dieser Strudel kam. Sind es die klug bedienten Synthieinstrumente, die den dichten Klang erzeugen? Sind es die Stimmen, die einen an die Hand nehmen voller Ver- und Misstrauen gleichzeitig? Oder doch wieder die tollen Spielereien, die mal im Vorder- mal im Hintergrund tanzen? Alban Blaising wird es wissen, er ist der Kopf dahinter. Der Franzose agiert umsichtig: Schreibt die Musik, arrangiert und produziert alles. Doch auf dem neuen Album Beneath The Earth lässt er stets andere singen: Vlimmer, Pat Aubier, Isabelle B. Baumann und XTR HUMAN. Das Ergebnis: extrem abwechslungreich, spannend und traumwandlerisch.



Desolat
(ms) Schwer. Sehr schwer. Heavy. Dunkel. Langsam. Melodiös. Aber nicht schwerfällig. Kräftig. Diese Ruhe muss man bei einem derartigen Sound erstmal behalten. Wie aus einer vergangenen Zeit klingt er. Nach rausgestreckter Zunge. Schwarzem Outfit. Breitbeinigen, langhaarigen Gitarrenspielern. Wiegendem, versunkenen Headbangen. Völliges Understatement, wenn die Wiener sich Desolat nennen und so astrein abliefern. Am 19. April veröffentlichen sie eine neue EP: Songs Of Love In The Age Of Anarchy. Satte Ansage, die perfekt in diese kuriose Welt passt. Genau wie ihre Musik, möchte man sie gerne etwas langsamer drehen. Nicht falsch verstehen: Es passiert ja nichts, aber man steht die ganze Zeit unter Strom, oder? Niemand kennt sich aus, was ab welchem Wert passiert und wer wann wo nicht geimpft wird. Da bin ich beinahe froh, infiziert und genesen zu sein. Zurück zur Musik: Regelmäßig skandieren wir, wie wir es schätzen angebrüllt zu werden. Bei den Österreichern schätze ich wie harmonisch das bei den schweren Gitarren und dem kehligen Gesang doch aufgeht! Je weiter man in die EP rein hört, umso mehr ist festzustellen, dass Humor und satte Riffs sich nicht ausschließen! Wenn man beim Hören alles vergisst, dann hat Musik Ungeahntes geschafft! Dunkler, heavy Tipp aus dem Süden!



Lambchop
(ms) Nimmermüde Kreativität. Nie endende Lust auszuprobieren. Keine Furcht vor Experimenten. Immer alles mit einem roten Faden ohne irgendwo auszubrechen oder nicht wieder zu erkennen zu sein. Das trifft voll auf Kurt Wagner zu. Der Kopf, Texter, Hauptarrangeur von den wunderbaren Lambchop. Zugegeben, das vergangene Cover-Album Trip hat mich nicht vom Hocker gerissen. Es war fein, aber zu wenig originell. This (Is What I Wanted To Tell You) hingegen war klassische Fliesenleger-Manier! Nun hat er mit Klaviertönen, Sampelingmaschinen und (zum Glück) ohne Autotune gearbeitet und ein stilles, sensibles Album geschaffen. Tatsächlich: Das dritte Album in drei Jahren! Hut ab! Das hat er zuletzt mit seiner Band Mitte/Ende der 90er Jahre gemacht. Mich beeindruckt das. Lambchop ist eine Band, die nie für Aufsehen gesorgt haben. Banausen hören darüber hinweg. Doch der Sinn, das Schöne liegt im Leisen, kaum Ausgesprochenen. Ein immer wiederkehrender Hauch, der nur zu erspüren ist. Welch unfassbare Gabe, welch beneidenswertes Talent er mit uns teilt! Danke! Vorfreude!
Showtunes erscheint am 21. Mai bei den geschmackvollen Menschen bei City Slang!



Mine
(ms) Das Problem ist halt Folgendes: Hast du einmal am Stück auf wahnsinnigem Niveau abgeliefert, wirst du immer daran gemessen. Das gilt sowohl für Text als auch für Musik. Mir ist aktuell niemand anders bekannt, die so klug, raffiniert, kenntnisreich, empathisch, ehrlich und klar arrangiert und textet wie Mine. Wenn am 30. April ihr Album Hinüber erscheinen wird, ist Elefant bestimmt eines der schwächeren Lieder darauf. Zu gut sind Unfall und Mein Herz. Und ganz nebenbei: Warum gibt es gut sechs Wochen vor Erscheinen schon so viel Stoff daraus zu hören? Ist die Überraschung dann noch so groß oder ist das ein irgendwie seltsames Vermarktungsding? Ich verstehe das nicht.
Den Song verstehe ich jedoch sehr gut. Eine Ottonormalmetapher wird in einen Beziehungskontext gesetzt, dazu wird ein passend funky Beat garniert. Fertig. Dazu ein Video in klassisch (neuer) Mine-Optik und ein (gewollter?) Tanzverweis auf Toni Erdmann. Natürlich ist das ein absolut okayer Track, doch er kann (in meinen Ohren) nicht mit vielen anderen Highlights ihrer jüngsten Schaffensenergie mithalten. Die oben aufgeführten Beispiele sind eindrücklich, auch das tolle Feature mit Mädness ist ein paar Level darüber. Klar: Meckern auf hohem Niveau. Freuen wir uns also weiter ungehalten auf Ende April. Vorhersage: Ganz brutal starkes Album. Trotzdem.

 

Milli Dance & U.N.O.
(ms) Wenn Bock auf Zeit auf Scheißegal trifft. Dann baut Milli Dance mit U.N.O. zusammen ein Album. Der eine die Stimme von Waving The Guns, der andere ein alter Bekannter, der die Beats baut. Der eine in Rostock, der andere in Dresden. Der eine schreibt die Texte, der andere schnipselt die passende musikalische Untermalung. Zeit war ja zuletzt genug da, und was andere dazu sagen, war beiden eh schon immer egal. Conclusio: Machen! Ergebnis: Saustark! So wurden Ideen, Zeilen, Samples hin und her geschickt und es wurde größer und gewissermaßen runder. Fünf Vor Fick heißt das sympathische Album, das am 21. Mai selbstredend bei Audiolith erscheinen wird. Bei der ersten gleichnamigen Auskopplung beweist Milli Dance ein weiteres Mal, wie leidenschaftlich er hasst und dass gegen alle (!) ausgeteilt wird. Kompromisslos, ehrlich, sauber aggressiv. Was mich am Maskenträger immer wieder so beeindruckt: er macht und macht und macht. Ob WTG jetzt statt vier nur noch zwei sind. Ob er mit Pöbel MC eine Platte macht oder ein Feature mit Juse Ju. Immer Bock, immer extrem stark. Immer genau zum richtigen Zeitpunkt! Allein mit dem Track stecken sie den im Video auftauchenden Fatoni in die Tasche, dessen Album mit Edgar Wasser leider nur sehr dürftig geworden ist.
 

Donnerstag, 18. März 2021

L'Impératrice - Tako Tsubo

Foto: Théo Gosselin
(ms) Die Musik erklingt und ich mache mir unweigerlich Gedanken über die Funktion und Wirkung der selbigen. Gerne hätte ich darüber theoretisches Wissen, auch über die psychologischen Faktoren. Doch so muss hier mit dem stream of concsiousness des Laien Vorlieb genommen werden. Hört man ein gewisses Genre, sagen wir mal elektronisch geprägten Pop, liegt die Frage wie bei jeder anderen Musikrichtung auf der Hand, was die KünstlerInnen damit beabsichtigen. Was soll die Musik bewirken? Und das nicht mal im Sinne einer Revolte durch die Texte, Selbstreflektion oder sonst einen überbordend herbei fabulierten Quatsch, was Musik - und da sind wir mal ganz ehrlich - in den meisten Fällen dann doch nicht schafft. Und auch gar nicht schaffen muss, der Anspruch wäre viel zu hehr.
Also: Kann oder will ich als KünstlerIn 'einfach' nur wollen, dass ich die Menschen gut unterhalte? Anderen einfach eine gute Zeit bescheren? Ein bisschen den Alltag vergessen machen und eine Dreiviertelstunde Unbeschwertheit zaubern? Ist das zu wenig, zu plump oder verklausuliere ich das Thema in zu hohen Anspruch? Auf der anderen Seite: Was ist Pop - neben der wirtschaftlichen Vermarktung - anderes als eine Branche, die alles ein bisschen lockerer macht?! Genau. Zur Revolte haben Taylor Swift oder Daft Punk nie aufgerufen (glaube ich).
Also: Ist es völlig ausreichend, wenn Pop 'nur' unterhält? Dafür darf er selbstredend auch nicht zu verschnörkelt, wild, komplex, vielschichtig, verschoben sein. Die Mittel müssen so ausgerichtet sein, dass die Musik auf die beste Art unauffällig aber beschwingt bleibt. Und: Muss man Musik vor diesem Hintergrund anders bewerten?

Es ist klar, womit ich damit hinaus will. Das verrät ja die Überschrift. Das französische Kollektiv L'Impératrice veröffentlicht kommende Woche (26. März) ihr neues Album Tako Tsubo. In ihrer Heimat sind sie wirklich erfolgreich. Haben, bis vor einem Jahr alles still stand, große Hallen voll gemacht, Klick- und Schau-Zahlen auf den einschlägigen Portalen unterstreichen diese Beliebtheit. Vor zwei Jahren erschien der Vorgänger und ich habe mich gerne mitnehmen, verzaubern lassen auf klangliche Gefilde, die nicht immer bei mir daheim laufen.
Nun läuft und läuft das neue Album und es läuft... nur nebenbei. Klar, es ist schöne, feine Popmusik. Doch über 48 Minuten kommt nicht ein Moment, wo ich denke: Ja, jetzt haben sie mich. Ja, jetzt habe ich die Musik verstanden. Ja, jetzt weiß ich, was sie von mir wollen. Jetzt wippt der Fuß und auch das Gemüt.
Leider habe ich das nicht verstanden. Ja, die Platte plätschert so im Hintergrund und stört nicht. Nicht bei den ausgekoppelten Singles und auch nicht bei den anderen Stücken. Mir fällt es absolut schwer einzelne Lieder und deren Besonderheiten zu beschreiben, weil ich sie nicht fühle.

Jetzt bin ich kurz davor, dieses Album zu zerreißen, weil für mich kein Drive aufkommt. Davor will ich mich hüten. Und die Frage vom Anfang stellen: Welche Funktion will Musik haben, welchen Effekt hat sie dann? Ist es okay, wenn sie einfach nur ein bisschen beschallt und nicht ablenkt? Dann stellt sich automatisch die Frage, wo diese Stücke laufen. Ja, ich möchte auch daheim im Hintergrund beschallt werden, wenn ich arbeite oder mich mit unseligen Steuerangelegenheiten beschäftigen muss. Da brauche ich Konzentration und die ist nur garantiert, wenn die Schallwellen sich nicht in den Vordergrund drängen. Deutschsprachige Musik geht schon mal gar nicht. Tako Tsubo könnte klappen, aber es ist mir fast schon zu beliebig. Konzentration wird garantiert mit feiner (Neo-)Klassik oder Easy Listening. L'Impératrice bewegen sich dort nicht. Viel mehr ist die Platte eine etwas weniger scheinwerferlastige Version von den bereits erwähnten Daft Punk. Und die haben mich spätestens seit der furchtbaren Kooperation mit Pharell Williams zunehmend abgeschreckt.

Nein, diese Platte wird bei mir daheim nicht laufen.
Doch wo könnte sie dann zum Einsatz kommen? Klar, in unzähligen anderen Haushalten - Musik ist und bleibt immer noch bitte Geschmackssache und daran wird mein Geschreibsel auch nichts ändern. Ist die Idee erlaubt, es in Einkaufszentren, Supermärkten oder im Schwimmbad laufen zu lassen?! Klar! Der Begriff Fahrstuhlmusik hat einen faden Beigeschmack, doch sie ermöglicht das entspanntere, stressfreie Einkaufserlebnis. Völlig okay. Oder den Hintergrund bei Langzeitsporterlebnissen.
Mist, jetzt klingt es doch wie ein Verriss.
Ist es nicht.
Ist halt nur nicht die Musik, die mich mitzieht.
Sei es Charles de Boisseguin und seinen MitmusikerInnen gegönnt, damit Erfolg zu haben.

 

Freitag, 12. März 2021

KW 10, 2021: Die luserlounge selektiert

Quelle: 10.unpri.org
(sb/ms) Sind wir mal ganz ehrlich: Was sollte das denn? Und wer hat sich daraus was erhofft? Dass das ein riesiges Boulevard-Ding wird, war doch schon weit vorher klar, oder? Allein die Namen aller Beteiligten besagen das. Aber dann bringt selbst die Tagesschau in der 20 Uhr-Version eine Meldung darüber? Was? Wieso? Wenn man keinen Bock darauf hat, in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, dann lässt man sich doch was pfiffigeres einfallen als so ein melodramatisches Interview, oder? Ach, ich weiß nicht. Klar, mir ist das auch unfassbar egal. Was sollen diese machtlosen Königshäuser heutzutage auch noch? Und wenn die schon vor längerer Zeit gesagt haben, dass die da nicht mehr mit verbandelt sein wollen, dann kann man es doch dabei bewenden lassen, oder? Und schon ist es passiert. Auch gemerkt? Man regt sich über den allerletzten Schrott auf. Das ist aber auch nur möglich, weil sonst absolut gar nichts passiert. Ich freue mich jeden Tag auf's arbeiten, da ich einen abwechslungsreichen Job habe. Aber dann bleibt am Ende nur so Talk-Gedöns haften. Ei, ei, ei...

Zum Glück sind wir die musikalischen Dienstleister Eures Vertrauens. Luserlounge liefert! Bitte!

The Weather Station
(ms) Gestern war ich auf einem Konzert! Kaum zu glauben, aber wahr. Logisch, nur im Netz, aber vollkommen irre. Es ging auch nur etwa 50 Minuten, doch vielleicht ist das die ideale Zeit, um sich online beschallen zu lassen. Denn diese Internet-Gigs sind ja zu einer eigenen Kunstform geworden. Und Tamara Lindeman hat sie gestern Abend perfektioniert! Mit ihrem Projekt The Weather Station trat sie in meinem (und vielen anderen) Wohnzimmer auf. Unheimlich neugierig war ich, wie sie diesen phantastischen Sound vom Album auf die Bühne bringt. Nach einem Gedicht, das sie (aufgezeichnet) am Strand vortrug, ging es los. Die ersten Blicke: seltsames Licht, viele Einrichtungsgegenstände im Studio, komische Orientierung. Dieses Wirre ließ schnell nach, als das Bild klar wurde und das Geheimnis gelüftet: Mit bis zu zehn (!) Protagonisten wurde ihr Album Ignorance in Gänze aufgeführt. Zwei, drei Leute an den Percussion, zwei am Klavier, zwei Gitarristen, Bass, Querflöte, Saxophon! Wahnsinnig stark. Wahnsinnig gut. Zwischen diesen brillanten Musikern (insbesondere Bass und Klavier) sang Lindeman ihre wunderschönen Lieder. Mal mit kräftiger, dann wieder sanfterer Stimme. Und trotz (oder wegen) Online-Übertragung war der Sound ideal. Über Kopfhörer war das ein ganz nahes, eindringliches Erlebnis, die Zeitspanne ideal, die Qualität super! Einziger Wehrmutstropfen: Noch mehr Lust, endlich wieder selbst im Club zu stehen und eintauchen zu wollen!


Danger Dan
(ms) Wo anfangen? Am besten mitten drin. Dann bleibt alles schön geordnet. Denn die Antilopen Gang muss man hier niemandem vorstellen. Vor drei Jahren hat jedoch Danger Dan ein unglaubliches Album veröffentlicht. Reflexionen Aus Dem Beschönigten Leben läuft immer noch gerne daheim oder unterwegs. So klug, bissig, ehrlich, brillant. Wichtig: Danach kam von der Gang echt nur noch mittelmäßiger bis grober Müll. Beide Veröffentlichungen aus dem letzten Jahr hatten eine Halbwertszeit von der Albumspiellänge. Nun also wieder Danger Dan solo! Yeah! Große Vorfreude, aufgrund dessen, dass es wahrscheinlich wesentlich besser wird. Zumindest mit der Ankündigung. Der erste Höreindruck zündet bei mir persönlich leider nicht. Das Ist Alles Von Der Kunstfreiheit Gedeckt wird die Platte heißen, die am 30. April erscheinen wird. Es wird ein Klavier-Album werden. Danger Dan ist jetzt unter die Singer/Songwriter der alten Schule gegangen. Auf der einen Seite ist das natürlich ein schönes Experiment, auf der er sein Können in musikalischer und textlicher Sicht zeigt. Aber da fehlt mir die Power. Lauf Davon, der erste Vorbote, hat in meinen Ohren nicht einen Takt, der hängen bleibt. Auch beim mehrmaligen Hören nicht. Bitter. Enttäuschend durchaus. Oder ich bin zu blöd dafür. Auch das ist möglich. Doch noch keine Endabrechnung, bis das Ding nicht veröffentlicht ist. Denn: Vielleicht kommt die große Überraschung ja mit Release. Bleiben wir gespannt!


Catapults
(sb) Album paar Mal angehört, für gut befunden und dann mal den Pressetext gelesen - die ideale Vorgehensweise eigentlich, um unvoreingenommen an eine Scheibe ranzugehen, oder? Nun weiß ich also, dass die Catapults aus Oldenburg kommen und Skatdecks als Gitarrenholz nutzen. Und wisst Ihr was: Ist mir total egal, weils halt auf die Musik ankommt! Klar, die Damen und Herren aus den PR-Agenturen müssen sich täglich zu so vielen Künstlern*innen was aus den Fingern saugen und ich möchte deren Job nicht machen, aber in Zeiten, in denen bei jeder dritten Bandvorstellung die sexuelle Orientierung der Protagonisten im Mittelpunkt steht, isses dann halt auch mal wieder gut...
So, genug gekotzt. Wenden wir uns wieder den angenehmen Seiten des Blogger-Daseins zu und dazu gehört I'll Be Honest (VÖ: 19.03.) definitiv. Das sind große Gefühle, verpackt in ein krachendes Emo- und Punk-Gewand, das auch das ein oder anderen Riff nicht scheut. "Emotional, melancholisch, druckvoll, erfrischend" - so beschreibt sich das Quartett selber und das triffts auch bestens. Live dürfte das Hallen zum Schwitzen bringen und so bleibt die Hoffnung, dass man die Band auch bald wieder auf der Bühne bewundern darf.


'68
(sb) Wie viel Lärm können zwei Menschen machen? '68 ist der Klang von gleichzeitiger Im- und Explosion, von Zerstörung und ungebundener Schöpfung. Es sind Songs, die fast jeden Moment auseinanderfallen könnten und es doch nie tun, ein teuflischer Tanz zwischen Leben und Tod. Es ist ein primitiver Impuls, der mit postmoderner Entschlossenheit vorgetragen wird.
Josh Scogin gründete seine kleine Band mit dem großen Sound im Jahr 2013 und benannte das Duo, das er bescheiden als "ein bisschen Rock, ein bisschen Blues, ein bisschen Hardcore" bezeichnet, nach dem alten Camaro seines Vaters. Und das, was der aus Atlanta/Georgia stammende Musiker und sein perkussiver Partner Nikko Yamada, mit Gitarre, Bass, Schlagzeug, Tasten und Pedalen auf die Beine stellen, hat die Ausmaße eines Muscle Cars. Give One Take One (VÖ: 26.03.) ist über weite Strecken sehr geiler und lauter Lärm, der es aber dennoch schafft, Persönlichkeit zu zeigen und einen anzusprechen. Zieht nicht beim ersten Anhören, wächst aber ungemein.


Timo Scharf
(sb) Fünf Tracks, ordentlich Melancholie und noch viel mehr Fernweh. Timo Scharf hat den ersten Lockdown im Jahr 2020 in Worte und Melodien gepackt - unwissend, dass das erst der Anfang war und noch viel mehr kommen würde. Nichtsdestotrotz ist seine EP Everything Ever Always Is All Forgotten nicht als Zeitzeuge zu verstehen, sondern eine wunderbare Scheibe, die zwischen Folk, Pop und Country anzusiedeln ist. So klingt das also wenn bei einem Weltenbummler Edinburgh (Wahlheimat) auf Braunschweig (tatsächliche Heimat) trifft. Das ist nicht provinziell und eingeengt, sonder weit und wunderschön.


Communions
(ms) Keine Angst vor Größe! Während beispielsweise die neuen Tracks der Killers gähnend langweilig sind, kommt aus dem Norden (mal wieder) Musik, die noch auf derartige Bandbreite wartet, aber lange müssten sie nicht mehr auf sich warten lassen, wenn die Vermartungsketten der Musikbranche nicht so dämlich wären. Dann stünden die Dänen von Communions bald als letztes auf den großen Bühnen! Und das nicht mit großem Tamtam oder den neusten, irren Spielereien am Synthie-Regal, sondern mit der Musik, die seit Jahren begeistert, überzeugt: Gitarrenrock. Punkt. Ein bisschen Hall, ein bisschen verwunschen, ganz leichte Andeutungen zum Psychedelischen, aber immer klar, nicht zu überdreht. Einfach gut. Kann man das noch schreiben, um einfach gute Musik zu beschreiben? Ich hoffe! Pure Fabrication erscheint Ende April! Mit ihrer nüchtern-dynamischen Saitenarbeit schaffen sie dabei nichts anderes als ein beinahe überdrehtes Genre zu stabilisieren. Große Aufgabe - gelungen!


VIVIN
(ms) Es geht ja auch immer um den Effekt! Und um Geduld. Um's nochmalige Hören, wenn man nicht so sicher ist, ob der Drive angekommen ist. Ja, der Drive hier ist eher leise und versteckt, aber er ist auch wunderschön. In den ersten Takten dachte ich nämlich - und so ehrlich muss man auch sein -, dass ich den neuen Track von VIVIN skippe. Aber dann ist etwas passiert. Es fällt mir enorm schwer zu benennen, was es ist. Vielleicht diese entspannte Ruhe, die den Beat ausmacht. Die feinen Gitarrenspielereien, die den Hintergrund dominieren. Vielleicht das Stück als Ganzes, das sich seicht und friedlich aufbaut. Clockwork ist ein Lied, was nebenbei nicht gut funktioniert. Man muss sich bewusst darauf einstellen. Dann fängt es heimlich, still und leise an zu strahlen. Durch den feinen Gesang und ein extrem harmonisches Ganzes, in das man sich schnell und kurzweilig fallen lassen kann!



Sorbet
(ms) Wie tanzt es sich am besten? Klassisch? Bin ich völlig unbegabt, habe es nie so ganz verstanden. Es gab einen Crash-Kurs vor dem Abi mit der damaligen Freundin und das war es auch. Im Club? Liebend gern! Aber echt nur zu der Musik, die ich selbst auch abfeiere, sonst komme ich nicht in den Modus. Zu Hause? Ist immer mehr zur Option geworden in den vergangenen zwölf Monaten (mag man ja gar nicht dran denken). Am Besten mit Kopfhörern auf und dann sich herrlich direkt beschallen lassen. Logisch: Die Klassiker gehen immer! Aber langsam, versunken bewegen geht auch sehr gut. Und wenn die Nachbarn das schon sehen.... pff! Bald, ab dem 4. Juni, lässt es sich herrlich gut daheim zu Sorbet tanzen. Nein, es geht nicht um Nachtisch (wer dieses plumpe Wortspiel wohl schon alles gemacht hat...). Es geht um den Musiker Chris. W. Ryan, beheimatet in Nordirland. Auf seiner ersten Platte This Was Paradise, die dann via Bureau B erscheinen wird, geht es tief elektronisch zu. Mal langsam, mal schnell. Immer mit einer gewissen Düsternis versehen, wie sie die Editors zuletzt perfektioniert haben. Nur halt ohne Gitarre. Die Wirkung ist bestechend, sehr eindringlich. Heißt: Sehr gut! Ihr braucht den dunklen Tanzsoundtrack für den Sommer?! Bitte!


Chantal Acda
(ms) Ganz sanft, unscheinbar, geheimnisvoll und dennoch packend entführt sie mich aus dem Moment. Ich sitze des Abends im Wohnzimmer, der Tag war anstrengend, ich bin leer. Neugierig klicke ich die Musik an, die Beschreibungen machen aufmerksam. Und es trifft zu. Zwischen Gitarrenzupfen, klug eingesetzten Percussion, herrlich variierendem Gesang der Sängerin und vieler Hintergrundstimmen und Streichern, die für Spannung sorgen, vergesse ich den Alltag und was morgen kommt. Das sind die Momente, bei denen ich mich vor der Musik als Kunstform verneige. Wenn die reine Stimmung, die reine Wirkung des Gespielten solche berauschenden Effekte nach sich ziehen! Da ist es mir beim Hören auch erstmal egal, worum es in den Liedern geht. Die Magie des Klangs hat mich bereits gepackt! Die Protagonistin heißt Chantal Acda und liefert übernächste Woche (VÖ: 26. März) ein verwunschenes Album ab. Es heißt Saturday Moon und befreit mich beim Hören aller Sorgen, Gedanken, Zweifel. Ich bin nur noch da. Kann es genießen, eintauchen. Das ist die herrliche Magie, die ich so schätze. Eigentlich ist die Platte sehr unaufgeregt, doch die Spannung der Musik liegt zwischen den Tönen, im Ganzen. Das macht es rund, kraftvoll! Hier lauert eine stille Perle!

Freitag, 5. März 2021

KW 9, 2021: Die luserlounge selektiert!

Bild: clker.com
(ms/sb) Die beste Quelle für kleine Anekdoten ist dann doch der Alltag. Klar, ich könnte hier auch berichten, welche Serie ich momentan schaue, welche Bücher ich empfehle, worüber ich mich bei der Arbeit aufrege oder wie beglückend es ist, wieder mal Derbysieger zu sein. Der gute alte Konjunktiv...
Also. Letztens waren die Maler im Hause und mussten auch in meine Bude. Super Arbeit, nette Menschen. Er war also im Bad zugange und ich sagte nur kurz Bescheid, dass ich auf dem Balkon sei, falls was ist. Und dann ist es passiert, er sagte: "Kein Problem." Das Wirre daran ist mir auch erst drei Momente später aufgefallen. Klar, das ergibt keinen Sinn, doch warum reagiert man insbesondere in solch winzigen Situationen wo unnachvollziehbar? Meine Vermutung: Gewohnheit und die gute Einstellung einfach freundlich zu Anderen sein zu wollen. Auch wenn es problematisch sein sollte, antworten wir doch oft mit genau diesen beiden Worten. Freundlich dran gewöhnt. Ein weiteres eindrucksvolles, weil so unglaubliches Gaga-Beispiel kenne ich noch aus der studentischen Kellner-Ära. In unserem Laden war immer eine Menge los, wir waren ein herausragendes Team, das jede noch so stressige Schicht gewuppt hat. Logischerweise wünscht man den Gästen einen guten Appetit. Irgendwann antwortete mir jemand: "Danke, gleichfalls." Freundliche Gewohnheit. Denn bis zu meiner nächsten Mahlzeit dauerte es da noch ein paar Stunden.
Mehr wollte ich auch gar nicht schreiben. Die klitzekleinen Momente von kurzem Witz.

Freitag. Luserlounge. Musik. Längere Momente. Bis zu 9 Minuten. Ist so. Gern geschehen!

Maeckes
(ms) Was ist möglich innerhalb von einem Song, sagen wir dreieinhalb Minuten, zu erklären/besingen/vermitteln? In der Zeit kann man die Liebe gestehen, rumpöbeln oder nach den Sternen greifen. Doch man kann auch extrem gelungen und umsichtig Probleme an den Tag legen. Und wer wäre besser dafür geeignet, dies mit einer bitteren Schippe Ironie clever zu verpacken als Maeckes? Genau! Das, was einfach scheint, ist es halt nicht. 1234 ist der Song dazu, der perfekt passt. Perfekt! Nazis packen einfache Erklärungsmuster aus, um Ängste zu schüren. Das sind dumme Menschenfischer. Auf der anderen Seite ist es genauso einfach, zu erkennen, dass Geflüchtete nun hier ihre Heimat haben. Punkt. Die Ambivalenz des Einfachen bringt Maeckes derart geschickt und klug auf den Punkt, dass mir hier daheim nur die Kinnlade runterfällt... Wenn sein Album Pool, das am 11. Juni erscheint, diese Qualität in Gänze bestätigt, wird es ein heißer Sommer!


Fatoni & Edgar Wasser
(sb) Puh, schwierig! Lange um den heißen Brei herumreden ist eigentlich nicht so meins, in diesem Fall muss ich aber doch etwas weiter ausholen. Fakt 1: Wir zwei von der luserlounge verehren Fatoni. Fakt 2: Auch Edgar Wasser finden wir super. Fakt 3: Wenn die beiden bisher zusammengearbeitet haben, kam meist was sehr, sehr Großartiges dabei raus.
Am 26.03. erscheint nun das neue Album von Fatoni & Edgar Wasser und auch nach mehrmaligem Anhören zieht es überhaupt nicht. Wenn man mal die Tracks Realität und Freierssohn ausnimmt, ist Delirium einfach nur eine riesengroße Enttäuschung, die sowohl textlich als auch von den Beats her nicht mal ansatzweise das widerspiegelt, was man von den beiden Künstlern eigentlich gewohnt ist und - so ehrlich muss ich sein - auch erwartet. Hat deren Inspiration einen extra harten Lockdown erleben müssen oder was ist da los? Bin ich zu kritisch, weil die beiden in der Vergangenheit einfach so herausragend waren? Ich habe die Veröffentlichung dieser Rezension extra nochmal um ne Woche nach hinten verschoben, um dem Album noch ein paar Extrachancen zu gewähren, mich zu überzeugen, aber es mag und mag einfach nicht gelingen. Schade eigentlich.


Pleasure Raft
(ms) Die ersten Frühlingsvorboten aus den letzten Tagen machen Hoffnung, oder? Der erste Lockdown im vergangenen Jahr war ja auch deshalb verhältnismäßig angenehm, weil der Himmel nie aufhörte blau zu sein und die Bewegung an der Luft entsprechend zugenommen hat. Das kommt jetzt gerade zurück! Bei den wenigen Möglichkeiten, die dem Freizeitvertreib bleiben, muss man eh das beste draus machen! Am Allerbesten mit frischer, tanzbarer Musik. Die wird passend von Pleasure Raft präsentiert! Dahinter steckt Mathias Barford, der nach Auflösung seiner vorherigen Band auf Solopfaden unterwegs ist. Kurzweilig und mehr als gelungen. Eine catchy Synthie-Melodie, die in die Beine geht, schwelgen lässt und Leichtigkeit einziehen lässt! Irgendwoher kommt die Hookline mir bekannt vor, doch anscheinend nicht nachhaltig genug, dass ich nun Namen nennen könnte. Josephine ist ein Track, der Lust auf Urlaub, Picknick, Baden im See, Sonnenbrillentragen macht! Dass diese lässige Musik aus Dänemark kommt, wäre dabei gar nicht zu vermuten! Spielt ja glücklicherweise auch nur eine untergeordnete Rolle. Eintauchen in den klanglichen Urlaub:


Pleil
(ms) Ein Jahr Corona. Was für ein bitteres Jubiläum, auf das wir alle sehr gerne verzichtet hätten. Durchhalten, sich an die Regeln halten, das Glück im Kleinen suchen. Ja, das geht. Und es wird gehen müssen, denn andere Optionen haben wir momentan (noch!) nicht. Mir und meinem Job tat das keinen Abbruch, es kam viel Orga-Kram dazu, aber halb so wild. Den Kreativen ist es da schon viel ärger geworden. Marco Pleil zum Beispiel. Im vergangenen April erschien seine neue Platte Die Spur Des Kalenders, doch Auftrittmöglichkeiten waren rar bis unmöglich. Doch seine Geschichte ist eine Gute! Denn er bekam vom Land Hessen eine Förderung, die er gewohnt kreativ und weitestgehend im alten Sound verwirklicht hat. So erscheint heute eine Vinyl-Doppel-Single! Ja, holla die Waldfee! Das gefällt uns sehr! Und nicht nur das Format, sondern auch der Inhalt. Liebe Grüße / Jazz Ist Keine Option sind zwei typische Pleil-Stücke. Der erste mit viel Hall auf der Gitarre und einer sehr weitblickenden Momentaufnahme der nahen Vergangenheit. Auf dem zweiten ist sogar ein Beat aus der Dose zu hören, der Tempo und Dichte mit sich bringt und einer klaren Bestimmung des eigenen Lebensweges. Stillstand ist keine Option, Pleil dazu der ideale Soundtrack!


An Early Bird
(sb) "Ich wollte nur dieses Gefühl darstellen, müde und gefangen zu sein im Netz des Alltags, mit Regeln und Rollen, die wir alle kennen. Ich denke, dass wir da draußen das Gefühl haben, allein zu sein in einem Meer von Möglichkeiten. Ich denke, wir haben nur eine Wahl: sie zu ergreifen oder gefangen zu sein." 
Kluge Worte von Stefano de Stefano, besser bekannt als An Early Bird. Mit seiner neuen Single Fishes In The Ocean gelingt es dem Italiener famos, genau diesen Zwiespalt, diese lebensentscheidende Entscheidung in einen Song zu packen. Eine akustische Schönheit, die sich nicht zu verstecken braucht, ein Track, die die Frage nach dem weiteren Weg beantwortet: Ausbrechen, sich nicht fangen lassen, die Chancen nutzen. Ganz stark!
 
 
Nax
(ms) Generell kann ich einem Retro-Sound nicht viel abgewinnen. Der Beigeschmack des Aufgekochten dominiert dann doch irgendwie beim Hören. Nun geht der Musikgenuss ja über das reine Hören hinaus. Die Töne, die unser Hirn erreichen, entfachen immer auch eine Wirkung. Nax' neuer Song En La Mañana schafft es sehr gut, einen 80s-Roadtrip bildlich vor Augen zu führen. Vielleicht kommt es einer entschleunigten Version von La Roux gleich. Immerhin erklingt das Lied über neun Minuten! Genug Zeit also, die grauen Zellen ordentlich arbeiten zu lassen! Nicolás, der hinter Nax steht, hat sich für dieses Stück Hilfe geholt und Jackie Kashbohm singen lassen. Der Argentinier bleibt seiner Neigung zu großen Synthie-Flächen und dezent, aber sehr wirklungsvoll eingesetzten elektronischen Spielerein treu. Sobald der Gesang weitestgehend verhallt ist, schwebt das Lied auf außerweltlichen Sphären, die man so nur am sehr frühen Morgen (wie der Titel verheißt) spürt. Also: Lassen wir uns entführen!
 

Paul Gerlinger
(sb) Lasst es uns so machen: Ihr tut so, als hättet Ihr die Überschrift nicht gelesen und wüsstet nicht, um welchen Künstler es geht, okay? Nun klickt Ihr aufs Video unten, schließt die Augen und hört Euch die Musik an. Wenn das Lied aus ist, öffnet Ihr die Augen wieder und lest weiter. Bereit? Na dann los!

Fertig? Und? An wen erinnert Euch die Stimme? Und seid Ihr auch der Meinung, dass das eben Gehörte deutlich besser und angenehmer war als die letzten beiden Alben der Band, an die Ihr gedacht habt? Mir ging es auf jeden Fall so. Klar, den angestellten Vergleich hört Paul Gerlinger sicher nicht zum ersten Mal, aber da gibt es ja per se auch deutlich schlimmere Referenzen. Mit seiner heute erscheinenden Debütsingle Gut Allein legt der Mannheimer ordentlich für die im Sommer folgende EP vor, von der wir Euch selbstredend ebenfalls berichten werden. So, jetzt dürft Ihr das Video nochmal mit geöffneten Augen genießen. Viel Spaß!


Dear Sender
(ms) Wenn man von einzelnen KünstlerInnen länger keine neuen Töne gehört hat, fragt man sich ja auch stets, was sie denn so treiben? Welchem Beruf gehen sie nach? Wie kommt das Geld rein? Wann ist das nächste Ergebnis eines kreativen Prozesses zu hören? Cherilyn MacNeil gehört für mich auf jeden Fall dazu. Vor zwölf Jahren sah ich sie mit Dear Reader zum ersten Mal live; in Holland - toll! Es folgten acht weitere Auftritte und jedes Mal hat sich mir mit ihrem unglaublichem Charme und der ausgefeilten Musik verzaubert! Innerhalb der vergangenen Monate gedieh eine Idee in ihr, deren Ergebnis nun zu lauschen ist. Über eine Cloud sammelte sie Lied-/Musikideen von allen, die mitmachen wollten. Wie cool! Wie unfassbar schön, mit Abstand gemeinsam kreativ zu sein. Dear Sender singen also nun So Much Deadly. Hier ein Beat, da eine Klarinette, da drüben kam eine Gitarre rein! Cherilyn MacNeil hat alles zusammen gebastelt und diesen wunderbar verspielten, vertrackten und wunderschönen Song draus gebastelt? Ob da bald noch mehr kommt?! Ich fände es großartig!!!



Adult Mom
(ms) Immer wieder Neues zu entdecken, ist ein großes Privileg an diesem kleinen Hobby-Blog. Wie schön es ist, einen unbekannten Namen angepriesen zu bekommen und dann wirklich Erstaunliches zu hören. Doch manchmal ist abends nicht die nötige Energie und Konzentration da, um sich hineinzudenken. Bloß nicht falsch verstehen! Adult Mom macht im allerbesten Sinne eingängige Musik! Es ist der gute, alte Indiepop mit feinen Texten, angenehmen Melodien, Gitarren, Klavier und Beat. Das ist das Genre, das Gefühl, die Basis, auf die alles aufgebaut ist. Stevie Knipe begann ursprünglich allein, doch die Band ist mittlerweile ein Trio, das extrem harmonische Musik schreibt. Heute (!) erschien ihre neue Platte Driver. Zehn Lieder in 30 Minuten Spielzeit. Es ist perfekt austariert und klingt so wundervoll unbeschwert. Man könnte sagen, das sei beliebig. Damit macht man es sich aber zu leicht. Ich halte es immer noch für große Kunst genau solch leichte, kurzweilige Musik zu komponieren wie Adult Mom es tun. Stark!

Sam Vance-Law - NDW EP

Foto: Jannik Morton Schneider
(ms) Gerry Boulet, Lee Aaron oder Red Rider. Diese Namen waren (bestimmt nicht nur) mir bis zu einer klitzkleinen Recherche gänzlich unbekannt. Was hat es also mit ihnen auf sich? Alle hatten in den 80ern große Hits zu verzeichnen. Nein, nicht hier, sondern in Kanada. Würde man dort auf eine Ü40 Party gehen, sollten ihre Erfolge bestimmt erklingen. Das kollektive Gedächtnis knallt in die Beine, man denkt an vergangene Lieben, Affären und vielleicht den ein oder anderen Drogentrip. Zeitgleich waren hierzulande Nena oder Trio enorm erfolgreich. Diese Namen und auch ihr Stil wiederum sind den meisten KanadierInnen zurecht unbekannt.
Bis auf einen. Und der veröffentlicht heute (!) mit einer charmant-tanzbaren best of both worlds-Version dieser Zeit und Musik. Es geht um Sam Vance-Law. Talentiert, humorvoll und irre sympathisch. Doch was hat ein junger kanadischer Musiker mit der Neuen Deutschen Welle zu tun?
Vertraut mit den hiesigen Bühnen wurde er als Teil von Dear Reader. Mit Emma Greenfield tauchte er kurz unter dem Namen Traded Pilots auf, ehe er dann mit Konstantin Gropper im Studio stand. Heute lebt er in Berlin und ist im Dunstkreis von Drangsal unterwegs. Letzterer singt hier sogar mit Sam im Duett! Wie kann man nur so viele begabte und gute Menschen um sich vereinen? Wahrscheinlich, indem man selbst einer ist! NDW heißt seine kleine 4-Track-EP, die man nun hören kann. Es ist ein herrlich kurzweiliges Vergnügen. Nicht mehr, aber halt auch nicht weniger! Die Idee dazu hat Sam schon länger. Bereits vor zwei Jahren auf der Tour zu seinem ersten Album Homotopia spielte er Eisbär von Grauzone. Eigene Versionen von Ina Deter, Peter Schilling und Bärchen Und Die Milchbubis hat er eingespielt.
An (mindestens) einer Stelle wird es semantisch doch spannend! Besang er auf seinem Album eine schwule Utopie, singt er nun 'Neue Männer braucht das Land'. Das bekommt aus seinem Mund eine ganz andere Bedeutungsebene à la J.J. Bola oder Raewyn Connell! Das gefällt außerordentlich gut!

Bei allen vier Liedern bewegt er sich nicht weit weg vom Original, was ja auch gar nicht sein muss. Während die Beatsteaks beispielsweise eine ähnlich strukturierte EP kurz vor Weihnachten veröffentlichte, die mich enorm gelangweilt hat, geht das Konzept bei Sam Vance-Law komischerweise auf. Da ist mehr Pfiff, Energie und Musikalität zu hören. Irgendwo im wilden Netz las ich einen Kommentar, dass es doch arg billig sei, nach seinem Erstling eine Cover-EP zu veröffentlichen, die dann noch so wenig eigene Handschrift in sich trägt. Was für ein hohler Anspruch an Musik! Es muss ja nicht immer alles völlig genialisiert werden sondern kann einfach für gut empfunden werden. Und sind wir ganz ehrlich: Die EP ist auch "nur" eine schöne, kleine, fröhliche Überbrückung zu seinem kommenden Album! Eben. Also. Tanzen wir uns also im Indiegewand in vergangene musikalische Zeiten und genießen den Moment. So einfach!

Mittwoch, 3. März 2021

PeterLicht - Beton Und Ibuprofen

 

Foto: Christian Knieps
(ms) Es lauern mannigfaltige Gefahren, wenn man sich mit PeterLicht auseinandersetzt oder ihm ausgeliefert ist. Eine der Größten ist sicherlich die Überinterpretation und eine völlig verquaste Intellektualisierung von scheinbar Profanem und einer Menge Gaga. In so einem schwirrenden Kosmos von Worten, Halbsätzen, Formulierungen und kleinen Melodien hat er sich selbst gebeamt durch die lange Gesichtslosigkeit, seine Schriften, Theaterstücke und Auftritte. Doch ihm wurde auch immer der Mythos zugeschrieben, sodass dem Namen PeterLicht und der Person dazu stets etwas Unantastbares begleitet. Eine 'normale' Auseinandersetzung mit seiner Kunst scheint gar nicht möglich, wenn man als kleiner Schreiberling sofort Gefahr läuft, das Ganze nicht richtig zu verstehen, ein bisschen zu blöd zu sein für die vielfältigen Bedeutungsebenen. Doch bereits jetzt ist die Gefahr zur self fulfilling prophecy geworden, indem immer ein nebulöser Respekt vor seinem Werk lauert. Nein, der wird schnell abgeschüttelt und es wird versucht durch dieses lyrisch-musikalische Dickicht zu tapern, wenn an diesem Freitag (5. März) sein neues Album Beton Und Ibuprofen auf Tapete Records erscheinen wird. 
Für das klanglich Runde sind neben dem Texter zusätzlich Boris Rogowski, der die Platte produziert hat, und die ewige Ein-Mann-Band Benedikt Filleböck verantwortlich.

Nein, genau verstehen tue ich seine Musik nicht. Seine Texte nicht. Das habe ich noch nie. Doch darum geht es irgendwie auch gar nicht. Klar, man könnte am germanistischen Institut ein paar Seminare über ihn abhalten, so mannigfaltig und sicher auch tiefgründing verschnörkelt ist sein Werk. Aber man muss ja auch nicht mehr draus machen, als es ist. Die Platte kann als Momentaufnahme gesehen werden. Irgendwo zwischen Individuum, Zivilisation, Liebe und Schwärze. Möchte man die Platte verstehen, bräuchte es eigentlich nur einen einzigen Track: Lost Lost Lost World. Es ist ein fast achtminütiger Spoken-Word-Beitrag fast am Ende des Albums. Auf der schier endlosen Wanderung durch Wortwirbel sind alle Texte oder zumindest deren Auszüge zu hören. Durchaus eine spannende Herangehensweise, die der Platte ein Konzept unterlegt. Musikalisch nicht, da ist sie unglaublich vielseitig, melancholisch, dramatisch, poppig, tanzbar. Textlich ist ein roter Faden zu erkennen. Darin sind aber reichlich Knoten. PeterLicht pickte sich einige Begriffe wie Menschen, Schwärze und Liebe heraus und lässt sie immer wieder auftauchen.

Dabei sind Beton und Ibuprofen eher Randerscheinungen des Albums. Die beiden gleichnamigen Lieder sind gaga und keine wirklichen Aushängeschilder der Platte, wenn auch klar ist, was er damit meint. Auf Ibuprofen besingt er die Leichtsinnigkeit der Tablettenzufuhr, allein dadurch, dass er es als Diminutiv verwendet ('Ibuprofenchen'). Beton Ist Schweres Thema kracht plötzlich durch die sehr harmonischen Lieder als brachialer Rock-Sound. Klar, schweres Thema, schwerer Sound, kurz aufgelacht.
Spannender ist dieses hörenswerte Album an anderen Stellen. Beispielsweise wenn er seine musikalischen Stärken zeigt, wovon es glücklicherweise viele gibt. Zuerst ist Dämonen zu erwähnen. Im sanften, melancholischen Indiepop mit gezupfter Gitarre zeigt er immer wieder seine Stärken für gefühlvolle Melodien. Wenn die Dämonen kommen, ist jeder, der ein Mensch ist, dein Freund; so singt er es. Dann zeigt sich auch, wer nicht Mensch ist. Knifflig, gut! In der Mitte des Albums kommen drei Stücke, die herausragen aufgrund ihrer extrem vielseitigen Instrumentalisierung. Was er textlich in Die Sprache Der Augen meint, weiß ich nicht. Doch wenn man ihn liest, entfacht sich eine große, magische Wirkung lyrischer Kunst. Eingewickelt ist der Text in großem, aber auch dramatischem Pop. Die Streicher im Vordergrund und der durchaus satte Bass dahinter sind eine sehr starke Kombination! Genauso großer Pop, aber in völlig anderem Gewand, ist in Verloren zu hören: Percussion-Pochern im Hintergrund, darüber elektronischer Sound, der dicht und dynamisch ist und mit der weiblichen Stimme, die über allem strahlt, eine ungeheure Kraft entwickelt. Immer wieder fragt man sich, in welche Dunkelheit es PeterLicht getrieben hat oder in welcher Düsternis er unsere Gesellschaft sieht. Das Besingen einer Ausweglosigkeit ist da oft konsequenter als leiernde Durchhalteparolen! Und dann ertönt noch E-Scooter Deine Liebe; ein tanzbarer feel-good-Track mit irrem Ohrwurmpotential. Doch die Fröhlichkeit ist vakant und nur "ein Schritt schneller als die Depression". Der verschwurbelte Selbstoptimierungs-Quatsch wird hier auf die anglizistische Schippe genommen! Ideal!

So zeigt Beton Und Ibuprofen viele Gesichter. Musikalisch extrem vielseitig und klug. Textlich sehr oft unklar, aber das gehört zur Marke PeterLicht einfach dazu.
Die letzte und sehr schöne Gefahr besteht nun darin, das einfach gut zu finden. Ganz ohne (psuedo-)intellektuellen Brainfuck.