(Ms) Am 18. Juni 2007 erschien die Single Smokers Outside The Hospital Door von den Editors. Bis heute hat der Track, sicher nicht nur für mich, wenig an Energie verloren. Die Gitarren, die Energie, der Text. Und natürlich die Stimme! Die Stimme von Tom Smith prägt seit gut zwanzig Jahren den Sound dieser britischen Band. Bei all dem Wandel in ihrem Sound blieb sie und glänzt immer wieder, bei den elektronischen und bei den analogen Tracks.
Das oben genannte Stück war das erste, das ich von dieser Band hörte, ich sah sie öfter live und habe viel gestaunt. So ein Bandleben macht natürlich auch etwas mit ihren Mitgliedern. Zusammen mit Andy Burrows hat Sänger Tom Smith bereits zwei Alben abseits der großen Band herausgebracht. Nun folgt diesen Freitag die erste Platte, die nur seinen Namen trägt, an dessen Klang er weitgehend alleine gewerkelt hat. There Is Nothing In The Dark That Isn‘t There In The Light heißt das Werk, das 10 Tracks und gut 40 Minuten Spieldauer aufweist. Der Titel hat eine dezente Ying-und-Yang-Atmosphäre, oder?
Wie dem auch sei… Es geht ruhig zu auf diesen Liedern. Viel Akustikgitarre, ein bisschen Bass, hier und da mal Streicher und Bläser, wenig Schlagzeug, viel Stimme. Dadurch entsteht auch viel Nähe. Und Ruhe. Etwas, was in diesen Tagen, die vor Trubeligkeit nur so platzen, stark vonnöten ist.
Nah am Herzen ist diese Musik gebaut. Musikalisch als auch inhaltlich. Es geht um Verbundenheit, Trennung, die großen Fragen des Lebens, Liebe, genutzte und verpasste Chancen. How Many Times ist zum Beispiel ein toller Track, der zeigt, wie wichtig es ist, dass wir uns gegenseitig Halt geben. Dass wir in guter Art und Weise voneinander abhängig sind. Dazu ist dieses Lied wunderbar arrangiert, es kommt immer eine Ebene hinzu und am Ende strahlt es hell und leuchtend! Eine großartige Hymne aufs Leben ist Life Is For Living. Egal, wie es läuft, es gilt unsere limitierte Zeit auf dieser Erde zu füllen. Mit Gutem, für all die Menschen, die für uns da sind inklusive Gänsehautgarantie, wenn die Streicher erklingen, ein Chor singt und Tom Smiths Bariton sein volles Volumen darbietet - wow! Lights Of New York City ist ein schmerzhafter Blick zurück in eine Zeit, die nicht mehr aufgewickelt werden kann. Sehnsucht, Melancholie, Nostalgie, abgeschlossene Vergangenheit - garniert mit tollem Trompetensound! Saturday, das letzte Stück, ist eine tolle filmische Szene. Eine Bühne, Rampenlicht, Applaus. Doch das einzige, was das lyrische Ich will, ist mit seinem nahen Gegenüber, seiner Liebe (?), zu reden, bis man endlich zu Hause ist. Mit dem Versprechen, dass das Ich zuhört. Hach… wie schön!
Die Stärke dieses Albums ergab sich in meinen Ohren nicht direkt beim ersten Hören. Dafür fehlt mir etwas Energie im Sound. Das Reduzierte ist schön, packt mich aber nicht. Doch die Tiefe der Texte packt mich, sie sind im besten Sinne einfach gehalten, sodass sie ganz unmissverständlich sein können. Tom Smith legt hier abseits des großen, wummernden Sounds der Editors eine tolle Platte hin, die Verletzlichkeit und Menschlichkeit in den Mittelpunkt rückt und dadurch glänzt - Hut ab!
(Ms) Hinhören. Zuhören. Zwei Fähigkeiten, die vielen Menschen in unserer Zeit zunehmend abhanden kommen. Letztens las ich Momo von Michael Ende. Das Buch ist aus den 70ern. Es könnte auch eine phantastische Fabel auf unsere Zeit sein. Wer setzt sich denn schon hin und hört den anderen zu? Insbesondere denen, mit denen man nicht übereinstimmt. In der Regel wird verbal draufgehauen und die eigenen Hörkanäle werden blockiert. So kommen wir nicht weiter. Zuhören also. Gesellschaftlich wichtig.
In der Kunst genauso. Denn je aufmerksamer wir der Kunst lauschen, desto größer werden die Welten, die sich in ihr verbergen. Und wir können eintauchen und anfangen zu staunen. Ist das nicht eines der schönsten Dinge auf der Welt?! Ja, oder? Gut, dass es Steiner & Madlaina gibt. Ihr neues Album Nah Dran gehört mit zum Schönsten, was dieses Jahr an neuer Musik erschienen ist. Anfang November kam diese Platte ans Tageslicht. Sie ist textlich groß und musikalisch breit und ein großer Beweis von wahrem Künstlerinnentum!
Es geht sehr puristisch los. Da Bist Du heißt das erste Stück, nur Stimme und Klavier. Und die Stimme singt einen Text, der direkt den Atem stocken lässt. Ein Lied über die Liebe, ein Lied über das, was Menschen zusammen hält. Ein Lied übers Ich-bin-für-dich-da. Auf der einen Seite zart und zerbrechlich, auf der anderen Seite voller Stärke und Halt. Wow, der erste Treffer sitzt! Zuhören lohnt sich auch bei Hend Mir Nur Wele Glücklich Si? Ich finde es so toll, dass die beiden immer wieder auf Schweizerdeutsch singen. Als in NRW Geborener und nun im Norden zu Hause-Seiender verstehe ich so gut wie kein Wort. Aber es lässt sich dieses und jenes erahnen, mitlesen ist ganz hilfreich. Was mich hier aber stark begeistert, ist der wundervoll arrangierte Refrain. Das Stück ist eher leise und melancholisch gehalten. Der Refrain lebt von Energie und Dringlichkeit. Wow, wie toll ist das denn bitte gemacht?! Gänsehautgarantie dank Kontrabass und Bläsern! Ich Hab Alles Und Die Liebe Satt ist ein herrlich-schmerzvoller Track über das Gefühlschaos am Ende einer Liebe. Das lyrische Ich läuft durch die nächtliche Stadt und mäandert zwischen Sehnsucht und Endgültigkeit. Wer kennt es nicht?!
Vor Stell Sie Mir Vor gilt es den Hut zu ziehen. Dieser Text ist großartig. Ein wenig nebulös und voller interpretatorischer Tiefe. Ich glaube, es geht auch um die Liebe und all den Seiten, die da mitschwingen. Stolz, Kummer, Zweifel. Außerdem ist auch dieses Stück einfach meisterlich arrangiert. Mit Kinderchor, Streichern, großen Gefühlen und sehr viel musikalischem Sachverstand. Man kann sich nur vor Nora Steiner und Madlaina Pollina verneigen - was für Künstlerinnen! Apropos Arrangement! Fairplay ist auch so ein Hammer - ein Stück aufgebaut wie ein großes Crescendo. Was holen die beiden nur raus aus dem musikalischen Werkzeugkoffer?! Uh La La Träum Von Dir ist nicht nur ein toller Beweis, dass die beiden auch die Gitarren knallen lassen können, sondern auch ein ganz seltenes Fundstück, dass es durchaus sehr gut möglich ist, mit der deutschen Sprache Intimität zu zeigen. Und wie!
Logisch, Nah Dran ist ein Album, bei dem es viel um die Liebe geht. Aber nicht verträumt und naiv. Es ist kaum zu glauben, wie klug die beiden Musikerinnen hier texten. Vor diesem musikalischen Werk gilt es, sich auf die Knie zu senken und dankbar zu sein, dass es solche Lieder gibt. So stark arrangiert. Textlich so tief und groß aufgestellt. Diese Platte gehört sicher zu den Schönsten und Schlausten, was seit langem veröffentlicht wurde! Zuhören… es lohnt sich!
(Ms) Es gibt Genres, die hier aus unerfindlichen Gründen wenig repräsentiert sind. Fast alles Elektronische beispielsweise. Ich kann es mir nicht erklären, aber es ist so. Dabei wohnt Techno, Electro oder wie man das auch immer nennen mag, so viel Kraft inne. Insbesondere wenn es nicht ganz so sehr einer Spielart verfestigt ist.
Damit sind wir beim Bremer Künstler Orbit, der Mitte November sein erstes Album veröffentlicht hat. CountlessFeelings But So Few Words. Allein dafür sollte man ihn über alle Maßen loben. Was für ein schöner Titel. Ja, was wenn all den Emotionen die Worte fehlen?! Und das nicht, weil man sich nicht ausreichend damit auseinandersetzt sondern weil es sie einfach nicht gibt. Oder nur begrenzt. Das Fühlende benennen, entzaubert ja auch die Magie. Und magische Momente sind auf diesem Album einige vorhanden. Summertime, der Opener, beginnt gar mit sanfter Gitarre bis er sich immer weiter aufbaut. Ja, es ist super Sommer-Abhäng-Musik, doch sie funktioniert in der dunklen Jahreszeit genauso gut. Bei einem Track namens Berlin ist klar, dass Großstadtvibes kommen. Doch es sind eher die, die den Großstadtlärm von einem fern halten. Viel mehr lässt sich damit als Soundtrack herrlich gut das Treiben beobachten, von dem man nicht Bestandteil ist. Clever - und geht auf! Das Kernstück der Platte ist Youth, weil es den wunderbaren Rausch der elektronischen Musik in Perfektion darbietet. Behutsam baut sich der Track zusammen, gewinnt an Größe und strahlt dann einfach nur noch in all seiner Pracht. In diesen Melodien, in diesem Rhythmus möchte ich versinken und erst morgens früh wieder aufwachen. Magie! Auch auf Formula verbindet der Bremer Soundtüftler analoge Gitarrenklänge mit Synthieüberbau. Das ergibt ein wunderbar organisches Gesamtbild, zu dem Träumen ein Muss ist! Cato hingegen eröffnet auf unter drei Minuten nochmal einen gewaltigen Rausch - pure Hingabe!
Dabei wird es nie derbe auf den 40 Minuten. Es bleibt alles sehr rund, sehr harmonisch, sehr sanft mitunter. Das zeichnet einen Typus von elektronischer Musik aus, der vielfältig hörbar ist, kaum an einen Ort oder eine bestimmte Situation gebunden ist. So offen muss Musik erstmal sein. Dieses Album ist nichts anderes als ein kleines, schwelgendes Wunder!
01.12.2025 Wien, WUK 02.12.2025 München, Muffathalle 03.12.2025 Stuttgart, Im Wizemann 04.12.2025 Köln, Live Music Hall 10.12.2025 Hamburg, Übel&Gefährlich 11.12.2025 Berlin, Huxleys 13.12.2025 Bremen, Modernes
(Ms) Die Frage der letzten Tage und Wochen war ja: Bei welchem Black Friday Angebot soll ich zuschlagen? Wo spare ich so richtig viel? Wo schießt mir das Shoppingdopamin so richtig derbe durch die Adern?
Ja, eigentlich nur bei den Dingen, die einen langfristig glücklich machen, oder? Klar, die ein oder andere Turbosünde ist auch geil oder ein Getränk mehr trinken als geplant. Aber shoppen um des Shoppen Willens ist doch irgendwie bescheuert, oder? Nirgends habe ich irgendwas gekauft. Außer frischen Grünkohl, aber der war auch nicht im Mega Sale. Der hat nur charmante 3,33 Euro gekostet. Ein ganzes Kilo, also auch ein super Angebot! Naja. In der Familie schenken wir uns nichts (mehr) zu Weihnachten und ich freue mich eigentlich immer „nur“ auf die nächste Platte oder das nächste Buch. Da sind Rabatte vergeblich. Aber die Momente, die mir die Kunst schenkt, sind umso intensiver. Wie diese hier:
Grey Flamingo
(Ms) Vielen Dank an alle Bands, die uns anschreiben. Es ist schlichtweg unmöglich, alles zu hören und noch unmöglicher, über all das zu schreiben. Uns erreichen rund 100 Mails pro Woche mit neuer Musik. Eine davon kam letztens von der Band Grey Flamingo. Kurz und knapp, aber sehr freundlich war sie gehalten. Irgendwas hat mich daran neugierig gemacht. Gut möglich, dass es der Name war. HeyPoul heißt deren aktuelle Single und es ist ein total verrücktes Lied. Es befinden sich ganz viele kleine Elemente darin, die ein richtig schönes, sehr, sehr rundes Hörerlebnis erzeugen. Wunderbare Synthie-Melodien, leichte Schlagzeugbegleitung, ein wenig Gitarre. Es wird immer mehr, aber es ist nie zu viel, alles bleibt stets sehr harmonisch! All das in einem herrlich schleichenden Prozess. Der Track dauert 3 Minuten und 4 Sekunden und es ist wertvoll geschenkte Zeit für wundervolle Musik. Bitte anhören. Mehrmals!
Ecca Vandal
(Ms) Setzt euch hin für diesen Track - dann fallt ihr nämlich um! Und das geht nach einem einfachen, aber sehr wirkmächtigen Rezept! Zutat Nummer 1: Eine wunderbar schief klingende Gitarre, die in dieser Schiefheit sehr viel Wucht entfacht. Zutat Nummer 2: Eine Stimme, die alles gibt. Eine Stimme, die die Musik als Offenbarung feiert. Wer so schreit und ruft, dem ist die Kunst wahrlich wichtig. Zutat Nummer 3: Ein weiterhin top arrangierter Track, der in seiner Dringlichkeit auf den Punkt wirkt. Es geht um Ecca Vandal und ihre aktuelle Single Molly. Die in Australien lebende Südafrikanerin sollten alle, die es mit Punk, Rock, Leidenschaft und Elementen des Jazz halten, auf dem Schirm haben. Sie ist bald mit Limp Bizkit unterwegs, kommt nächstes Jahr zu Rock am Ring und sollte sich in den kommenden Jahren ebendort einen recht späten Slot erspielt haben. Wollte es nur gesagt haben.
My Own Sphere
(Ms) Vor zwölf, dreizehn Jahren habe ich elektronische Musik belächelt. Mein versnobtes, studentisches Ich war von der elektrischen Gitarre ein wenig zu sehr überzeugt. Was habe ich alles an starken Tracks und Alben verpasst?! Denn gut eingesetzte Synthies können eine enorme Wucht entfalten. Können hypnotisch sein. Tief ballern. Einen phantastischen psychedelischen Rausch entstehen lassen. Die Leipziger Band My Own Shpere weiß diese Instrumente sehr gut zu bedienen. Wer dazu nicht allzuschnell tanzt oder zumindest den Körper im Vibe der Musik bewegt, ist ein Banause. Das ist Fakt! Kommende Woche veröffentlicht die Band ihre erste, nach dem eigenen Namen benannte Platte raus, die mich beim ersten Hören schon ganz doll abgeholt hat! Ganz viel Leichtigkeit. Ganz viele Tracks, die geheimnisvoll und unglaublich gut poppig sind. Oder darkwavig, je nach Song. Das wird sehr gut:
Karwendel
(Ms) Weihnachten im Pop ist ein zweischneidiges Schwert. Oder gar dreischneidig. Zum Einen gibt es die ganz großen Superpoptracks, die wirklich geil sind. Wer was gegen Last Christmas hat, ist ein Banause. Das ist Fakt. Dann gibt es so gewollte Weihnachtslieder. Das ist die andere Seite. Die schmerzt, die tut weh, das muss wirklich nicht sein. Und dann gibt es eine Dritte. Charmante Lieder, die alle Seiten der Festtage beleuchten. Erdmöbel sind ganz groß darin. Auch die Hamburger Band Karwendel spielt in diese Kerbe. Kommende Woche erscheint die EP Das Fest, die mit wunderbaren, sanften, unterhaltenden Liedern aus der Weihnachtszeit überzeugen kann. Alles Was Ich Will ist der Vorbote, der vielen - mir auf jeden Fall - aus dem Herzen spricht, wenn Sänger Sebastian Król singt: „Alles, was ich will, ist meine Ruhe.“ Oh ja! Doch sie besingen auch die wahrhaft schönen Seiten der festlichen Tage, hört die Musik unbedingt! Denn die Band weiß mit ihren Instrumenten einen ganz wohligen Klang zu erzeugen. Das liegt am Kontrabass, am weichen Sound der Wurlitzer- und Rhodes-Pianos und an den schönen kleinen Geschichten!
The Notwist
(Ms) Vor Kurzem sah ich das erste Mal The Notwist als Pocketband. Sie spielten die Tracks ihrer frühen Alben. Roh, derbe, wuchtig, schnell. Ihr Schaffen aus den letzten Jahren sollte bekannt sein. Am 13. März erscheint ihre neue Platte, sie wird News From Planet Zombie heißen und geht klanglich eindeutig Schritte in ihren Sound der 90er Jahre. X-Ray heißt die erste Single, die seit dieser Woche zu hören ist und hui… es knarzt, es ist in Schieflage, mehr Moll als Dur. Dringlichkeit, Tempo, Niedergang. Es empfiehlt sich, das Stück aus einem ruhigen Zustand heraus zu hören, sonst kann es durchaus anstrengend werden. Doch The Notwist wären nicht The Notwist, wenn nicht mindestens der Refrain einen Hoffnungsschimmer durchblicken ließe. Der Albumtitel kann natürlich als phantastische Erzählung begriffen werden, aber auch als Metapher unserer gesellschaftlichen Gegenwart. Dann ergibt der Sound auch wieder Sinn. Viel Schieflage, aber in all dem Düsteren auch helle Lichtblickt! Man darf sehr gespannt sein, was diese Platte noch mit sich bringen wird!
(Ms) Über Erwartungen. Über verzerrte Berichte. Über Emotionen. Über Identifikation. Über Überraschungsmomente.
Was, wenn ein Konzert nicht so kickt? Nicht so begeistert, wie man es sicher erhofft hat? Nicht so mitreißt? Was, wenn der Funke nicht überspringt? Was, wenn man sich wie ein Englishman in New York fühlt?
Klar, in erster Linie passiert dann gar nichts, weil es ja auch „nur“ um eine schöne Freizeitbeschäftigung geht. Aber Musik ist für viele, wie für mich, einfach auch etwas anderes. Es ist mehr. Es hat unmittelbar mit dem eigenen Leben zu tun. Sie ist Kraftquelle und vor allem Ort der Katharsis. Daher sind die Erwartungen oft recht hoch. Nicht nur bezüglich der musikalischen Qualität, des Sounds, der Lichttechnik. Sondern eine Erwartung, dass ich danach mit einem anderen Gefühl nach Hause fahre. Aufgetankt. Glücklich. Verändert.
Manchmal kickt es nicht. Dennoch - und da lehne ich mich mal weit aus dem Fenster und spreche für viele - sagen wir danach: „War super, hat richtig Spaß gemacht, gute Energie.“ Auch wenn es gar nicht stimmt. Nur um dem Besonderen einen besonderen Geist zu vermitteln und das Mittelmaß oder die Enttäuschung gar nicht zu akzeptieren. Leugnung gewissermaßen.
Da springen die Emotionen nicht so richtig an. Das mag am eigenen Tag liegen. Am Sound. Am Club. Vielleicht hat die Band auch ausnahmsweise nicht so viel Power. Vielleicht zündet der Rausch auch einfach nicht so sehr. Ist so. Nichts ungewöhnliches. Ein Grund kann auch sein, dass die Verbindung zur spielenden Band nicht so groß ist, die Lieder mir nicht so bekannt. Dann mag auch die Identifikation fehlen.
Das ist mir zuletzt zwei Mal passiert. Zum Einen Anfang des Monats bei Anda Morts. Hier fehlte mir auf jeden Fall die Verbindung. Ich kannte wenig Lieder der Wiener Band. Ich war neugierig, was sie so können, wie es knallt, was passiert. Wollte mich überraschen lassen, fand es dann aber überraschend fad. Die anderen 399 Leute sahen das anders. Englishman in New York. Ich bin sogar früher gegangen. Das zweite Mal war am Wochenende in Münster. Die Donots luden zum großen Slam, Halle Münsterland, riesengroß, 3 Euro Becherpfand! Schon Heisskalt kickten mich nicht so sehr. Das lag aber eher vermutlich an der großen Halle und es war definitiv noch nicht laut genug. Danach haben Großstadtgeflüster gespielt und das war einfach nur enorm! Enorm geil! Was haben die denn da bitte abgerissen?! Anschließend die Gastgeber. Ich fand es von Anfang an öde. Mir war das zu sehr Ekstase auf Knopfdruck. Mir war das zu gewollt. Vielleicht war es auch nicht mein Tag und die Donots sind jetzt auch nicht eine meiner Top 10-Lieblingsbands. Dennoch. Ich bin erneut früher gegangen.
Ja, das passiert. Völlig normal. Doch schade ist es jedes Mal. Mir fehlen dann auch die Ideen, über solche Abende zu schreiben. Vielleicht ist ein wenig realistische Einordnung auch oft hilfreich, um weniger enttäuscht zu sein.
(Ms) Logisch, Konzerte sind das allerschönste auf der Welt. Sich dort verlieren, in Klang und Sphären abdriften, Katharsis, Verbundenheit und Liebe. Ausrasten, Party, Rausch. Nicht unwichtig ist jedoch der richtige Rahmen dafür. Ich habe den Eindruck, dass bestuhlte Konzerte für gewisse KünstlerInnen und Bands immer mal wieder auftauchen. Mehr als noch vor ein paar Jahren. Klassische Konzerthäuser und so. Klar, tolles Ambiente. Aber. Es kann auch echt richtig träge werden. Man sitzt dann da so rum, oft darf man in die Räume keine Getränke reinbringen. Und es ist kaum möglich, auszurasten. Schunkeln - heiheihei… Wenn nun für das kommende, bereits richtig tolle Konzertjahr Spielstätten angezeigt werden, die bestuhlt sind - ich werde nicht hingehen. Das ist mir zu lahm. Oft ist es dort auch viel teurer. Ich will stehen, mich bewegen können, den Körper durchdringen lassen vom Klang, vom Beat, von den Emotionen.
Momcore
(Ms) Ich bin großer Freund unseres gesellschaftlichen Fortschritts. Trotz (oder genau wegen) aller Kräfte, die viel daran setzen, diese aufzuhalten und in ein idealisiertes Gestern zu verschieben. Welche Band hat es sich denn schon mal zur Aufgabe gemacht, Musik explizit aus Sicht von Müttern zu machen ohne nach Bastelspaß zu klingen?! Eben. Jetzt ist sie da. Sie nennen sich Momcore und machen extrem tanzbare und zugleich super raffinierte Popmusik. Johanna Amelie und Stephany von Wolf & Moon stecken dahinter, die die Zeit ihrer Elternschaft als kreativen Prozess aufgegriffen haben und daraus Musik erschufen. Stark! Oxitocyn heißt ihre erste Single, die richtig viel Spaß macht! Kommendes Jahr erscheint ihre erste Platte und im Dezember spielen sie ein paar Support-Gigs für Die Höchste Eisenbahn:
04.12.2025 – Faust, Hannover 05.12.2025 – Sputnikhalle, Münster 19.12.2025 – Huxleys Neue Welt, Berlin
Grim104
(Ms) Die Geschichte ist natürlich grandios: Grim104 bekam vor zwanzig Jahren Hausverbot beim Zeteler Markt. Zetel liegt im Nirgendwo zwischen Oldenburg und der Nordsee. Der Zeteler Markt scheint aber ein wahres Saufhighlight zu sein. Nun kam er zurück, um im Festzelt ausgebuht zu werden. Veni, vidi, vici. Nie So Cool heißt seine neuste Single, die er auf dem Volksfest zum Besten gab und die für alle anderen nun auch zu hören ist. Grim104 keift wie eh und je und zieht eine klare Grenze zwischen Ihr und Ich. Gänsehaut. Damit einher geht die Ankündigung eines neuen Albums. No Country For Old Grim wird die neue Platte heißen, die im nächsten Jahr erscheint und mit der er dann auf Tour geht. Ich sah ihn im Sommer beim Watt En Schlick, ein Steinwurf entfernt von Zetel, und möchte sagen: Geht da unbedingt hin. Es wird äußerst intensiv, den Grim104 gibt alles! Versprochen!
17.04. - Hamburg, Knust
18.04. - Leipzig, Conne Island
23.04. - Bremen, Lagerhaus
24.04. - Hannover, Faust
25.04. - Köln, Club Bahnhof Ehrenfeld
26.04. - Dortmund - JunkYard
30.04. - Nürnberg, Club Stereo
01.05. - München, Ampere
02.05. - Frankfurt, Zoom
09.05. - Berlin, SO36
Fjørt
(Ms) Die Spatzen pfiffen es schon von den Dächern und nun ist es endlich soweit! Fjørt haben nicht nur eine Tour für kommendes Jahr angekündigt, nun folgen auch die ersten neuen Töne seit ihrer letzten Platte. Rau klingt der Gesang, angekratzt - es wird nicht nur geschrien! `43 heißt die Single, die nun samt Video anzuschauen ist. Dass die Aachener Band keine Kompromisse in ihrem Sound machen, sollte allen klar sein, die es mit dieser Band halten. Doch dieses Stück weist durchaus einen neuen Grad der Härte auf. Hui, das knallt aber außerordentlich gut. Bitter der Text jedoch. „Wir leben in Harkenkreuzzeiten / La Résistance, Zeit, Euch zu zeigen / zeigt euch.“ Ja, nichts haben wir begriffen in dieser Gesellschaft, wenn eine Nazi-Partei beinahe die Umfragewerte anführt. Die Wut, die Eindeutigkeit dieses Liedes sind absolut von Nöten, um wach zu bleiben in diesen Zeiten! Am 20. Februar erscheint dann auch eine neue Platte, sie wird Belle Èpoque heißen und alle Boxen und Kopfhörer zum Beben bringen! Huiiiiii, das wird gut!
(Ms) Dies ist kein neuer Track, aber egal. Er ist wunderschön und verdient einen Platz hier! Der Kollege SB kennt sich wesentlich besser aus mit Anna Ternheim, ich kenne so gut wie keinen Track der schwedischen Künstlerin. Schande auf mein Haupt. Als ich am Mittwochmorgen zur Arbeit wollte, spielte Deutschlandfunk Kultur (ganz viel Liebe für diesen Radiosender) ihren Track What Have I Done und um kurz vor sieben wurde ich mit so viel musikalischer Schönheit durchströmt, dass sie mich durch einen langen, anstrengenden Tag getragen hat. Ich knie nieder vor dir, du wunderbare Kunst!
(Ms) Kein Hörbuch. Kein Musik-Album. Keine Buchvertonung.
Ja, was ist das hier?!
Im September hat Thorsten Nagelschmidt sein neues Buch Nur Für Mitglieder veröffentlicht. Anfang November kam dazu eine musikalische Veröffentlichung zusammen mit Lambert heraus. Und das ist wirklich ein richtig spannendes Produkt eines kreativen Schaffens. Sieben Tracks, 31 Minuten Spielzeit. Diese Eckdaten machen schon mal klar, dass das kein Hörbuch sein kann. So schnell kann keiner 230 Seiten vorlesen.
Für den Genuss dieses Hörerlebnisses ist es nicht notwendig, das Buch gelesen zu haben. Die Handlung ist schnell erklärt: Der Ich-Erzähler flieht vor Weihnachten und fliegt nach Gran Canaria, um in einem Hotel alle Staffeln von The Sopranos zu schauen. Genialer Plot! Und sicher auch ein guter Hinweis, wie die ach-so-feierlichen Tage zu begehen sein könnten. Feierstimmung auf Knopfdruck klappt halt nur bedingt. Die Geschichte ist mit viel Ironie des Zwischenmenschlichen und Allzumenschlichen gespickt.
Nun sind sieben Tracks zu hören. Doch was genau, erwartet einen da?! Was zuerst überrascht, ist, dass die Musik von Lambert keineswegs so verträumt-mystisch ist wie seine letzte Platte. Sie ist zu großen Teilen ziemlich elektronisch, viel Beat, viel Bass, viele Synthies. Weitere Überraschungen lassen nicht lange auf sich warten. Thorsten Nagelschmidt schafft es, (sicher) prägnante Stellen des Buches - ich habe es (noch) nicht gelesen - auszuwählen und als Spoken Word vorzutragen. Das heißt, er liest nicht nur, sondern spielt durchaus mit Melodie in seiner Stimme. Er spickt sogar einzelne Zeilen raus, um sie als Refrains umzubauen. Das ist super genial und eine ganz großartige, selten zu betrachtende Kunstschleife. Mir ist wirklich kein Pendant bekannt, das nur ansatzweise so erschaffen wurde. Es macht äußerst viel Spaß, diesem Hörerlebnis zu lauschen. Es macht auch Lust auf das Buch, da ja einige Stellen fehlen. Aus meiner Sicht macht es auch am meisten Sinn, diese halbe Stunde am Stück zu genießen, damit der rote Faden ersichtlich ist. Einzelne Songs in eine Playlist zu packen, finde ich aus Gesamtkunstperspektive gesehen, wenig verlockend, klappt aber auch.
Nur Für Mitglieder ist definitiv eine außergewöhnliche Veröffentlichung im Zwischenbereich von Literatur und Musik - oder ein genial verbindendes Element. Im Dezember gehen die beiden damit auf Tour und es dürfte sehr spannend werden, wie sie einen Abend füllen werden. Liest Thorsten Nagelschmidt noch etwas? Gibt es Muff Potter-Stücke zu hören? Legt Lambert noch ein Set ein? Werden kollektiv Lebkuchenhäuser gebastelt oder Urlaubspläne geschmiedet?! Dies kann nur hier erlebt werden und ein Besuch sollte sich lohnen:
08.12.2025 Köln, Gloria 09.12.2025 Hamburg, Kampnagel 10.12.2025 Bremen, Schlachthof 11.12.2025 Dortmund, Domicil 12.12.2025 Wiebaden, Museum 13.12.2025 Darmstadt, Centralstation 14.12.2025 Neunkirchen (Saar), Stummsche Reithalle 15.12.2025 Münster, LWL Museum 16.12.2025 Erfurt, Haus Dacheröden 17.12.2025 Berlin, Peter Edel 20.12.2025 München, Deutsches Theater 21.12.2025 Leipzig, Conne Island
(Ms) Es ist doch kein Wunder, warum unsere aktuelle Bundesregierung noch unbeliebter ist als die vorherige, oder? Allein das ist ja schon eine erschreckende Aussage. Klar, Reformen sind gut und notwendig. Aber doch bitte die richtigen. Wer das Deutschlandticket auf 63 Euro erhöhen lässt und gleichzeitig die Flugticketsteuer senkt, der hat einfach nichts begriffen. Oder nichts begreifen wollen. Vielleicht sind das ja auch ganz gezielte Entscheidungen: Sollen die großen Flugunternehmen ein klein wenig mehr verdienen und die Menschen entweder sich kein Zugticket mehr leisten können oder… ja, sollen sie halt fliegen statt die Bahn zu nehmen. Oh, man. Von der CDU habe ich eh nichts anderes erwartet als ein nicht unerhebliches Maß an Klientelpolitik. Aber dass die SPD da so mitmacht, ist gruselig. Muss sich keiner wundern, wenn deren Beliebtsheitswerte so niedrig sind. Die Suppe haben sie sich selbst eingelöffelt. Hoffen wir, dass es noch besser wird…
A.S. Fanning
(Ms) Eine tolle Stimme macht noch lange keine gute Musik. Sie muss im besten Sinne in Szene gesetzt werden, ihre Kraft ausgeschöpft, ihr Glanz zum klingen gebracht werden. Nicht nur melodiös - auch wenn das eines der wichtigsten Dinge ist - sondern auch textlich. Dann ist Gänsehaut garantiert, dann ist es leicht, alles links und rechts um einen herum zu vergessen. Dann läuft A.S. Fanning mit seiner neuen Single Today Is For Forgetting. Dieser tiefe, durchdringende Bariton ist perfekt eingesetzt in all der Melancholie und Schwere des Tracks. Kein besonders aufbauendes Thema, das der Titel mit sich bringt, aber das Arrangement bringt auch einen Hoffnungsschimmer mit sich. Ein insgesamt eher langsamer Song, der durch die Synthies viel Lebendigkeit erfährt. Das ist einfach phantastisch gemacht vom irischen Musiker. Am 6. Februar erscheint seine neue Platte Take Me Back To Nowhere und wird sicherlich hervorragend!
16.03.26 Langenberg – KGB 28.03.26 Altenkichen – KulturSalon Stadthalle 21.04.26 Hamburg – Knust 23.04.26 Dresden – Ostpol 25.04.26 Oberhausen – Gdanska 29.04.26 Wien – Rhiz 30.04.26 Salzburg – Rockhouse 02.05.26 Berlin – Neue Zukunft
Feige Flittchen
(Ms) Konzerte sind nicht nur die Essenz der Musik, die sich so viele Menschen ausdenken, sondern auch immer der beste Ort, um Neues kennenzulernen, das einem nicht zwingend über den Weg laufen würde. Nicht aus Ignoranz, sondern weil es einfach so unfassbar viel gibt. Gut, dass Bands selten allein auf Tour gehen. So haben Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen letztes Jahr im Zwischendenjahrenkonzert in Bremen Feige Flittchen mitgenommen. Und das hat richtig gut gezündet. Humor, Punkrock, Alles-egal-Haltung, Rafinesse, Unterhaltung. Das Hamburger Trio hat viel gespielt dieses Jahr und nun ihre erste EP draußen. Live In der Pyramide heißt die Sammlung der vier Tracks. Und weil sie halt so viel live spielen ist es nur sinnvoll, dass es wirklich Live-Aufnahmen sind. Wie cool, so eine Band als erstes zu hören. Pur, roh, direkt, ungefiltert. Das macht richtig viel Spaß, ist mal verträumt und schrammelt genau im richtigen Level!
Tom Smith
(Ms) Na Herbst, da bist du ja. Und schlägst an diesem Wochenende auch recht gewaltig zu. Ein ewiges Grau da draußen, dazu Wind und Regen. Bilderbuchherbst. Leichte Melancholie in der Luft, Energieauftanken auf dem Sofa. Tee und Spekulatius - das ganze Programm. Und dann kommt dieser Sänger mit diesem Lied daher - frech! Haut einfach noch richtig in diese eh verletzliche Kerbe. Tom Smith, Sänger der Editors, bringt Anfang Dezember sein erstes Solo-Album raus und mit Broken Time ist die neuste Single zu hören. Akustik-Gitarre, Cello, Stimme, Gänsehaut. Das ist wunderschön, zutiefst traurig aber auch aufbauend. Das sind doch Charakterzüge, die nur die Musik schaffen kann. Was für ein großer Zauber. Am 5. Dezember erscheint There Is Nothing In The Dark Which Isn't There In The Light und bringt den großen Glanz der Editors-Tracks in einem ganz gedimmten Arrangement! Wow!
11.03.26 Köln - Kulturkirche 13.03.26 Schorndorf - Manufaktur 19.03.26 Wien - Simm City 25.03.26 Berlin - Passionkirche 26.03.26 Hamburg - Christiankirche
Vlimmer
(Ms) Es gibt Musik, die einfach zu einhundert Prozent in eine ganz spezifische Stimmung passt. Letzte Woche auf dem Weg zur Arbeit: Es war ungeheuer nebelig. Die Sichtweite betrug maximal 50 bis 70 Meter. Das verlangt viel Konzentration, hat aber natürlich auch etwas herrlich mysteriöses. Manchmal fühlt es sich dann an wie im Film. Hätte dann Cystacanca von Vlimmer im Auto ertönt, wäre die Szenie perfekt. Alexander Donat geht mit jedem Track seines Hauptprojekts einen Schritt weiter, es macht sehr viel Spaß, dabei zuzuhören. Auf dieser Single zeigt er sich programmatischer im Textaufbau und noch etwas anspruchsvoller, reifer im Sound. Ein paar mehr Elemente, die den Klang bilden und einen immer klareren Gesang. Das tut seiner Musik sehr gut. Und irgendwie passen diese Zeilen hervorragend in den morgendlichen Nebel: „Nimm das Übel mit /Wasch die Erde rein / Lass uns zusammen sein.“ Doch kein neuer Vlimmer-Track ohne einen kleinen Bonus. So ist zugleich ein deutsches Cover von Arcade Fires No Cars Go erschienen. Dieser Tausendsassa…
Jo The Man The Music
(Ms) Immer wieder versuche ich hier in dieser wöchentlichen Rubrik Perlentaucherarbeit. Die Suche nach dem Besonderen, Ungewöhnlichen, Kunstvollen oder gar Avantgardistischen. Doch mal kurz innehalten ist auch nicht verkehrt. Denn immer nur nach dem außerordentlich Speziellen zu suchen, ist ja auch langweilig. Jo The Man The Music aus Österreich hat letztens ihre neue Single Shoulders veröffentlicht. Das soll nun nicht dispektierlich klingen: Aber das ist einfach ein ganz wunderbarer, warmer, gitarrenpoppiger Song, der wie eine kleine Streicheleinheit daher kommt. Das Stück ist nicht kompliziert, nicht außerordentlich wild arrangiert. Und genau in dieser wunderbaren Schlichtheit liegt die Stärke und Schönheit. Eine Ballade, die mitsamt viel Wärme daher kommt und zu dieser Zeit, in der viel Kälte zu spüren ist, genau richtig ist. Am 16. Januar erscheint ihre erste EP Soft Skin.
(Ms) Brennt die Funkmasten nieder! Hinfort mit den Handys und Smartphones. Weg mit diesem Mist! Nervosität auf Stand-By. Pseudo-Erreichbarkeit. Zeitfresser-Programme überall. Niemand braucht das.
Derzeit lese ich Momo von Michael Ende. Das Buch ist aus den 70er Jahren. Wahnsinn! Ich wusste, dass es eine zauberhafte Geschichte sein wird, aber diese Aktualität habe ich im Vorhinein unterschätzt. Was die Grauen Herren von der Zeit-Spar-Kasse von vor fünfzig Jahren waren, sind die mobilen Endgeräte der Jetztzeit. Sie klauen uns ganz bewusst das wertvollste, was wir haben: unsere Zeit! Und wir füttern riesige Konzerne mit Daten und leeren Augen. Es braucht eine Herrschar an Momos unserer Zeit, die uns darauf aufmerksam machen, wie unfassbar viel Zeit wir an diesen Teilen verschwenden. Wir haben nichts davon außer gestörte Hirnareale, verminderte Konzentrationsfähigkeit und fehlende Geduld.
Imarhan
(Ms) Wenn Pop auf Politik stößt, dann wird es meist sehr spannend. Insbesondere weil Musik die Kraft hat, über Grenzen hinweg zu klingen und zu wirken. Bands, die Lieder aus anderen Gegenden der Welt singen, können uns die Augen öffnen. Denn viele Konflikte bleiben uns verborgen oder sind schnell vergessen. Zudem bringen sie eventuell einen Klang mit, der für uns ungewohnt ist, aber ganz viel Schönheit mit sich bringt. Imarhan kommen aus Algerien und machen extrem melodiöse Musik. Schlagzeug spielt eine untergeordnete Rolle, der Rhythmus wird meist durch Gitarren vorgegeben - aber klar, hier und da wird auch getrommelt. Tellalt heißt ihre aktuelle Single und das Wort bezeichnet eine seltene Akazienart aus der Sahara. Wenn sie verbrannt wird, soll sie wunderbar riechen und das Knistern des Feuers scheint unvergleichlich, so Sänger Sadam. Zudem erzählen sie von Geschichten der algerisch-malischen Grenze. Von Menschen, die aus Mali fliehen. Schicksale, die hier selten Aufmerksamkeit bekommen. Imarhan gibt diesen Menschen eine Stimme. Und am 16. Januar erscheint ihre neue Platte Essam bei CitySlang und könnte ganz zauberhaft werden!
14.04.26 - Knust, Hamburg, 15.04.26 - Gretchen, Berlin
Dry Cleaning
(Ms) Ein Bullshit-Job ist eine Tätigkeit, der jeglicher Sinn fehlt. Diese ist dann manchmal auch noch recht gut bezahlt. Ihr gesellschaftlicher Nutzen ist gleich Null. Aber vielleicht haben einige der ArbeiterInnen, die so einen Job haben, dennoch Spaß daran. Darum geht es im neuen Track Cruise Ship Designer von Dry Cleaning. Der Titel verrät es schon: Sängerin und Texterin Florence Shaw berichtet darin über einen Designer für Hotels und Kreuzfahrtschiffe, der seinen Job richtig gut erledigt, aber immer wieder am Sinn seiner Tätigkeit zweifelt. Wie genial ist das denn?! So viel Tragik und Komik in einem Track habe ich lange nicht mitbekommen. Musikalisch wird die Geschichte von groovigen Klängen, die zwischen frühem Punk und Krautrock angesiedelt sind. Obendrein serviert die Band ein großartiges Mittanzvideo! Mehr solcher tollen Klänge und Storys gibt‘s auf ihrem neuen Album Secret Love, das am 9. Januar erscheinen wird! Könnte geil werden!
(Ms) Gut Ding hat Weile. Mit etwas Abstand gesehen, ist ja an den meisten Sprichworten doch eine Menge dran. Die Alte Leier heißt die neue Single der Leipziger Band Frau Lehmann. Wobei so neu der Track gar nicht ist. Vor 10 Jahren schrieb Sängerin Fiona Lehmann diesen Text und nun hat er seine Form gefunden - was für eine schöne Geschichte! Das Thema: Liebeskummer und der Kampf dagegen. Zuhören? Ach nein, lieber in die Kneipe gehen und dann stark abdriften. Und der Kummer pocht immer noch genauso stark wie vorher. Manchmal sind Wunsch und Realität zwei verschiedene Dinge, davon handelt das Lied auch. In herrlich melancholischer Manier mit Xylophon und wunderbarer Eingänigkeit. Ein Song, der zum sonst punkigen Sound der Band gar nicht so passt, umso besser ergänzt er ihr Schaffen. Am 30. Januar erscheint ihre neue Platte Trost & Trotz und könnte vielschichtig, unterhaltsam, den-Finger-in-die-Wunde-legend werden!
Amanda Bergman
(Ms) Stutzig werden. Wenn Musik das schafft, dann ist sie wirkmächtig. Wenn sie einen irritiert zurück lässt. Wenn man gerne noch etwas mehr darüber wissen möchte. Wenn der Song dann nochmal läuft. So geschehen beim neuen Track von Amanda Bergman. Die schwedische Künstlerin hat mit Grasp einen wunderbar, saften neuen Song herausgebracht. Zu dem Stück gibt es ein kleines, schönes Video, das mal unterhaltsam, mal niedlich, mal einfach nur schön ist. Doch etwas stimmt hier nicht. Und das ist Folgendes: Text und Musik passen nicht zusammen. Die Musik ist wahnsinnig zurück gelehnt. Zart, ruhig, unaufgeregt. Der Text ist das ziemliche Gegenteil davon. Kein Wunder: Er ist in der Nacht entstanden, als Donald Trump und Elon Musk das Weiße Haus übernommen haben. Eine Schaudergeschichte. Wie der Text des Liedes. Doch kein Grusel ohne Hoffnung. Und das sind ganz am Ende folgende Worte: „Making peace seem like some madness that has no time.“ Da bleibt nur zu sagen: Bring back the madness!
(Ms) Zerbrechlichkeit und Schönheit. Kaum eine Band steht für beide Attribute so stark wie Naked Lunch. Die Schönheit der Zerbrechlichkeit hat diese Gruppe so gut wie perfektioniert. Und es hat zwölf Jahre gedauert, bis sie uns wieder mit neuen Liedern beschenkt. Am 7. November erschien Lights (And A Slight Taste Of Death) und ist sicher die Platte der Österreicher, die am schwersten ins Ohr geht. Wenn sie da aber erstmal angekommen ist, dann offenbart sich ihr ganzer Glanz.
Zerbrechlich waren ihre Lieder immer schon. Die ruhigen und die wuchtigen. Und das lag nicht immer nur am oftmals recht melancholischen Arrangement. Vielmehr gelingt es Oliver Welter seit vielen Jahren mit seiner Stimme den Geist seiner Musik zu 100% rüberzubringen. Man könnte sich bestimmt darüber streiten, ob Oliver Welter ein guter Sänger ist. Da gibt es viele Fürs und Widers, die sich ins Feld führen lassen. Doch eventuell ist das für die Musik, die Naked Lunch seit Jahren so großartig macht, gar nicht mal so wichtig. Immer wieder bricht seine Stimme. Das muss sie auch. Sonst kommt der Inhalt, die Atmosphäre, die Tiefe und das Menschliche aus all ihren Liedern gar nicht so zur Geltung. Das Wacklige ist Programm. Und - machen wir uns mal nichts vor - auch ein großer Teil dessen, was uns zum Menschen macht. Das Berührt- und Verletztwerdenkönnen, die Zweifel. Und bei all der Tragik, die sich immer wieder in ihren Songs ausbreitet, bleibt eines immer unterm Strich: Hoffnung. Liebe. Zusammenhalt. Dankbarkeit. Das ist ein irrer Spagat. Er ist nicht leicht. Aber sie nehmen die Herausforderung an. Mit der neuen Platte ist es ein weiteres Mal geglückt - man muss sich nur drauf einlassen.
43 Minuten Spielzeit hat die neue Platte. 14 Tracks sind darauf enthalten. Einige haben etwa eine Minute Länge, dafür wirken andere umso ausgiebiger. To All And Everyone I Love ist der Opener. Zudem war es die erste Single, die in all ihrer Schönheit brilliert. Ein Kniefall vor allen, die das Leben schöner machen. Eine Danksagung an all die leuchtenden Momente, die ein Leben begleiten. Dies ist ein großes Beispiel, wie wunderbar Musik sein kann! Doch wie der Albumtitel schon vermuten lässt, ist es eine Sammlung an Texten, die zwischen ganz hoch und ganz tief schwankt. Licht und Dunkel. Positiv und negativ. Auf und ab. 12 Jahre hat es gedauert, bis diese Platte ans Tageslicht kam. Oliver Welter zweifelte oft, ob es Naked Lunch überhaupt noch braucht. Dann eine Krebserkrankung und die Geburt seines dritten Kindes. Wow - wie heftig kann es nur zugehen?! Diese Platte ist das Ergebnis genau dieser Zeit.
Das Melancholische und Fröhliche ist teils in einem Stück zu hören. Schleppend und dunkel beginnt We Could Be Beautiful. Nach drei Minuten, ziemlich genau nach der Hälfte, wird Moll zu Dur, wird aus beinahe zäh Lebendigkeit. Wird aus einem Tiefpunkt ein Hoffnugsschimmer und ein ganz wunderbares Lied, an dessen Ende noch Bläser erklingen - hui!
Blackbird ist noch so ein Stück, das ganz viele Ebenen einfängt. Eines, das in meinen Ohren schleichend zum Highlight geworden ist. Trotz (oder gerade wegen?) der immer wieder brüchigen Stimme. Auch wenn es kurios klingen mag, aber die Zeile „Maybe I‘m punished for being a rude man / maybe I did things wrong when I was much younger“ wird so unglaublich schön dargeboten. Anschließend tanzen die Syntheziser und Bläser bringen erneut viel Wärme ins Spiel. Es bleibt zwischendurch festzuhalten - diese neuen Stücke sind enorm stark arrangiert! So vielschichtige Musik gab es von Naked Lunch lange nicht! Auch scheinbar disharmonische Stücke wie If This Is The Last Song You Can Hear offenbaren in ihrem ganzen Soundgewitter viel Sinn für Ästhetik.
Eine weitere Stärke dieser Platte ist, dass es nie langweilig wird. Ich bin erstaunt, wie unfassbar gut die Lieder aneinandergereiht sind! Das ist ja auch eine Art der Kunst. I Saw, auch wieder etwas deftiger aufgebaut, besticht durch die prägnante Gitarre und dem großen musikalischen Lichtblick. Wer bei diesem Album nicht baff staunt, ist ein Banause! So ist auch kurz vor Schluss ein zartes Stück wie Love Don‘t Love Him Anymore purer Glanz! Dieses Chor-Arrangement… wundervoll!
Lights (And A Slight Taste Of Death) ist nichts anderes als ein Meisterwerk. Meine Ohren brauchten etwas Anlaufzeit, um all diese Schönheit auch wahrzunehmen. Ja, es bricht oft. Ja, es quietscht hier und da. Es ist nicht alles perfekt, schon gar nicht rund und glatt produziert. Und genau das ist der große Trumpf. In all dem Zerbrechlichen liegt so, so viel Menschliches. So ist diese Platte eine große Wohltat und hoffentlich noch lange nicht das Ende dieser Band. Sie spielt hier live:
17.01.26 Ebensee - Kino 22.01.26 Wien - Arena 23.01.26 Graz - PPC 29.01.26 Innsbruck - Treibhaus 30.01.26 Dornbirn - Spielboden 31.01 26 Salzburg - ARGEkultur 05.02.26 Leipzig - Naumanns 06.02.26 Berlin - Berghain Kantine 07.02.26 Hamburg - MS Stubnitz 04.03.26 München - Milla 05.03.26 Stuttgart - Merlin 06.03.26 Steyr - Röda 28.05.26 Klagenfurt Festival
(Ms) Back to the roots. Manchmal ist es sehr sinnig, sich auf das Wesentliche zu besinnen. Oder auf die eigenen Anfänge. Beides steckt in diesem kleinen Sprichwort. Das denken sich auch die Mitglieder von The Notwist, die immer mal wieder die ganz alten Stücke spielen und dann als Pocketband auf Tour sind. So dieser Tage und dann direkt in den jeweiligen Städten zwei Abende hintereinander in kleineren Läden.
Am Samstag und Sonntag spielten sie im Hamburger Knust und das war mal wieder eine Reise an die Elbe wert.
Wir waren am Samstag früh vor Ort und konnten der feinen Musikauswahl von Markus Acher lauschen, die er im Barbereich auflegte. Dazu lief irgendein Oliver Hardy und Stan Laurel-Film und draußen war tiefster Herbst. Perfekt!
Ab 20 Uhr wurde es auf der Bühne richtig spannend, denn Sinem spielten zur Einstimmung ein kleines Set. Und seitdem denke ich darüber nach, warum ich nicht mehr Indie/Rock-Musik mit türkischer Sprache höre. Es gibt sicher wesentlich mehr als diese Band, die atmosphärisch diese Sprache einsetzen. Ungefähr eine halbe Stunde hat das Trio gespielt und mich ab dem ersten Takt direkt angesprochen! Insbesondere die für mich ungewohnten Harmonien im Gesang ließen mich neugierig lauschen. Zudem war das Schlagzeugspiel absolut mitreißend! Das hat richtig Spaß gemacht und mal andere Töne auf die Bühne gezaubert als alles andere, was sonst so im Pop/Rock-Bereich zu hören ist.
Kurze Umbaupause. Als The Notwist Pocketband spielen Markus und Micha Acher zusammen mit Andi Haberl und für ein paar Stücke mit Christoph Beck. Es ging direkt roh und wuchtig mit den alten Stücken los, als die ganze Soundtüftelei noch keine so große Rolle für die Band spielte. Tatsächlich kenne ich nicht ein Stück aus dieser Phase. Genau das hat den Reiz für den Abend ausgemacht. Denn auch in den durchvolleren, E-Gitarren-lastigeren Stücken lauern viele mitreißende Elemente. Nicht die sphärisch-träumerischen, aber durchaus eine Menge, die auch den Körper durchdringt. Doch auch verhältnismäßig neuere Songs wie Kong fanden in die Tracklist des Abends.
Gerade mal 80 Minuten dauerte der Gig der Weilheimer Musiker. Es war für dieses Set, für diese Zusammenstellung an Liedern genau der richtige Rahmen. Der kleinere Laden - im Frühjahr spielen sie in der Großen Freiheit 36 -, die tolle Vorband und die genau richtige Dauer.
(Ms) Sonntagabend, der Herbst hat volle Fahrt aufgenommen und am Bremer Bahnhof ist es rappelvoll. Der letzte Tag des Freimarkts ließ nochmal einige Leute aus ihren Häusern kommen. Und auch der Weg zum Schlachthof führte direkt an Buden und Fahrgeschäften entlang. Dort war es aber erstaunlich ruhig. Seltsam, dass es so luftig in der Kesselhalle gewesen ist. Immerhin kamen die Grandbrothers mit ihrem aktuellen Album Elsewhere vorbei, um die Menschen in den Klavierbann zu ziehen. War es das große Überangebot am Wochenende in Bremen? H-Blockx, Freimarkt, Nina Chuba, Anda Morts, Mental Tracks? Brauchten die musikaffinen Menschen eine Pause? Lag es am Sonntag? Oder ist die Musik von den beiden Klangtüftlern dann doch ein wenig zu speziell? Viele Fragen, wenig Antworten.
So stand niemand vor der Bühne, alle saßen, als Keshavara den Abend eröffneten. Allein das ist schon krass, das habe ich im Schlachthof noch nie gesehen. Dabei ließen sich viele Leute einfach einen großartigen Abend entgehen. Der Einstieg war extrem stark! Keshavara eröffnen viele der aktuellen Konzerte der Grandbrothers als Duo und wissen sehr schnell zu überzeugen. Sie erinnern an Oum Shatt, nur mit indischen statt orientalischen Klängen. Etwas psychedelisch, sehr unterhaltsam und einfach auch extrem sympathisch! Wenn sie in Bandbesetzung im April wieder in den Magazinkeller kommen, sind sicher einige Menschen, die am Sonntag da war, auch vor Ort!
Kurze Umbaupause, die schon einiges entdecken ließ. Die Bühne, wenn Lukas Vogel und Erol Sarp spielen, ist ein Hingucker. Auf der linken Seite der Flügel mit offenem Korpus aus dem allerhand Kabel und Gerätschaften herausschauen. Die Kabel suchen sich den Weg zum Tisch von Lukas Vogel, wo sie in verschiedensten elektronischen Soundboxen landen. Zusammen werden sie einen Klang erzeugen, der viel Sog entfachen wird, aber auch viel Schönheit. Dahinter zwei große Lichtleinwände, die die optische Ebene beschwören. Klar, das ist alles wahnsinnig ausgetüftelt, die Musik der Grandbrothers lässt sicher auch wenig Spiel für Improvisation, aber das Konzept geht voll auf.
Es ist 21 Uhr als die beiden Musiker die Bühne betreten, ein paar mehr Menschen wagen sich direkt in den Raum davor, um mittanzen zu können. Denn das kann sehr schnell passieren. Die eineinhalb Stunden danach waren ein reiner Rausch. Wie ein Live-DJ-Set. Die Lieder gingen ineinander über. Die Melodien und Rhythmen schwebten nur so durch den Raum. Und wenn man sich dort umschaut, sind viele glückliche, versunkene Gesichter zu sehen. Kaum jemand, der sich nicht anstecken lässt von der Energie, die die beiden auf der Bühne erzeugen. Das ist Wahnsinn, sehr intensiv, aber auch nicht zu doll. Viel Schönheit, viele große Melodien und dann immer wieder starker Bass, viel Takt, viele Möglichkeiten, um sich weg zu träumen. In ihren wenigen Ansagen zeigten sie sich nicht nur als passionierte Kirmesbesucher, sondern auch als äußerst dankbare Künstler. Das zollte das aufmerksame Publikum durch viel leises Zuhören, wenig quatschen und viel warmem Applaus zurück.
Wer kann, sollte dieses Duo auf ihrer aktuellen Tour auf jeden Fall besuchen und unterstützen. Das ist außerordentlich stark, was die beiden aus dem Flügel rausholen und ihren ZuschauerInnen schenken!
(Sb/ms) Diese Stadtbild-Sache hat Potential. Zum Einen zeigt sie recht ungefiltert ein zumindest in Ansätzen rassistisches Weltbild unseres Kanzlers. Zum Anderen finde ich es keine sinnlose Debatte, wie in der Heute Show gesagt wurde. Über die Menschen in unseren Städten, dazu gehören wir alle, müssen wir wirklich nicht sprechen. Wir gehören alle dazu. Und wir gehören alle dazu, dass sie so aussehen, wie sie aussehen. Und hier muss doch die politische Debatte beginnen. Warum gibt es so viel Leerstand?! Warum sehen die Städte alle gleich aus? Warum sind überall die gleichen Ketten? Warum sind sonst so viele Nagelstudios, Frisöre und Bars mit dunkel verklebten Fensterscheiben zu sehen? Weil wir alle es zulassen. Weil wir wie doof im Internet bestellen. Weil wir angeblich keine Zeit haben. Oder vielmehr weil wir sie uns nicht nehmen?! Weil wir alles gleichzeitig haben wollen. Wir sind doch selbst Schuld dran, dass die Städte so aussehen. Da braucht es doch politischen Willen, etwas dagegen zu tun. Förderungen. Weniger Bürokratie. Orte, wo alle zusammen kommen. Das bringt uns die teils etwas ferne Politik wieder mehr zu uns. Oder habe ich da unrecht?!
Crim
(sb) Futur Medieval heißt das neue Werk der Punkrock-Band Crim aus Tarragona und schließt nahtlos an den Vorgänger Cançons de mort an. Trotz der Hardcore-Anklänge kommen die Katalonier gewohnt melodisch daher, die Riffs sitzen und die Gesangsharmonien reißen mit. Zugegebenermaßen verstehe ich kaum ein Wort, aber das ist mir ausnahmsweise ziemlich egal. Crim haben etwas an sich, das mich ungemein anspricht und begeistert. Ist diese Kombination aus Brutalität und Verspieltheit? Ich weiß es nicht, aber Tracks wie Festa d'una Persona oder Nihilisme Pop gehen einfach immer. Hoffentlich auch bald mal live zu sehen!
SofiaPortanet
(Ms) Die große Welt des Pop! Was für eine große Musikrichtung! Eine, die immer wieder die großen gemeinsamen Nenner schafft. Die Lieder, mit denen wirklich viele Menschen zu begeistern und mitzureißen sind. Manchmal ist das der große Glitzerpop, manchmal der im kleineren Rahmen, der aber die gleichen Emotionen erschafft. Das allerbeste, schönste, tanzbarste, soghafteste Beispiel für den großen Pop im kleinen Rahmen ist Sofia Portanet, die seit vielen Jahren extrem gute Musik abliefert! Sie ist eine Künstlerin, die gerne und ganz toll mit anderen zusammen arbeitet. Verfolgt man ihr Schaffen ein wenig, ist sie stetig unterwegs, an den verschiedensten Orten, mit vielen kreativen Köpfen. Es kommen immer phantastischer Lieder dabei heraus. MoiPour Toi heißt ihr neuster Streich, den sie zusammen mit der französischen Künstlerin Sainte Nicole geschrieben und aufgenommen hat. Nicht nur ein toller Tanztrack, der einen leicht melancholisch-dunklen Touch hat, sondern auch ein weiterer Beweis, dass sich dafür die französische Sprache großartig eignet!
Oehl
(Ms) Fansein ist ja so eine Sache. Vielleicht bin ich mit Mitte Dreißig nicht mehr in dem Alter, in dem ich dieses Vokabular wählen würde. Aber bei bestimmten KünstlerInnen oder Bands ist die eigene Leidenschaft, wie dieses Schaffen verfolgt wird, ja im Grunde genommen genau das. Die Musik seit Langem hören, etwas über die Menschen wissen, sich freuen, wenn es Neues gibt, die Konzerte besuchen. Seit dem Tag, an dem OehlWolken veröffentlichte, höre ich sehr gerne und aufmerksam zu und bin immer wieder überrascht, was er alles schafft. Am 12. Dezember erscheint sein erstes Weihnachtsalbum, das gar nicht mal so typisch-weihnachtlich klingen wird, wenn man der Ankündigung glaubt. Es wird oehlig-melancholisch und andächtig sein. Verliebt und verträumt. Schwebend und luftig-leicht. Dunkle Magie wird die Platte heißen und mit Als Wir Uns Liebten ist seit heute die erste Single zu hören. Der Text ist nicht neu, er ist schon auf Amazon/Signout zu hören, doch er hat ein neues musikalisches Gewand bekommen und einen lächelnden Ariel Oehl, der im passenden Video dazu die Balance sucht. Was für ein Künstler!
Lankum
(Ms) Manch Track kommt auf ganz ungewöhnliche Weise zu einer Band. Dies ist die Geschichte von Ghost Town und der irischen Band Lankum. Die befreundete Künstlerin Oona Doherty kam auf das Trio zu und hatte den Wunsch, dass die Band ein Cover vom Original der Specials machen würde. Es passe zu ihrer aktuellen Tanzarbeit. Die Band reagierte erst verhalten, da solch eine Auftragsarbeit nicht deren sonstigem Schaffen entsprechen würde. Doch die Idee nahm Fahrt auf und wurde immer konkreter. Das Ergebnis ist eine immense Wucht! Acht Minuten geht der Song und es lohnt sich mal wieder, sich die Zeit dafür zu nehmen! Was als Dark Pop anfängt, entwickelt sich immer weiter und zieht Kreise und Kreise. Dafür sorgt ein extrem stimmungsreiches Video für den cineastischen Verve, den dieses Lied einfach verdient. Wow - das ist auf so vielen Ebenen Kunst! Und die ist wirklich entdeckenswert!
Kraków Loves Adana
(Ms) Was bedeutet es, wenn man einander liebt? Neben allen romantischen, wunderbaren Seiten der Verbundenheit ist Liebe oft auch eine Menge Arbeit. Stets muss man einen Konsens finden. Ein Leben zu zweit oder mit noch mehreren zu organisieren, stellt immer wieder kleinere und größere Hindernisse in den Weg. Wie damit umgehen? Am besten so, wie Deniz Çiçek in ihrem Projekt Kraków Loves Adana singt. Help Me heißt ihr neuster Track, der wunderbar dunkel aber auch hoffnungsvoll daher kommt. Dazu ihre wunderbare Stimme, die schnell einen zauberhaften Sog entfacht und mit der sie singt, dass sich helfen der Schlüssel ist. Du hilfst mir, ich lade dich ein, ich führe dich. Und wenn wir zurück schauen, dann sehen wir, dass viele Sorgen unbegründet waren. Ist das nicht toll?! Ja - inhaltlich und musikalisch ganz großartig!
(Ms) Tief Joshua zog am Wochenende kräftig über den Norden und machte auch vor Hamburg keinen Halt. Fast jeder Zug hatte Verspätung und auch der Fischmarkt war überflutet. Eigentlich ein ganz normaler Herbsttag an der Elbe.
Normal war das, was am Freitagabend im Knust stattfand, aber auf keinen Fall. Es war schlichtweg überragend! Denn Jürgen und Anne ließen das 29. Rookie Fest über die Bühne gehen. Den eigenen Labelgeburtstag in solch einem Rahmen stattfinden zu lassen - was für ein Geschenk! Und es kamen einige Leute zum gratulieren, doch komischerweise war es nicht ausverkauft. Was ging da denn schief?! Im Sinne von: Warum haben sich Leute das entgehen lassen? Tja, selbst Schuld!
Surreal Fatal haben den Abend eröffnet, eine Band, die mir noch neu war. Ob es am Sound oder an meiner Position im Raum lag: vom Gesang habe ich leider recht wenig verstanden. Die Musik war aber so dicht und energiegeladen, dass es dennoch Spaß gemacht hat! Ob Spaß jetzt das richtige Wort für SAFIs Auftritt ist, mag ich ein wenig bezweifeln. Klar, was sie mit ihren beiden Mitmusikern auf der Bühne veranstaltet hat, war einfach nur genial und sie hatten sicher auch Freude. Aber es war eher Wucht! Es war eher Lautstärke! Es war eher Brechen mit Erwartungen. Was macht diese Band für Musik? Rookie Records betitelt sie selbst mit Avantgarde und das passt in meiner Wahrnehmung auch sehr gut. Musik, die sich keinen Regeln unterwirft, die von ihrer Präsenz lebt, ihrer ungefesselten Energie. Das war vielleicht nicht etwas für alle, aber die, die da waren, konnten sich von großer Kunst mitreißen lassen - wow!
Dann wurde es in der vorderen Hälfte zunehmend dichter, denn niemand geringeres als Love A hatten die Ehre, diesem Fest die Krönung zu verpassen. Eine Band, die nicht so viel live unterwegs ist. Aber wenn, dann knallt es halt richtig! Das lag zum einen am wesentlich verbesserten Sound und dem wahnsinnig präzisen Spiel an allen Instrumenten! Insbesondere Stefan Weyer an der Gitarre muss großer Respekt gezollt werden! Wie er den gesamten Klang der Band formt, ist einfach nur große Klasse! Logisch, ohne so eine Naturgewalt wie Jörkk Mechenbier wäre die Band auch nicht, was sie ist. Was hat er nur für eine Ausstrahlung?! Sobald er das Mikro in die Hand nimmt und ihre großartigen Lieder singt, ist der ganze Raum dabei, gibt es nur noch das Hier und Jetzt! Und das mit einem phantastischen Best Of der eigenen Diskographie. Dass er nach Achterbahn keine Halsschmerzen hat, kann mir aber auch keiner glaubhaft erzählen - immens! Love A - eine gewaltige Erscheinung!
So war gegen Mitternacht, als es draußen sternenklar war und der Wind etwas abgeebbt ist, ein großartiger Abend zu Ende und Jan von Jan & Jan übernahm für den Tanzpart des Abends. Immer weiter so, Jürgen und Anne - die Musikwelt braucht Eure Arbeit ganz dringend. Bis spätestens nächstes Jahr!
(Ms) Auch wenn andere das sicher viel besser und pointierter aufschreiben können, es muss Platz bekommen. Friedrich Merz muss gewusst haben, was er sagt bezüglicher der ganzen Stadtbild- und Töchter-Diskussion. Er muss es gewusst haben. Und hat es in Kauf genommen. Oder einfach nur recht unverhohlen seinen eigenen Rassismus zur Schau gestellt, denn etwas anderes ist es nunmal nicht. Und wieso diese blödsinnige Diskussion? Weil die CDU sich von der AfD gängeln lässt. Wieso übernimmt sie Migration als Thema? Es ist ein völlig irrelevanter gesellschaftlicher Punkt. Nur 4-5% der Bevölkerung sehen es in ihrem eigenen Leben als relevantes politisches Thema an. Vollkommen zu vernachlässigen. Aber alle springen auf den Zug auf, weil die AfD das Thema pusht. Diese Partei ist nur so erfolgreich, weil andere sie erfolgreich machen, nicht aus eigener Kraft. Wieso wird seit Jahren nicht über Bildung gesprochen? Nicht über bezahlbares Wohnen? Nicht über die Inflationsrate? Nicht mehr über den Klimawandel? Nicht über nachhaltige Energien? Nicht über die Finanzierung von Renten in einigen Jahren? Nicht über Tierhaltungsformen? Das sind so wichtige, große Themen. Damit lassen sich doch zahlreiche Menschen ins Boot holen. Damit lässt sich doch Politik machen, die die Menschen hier betrifft. Ahhhh, ich check es nicht!
Portugal. The Man
(Ms) Es ist nun 16 Jahre her. Am 4. Oktober 2008 spielten Portugal. The Man im Rahmen der Visions Partys im Bielefelder Forum und seitdem sind mein Freund C. und ich fest davon überzeugt, dass wir sie für den gesamten europäischen Kontinent entdeckt haben. Wer dem nicht glaubt, ist selbst schuld. Censored Colors hieß ihre damals aktuelle Platte und klang anders als die Tracks, für die die Band später weltweit bekannt wurde insbesondere Feel It Still. Logo, ein geiler Track. Doch was die Band aus Alaska stets ausgemacht hat, war eine große Vielseitigkeit. In der Intensität, im Rhythmus, in der Energie. Die ersten Platten hatten vielleicht nicht so viel Groove, aber ungeheuer viel Druck. Am 7. November erscheint ihr neues Album SHISH und ich muss gestehen, die Band vorher ein wenig aus den Augen verloren zu haben. Doch die neuen Stücke wie Angoon oder Mush lassen Großes erhoffen für die neue Veröffentlichung! Schnell, wuchtig, mitunter wild. Geil.
Clara Lucia
(Ms) Wiedererkennungswert. Wenn er schnell ist, liegt das ja in erster Linie an einer ganz charakteristischen Art des Musizierens. Mal ist es die Stimme, dann wieder ein bestimmter Rhythmus, der aufhorchen lässt. Oder das Spiel der Gitarre oder oder oder. Bei Clara Luzia ist es die Art, wie sie die Gesangsmelodien arrangiert. Sie mäandern auf ganz wundersame Art und Weise. Hoch und runter, aber in einem klar umrissenen Rahmen, sodass es beinahe schon hypnotisch ist. Das lässt sich staunend beobachten auf ihrer aktuellen Single Matter Of The Heart, die seit drei Wochen draußen ist und einen ganz schnell in den Bann reißt. Wow, dieser Track ist ganz dicht, sehr kompakt und voller Schönheit! Ihr neues Album Horelia erscheint am 21. November!
Anda Morts
(Ms) Fast Ende Oktober und immer noch gibt es frische Alben aus diesem September, die bislang keinen Platz hier hatten. Der September war einfach viel zu voll mit neuer, guter Musik! Anda Morts gehört dazu, der letzten Monat seinen Erstling ANS veröffentlicht hat. Ist das LoFi-Punk oder Homemade-Indie? Ach, egal, oder? Es ist ganz herausragend, was der Österreicher macht. Zudem super aufrichtig! Und das ist sogar hörbar, wie geil kann es eigentlich sein?! Auf den 12 neuen Tracks, die eine angenehme Spieldauer von einer guten halben Stunde haben, singt er von eigenen Perspektiven auf das Leben. Politik, Liebe, Geschichten aus dem Hier und Jetzt. Super charmant ist dabei natürlich seine markante Stimme und er macht mit seiner Band Platz für die Orgel im Indie-Rock. Hallo, alter Freund, du hast viel Energie dabei und viel Tanzbarkeit!
24.10. Wien, Arena 26.10. München, Strom (ausverkauft) 27.10. Heidelberg, HalleO2 28.10. Köln, Gebäude 9 29.10. Koblenz, Circus Maximus 31.10. Kassel, Schlachthof 01.11. Bremen, Lagerhaus 02.11. Dortmund, Junkyard 03.11. Hannover, Bei Chez Heinz 05.11. Bielefeld, Nummer zu Platz 06.11. Hamburg, Knust 07.11. Rostock, Peter Weis Haus 12.11. Berlin, SO36 (ausverkauft) 13.11. Jena, Kassablanca 14.11. Mainz, Schon Schön 15.11. Konstanz, Kulturladen
Black Sea Dahu
(Ms) Je öfter sich ein Sprichwort wiederholt, desto leerer wird es. Carpe Diem ist doch nichts anderes mehr als ein platter Werbespruch, oder? Doch ist das Nutzen des Augenblicks nicht eine wunderbare Sicht auf die Dinge? Was liegt alles darin? Manch Trauriges, manch Schönes und was bleibt eigentlich davon mal übrig? Die Frage stellten sich auch Black Sea Dahu, als sie auf der letzten Tour eine verletzte Taube fanden, die später starb und der sie ein Grab geschaufelt haben. Sie gaben ihr den Namen Ruth und so heißt auch die neuste Single aus ihrem kommenden Album Everything (Februar 2026). Ein Lied, das über das Lebenswerte in unserem Dasein nachdenkt. Und das mit unglaublich viel Charme, feinsten Arrangements (hört mal auf die Klarinette im Hintergrund!) und doch ganz viel Entspannung. Wow - wie schön Musik doch einfach sein kann! Kurioserweise kannte ich die Klänge dieser Band vorher gar nicht so intensiv - so sind sie das Schönste, was ich zuletzt entdeckt habe!
Fjørt
(Ms) Meine Güte, haben da beim letzten Mal die Wände gewackelt, als Fjørt im Bremer Schlachthof gespielt haben. Ich war leider etwas knapp in der Zeit und musste oben in der Ecke in der zweiten Reihe Platz nehmen - diesen Fehler werde ich nicht nochmal machen! Ein Glück, dass im nächsten Frühling eine gute Gelegenheit kommt. Denn das Aachener Trio geht auf Tour! Sie wird unter dem ominösen Titel „Bé Fjørt“ stattfinden und man sollte sich fix ein Ticket besorgen.
Nein, ich habe keine geheimen Insiderinformationen, aber der Mechanismus im Geschäft sollte doch recht offensichtlich sein, oder? Da kommt doch noch ein Album und vor Weihnachten bestimmt noch mindestens eine Single. Oder? Oder? Oder? Ich hoffe sehr!
(Ms) Kopfhörer auf, ein bisschen lauter drehen und sich kurzum in einer anderen Welt wiederfinden. Einer Welt, in der Mechanisches und Körperliches zusammengefügt werden. Wo analog und digital sich ergänzen und nicht ausschließen. Eine Welt des erhöhten Tempos. Eine Welt voller Groove und des Eintauchens. Herzlich willkommen bei Urlaub In Polen und ihrer neuen Single. Abacus heißt der Track und er kündigt ihr neues Album Objects, Beings And Parrots an, das am 23. Januar bei Tapete erscheinen wird. Wo man am Anfang noch denken könnte: Geil, Krautrock in modernem Gewandt, da wird klar, dass im Laufe des Stücks immer eine neue Ebene dazu kommt. Dann knallen die Gitarren ein wenig mehr, da wird die Drum Machine vom Schlagzeug abgelöst und Gesang tritt ein. Das hat nicht nur wahnsinnig viel Sogkraft, sondern macht auch ungeheuer viel Spaß. Da lauert zu Beginn des neuen Jahres direkt ein Highlight!