(sb/ms) Zeitreisen sind möglich. Und ich kenne die Tür, die sich dahin öffnet. Sie ist der Zugang zu einer unscheinbaren Bäckerei in meinem Heimatörtchen. Das sind ja Orte, die um die ruhigen und gefräßigen Tage gerne mal aufgesucht werden. Zur Einordnung: Ich bin Anfang dreißig und seitdem ich denken kann, sieht es in dieser Bäckerei exakt gleich aus. Die Preisschilder haben sich irgendwann mal von D-Mark zu Euro geändert. Sonst ist nichts passiert. Und selbst als kleines Kind schien dieser Laden schon aus der Zeit zu fallen. Die Menschen, die dort arbeiten, sehen auch seit dreißig Jahren gleich aus. Selbst die, die vorher dort gar nicht gearbeitet haben. Schier unglaublich. Es gibt zwei wesentliche Punkte, die so anachronistisch scheinen. Nummer 1: Die Backwaren. Die Brötchen, die dort zu haben sind, sind verhältnismäßig klein. Aber nicht so luftig, wie bei anderen Anbietern. Sie verkaufen kleine kompakte Brötchen, die sehr lecker sind und nach Handwerk schmecken. Sie haben auch Auswahl. Doch: Das Grundbrötchen ist immer das gleiche - ein kleines Normales. Für Mohn, Sesam, Kürbiskern oder gar Käse wird einfach nur die Zutat drauf gestreut. Super! Dann gibt es noch das Croissant, worüber jeder Frankophile sich kaputtlachen würde. Es ist ein Teigfladen, den man süß belegen kann. Aber geil! Nummer 2: Die restlichen Produkte. Denn in Regalen stehen Tante-Emma-mäßige Waren: Bockwurstdosen, Kaffee, einzelne Falschen Bier, Mehl, Dosenwurst. An den Leisten, auf denen sie stehen, hängen Preisschilder, die sich bestimmt noch nie geändert haben. Phantastisch.
Hier geht's aber um Musik. Ein wenig zumindest. Ist gerade nicht viel los. Los:
Antilopen Gang
(ms) Das ist schon sehr geschickt und selbstredend mit zahlreichen doppelten Böden, die im Grunde genommen einfach zu erläutern sind. Das Trio ist stolz drauf, eine eigene Plattenfirma gegründet zu haben, sagt sich von den Strukturen los (obwohl Jochens Kleine Plattenfirma nicht zwingend Major ist) und veröffentlichen zum konsumfreien Weihnachtsfest einen Sampler. Damit geht's weiter. Einfach ein paar gute Tracks, die sie mit unterschiedlichen Gästen angesammelt haben - mal solo, mal als Antilopen Gang - auf einer Platte veröffentlichen. Ja, der Plan geht auf. Sie sind sich vor nichts zu schade, für keinen Beat und keinen Reim, nicht für Pathos oder Diss-Tracks. Das ist halt auch DIY mit Augenzwinkern zu Ende gespielt - inklusive Ironie-Reflektions-Song. Das erlaubt gefühlvollen Pop von Danger Dan mit Max Herre, ein supergeiles Feature mit Zugezogen Maskulin oder einen normalen Banger mit Fatoni. Ja, der Plan geht auf samt Gruß vom alten Plattenlabel. Antilopen Geldwäsche Sampler 1. Kauft das!
Staring Girl
(ms) Wenn Musiker eine Band betreiben und gleichzeitig noch Vollzeitjobs hinterher gehen, dann kommen aktuelle Meldungen in größeren Abständen - allzu verständlich bei der Qualität dieser Gruppe, es soll ja gut und bedacht sein. Vor Weihnachten gab es Neuigkeiten von Staring Girl! Ich habe mich sehr über die Mail gefreut. Die Hamburger haben nämlich drei Geschenke verteilt. Geschenk Nr. 1: Zwei neue Stücke, die sich hier hören lassen. Zwei weitere Beweise, dass Steffen Nibbe ein großes Text-und-gefühl-Talent hat. Einige Zeilen brauchen länger, bis sie ihre Wirkung entfalten, aber Worte wie "Ab jetzt will ich nur noch mutig sein / und verliebt neigt sie ihren Kopf", die mit einem herrlichen Zeilenbruch gesungen sind kommen schnell dort an, wo sie landen sollen. Geschenk 2: Den Ausblick auf ein neues Album, das 2022 erscheinen wird. Ein genaues Datum steht noch aus. Geschenk 3: Zwei Live-Termine. Sofort habe ich mir Karten für Kiel besorgt, aber ob das stattfinden wird, ist meines Erachtens mehr als ungewiss. Hoffen tue ich weiterhin!
13.01.2022 - Hamburg, Knust
15.01.2022 - Kiel, Hansa48
Manic Youth
(ms) Erst in meiner späten Jugend in den 00er-Jahren bin ich auf Indie-Gitarren-Pop/Rock gestoßen. Eine Musik, die mich seitdem begleitet, aufbaut und bei Liebeskummer unterstützt. Auch wenn meine Hörfühler in den letzten Jahren keinen Halt mehr von Genregrenzen machen, ist diese Musik immer noch der Kern. Wahnsinn, wenn man dann Bands entdeckt, die man mit so einem Klang gar nicht erwartet hätte. Zum Einen gelingt es Manic Youth exzellent einen Sound zu spielen, der so gar nicht mehr zeitgemäß und dennoch wunderschön ist. Handwerk aus den 00er-Jahren, bei dem ich sofort an Death Cab For Cutie denken musste! Zum Glück ist es nicht ausschließliche Nostalgie, sondern ihre Songs brechen auch gerne mal aus und legen mehrere Schippen drauf! Zum Anderen ist das Quartett ein sehr guter Beweis, dass Rock aus Österreich nicht nur folkloristischer Pop mit Dialekt sein muss. Sie klingen halt eher nach UK als Wien. Daher solltet ihr das aktuelle Album Funland dringend mal hören!
Gregor McEwan (ms) Auch alles für heute Abend schon besorgt? Dieses Jahr ist es ja gefühlt noch ätzender als im letzten, was damals kaum auszudenken war. Alle Pläne sind über Bord geworfen. Was vielleicht auch gar nicht so schlimm ist, denn immerhin ist Silvester doch das Fest mit durchaus hohen Erwartungen, die aber nie erfüllt werden, oder? Vorteil an diesem Jahr: Erneut zum Glück keine Böllerei in den Straßen, weit im Vorhinein abgesagt (dass dieser Wirtschaftszweig wohl nicht staatlich entschädigt wird halte ich dennoch für falsch, die können ja nichts dafür). Genau darüber hat Gregor McEwan mal wieder ein extrem passendes Lied geschrieben. Es geht nicht nur um den tollen, hörens- und lesenswerten Text (unterm Video), in dem alte Bekannte und viele gute Ideen auftauchen, sondern er schafft es auch mal wieder mit spielerischer Leichtigkeit den richtigen Klang dazu umzusetzen. Zum Einen ist es die sanfte Spielart zu zwei Dritteln, die das Herz erwärmen und eine nachdenkliche Stimmung unterstützen. Zum Anderen unterstreicht das letzte drittel sehr gut die Daten und Fakten, die er ins Video eingebaut hat. Also: New Year's Resolutions hören, Text lesen und gut finden, auf seine neue EP freuen und einfach diesen Abend genießen!
(sb) Hurra, ich darf heute Christkind spielen! Das letzte Türchen des luserlounge-Adventskalenders öffnet sich und es wurde - so ehrlich muss ich sein - auf den letzten Drücker fertig. Genauer gesagt am späten Abend des 23.12.. Vorher ging es einfach nicht. Job, Familie, Krankheiten (nein, die nicht!), Haushalt, Ihr kennt das ja vermutlich... 2021 und ich sind nun wahrlich keine Freunde geworden. Das Jahr davor konnte ich mit diesem ganzen Pandemie-Wahnsinn und dessen Folgen deutlich besser umgehen. Home-Office kam mir entgegen, irgendwie hatte es das ganze Leben entschleunigt. Und dann kaam dieses Jahr, ich musste zurück ins Büro, mein Sohn kam in einen neuen Kindergarten (bitte unbedingt hier klicken und anhören!), was mit deutlich mehr zeitlichem Aufwand verbunden war, und meiner Frau ging es gesundheitlich nicht sonderlich, was nicht nur ihr, sondern uns allen ordentlich zu schaffen machte. Wird Zeit, dass es wieder aufwärts geht. Aber ich glaube dran, ganz fest sogar. Muss ja.
Musikalisch gesehen hatte das Jahr sicher einiges zu bieten, aber stressbedingt (s.o.) hatte ich einmal mehr nicht die Zeit, mich den Neuerscheinungen so hinzugeben, wie ich es mir gewünscht hätte. Schön fand ich jedoch die Erkenntnis, dass ich mich immer mehr öffne, Genres fast schon egal sind und ich ziemlich unvoreingenommen an alles Mögliche rangehe. Soll ich Euch mal was verraten? Für einen anderen Blog, für den ich schreibe, habe ich sogar Patrick Lindner interviewt! Ja, genau den! Seine Musik finde ich zwar nach wie vor grausam, aber was für ein unfassbar herzlicher und netter Mensch. Hätte ich nicht gedacht. Aber ich schweife ab...
Wenig überraschend findet sich in meinen Top 3-Listen keine Volksmusik, dafür aber jede Menge unterschiedlicher Sound, der mir das Jahr versüßt hat. Auf gehts!
Top 3-Songs
Platz 3
Matze Rossi - Vogelmann
Das neue Album von Matze Rossi hats nicht in meine Top 3 geschafft, aber dieser Song ist einfach zu gut und zu intensiv, um ihn außenvor zu lassen. Der Unterfranke ist ja sowieso einer meiner absoluten Lieblinge, weil er mich nicht nur musikalisch überzeugt, sondern das Herz auch auf dem rechten Fleck hat. Super Typ, super Musik. Und hier mal wieder Gänsehaut...
Platz 2
CRIM - Patrimoni Mundial
Ah, wie bitter, aber ich finde dazu kein Video und auch keine Sounddatei im Internet. Sollte man ja in Zeiten wie diesen nicht glauben... Der Track stammt vom großartigen HFMN 20 Years-Sampler und war bis dato unveröffentlicht. Geiles Teil und glaubt mir: Sobald ich Patrimoni Mundial irgendwo im Netz auftreibe, werde ich es auf unserer Facebook-Seite posten. Weils geil ist! CRIM: Katalanischer Punkrock, großartige Melodien. Ich liebe es.
Bild: facebook.com/CRIMTARRAGONA
Platz 1
Danger Dan - Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt
Muss man dazu noch groß was schreiben? Die Attitüde, die Wortwahl, die Verpackung, die Aussage - das ist Perfektion! Das ist das Lied, das dieses Land genau in dem Moment gebraucht hat und Danger Dan hat es geliefert. Aus meiner Sicht kann man ihm das gar nicht hoch genug anrechnen, denn bei so vielen Vollidioten, die da draußen rumlaufen, ist es heutzutage durchaus mit Risiken verbunden, so einen Song zu veröffentlichen. Danke!
Übrigens hätte es auch Eine gute Nachricht verdient gehabt, hier in den Top 3 aufzutauchen, aber ich bleibe meiner Maxime treu, jeden Künstler nur einmal zu nennen.
Top 3-Alben
Platz 3
Juse Ju - JuNi
Spannende Veröffentlichungsstrategie mit monatlich einem neuen Track und der Typ wird halt wirklich von Album zu Album noch besser. Sympathisch und authentisch war Juse Ju ja schon immer, aber inzwischen hat er halt auch ordentlich was zu erzählen und macht das auf eine unnachahmliche Art und Weise. Ich bin immer wieder begeistert und JuNi ist mit Abstand sein bestes Album.
Platz 2
Dustin O'Halloran - Silfur
Klassik! Und wie gut! Wahrscheinlich sogar das im Jahr 2021 erschienene Album, das in den vergangenen Monaten am häufigsten gelaufen ist. Warum? Weil es jedem in der Familie gefällt! Meine Frau mags, unser vierjähriger Sohn tanzt dazu, sogar die Schwiegermutter findet es toll. Lief sehr, sehr oft am Wochenende zum Frühstück, weil es nicht aufdringlich und doch wunderschön ist.
Platz 1
Mola - Schnee im Sommer
Kam erst spät im Jahr raus, startete dann aber durch. So tolle Texte - und was für eine Stimme! Ich habe ja schon in unserer Selektion vor ein paar Wochen von Mola geschwärmt und daran hat sich nicht geändert. Ich bin schwerstens begeistert und kanns nur jedem ans Herz legen, sich das Album mal anzuhören. Auch All, die Kooperation mit Fatoni, ist ein überragender Track!
Bestes Liveerlebnis
Provinz in Friedrichshafen
Well, that was simple! Es gab nämlich nur ein einziges, aber das war dafür auch richtig gut. Super Location direkt am Bodensee, herrliches Wetter beim Open Air, Heimspiel für Provinz und ein rundherum gelungener Abend. Ich will wieder mehr davon.
(ms) Würde ich meinen last.fm-Account noch nutzen, wüsste ich ja automatisch, welche Lieder und Platten ich in diesem Jahr am meisten gehört habe. So bleibt das nur eine Vermutung. Und die Kategorie 'am meisten' ist ja nicht zwingend gleichzusetzen mit 'Favorit des Jahres'. Oft schleicht sich dann der eine Song oder das andere Album rein, was ich aktuell viel höre und verzerrt eventuell das Bild - aber so ist das nun mal. 2021. Vorbei. Erstaunlich und sehr gut so. Nur leider stehen die Ampeln nicht auf Hoffnung (wobei..., s.u.). Alles ist oder wurde verschoben. Nicht nur Auftritte, sondern auch die Welt und wie sie funktioniert. Sie wurde langsamer, weniger aber auch viel unruhiger gleichzeitig. Total schräg. Es gab viele Pläne, viele Änderungen, viel Euphorie - eine Portion blieb, eine andere verpuffte. Ich bin ehrlich: Keine Lust mehr auf spazieren gehen, Absagemails erhalten, Übernachtungen stornieren. Aber hey... jetzt mal echt... diese Schwarzmalerei geht mir auch ganz schön auf die Nerven. Am meisten von mir selbst. Denn was bleibt, ist immer Musik. Sie haut mir auf die zwölf, richtet mich auf, streckt mich nieder, lässt mich andere Welten erleben. Das geschah oft in diesem Jahr. Ein kurzer Moment, um ihr Danke zu sagen.
Top 3 Alben
Mädness – Mäd Love Rap ist nicht mein Business. Versuche mich allmählich heran zu tasten. Klar, hören tue ich ihn schon lange. Verstehen aber nicht - seine Strukturen (spannend), Entwicklungen (super spannend), Lager (unspannend). Zudem habe ich nie geahnt, dass Rap mich emotional derart packen kann. Also wirklich persönlich berühren. So geschah es in diesem Jahr, dass ich mich das erste Mal dabei beobachtet habe, dass mir bei einem Rapkonzert die Tränen kamen. Ich war total belastet zu diesem Zeitpunkt, alles wackelte. Doch Mädness fing mich auf. Klingt kitschig, ist aber so. Nicht nur diese Platte ist absolut überragend, sondern auch seine Liveperformance! Ganz stark!
The Weather Station – Ignorance Kunst. Kunst bedeutet für mich, dass Geniales erschaffen wird. Unvergleichliches mit einer eigenständigen Signatur. Das macht mich baff. Das begeistert mich. Da staune ich und reiße die Augen weit auf. Es kann im Lauten und Leisen geschehen. Bei The Weather Station war es eher im Leisen, Feinen, Zarten, durchaus Liebevollen. Eine Band, die ich vorher gar nicht kannte und sich zu einem ganz erlesenen Kreis für mich dazu gesellt. Dieses Album ist Kunst. Außergewöhnlich.
Oehl – 100% Hoffnung Jaja, okay okay. Es ist eine EP und kein Album, ist mir aber egal. Doch sie hat durchaus Albumspiellänge. Und nicht, weil es sich irgendwie zäh und die Länge zieht, sondern weil es mit Herz, Verstand und wahrer Liebe gemacht worden ist. Auf dieser Platte zeigen Ariel und Hjörtur, was es bedeutet, einen eigenständigen Klang zu etablieren, aktuelle Themen sanft aufzunehmen, etwas auszusagen und den eigenen Songwritingstil reifer werden zu lassen. Dieser Track (s.u.) ist der Beweis dazu. Zudem ist die Aufnahme 'B-Seite' derart beeindruckend gemacht, dass sie mich seit Erscheinen der Platte immer wieder begleitet, zum Denken anregt und in mir etwas macht. Danke.
Top 3 Songs
The Joy Formidable – The Leopard And
The Lung Absolutes Novum! In meinen Jahresrückblenden gab es noch nie einen Song, der nicht aus dem aktuellen Jahr kommt. Diesen hier habe ich derart oft gehört - nein! -, hören müssen unabhängig von seinem Erscheinungsjahr. Im Frühjahr habe ich diese walisische Band erst kennengelernt, ein neues Album kam im Sommer. Doch dieser Track. Der steht außerhalb des Beschreibbaren. Er läuft hier satt und lauf aufgedreht und er macht mich fertig. Das ist die Kraft der Musik - was für ein Brett!
Sofia Portanet – Real Face Das ist das Ding. Dieses Stück ist neu und läuft hier rauf und runter. Sofia Portanet hat den Dreh raus. Wenn ein Lied mich nicht mehr los lässt, dann nutze ich gern Worte wie "Groove" oder halt, dass es mich "packt". Das ist hier in Perfektion geschehen. Zum Einen spricht mich der Text total an, zum Anderen (und das och viel kräftiger) ist der Klang so ausgefeilt, mutig poppig und mit einem eindrücklichen Video versehen, dass es mich nicht mehr los lässt. Stark!
Audio88 & Yassin feat Nura - Garten Fassungslosigkeit. Das ist ein Zustand, der mich in diesem Jahr begleitet hat. Oft bei der Arbeit und viel öfter beim Blick in die Nachrichten und was so passiert. Da staut sich etwas auf. So viel Dummheit und Rücksichtslosigkeit. Es braucht einen Kanal. Den finde ich herausragend in diesem Track. Wenn er laut und mit meiner angeschwollenen Halsschlagader durch die Wohnung pumpt, ist die Fassungslosigkeit passé. Dafür ein großer Dank an die drei:
Eindrücklichstes Liveerlebnis
Katrine Stochholm - Kopenhagen Im Herbst musste ich fliehen. Ich war auf Entzug. Mir fehlte das Staunen vor den Bühnen. Das Genießen und Erleben. Mein Glück fand ich in Kopenhagen, wo es (zumindest im Oktober) keinerlei Restriktionen gab. Nein, keine Freiheit. Es war das ganz normale Beisammensein von Menschen. Keine Masken, Abstände, Nachweise, nix. In Christiania (der Ruft eilt diesem Ort voraus) ist das Loppen, ein toller Club mit verhältnismäßig moderaten Preisen. Was Katrine Stochholm dort abgeliefert hat, habe ich noch nicht erlebt. Also gar nicht. Ich kannte die Künstlerin vorher nicht. Umso stärker die Überraschung und Begeisterung. Dieser absolut runde, perfekte Mix aus Klang, Tanz und Visualisierung war mitreißend ohne Ende! Ich stand nur noch im Publikum, krallte mich an meinem Bier fest und bekam die Kinnlade nicht mehr runter. Kunst! Wow! Danke!
(sb) Weihnachten steht vor der Tür und heute haben wir nochmal ein Schmankerl für Euch. Hinter Türchen 22 des luserlounge-Adventskalenders verbergen sich Some Sprouts. Wooohoooo!
Die Unverfrorenheit ungeschliffenen Slacker Rocks und die catchige Melancholie moderner Indiepop-Acts: Das ist der Boden, auf dem die fünf Regensburger gedeihen.
Diese Rezeptur hat sie nicht nur hierzulande zum Geheimtipp werden lassen. Auch im Ausland hinterließen die Oberpfälzer bei diversen Auftritten bezauberte Besucher, die das Quintett nachhaltig auf dem Zettel haben. Yay!
Berlin Festsaal Kreuzberg! Unsere bisher größte
Headliner-Show in einem superschönen Club mit unglaublich tollen Leuten. Sind
mega dankbar, dass wir das erleben durften! :)
(sb) Die Sauna - klingt verdammt verlockend in der kalten Jahreszeit, oder? Wer da jetzt automatisch an Hitze, Aufguss, diverse Aromen und Nackerte denkt, dem sei das natürlich verziehen.
Allerdings wird's dann auch höchste Zeit, den Horizont zu erweitern und die musikalische Komponente zu berücksichtigen. Wir sind hier ja schließlich die luserlounge und die nicht die Sektion FKK.
So, genug geschwallt, gehen wir in die Vollen! Viel Spaß mit den musikalischen Highlights des Sextetts aus Bayern, das Ihr im kommenden Jahr (hoffentlich) auch wieder auf den Bühnen quer durch die Republik erleben könnt.
Und ab!
Top
3 Alben
Platz
3
Derya Yildirim & Grup Şimşek – Dost 1
Platz
2
Squid – Bright Green Field
Platz
1
International Music - Ententraum
Top 3 Songs
Platz 3
Patriarchy – I don’t want to die (Geneva Jacuzzi Remix)
Platz 2
Trümmer – Wann wenn nicht
Platz 1
International Music – Raus ausm Zoo
Bestes Liveerlebnis
Squid im Feierwerk München (einzig richtiges Livekonzert in
2021)
(ms) Guten Menschen schenken wir Dinge unabhängig von religiösen Festen oder dem Tag, als sie das Licht der Welt erblickten. Dieses Buch sollte dringend verschenkt/gekauft und danach gelesen/studiert werden. Gazal und sookee haben über den Ventil Verlag den Sammelband Awesome HipHop Humans herausgebracht und damit Einzigartiges geschaffen. Lange Zeit habe ich mich gefragt, wie man dieses Buch am besten bezeichnen könnte. Es ist nicht wissenschaftlich, auch nicht populärwissenschaftlich. Es ist kein Sachbuch und erst Recht kein Roman. Schließlich habe ich mich an das Wort Portrait herangewagt und finde es sehr passend.
Also: Worum geht es?
In dutzenden Beiträgen beschreiben ProtagonistInnen aus dem queer-feministischen Rap im deutschsprachigen Raum ihr Dasein. Jeder Beitrag ist einzigartig. Das nicht nur dadurch, dass natürlich alle Schreibenden Unikate sind, sondern auch völlig frei stand, wie sie sich einbringen wollen. Es gibt bis auf dieses sehr grobe Thema keinen roten Faden. Alle können so wie sie wollen. Und alle sind so wie sie sein wollen. Ob es nun ein Songtext von Babsi Tollwut, ein Interview zwischen sookee und Kreosin95, ein Brief von Sir Mantis oder die Geschichte von FaulenzA ist... dieses Buch ist genauso vielfältig wie queer-feministischer Rap an sich. Oder queerer Feminismus. Alle definieren es so, wie es am besten passt. Auch wenn es an einigen Stellen so scheint, hier widerspricht sich nichts. Nein. Vielmehr ergänzen sich die Beiträge zu einem großen Bild. Ein Ganzes ist es nicht immer. Schwer zu sagen, ob alle Schreibenden sich kennen. Viele sind miteinander vernetzt. Es geht (aus meiner Sicht nach der Lektüre) eher um Sichtbarmachung. Denn eines ist ja klar: Rap hierzulande ist ein brutal männlich dominiertes Genre. Hasserfüllt und aggressiv obendrein. Oft gegen Frauen und Geschlechter, die nicht klar zu benennen sind. Ekelhaft.
Eine der wichtigsten Aussagen des Buches ist also: Wir sind hier. Und wir sind viele. Wir sind reflektiert und klug. Und wir werden immer lauter und werden niemals nachgeben!
Dieses Sichtbarmachen und Lautsein findet auf vielen verschiedenen Ebenen statt. Viele sind als AktivistInnen am Start, andere organisieren im Hintergrund und viele stehen wiederum auf der Bühne und zeigen sich und ihre Kunst. Dass es nur zum Teil eine einheitliche Szene ist, zeigt am eindrücklichsten der Beitrag von That Fucking Sara. Das muss am besten selbst gelesen werden, da ich es nicht passend wiedergeben kann.
Zwischendurch beim Lesen dachte ich: Puuhh, das zieht sich aber ganz schön. Dann musste ich das Hirn lüften und die Augen öffnen, um mich zu besinnen, wie falsch dieser Eindruck ist. Er entstand sicher durch die hohe Anzahl an (zum Teil recht kurzen) Beiträgen. Spannend ist das Buch dennoch - oder deswegen. Denn jeder Beitrag ist ein weiteres Steinchen, das ein riesiges Mosaik zusammensetzt. Und dieses Bild ist noch lange nicht fertig. Super spannend wäre es, in beispielsweise fünf Jahren einen weiteren Band erscheinen zu lassen mit den Fragen: Was hat sich geändert? Wie laut sind wir? Sind die ganzen Macker immer noch am Start, so sichtbar, tonangebend und erfolgreich?
Dies ist also mehr als lesenswert. Für mich war es erlebenswert. Ab und zu mag ich behaupten, mich mit Musik einigermaßen gut auszukennen. Mit Rap aber nicht. Mit queer-feministischem Rap also schon gar nicht. Das hat sich nun wenigstens ein bisschen geändert. Und Musik bleibt ja auch immer Geschmackssache. Durchgehört habe ich mich bei vielen der AutorInnen. Am stärksten hängen geblieben für mich ist Yasmo - das finde ich ganz hervorragend. Auch eindringlichem Rap wie von Lena Stoehrfaktor kann ich einiges abgewinnen.
(ms/hs) Ist heute wirklich schon der vierte Advent? So schnell vergeht die Zeit also. Obwohl: Ist das überhaupt wichtig? Die Zeit vergeht rein objektiv ja nicht schneller oder langsamer wenn wir uns unterschiedliche Tage anschauen. Eine Binsenweisheit, aber immerhin. Doch: Bei einer derart langen Adventszeit (Start im November) könnten wir auch eine fünfte Kerze dazu stellen, oder? Aus reinem Trotz und weil mehr nun mal mehr ist! Wobei! Da haben wir dann einen Kinderliederfehler gemacht! Rolf Zuckowsky würde uns auf die Pfoten hauen, denn haben wir ja Weihnachten verpennt. Und bei allem Kitsch und Konsumrauch: Das wollen wir nicht. Bis dahin halten wir heute kurz inne und drehen daheim auf, wenn Gregor McEwan uns seine Höhepunkte des Jahres zeigt. An dieser Stelle wiederhole ich mich gerne: Wir sind immer sehr froh (und ein kleines bisschen stolz), wenn MusikerInnen uns ihre Version des Jahres schildern. Ein toller, sehr harmonischer Rückblick. Lest bitte bis zum Ende, dann da singt euch Gregor McEwan selbst noch ein Lied!
Top 3 Alben
Platz 3: Julien Baker - Little Oblivions Nicht ganz so stark wie der Vorgänger "Turn Out The Lights", aber ebenfalls ein emotionales Brett!
Platz 2: Sir Simon - Repeat Until Funny Glaube gelesen zu haben, dass Simon ganze 10 Jahre bis zu dieser neuen Platte gebraucht hat. Aber das hat sich definitiv gelohnt. Mag auch die Produktionsidee hinter "Repeat Until Funny". Kurzfassung: Sir Frontzek produziert Burkini Maiers Album ("Best Western") und umgekehrt, beide Alben erscheinen am selben Tag. Befürchte zwar, dass Simon die Ben Gibbard oder Kings Of Convenience Vergleiche zu den Ohren rauskommen, aber für mich ist es genau diese Art des Songwritings, der Phrasierung usw., die dafür sorgen, dass ich ein offenes Ohr habe. (lacht!)
Platz 1: Jade Bird - Different Kinds Of Light Monster-Album! Sobald sich die Gefühle überschlagen, überschlägt sich auch Jade Birds Stimme, was Aussage und Musik einfach immer greifbarer und nachdrücklicher macht. Ich feiere das!
Top 3 Songs
Platz 3: I Shiver - Closer Ein wunderbares und atmosphärisch super dichtes Liebeslied von einem Stralsunder Jungen. Traumhafte Stadt, traumhafter Song.
Platz 2: Pink Lint - Bird Noch so ein hiesiger Act, der mir internationale Vibes verpasst. Hat irgendwas von Leonard Cohen meets Justin Vernon. Meine Entdeckung des Jahres!
Platz 1: Jade Bird - Now Is The Time Das absolute Highlight auf "Different Kind Of Lights". Energetisch und trotzdem luftig-leicht. Und zudem ein kurzes, musikalisches Dylan-Zitat im Chorus ("never have I ever seen a better day to get up doesn't matter 'bout the weather now's the time to go and get it"). Es gibt - by the way - eine Live-Performance des Songs, welche sogar noch besser / intensiver ist als die Album-Version. Verlinkt die hier bitte! Los! (lacht!)
(Anmerkung der Redaktion: Dein Wunsch ist uns Befehl)
Bestes Liveerlebnis Schreng Schreng & LaLa, Sommer Open Air, Neunkirchen am 17.07.2021 Leider waren die Konzerte, die ich besuchen konnte… ebenso wie die, die ich spielen durfte (aus bekannten Gründen) 2021 ja eher spärlich gesät. Mitte Juli fand allerdings ein kleines, feines Open Air im Saarländischen Neunkirchen statt und noch mehr als mein eigenes Konzert genoss ich es, nachdem ich mit der eigenen Performance fertig war, endlich mal wieder ein Konzert und all das Drumherum erleben zu dürfen. Ich erinnere mich, wie ich Käsespätzle futternd und mein Feierabendbier trinkend am Merch-Stand saß und es unwahrscheinlich feierte, wie gekonnt Jörkk und auch Lasse sehr entertaining durch ihr Programm führten, die Zuschauer*innen einfach unfassbar beseelt und glücklich waren Live-Kultur mal wieder erleben zu können und dürfen und die Atmosphäre der Venue und das Herzblut der Veranstalter und aller Beteiligten dazu beitrugen, dass es ein rundum schönes Wohlfühlerlebnis war. Etwas Seelenbalsam nach einem viel zu langen Kulturentzug.
Das ist übrigens Gregor Mc Ewans aktuelle Single und ein phantastisches Lied für diese Zeit:
(ms/ll) Gestern hörte ich den erschreckenden Satz: "In einer Woche ist Heilig Abend." Das heißt ja weiter gedacht, dass in zwei Wochen Silvester ist. Gehen wir vom heutigen Samstag aus, dann ist in zwei Wochen dieses Jahr passé. Wahnsinn! Das zweite Jahr Maske, Abstand, Impftermin, Rücksicht, Verzicht. Hoffnungen, Wünsche und Pläne in die Zukunft verschieben. Oder sie im Kleinen, im Jetzt suchen und finden. Das geht mir immer so, wenn ich mich mit Lina austausche. Dann entsteht eine kleine Welt. In dieser Welt wohnen Zauberwesen, durchgeknallte Ideen, Empathie und ziemlich bescheuerter Wahn. Miniaturen des Alltags, wahre Probleme, echte Sorgen, rauschhafte Zustände. Das wird auch allen hier Lesenden klar, wenn dieser Text genossen wird. Das bringt all das in sieben Episoden zusammen. Denn Lina sprengt gerne Grenzen, denkt Dinge um, realisiert sie und steht wie eine abgefuckt zufriedene Königin über all dem. Viel Vergnügen!
Ich lese gerade „Wie hat Ihnen das
Anthropozän bis jetzt gefallen?“ - ein Sachbuch von John Green, in
dem er mit den Erfindungen und Entdeckungen unserer
Menschengeschichte, die ihn persönlich umtreiben, abrechnet. Ein
bunter Mix mit zahlreichen Absurditäten – „Für jeden was
dabei“, könnte man auch sagen. Oder was haltet ihr von
Duftstickern und Velociraptoren? Naja, abschließend verteilt er
großzügig Sterne von 1 bis 5. Eine gute Idee dachte ich mir. Das
tue ich euch hier jetzt auch an. Nur ohne Sterne. Das überlasse ich
euch.
Wie hat Ihnen 2021 bis jetzt gefallen?
1. „Musik ist eine Reflexion der
Zeit, in der sie entsteht.“ – Diana Ross. Lese ich und denke „JA!“. Ich habe
meine weltkritischen Gedanken noch nie so gut im Sound ertränken
können. Guten Tag, was geht Ihnen heute gegen den Strich? Das weiße
Patriachat? Dann empfehle ich WUP und die Todesliste von
Audio88&Yassin und dazu einen Boxsack. Einen schönen Start ins
neue Jahr!
2. Im Sommer mit einer quietschenden
Luftmatratze über einen Pool treiben, die Wärme gerade so
aushalten, die Soundkuppel über sich spüren. Genauso fühlt es sich
an, wenn ich mit geschlossenen Augen auf dem Sofa liege und Maeckes`
neues Album höre. Dabei sind die Themen gar nicht so luftig-leicht.
„Die Katastrophe ist hier, wir liegen am Pool. Zäune hoch zum
Himmel, el cielo es azul."
3. Ich bin ein großer Fan bewegter
Bildkunst. Filme, in denen bewusst mit Schnitten, Perspektiven oder
Effekten gespielt wird, entzücken mich. In „Kick ass“ wird aus
der Kellogg’s-Packung durch Blitzeinschlag ein Grabstein. So irre
muss man erst mal sein. Noch mehr fasziniert hat mich das Musikvideo
zu Unfall von Mine. Im simpel wirkenden Photoshop-Style wird hier der
absurd abgrundtiefe Widerspruch unserer Welt verbildlicht, den Mine
zu dramatischer Musik besingt. Das Lied ist Teil des Albums
„Hinüber“- ernste Gedanken und Speiseeis - „etwas wild“,
könnte man sagen. Ich sage: „Ich fühle es!“
4. Es war irgendwann als es noch kalt
war und es sich komisch anfühlte, sich wieder unter Menschen zu
begeben. Corona-verkatert traute ich mich in die Innenstadt. Es war
viel los. Wohlige Düfte lagen in der Luft – ein Wochenmarkt oder
Rummel. Zwischen den wirren Geräuschen klang etwas lang nicht
gehörtes hindurch, das mich in seinen Bann zog. Ich näherte mich
der Menschentraube, die sich um die Klänge gebildet hatte. Während
Julia Stielow und allanwhy mit Akustikgitarre morgendliches
Katergefühl besangen, lag auf einmal Hoffnung in der Luft. Hoffnung
darauf, dass bald wieder mehr Kultur möglich sein wird.
5. Ich glaub, es ist einer von wenigen
Momenten in diesem Jahr, in denen ich alles um mich rum vergessen
habe, was die Welt gerade aus den Fugen geraten lässt, als ich mit
Bier in der Hand neben M. stehe und Montreal die Bühne vor’m Knust
betritt. Vielleicht hab‘ ich mich wie 16 gefühlt und vielleicht
bin ich auch so herumgehüpft. Endlich wieder Disco-Zeit!
6. Ich habe einen Balkon und einen
Wintergarten. Zusammen sind es vielleicht acht Quadratmeter, auf
denen ich es dieses Jahr geschafft habe, Tomaten, Zucchini, Gurken,
Paprika, Aubergine und Bohnen anzupflanzen. Dazu lief es in
Dauerschleife und das passt nun wirklich gut: Mein Garten von Dino
Paris.
7. Mein Traum war es, dass Felix Kummer
auf dem Dach meiner kleinen Eckkneipe sein neues Album präsentiert.
Es wird dazu nun leider nicht mehr kommen. Zum einen, weil sich das
mit der Eckkneipe noch hinzieht. Zum anderen, weil wir uns noch nicht
kennen und zuletzt, weil er seinen Abschied angekündigt hat. Zum
Schluss dieses Jahres gibt er uns noch die Gewissheit, dass es
wirklich nicht mehr besser wird oder doch oder nicht? Alles wird gut.
(ms) Als ich ihn jetzt zu Fuß sah, wurde mir das vorherige Bild noch eindrücklicher. Ich dieses Mal zu Fuß - er immer. Zu Fuß ist alles etwas langsamer. Sonst fahre ich mit dem Rad an ihm vorbei, wenn er unterwegs ist. Wie alt mag er sein?! Puh, schwer zu sagen. Um die 70, schätze ich. Was ich gar nicht so richtig deuten kann, ist sein Gesichtsausdruck. Ist er angestrengt oder glücklich? Ersteres würde ich viel schneller verstehen. Sollte letzteres zutreffen, möchte ich die Geschichte gerne wissen. Wie oft wurde er wohl schon angehupt? Täglich? Zwei Mal pro Woche? Diese dämlichen, ungehaltenen Autofahrenden. Ich mag sie nicht. Der Mann. Er bleibt daher haften, da er sehr, sehr langsam unterwegs ist, was auch seinen Grund hat. An beiden Armen hat er eine Gehhilfe. Romantisiere ich es, wenn ich es gut finde, wenn er zu Fuß unterwegs ist? Vielleicht kann er sich ja ein fahrbares Gerät nicht leisten. Wer weiß das schon. Seine Schritte sind extrem klein. Sie gehen kaum über Fußlänge hinaus. So dauert eine Straßenüberquerung länger als bei anderen. Seine Einkaufswege müssen Marathone sein. Irre. Das bleib haften. Ich wünsche ihm eine schöne Adventszeit.
Hier gibt es nun temporeich auf die Ohren. Lässt sich ja zum Glück auch sitzend genießen! Los:
Bipolar Feminin (ms) Diese Programmatik mag ich sehr. Eine klare Ansage. Ein irrer Plan. Größenwahn. Gefahr. Verrücktheit. Doch, was das alles erst so richtig gut heraufbeschwört, ist Zorn! Zorn ist eine treibende Kraft. Wut steht nur auf der Stelle und bekommt Schaum vorm Mund. Zorn geht darüber hinaus. Zorn macht aktiv. Zorn schwelt, brummt, kocht, geht wesentlich tiefer. Ich bring' euch alle um! Klar, eine einfache Zeile, aber der Kontext muss dazu gedacht werden. Hass, nein, Zorn aufs Patriachat, auf diese ganzen ätzenden Scheißtypen. Die Welterklärer, Besserwisser, Grapscher, Idioten. Ich töte euch alle! Das singen Bipolar Feminin aus Wien zu einem unfassbar griffigen 80er-Jahre-Rotzrock! Der Zorn, der darin liegt, geht tief, er ist zu hören, zu spüren. Und ich nehme ihn der Band ab. Das ist die wahre Programmatik, die ich Tocotronic beispielsweise nicht mehr abnehme (feiern tue ich sie dennoch). Süß Lächelnd heißt die erste Single aus der kommenden EP des Quartetts. Im Februar soll sie erscheinen und ich freue mich immens drauf. Das kommt von Herzen, dort her, wo es brennt, lodert, wo es sich auch angestaut hat. Und wenn sie bei der Umsetzung ihres Planes Hilfe brauchen, ich bin sofort dabei!
Oasis
(sb) Ja, wir sind spät dran! Live in Knebworth erschien nämlich bereits am 19.11., aber wenn wir penibel sind, ist das ja gar nichts verglichen mit der Verspätung der Gallagher-Brüder, denn das nun veröffentliche Konzert fand bereits im Jahr 1996 statt. So, Denkzentrum kurz anstrengen und nachrechnen. Richtig, 25 Jahre! Jubiläum also. Damals versammelten Oasis eine Viertelmillion Menschen an zwei Tagen im Knebworth Park in Hertfordshire und rissen eine Setlist vom Feinsten runter. Alter Verwalter, was hatten die Hymnen und Banger! Auch wenn sie - wie ich mehrmals leidvoll erfahren musste - nicht die beste Live-Band aller Zeiten waren, so stellt dieses Doppel-Album doch ein wunderbares Zeitdokument dar und bei Tracks wie Live Forever, Supersonic, Don't Look Back In Anger, Whatever oder Wonderwall kann man sowieso nichts falsch machen. Nie. Und ja: Ich vermisse Oasis. Aber das ist eine ganz andere Geschichte...
Blood Red Shoes (ms) Sommer 2019. Es scheint eine völlig andere Welt zu sein, die sich in meinen Erinnerungen ausbreitet. Nein, sie ist nicht vorüber, sie pausiert nur. Die Festivalsaison startete für mich mit dem Deichbrand im hohen Norden und einem irren Wochenende mit ganz herausragenden Menschen und beeindruckender Musik. Freitag, 17 Uhr. Sicher war das eines der überraschendsten Auftritte. Die Band kannte ich nicht, der Rest war ja irgendwie vorhersehbar. Blood Red Shoes standen auf der Bühne, viel zu wenig Menschen davor, die ihre Kunst bewundern konnten, bewundert haben. Alle, die woanders waren, haben eine energiegeladene Show und einen starken Beweis an druckvoller Gitarrenmusik verpasst. Im Januar erscheint bereits das sechste Album der Briten - Ghosts On Tape. Es ist eine Sammlung an extrem düsteren Themen, die sie in Lieder gegossen haben. Mordphantasien, Passagen aus True Crime Podcasts, Psychosen aller Art. Der Hang zum Morbiden gefällt mir sehr - nicht umsonst schlägt mein Herz für die österreichische Literatur. Passend heißt die erste Single Morbid Fascination. Die Band ist ein Duo. Das finde ich stark, denn die Frage lautet dann immer, wie sie es schaffen einen breiten Bandsound zu zweit auf die Bühne zu bringen. Im Sommer vor zwei Jahren gelang es ihnen mit spielerischer Leichtigkeit. Und trotz der bedrückenden Themen haben sie sich für einen eingängigen Klang entschieden - sicher keine schlechte Idee. Sie zeigen sich elektronisch, dicht, griffig! Das macht Bock aufs Album! Und einen Festivalsommer!
Kid Dad
(sb) Oh ja, immer wieder geil! Schon ihr Album In A Box wusste zu gefallen und mit der Bloom EP (VÖ: 10.12.) legen Kid Dad angemessen nach. Fünf Tracks, verletzlich, aber doch wie eine Raubkatze auf der Lauer und ständig zum Sprung bereit. Die ruhigen Momente weisen eine so intensive Präsenz aus, dass man sich wahrhaftig verfolgt fühlt - aber irgendwie auf eine angenehme, aufmerksame Art und Weise. Erstaunlich, wie es der Band aus Paderborn erneut gelungen ist, sich neu zu erfinden und sich gleichzeitig treu zu bleiben. Ganz stark, sehr spannend und extrem hörenswert!
Still Talk
(ms) Mehrmals hinhören. Das ist so unglaublich wichtig, denn sonst könnte es zu katastrophalen Fehlinterpretationen kommen. So ereignete es sich diese Woche, als ich Nothing von Still Talk zum ersten Mal gehört hatte und dachte: Ach, was für ein tolles Liebeslied. Nun, Fehlgriff. "Nothing handelt vom Verlust des Selbstwerts, von der völligen Selbstaufopferung für jemand anderen und von der Angst, diesen Verlust erneut zu erleben", erzählt Sängerin Tanja Kührer. Upsi!!
Schön ist das Lied jedoch alle Male. Und wird im Februar auf einer 7-Track-EP erscheinen, die facettenreicher nicht sein könnte - wahre Kunst (s.u.). Denn: Zwei weitere Stücke sind bereits erschienen. Dreaming ist ein Skatepunk-Song à la Avril Lavigne und Veronica setzt dem ganzen nochmal die Krone auf als verträumter Indiepopsong. Die EP wird den gut einprägsamen Namen A Short Collection of Songs About How Easily I'm Distracted heißen und ich bin jetzt schon super gespannt, was sich hinter den anderen vier Stücken verbirgt!
Waving The Guns (ms) Viele Möglichkeiten für ein fulminantes Liveerlebnis gab es dieses Jahr nicht. Eine der Gruppen, die das gut ausgereizt haben, sind Waving The Guns. Im Sommer sah ich sie in Oldenburg am Tag bevor ich in den Urlaub fuhr. Möglicherweise war ich am Abreisetag nicht so fit. Und das liegt nicht am strömenden Regen während des Gigs. WTG verfolge ich schon recht lang und ich bin stark begeistert von ihrem Wandel und Output. Die personelle Konstellation veränderte sich, die Qualität stieg immer weiter. Das meinte Milli Dance auch live, dass er es noch nie so stark genießen konnte wie jetzt. Was für eine tolle Aussage, auch wenn der Weg dahin sicher nicht leicht war. Nun legt das wortstarke Ensemble aus Rostock nach. Heli heißt der Track, der seit dieser Woche draußen ist. Wow! Erneut zeigt sich Milli Dance als knallharter Chronist der Zeit - mag ein abgedroschener Begriff sein, wahr ist er alle Male. Konsequent hart in der Aussage, nie wankend im Standpunkt. So geht das. Das Rezept: Ein Kopfnickerbeat, Humor, doppelter Boden, Punchlines, die hängen bleiben und einen gut trainierten Mittelfinger an die Neoliberalen! Und so legen sie nach. Im kommenden Jahr gibt's wohl eine frische Platte, viele der Livetermine sind bereits ausverkauft. Es spricht so vieles für diesen eingeschlagenen Weg!
The Mind Is Complex
(ms) Was kann musikalische Kunst? Vieles. Zum Beispiel: Identifikation und Katharsis, wenn das Gehörte das selbst Gefühlte um ein viel stärkeres Maß ausdrückt, als ich es selbst könnte. Oder: Unterhaltung, wenn ein Konzert es schafft, für zwei Stunden alles um mich herum und in mir drin zu pausieren. Kunst kann aber auch verwirren, anecken, stutzig machen, Fragen aufwerfen. So geht es mir, wenn ich The Mind Is Complex wahrnehme. Mein erster Gedanke beim Track Deformation war: Puh, dem fehlt irgendwie die für mich so notwendige Harmonie. Doch es schwingt auch mit: Damit kann ich etwas anfangen. Es ist überhaupt nicht mein Stil, doch es spricht mich unterschwellig an. Ich möchte den Text verstehen und die Musik an mich heranlassen, die stakkato- und stroboartig den Körper bewegt. Hinter dem Namen steht Lorina aus Berlin, die mit ihrer Art des Raps durchaus auch direkt für Verwirrung sorgen will. Sowohl im Wechsel der Sprache aber auch im Wesen des männlich dominierten Rap! Zusammen mit ihrem Produzenten Jari veröffentlicht sie jeden Monat einen Track, bis im Februar die gesamte EP erscheinen wird. Künstlerische Wirkung - voll entfacht!
(ms/bs) Grenzenlosigkeit. Das ist einer der ersten Begriffe wenn ich an Barbara denke. Natürlich hat sie welche, ist ja normal. Aber sie sind je nach Thema extrem weit gefasst oder schier nicht zu sehen. Von Kunst habe ich keine Ahnung. Also wirklich nicht. Ich finde Dinge schön, aber von Technik, Material, dem Handwerk dahinter verstehe ich nichts. Das lasse ich mir von Barbara zeigen. Das passiert immer wieder mal und dann umso schöner. Wir haben mal zusammen gearbeitet, aber das war nur der Lötpunkt des Kontakts. Es geht nie viel um denselben Job, den wir ausführen. Sondern immer um mehr, anderes, Dinge, die uns begeistern. Es ist ein ganz stilles Nehmen und Geben ohne Erwartungen. Oft sind es Worte. Die kommen in der Regel mit Klang einher und dann beginnt eine wahnsinnige Reise. Barbara ist die Person, die mir zu dem Geschreibsel hier die schönste Rückmeldung gibt. Von 'das ist ja phantastisch - also wirklich' bis zu 'Das kann aber echt nicht dein ernst sein - was hast du dir denn dabei gedacht'. Das mag ich sehr. Grenzenlos ist auch ihr Musikgeschmack. Alles, was sie mir zeigt, habe ich vorher noch nie gehört. Sie bewegt sich in Tiefen des Experimentellen. Fühlt ganz viel und ist ganz begabt, ihre Begeisterung in einem Gesichtsausdruck zu zeigen. Dass wir uns kennen, ist ein großes Glück für mich. So waren wir gemeinsam in Rotterdam. Der Deal: Ich kümmere mich um die Abende, sie um die Tage. Der Rest bleibt privat, weil es uns gehört. Wie wunderbar grenzenlos. Das hier:
Musik des Jahres
John McLaughlin: Liberation Time, 2021 SPÄTER ABEND IM JAZZCLUB ORANGE - ROT Der Raum ist voller Menschen. Angespannte Vorfreude liegt in der Luft. Die einsetzende Musik sprüht Funken. Energie erfasst alles. Die Kraft der Musik vereint und lässt glühen.
Kali Trio: Loom, 2021
NACHT
IN EINEM INDUSTRIEGEBÄUDE
GRAU - SCHWARZ - BLAU
Raus auf die Straße! Die kühle Luft tut gut.
Industriebauten reihen sich aneinander.
Ein blaues Licht lockt mich in eins der Gebäude.
Die Musik erzeugt einen Sog.
Tanzen! Fühlen! Vergessen!
Floating Points, Pharoah Sanders & London Symphony Orchestra: Promises, 2021
FRÜHER MORGEN
AUF DEM BALKON
WEIß
Die Müdigkeit treibt mich nach Hause.
Liegen. Draußen, auf dem Balkon.
Der Klang umhüllt mich sanft und lässt zur Ruhe kommen.
Tiefe Entspannung.
Ich schaue zu, wie die Nacht schwindet und ganz gemächlich ein neuer Tag beginnt.
Chantal Acda: Saturday Moon, 2021
FRÜHER ABEND
IN DER STADT
VIOLETT
Wir bleiben sitzen, bis es dunkelt.
Die Lichter der Stadt locken uns.
Auf der Suche schlendern wir durch die Straßen.
Placebo: Without You I'm Nothing, 1998
SPÄTER ABEND
IRGENDWO
BUNT
Genau das fehlte uns!
Das Album läuft in Dauerschleife.
Nicht mehr als dies ist nötig für unser Glück.
Caroline Shaw, Sō Percussion: Let The Soil Play Its Simple Part, 2021
VORMITTAG
IM GARTEN
GRÜN
Der Morgen ist luftig und hell. Pflanzenduft liegt in der Luft.
Die Schritte hinunter zum Garten fallen mir leicht.
Im Kopf kreist auf angenehme Weise ein Vers ohne Sinn.
Moritz Krämer: Die Traurigen Hummer, 2021
MITTAG
UNTERM APFELBAUM
ROSA
Jemand kommt vorbei.
Wir teilen Speisen und Getränke, Stimmung, Mittagsträgheit und Gelassenheit.
Worte haben kein Gewicht.
LELÉKA: Sonce u Serci, 2021
NACHMITTAG
IM PARK
GELB
Die Sonne scheint.
Im Park warten andere liebe Menschen auf uns.
Wir erzählen uns Geschichten von überall und nirgendwo.
Gemeinsam reisen wir um die ganze Welt.
Beste Liveerlebnisse:
Grandbrothers in Rotterdam, LantarenVenster
Diesen Abend möchte auf der Stelle aus anderer Perspektive noch einmal erleben.
Eine phantastische Show!
Daniel Puente Encina in Hamburg, Harburger Fischhalle
Daniel Puente Encina verzauberte an diesem Abend alleine mit Gitarre und Stimme in unglaublich entspannter Atmosphäre.
(ms/cm) Über das Glorifizieren vergangener Zeiten. Wobei hier ja schon der erste Fehler liegt. Denn: Diese Zeiten sind nicht vergangen. Ihr Ursprung ist nur schon zwölf, dreizehn Jahre her und wir sehen uns nicht mehr so oft. Doch es knistert noch gewaltig. Es macht mich unglaublich froh und stolz, dass wir uns immer noch kennen. Denn das Gefühl ist beim ersten Blick wieder da. Es klingt wie die große Liebe - vielleicht ist es das ja auch, wenn Christian und ich uns begegnen. Er am Rhein, ich an der Hunte. Völlig egal. Denn die Legende erzählt sich so: Es war am 3. Oktober 2008 im fulminanten Forum, Bielefeld. Visions Party. Der Hauptact war schon etwas bekannter, hatte aber längst nicht den Status wie heute. Vorher spielten Saboteur und Herrenmagazin - Deniz Jaspersen war saubesoffen. Wir vielleicht auch. Und warteten auf Portugal. The Man. Bis heute ist nicht widerlegt, dass wir sie an diesem Abend entdeckt haben. Man möge uns das Gegenteil beweisen. Das ist die Geschichte. Und sie ist noch lange, lange nicht vorbei. Christian, ein vollkommen verrückter Typ mit herausragendem Geschmack. Was mir besonders gut gefällt: Sein Wahnsinn in der Musikleidenschaft. Ja, es ist ein wichtiges Thema. Es geht um Gefühl, Bestimmung, Religion. Danke!
Lieder des Jahres
Andreas Vey – Strangers Wenn ein Künstler aus Ostwestfalen-Lippe kommt, dann ist das schon etwas Besonderes. Kreative Ausdrucksformen sind auf dem Dorf eher selten anzutreffen und man wird eher belächelt, als dass es ernstgenommen wird. Wenn man mit diesem Künstler sogar lange Zeit Musik gemacht hat, dann ist man vielleicht ein wenig voreingenommen, weil sich zeigt, dass das, was man damals schon vor Augen hatte, doch noch zu etwas Größerem geführt hat. Als Band, die den eigenen Wirkungskreis nicht über die Grenzen von Lippe ausweiten konnte, freut es mich umso mehr zu hören, was Andreas in diesem Jahr alles herausgebracht hat. Er bietet dem Zuhörer einen intimen Einblick in seine Gedankenwelt, während er sich musikalisch in Sphären zwischen zart und zerbrechlich und gleichzeitig ausdrucksstark und kraftvoll bewegt.
James Blake – Famous Last Words Kaum ein Künstler vermag es so eine dichte Atmosphäre in seiner Musik zu erschaffen wie James Blake. Gefühlvoller Gesang wird untermalt mit elektronischen Klängen und lassen einen in einen dichte Soundkulisse eintauchen, welche unfassbar vielseitig aufgebaut ist. Elektronische Musik und Soul treffen aufeinander und bieten den perfekten Klangteppich für die Texte von Blake, welche direkt aus dem Leben gegriffen scheinen.
Jack White – Taking Me Back Schon mit den White Stripes hat Jack White der Musikwelt seinen Stempel aufgedrückt und auch heute noch veröffentlicht dieser in verschiedensten Formationen (The Raconteurs, The Dead Weather und auch als Solokünstler) seine Musik. Der Stil dieser Musik variiert, jedoch erkennt man in fast allen Liedern das, was schon die White Stripes ausgemacht hat. Geradlinige Rockmusik, mitreißend, aber immer wieder mit überraschenden Wendungen. Und auch in diesem Jahr hat Jack White genau dieses Konzept bedient. Ein eingängiger Gitarrenriff, der sofort deutlich macht, was einem in den nächsten Minuten erwarten wird, welcher plötzlich durch überraschende Wechsel in neue, unerwarteten Parts des Songs führen. Der Song ist immer noch derselbe, aber man wird auf eine wilde Reise geschickt, gespickt mit verrückten Gitarren- und Soundeffekten. Die Ankündigung im nächsten Jahr dann nicht nur ein, sondern direkt zwei Alben herauszubringen, lässt Großes erhoffen.
Alben des Jahres
Greta van Fleet – The Battle at Garden’s Gate Greta van Fleet haben direkt mit dem ersten Lied deutlich gemacht, in welche Richtung sie gehen möchten. Die Band klingt, als wäre sie ca. 40 Jahre in der Zeit stehen geblieben. Sie bedienen eine Sparte, die davon lebt davon zu schwelgen, dass die Musik damals besser, vielseitiger und noch handgemacht war. Und so bedienen sie sich aus einem reichlichen Repertoire aus der Vergangenheit, welches immer noch erstaunlich gut funktioniert. Wenn die Gitarrenriffs und der Gesang klingt wie von Led Zeppelin eingespielt, dann ist das nicht besonders einfallsreich, aber erfreulich, weil die Bands von damals selten noch etwas herausbringen. Greta van Fleet betreiben Fanservice und auch wenn das manchmal ein wenig deplatziert in der heutigen Zeit wirkt, so ist es dennoch schön, dass sich Musiker auf Altbewährtes berufen und alte Helden rezitieren.
We are Scientists – Huffy Diese Band hat mich damals mit dem ersten Album schon abgeholt. Sie galten in den 2000-er Jahren als große Indie-Hoffnung und haben mit dem Album ‚With Love and Squalor‘ einiges an Bekanntheit erlangt. Nun sind die großen Zeiten des Indie-Rocks inzwischen vorbei und diese Band bringt weiterhin Alben heraus, welche das Gefühl von damals sehr gut auffassen und den Zuhörer ein wenig nostalgisch werden lassen, ohne dabei wie eine Kopie ihrer selbst zu klingen. Hier handelt es sich um astreinen Indie-Rock, der noch immer Spaß macht und erfrischend klingt.
Royal Blood- Typhoons Schon die ersten beiden Alben dieser Band konnten mich mitreißen und auch das neueste Werk der Briten trifft genau diesen musikalischen Nerv in mir, der mich auf Anhieb begeistert. Zwar basieren die Lieder weiterhin auf dem gut funktionierenden Fundament aus Bass und Gitarre, jedoch wurden auf dem neuen Album die Lieder um ein paar zusätzliche Komponenten erweitert. Das klingt nun nicht nur wesentlich vielseitiger, sondern ermöglicht es auch mal ruhigere Momente auf dem Album zu inszenieren (‚All We Have Is Now‘), welche man vielleicht gar nicht so von dieser Kombo erwartet hätte. Aber auch hier finden sich prägnante Basslines und mitreißende Melodien, welche nur dazu verleiten sich diesen hinzugeben und das Tanzbein zu schwingen.
Bestes Live-Erlebnis
Bukahara – Picknickkonzerte Wiesbaden Da auch in diesem Jahr die Live-Erlebnisse sehr rar gesät waren, war es umso erfreulicher, dass in der Phase einer Pandemie ein Konzertformat umgesetzt werden konnte, das sogar einige Vorteile mit sich brachte. Ein Konzert entwickelt eine ganz eigene Dynamik, das Publikum wird mitgerissen, Leute werden (je nach Musikrichtung) zum Tanzen animiert. Wenn es eine Band dann schafft, trotz aktuell geltender Abstandregelungen eine Masse zur Bewegung zu bringen, dann spricht das für die Musik und die Euphorie, welche diese Band vermittelt hat. Einen solchen Moment durften wir mit Bukahara in Wiesbaden erleben. Das Konzert hat entspannt auf der eigenen Picknickdecke mit dem selbst mitgebrachten Biervorrat gestartet und mündete darin, dass sich die Leute in den Armen lagen, nur ein wenig weiter entfernt als sonst üblich. Ein Moment, der Zuversicht geschenkt und Hoffnung auf (hoffentlich bald wieder) normal stattfindende Konterte gemacht hat.
(ms/mmh) "Musik und Leben sind zwei Paar Schuhe / Dass ich nicht lache, lass mich in Ruhe" - Kettcar Wie soll es möglich sein, objektiv über Musik zu schreiben?! Es ist nicht möglich. So kalt kann kein Mensch sein. Selbstredend kann ein objektiver Text viel, aber nur wenige Emotionen vermitteln. Musik losgelöst vom eigenen Leben - für mich vollkommen unvorstellbar. Dafür bedeutet das alles viel zu viel. Es ist nicht nur Unterhaltung, sondern auch Lebensmittel. So muss ich an dieser Stelle auch eine Lobeshymne auf Maren anstimmen, die uns hier ihren Rückblick präsentiert, der ganz wundervoll geworden ist. Wir arbeiten seit eineinhalb Jahren zusammen. Wobei... das stimmt nicht. Das wäre zu unpersönlich. Wir sind ein Team! Es ist ein völlig unkompliziertes Geben und Nehmen mit einer unaussprechlichen Selbstverständlichkeit. Täglich kommt eine Dankeswelle aus beiden Richtungen mit dem Hinweis, dass das gar nicht sein muss. Doch. Muss es. Danke.
Top 3 Alben Platz 3: Silent Alarm
live – Bloc Party Verrückt. Das Live Album
ist schon 2019 erschienen – und es ging total an mir vorbei. Dabei
ist es die Liveversion meiner Jugend! Ich weiß nicht, wie oft ich
diese Band live gesehen habe. Ich kann nur schätzen, wie oft mein
last.fm Account dieses Album zwischen 2005 und 2010 rauf und runter
gescrobbelt hat. Dieses Album ist nach wie vor eine einzige Party –
von vorne bis hinten.
Platz 2: I See You -
The xx Bereits während meiner
ersten Festivaljahre tauchten The XX immer mal in den Line-Ups
auf. Auf meinem musikalischen Horizont allerdings waren sie damals
noch nicht zu sehen. Die verzaubernde Stimme von Romy habe ich
erst im vergangenen Jahr für mich entdeckt – warum auch immer. Das
Album vereint tanzbare und sinnliche Songs zugleich. On Hold
und Dangerous finden sich sogar auf meiner Laufplaylist
wieder. Say Something Loving hat eine hypnotisierende Wirkung
auf mich – wer mich kennt weiß: Das ist quasi unmöglich! Mein
Highlight… Ich bin sprachlos. Hach… <3
Ich bekomme geradezu
wieder Festivalsehnsucht wenn ich Livemitschnitte ansehe und hoffe,
dass das seit 2019 angekündigte neue Album nicht zu lange auf sich
warten lässt!
Platz 1: Das Licht dieser Welt –
Gisbert zu Knyphausen Ich weiß nicht ganz
genau, wie es dazu gekommen ist, dass ich hier um einen Einblick in
mein musikalisches Jahr gebeten werde… Vor 10 Jahren hatte ich eine
Meinung zu einer unglaublichen Bandbreite an Bands und Musikern…
Heute habe ich das Gefühl auf diesem Terrain alt geworden zu sein.
Spätestens mit einem Fulltimejob, zwei Kindern und einem mehr oder
weniger klassischen Familienleben, kann ich dem riesigen Spektrum an
all dem Neuen und Beachtenswerten in der Musikwelt nur noch mit ganz
viel Nachhilfe und Input aus 3-5 Ecken meines Freundeskreises folgen.
Mein letztes Konzert liegt mittlerweile zwei Jahre zurück – Corona
sei Dank. Doch hängen geblieben ist, wie sehr sehr sehr sehr ich
diese Welt vermisse und was sie mir immer gegeben hat.
Winter 2019: Gisbert
zu Knyphausen in der Kulturetage Oldenburg. Was soll ich sagen –
ich habe hier so ungefähr alle Emotionen durchgemacht, die man so
durchmachen kann. Krass, denn Herr von und zu Knyphausen kam dabei
komplett ohne irgendeine Art von Show oder Interaktion mit seinem
Publikum aus. Kein Witz – der Typ kündigte stumpf nacheinander
seine Songs an und spielt sie dann runter. Einerseits
gewöhnungsbedürftig, andererseits würde auch nichts anderes all
dem, was er musikalisch und poetisch zu bieten hat gerecht. Dieser
Mann ersetzt mit seiner Musik jede Art von Psychotherapie. Was hätte
man in diesem Jahr also mehr brauchen können? Das Licht der Welt
belegt 2021 bei mir definitiv Platz 1 in meinem Leben. Wenn ich Stadt,
Land, Flucht höre, fühle ich jede Zeile in Mark und Bein.
Unglaublich. Für Keine Zeit zu verlieren habe ich keine
passenden Worte. Kommen und gehen…. Ehrlich…auch nicht.
Mit keinem Wort würde ich dem gerecht werden, was da thematisch
angefasst und künstlerisch hochsensibel verpackt und präsentiert
wird. Das muss man hören und seinem Inneren einfach freien Lauf
lassen.
Top 3 Songs Platz 3: Wenn du tanzt – Von Wegen Lisbeth Sich Lebensfrust von der Seele tanzen -
das war schon immer mein Ding. Ich denke aus diesem Grund hat Wenn
du tanzt schlussendlich den herzzerreißenden Kampf um Platz 3
gegen Ratchet von Bloc Party gewonnen. Es ist in diesem
Jahr bei mir einfach zu einer Hymne geworden, die mich in einigen
Tiefphasen über Wasser gehalten hat. Merci, Von Wegen Lisbeth!
Platz 2: Die Sterne von Alterlaa – Wanda Auch an dieser Stelle hätten, wie auf
Platz 3, auch ein Henning May, die Bright Eyes, Massive
Attack oder Placebo stehen können: Herrliche,
vermeintlich unbeschwerte Spätsommerabende auf der Terrasse, am See
oder gar Meer, mit Bier, Wein, Kerzen… Nun. Es ist aber Wanda. Die Band
verbindet mich mit einer guten Freundin. Eine, mit der ich die
verrücktesten Dinge (und das ist wahrhaftig nicht übertrieben)
erlebt und angestellt habe. Auch als Erwachsene noch. Auch, als ich
bereits Kinder hatte…. Eine Freundin, die mich im Leben neben
Familie und Kindern gehalten hat. Die verdammte Pandemie hat leider
geholfen einen üblen Keil in unsere „Beziehung“ zu rammen. Das
hat lange sehr sehr weh getan. Viel persönliches mimimi – lange
Rede kurzer Sinn: Die schrägen Texte von Wanda kleben an meinen
Synapsen (geht das?) und damit auch der einzige Song aus 2021 in
dieser Rangliste: Die Sterne von Alterlaa. Da kann auch Herr
May (in den ich eben nur seiner HEFTIGEN Stimme wegen verliebt bin)
nichts machen.
Platz 1: Springen – Marcus Wiebusch Wieder das Wort „Hymne“. Ehrlich
gesagt habe ich keine Ahnung, in welchem Kontext der Song geschrieben
wurde. Was ich aber weiß: Springen spricht mir aus der Seele.
Und das nicht erst seit 2021. Ich weiß nicht, was oder wer da kommen
sollte, um diesen Song von Platz 1 meines Lebens zu verdrängen. In
diesem Jahr noch weniger als sonst.
(sb) Schnee im Sommer. Super Album. Für mich eins der besten (oder gar das beste...?) des Jahres. Veröffentlicht von Mola, mir bis vor wenigen Monaten gänzlich unbekannt. Und dann sowas, so ein Kracher. So viel Weisheit aus dem Munde einer jungen Frau. So viel Gefühl, so viel Enttäuschung, so viel Leidenschaft, so viel Leben. Ganz großartig und hoffentlich erst der Anfang von dem, was da noch kommen mag. Soll auch live sehr geil sein, wenn man Augenzeugenberichten Glauben schenken darf. Bekanntlich ist der Glaube in der Weihnachtszeit ja besonders gefragt, also tun wir das nun einfach mal.
Umso mehr freuen wir uns, dass Mola unseren Adventskalender mit ihren musikalischen Highlights des Jahres 2021 bereichert. Viel Spaß damit!