Freitag, 30. Juli 2021

KW 30, 2021: Die luserlounge selektiert

Bild: paperlounge.de
(ms/sb) Clemens J. Setz hat den diesjährigen Georg Büchner-Preis verliehen bekommen. Wohl der renommierteste Literaturpreis im deutschsprachigen Raum. Als er vor vielen Jahren Die Liebe Zur Zeit Des Mahlstädter Kindes veröffentlicht hat, wusste ich überhaupt nichts damit anzufangen. Der Titel ist selbstredend fulminant. Aus dem Kopf weiß ich auch gar nicht mehr, worum es geht. Meine Erwartungen daran waren recht hoch und ich blieb etwas ratlos zurück. Auch an den Inhalt von Der Trost Runder Dinge kann ich mich nicht mehr erinnern. Dann las ich jedoch Indigo und Die Stunde Zwischen Frau Und Gitarre. Beide haben mich dann restlos überzeugt, beziehungsweise einen ganz neuen Blick auf den Autor ermöglicht. Natürlich habe ich mich auch ein wenig von den hochlobenden Worten aus dem Feuilleton verleiten lassen, dass Setz der nächste große, gewichtige Stern am Literaturfirmament sein wird, daher habe ich nicht aufgegeben und keine trotzige Haltung à la 'Das ist ja pseudointellektueller Turboschrott' eingenommen. Insbesondere der dicke Wälzer ...Frau Und Gitarre hat mich baff zurück gelassen. Komplett verstörend. Dennoch sind die 1000 Seiten so geschrieben, dass es nie ermüdend oder öde wird. Wahre Kunst halt. Dieser Preis ist absolut gerechtfertigt!

Hier geht's aber immer noch nur um Musik. Auch wenn die luserlounge in den letzten Freitagsrubriken nicht so dick aufgetragen hat, machen wir hier weiter. Klein, fein, aufmerksam. Ab geht's:
 
Maffai
(sb) Laut Wikipedia machen sie Post-Punk, aber was sind Schubladen schon wert? Genau, gar nix. Gefallen muss es und das tut's. Auch wenn mich persönlich die ersten Töne von Shiver (VÖ: 06.08.) haben erschaudern lassen, so legt das Album dann doch gewaltig zu und weiß sowohl melodisch als auch textlich zu gefallen. Besonders wenn die Melodien fast schon ins Poppige abdriften, spielen Maffai ihre Stärken aus. Die Franken ließen sich sicher auch im Emo-Bereich gut verorten, aber wie gesagt: Scheiß auf Genregrenzen, lasst sie mal einfach machen. Tickets für die Tour gibt auch schon, also hin da!
 
 
Gregor McEwan
(ms) Ist der Sommer die beste aller Jahreszeiten? Klar, da gehen die Meinungen auseinander. Klar ist aber auch, dass dann die Zeit geboten ist, möglichst viel draußen zu sein. Logisch. Auch aus Vitamin D-Gründen. Nicht ganz so melancholisch wie Herbst und Winter ist er. Nur wenn er vorbei ist. Dann schauen wir traurigen Auges zurück auf die Wochen und Monate, in denen wir uns ausschließlich von Eis und Erdbeeren ernährt haben und draußen Bier und gute Menschen genossen haben. Der absolut wilde Gregor McEwan hat zu dieser Jahreszeit die nächste EP erstellt. Summer Breeze erscheint heute! Die vier Stücke sind automatisch der Soundtrack dieser Wochen, weil der Musiker es einfach komplett verinnerlicht hat, wie eine bestimmte Jahreszeitenstimmung in einem Lied wirken muss. Wie auch auf den vorherigen Jahreszeiten-EPs zeigt sich Gregor klanglich facettenreich aufgestellt: Andächtiger Folk-Pop geht genauso wie rockige Kurzweil, akustische Eindringlichkeit und allerbeste Indie-Gitarre! Sommer! Jetzt!


Drangsal
(ms) Will Drangsal noch schocken? Kann er noch schocken, beziehungsweise aus ästhetischen Gesichtspunkten aufmerksam machen? Ich glaube nicht. Klar, er ist im neuen Video zu Exit Strategy halbnackt zu sehen. Aber das ist nun echt nichts besonderes, würde ich mal salopp formulieren. Das Zeigen von Nacktheit hat spätestens in Lars Eidinger seinen Meister gefunden, der sich ja kaum beherrschen kann, die Klamotten am Körper zu behalten. Vielleicht will Drangsal aber auch mit dem schlechten Video für Gesprächsstoff sorgen. Oder es ist ihm alles egal, das wäre der sympathischste Schachzug. 
Ende August erscheint sein zur Single gleichnamiges Album und er findet offensichtlich darauf immer mehr zu seinem eigenen Klang. Keine Scheu vor Kitsch und Pathos im Text gepaart mit einem unaufhaltsamen Drang nach vorne im Sound. Sehr gut, sehr reif. Im Track geht es um die Sehnsucht nach sozialem Aufgefangensein, Romantik und der eigenen künstlerischen Standortbestimmung, bevor alles den Bach runter geht. Das ist ihm erneut federleicht gelungen! Was ein Teufelskerl!

Voodoo Jürgens
(ms) Zu dem Film Sargnagel kann ich wirklich nichts sagen. Es soll die Verfilmung vom Buch Fitness der Schriftstellerin sein, bei dem die Filmförderung als Bedingung gestellt hat, dass sie sich selbst spielt. Es geht um den österreichischem Kulturbetrieb mit seinen Auswüchsen, der ein bisschen aufs Korn genommen wird. Klar, dass das ohne Voodoo Jürgens nicht möglich ist. Daher hat er nicht nur einen kleinen Auftritt, sondern auch den gesamten Soundtrack zum Streifen geliefert. Taunzn ist ein klassischer, etwas poppiger Jürgens, wie er im Buche steht. Für mich als Wahl-Norddeutscher ist mal wieder nicht ganz so viel zu verstehen, aber die Schwingung kommt super rüber. Allein das Video mit seinem verschmitzten Grinsen ist goldwert! Ende August kommt der Film in die österreichischen Kinos und auch sicher hierzulange sollte er irgendwo laufen. Bock habe ich auf jeden Fall! Und danach die ganze Nacht durchtaunzn!

Juse Ju x Fatoni
(ms) Sie haben wieder zugeschlagen. So extrem lässig, dass ich es kaum aushalte. Klar, der Track kam schon letzte Woche raus. Toni hat heute auch ein neues Stück veröffentlicht. Ist mir alles egal. Dieser Song hier knallt wunderbar rein. Legit heißt das Ding von Juse Ju und Fatoni. Dieses Ding ist der allerbeste Beweis, wie krass ich bei Rap auf den Beat anspringe. Klar, der Diss- und Status Quo-Track weiß in jeder einzelnen Zeile zu überzeugen. Aber dieser Beat ist unverschämt genial, Juse hat ihn mit produziert. Knallhart! Meines Erachtens ein weiteres, deutliches Zeichen, wie Juse Ju als Künstler immer weiter wächst. professioneller, besser wird! Mitgezählt habe ich nicht, aber Juse veröffentlicht jeden dritten Donnerstag im Monat ein neues Lied. Bald soll es dieses Sammelsurium als Album geben. Super Strategie. Könnte halt ein neuer Meilenstein im Rapbusiness sein. Ist so. 

DŸSE
(ms) Die Sonne scheint, das Wochenende soll gut werden. Also ab: eine runde raus. An den See, ans Meer, in den Park, auf ein Openairkonzert, Hauptsache nicht drinnen bleiben. Wenn das doch passiert, also drinnen sein, ist es endlich mal wieder Zeit, sich richtig derbe anschreien zu lassen. Wir in der luserlounge würden dies durchaus als kleines Hobby bezeichnen: Sich regelmäßig mal aggressiv (und durchaus ein bisschen Banane) anbrüllen zu lassen. An diesem Wochenende übernehmen das DŸSE und das nach allen Regeln der Gaga-Kunst. Das Stück heißt Der Haifisch Die Zähne. Ja, gibt es noch Fragen? Das Duo ist meines Erachtens, wenn überhaut mit irgendwem, mit The Hirsch Effect zu vergleichen. Krasser Krach, der kein Pardon kennt. Am 17. September erscheint Widergeburt, die nächste Platte. Da kommt das gleiche dann halt auf Albumlänge. Geil. Ich hab Bock!



Konstantin Gropper x Ziggy Has Ardeur
(ms) Okay, ab und an regnet es ja. Oder ich hab keine Lust was zu unternehmen. Oder der Magnet im Sofa und der in meinem Körper sind mal wieder so gepolt, dass sich mich nicht aufstehen lassen. Ihr kennt das. Dann wird eine Serie durchgezogen, weil ich zu faul bin, mir irgendeine super gute Dokumentation bei arte anzuschauen. Traurig, aber wahr. Gut, dass nun die dritte Staffel der sehr guten Serie How To Sell Drugs Online (Fast) erschienen ist. Ein extrem sehenswerter Beweis, dass gute Unterhaltung, sowohl witzig als auch dramatisch, aus hiesigen Produktionen stammen kann. Ich bin großer Fan und freue mich sehr, wenn die Zeit für mich reif ist, die Staffel durchzuschauen. Bis dahin wird die Vorfreude musikalisch untermalt. Von niemand geringerem als Get Well Soons Konstantin Gropper und seinem Partner in Crime Ziggy Has Ardeur (was ein super Name!). Funny Treats war bereits der Track der vorherigen Folgen und er erscheint nun in einem modifizierten Gewand von Modeselektor! Knarzender Bass, dunkle Beats! So muss das sein. Und dann: Film ab!

Montag, 26. Juli 2021

Live in Oldenburg: Niels Frevert

Quelle: facebook.com/kultursommeroldenburg
(ms) Eines muss ich jetzt mal loswerden: Diese ganzen bestuhlten Konzerte momentan. Ich finde es zum Teil gar nicht so schlecht. Klar, es kommt absolut aufs Genre an, wegen tanzen, skandieren, moshen. Die ruhigeren, eindringlichen Konzerte im Sitzen zu bestaunen, gefällt mir gut. Zumindest für den Moment. Ich bin mir sicher, dass ich diese Meinung irgendwann wieder revidieren werde. Daher frage ich mich auch, wie es für die Menschen auf der Bühne ist. Denn der genutzte Platz ist ja viel größer. Kommt es denen wohl so vor, dass mehr Menschen da wären? Wäre ja auch ein schöner, wenn auch leicht trügerischer Effekt.

Am Freitag fanden sich also gut 300 Menschen (ich bin sehr schlecht im Schätzen) auf dem Platz vor dem Prinzenparlais in Oldenburg ein, mitten in der Stadt, schön und entspannt gelegen. Etwas seltsam war, dass die Einlasskontrolle etwas lax war, ebenso wurde auf die Einhaltung der Maskentragepflicht außerhalb des Sitzplatzes eher wenig Wert gelegt. Schade, dass sowohl die Besuchenden als auch die Organisatoren da etwas nachlässig waren.

Der Oldenburger Musiker Stenz eröffnete mit Gesangs- und Gitarrenbegleitung den Abend. Ziemlich sympathische Typen, die ihre Gagen den Opfern der Flutkatastrophe spendeten. Doch die Musik kam nicht bei mir an. Vielleicht macht der Akustikgitarren-Rock'n'Roll sich besser in einer schummerigen Kneipe als auf einer großen Bühne.
Anders als Niels Frevert mit Band. Zugegeben macht er ja auch nicht den großen Krach. Doch sein Songwriterpop passte extrem gut in diesen Abend. Das liegt sicher auch daran, dass der Sound ziemlich gut war. Sehr rund und warm. Das gefiel mir auf Anhieb. In Bandbesetzung geschah etwas ganz Besonderes, was mich über die ganzen eineinhalb Stunden total gefreut und begeistert hat. Zwischen den Musizierenden auf der Bühne herrschte offensichtlich eine derart ausgewogene, leichte Stimmung und Harmonie, die sich im Klang widerspiegelte. Egal wer, sie lächelten sich immer wieder gegenseitig zu am Ende eines Parts, zwischendurch einfach so, nach einem Lied. Eine ansteckende Atmosphäre.
Niels Frevert macht ja eher introvertierte, teils melancholische, durchaus gefühlvolle Musik. Dennoch war es ein extrem leidenschaftlicher, lockerer Auftritt und überhaupt kein Widerspruch zwischen Inhalt und Stimmung. Sehr schön!
Es sind dann ja die Lieder, die einen selbst stark berühren, die am Ende des Tages haften bleiben. Brückengeländer ist für mich so eines, das mir ganz nahe geht und gerne lasse ich es immer wieder zu. Wind In Deinem Haar gehört trotz allem Pathos genauso dazu. Ebenso Muscheln und Speisewagen. Herrlich. Irgendwann wünsche ich mir mal noch eine Livedarbietung von Schlangenlinien und Das Mit Dem Glücklichsein Ist Relativ.
Auch wenn für mich verhältnismäßig spät auf Niels Frevert gestoßen bin, bin ich sehr froh, dass ich seine Musik kenne und sehr gern hab. Sie trifft und berührt mich. Nicht nur auf Platte. Sondern auch an einem entspannten Sommerabend in der Oldenburger Innenstadt im Rahmen des Kultursommers!

Sonntag, 25. Juli 2021

Live in Hamburg: Fortuna Ehrenfeld

Klein: Drei Mangas in Tangas
 (ms) Eine Band zum ersten Mal zu sehen ist für mich immer mit Neugier verbunden. Wie hören sie sich an? Wie bringen sie den Sound auf die Bühne? Packt mich die Musik genauso wie auf Platte? So erging es mir vor einer Woche bei Mädness und Döll.
Eine Band zum elften Mal zu sehen, ist wie nach Hause kommen. Da weiß ich halt schon, was mich ungefähr erwartet, die meisten Lieder kenne ich, viele singe ich auswendig mit. So ist es bei Fortuna Ehrenfeld. Eine Formation, die sich in kürzester Zeit tief in mein Herz gespielt hat. Klingt nach kitschigem Pathos, ist aber so. Ein Trio, das unermüdlich unterwegs ist, alles mitnimmt, was irgendwie möglich ist. Auch in diesen Zeiten. Die sind absolut sicher unterwegs, weil sie Bock, Bock, Bock und völlig einen an der Mamel haben! Dafür stehen Jannis, Jenny und Martin mit ihrem guten Namen.
Hamburg also. Für die Kölner seit je ein sicheres Pflaster. Was war das am Donnerstag für ein herrlicher Tag?! Sonnig, nicht zu heiß, guter Sommer. Tagsüber treiben lassen. Großer Genuss. Abends nach Planten Un Blomen, Musikpavillon. Die Sicherheitsvorkehrungen waren sehr gut, ich fühlte mich gut aufgehoben. Luca App, zugewiesener Sitzplatz und Ordner, die sehr freundlich aber bestimmt die Maskentragepflicht außerhalb des Sitzplatzes erläutert haben.
Fortuna Ehrenfeld also. Eine futuristische Bühne mit Federboa. Alles normal also. Die Rotweinflasche ist bereits geöffnet, als sie die Bühne betreten und die gut 250 Zusehenden applaudieren. Zurecht. Bechler sagt direkt nach ein, zwei Liedern: "Das wird geil heute." Recht hat er. Mit dem neuen Album stehe ich auch nach dem Auftritt auf Kriegsfuß, es kommt einfach nicht so richtig bei mir an. Was für mich den Genuss eines Fortuna-Konzertes ausmacht, ist diese absolut verrückte Harmonie auf der Bühne. Die drei passen halt derart gut zusammen, das perlt aus jeder Note. Alle bescheuert, alle super. Insbesondere die kleinen Einspieler Namens Lebenshilfe mit Fortuna Ehrenfeld waren garantierte Lacher. Dazu garnierte sich ausgiebiger Gebrauch von Konfettikanone und einer Zugabe, die sich gewaschen hat. Tanzen vor/an den Sitzen war nicht erlaubt, aber für einen Song durften sich alle auf die Stühle stellen. Nicht für irgendein Lied, sondern vielleicht für das beste Mitsinglied des Sommers: Arschloch, Wixer, Hurensohn. Wenn 250 Menschen auf den Stühlen stehen, die Band vor den Instrumenten, unverstärkt singt, alle den Mittelfinger in die Luft recken und dann inbrünstig diese drei Worte singen, brüllen, rufen... dann ist alles genauso, wie es sein soll.
Fortuna Ehrenfeld, ihr macht mich fertig. Immer, immer wieder. Lebenshilfe sind Konzerte! Ist so.

Unschöne Notiz am Ende: Wenige Tage später spielten sie in Herten und der Tourbus wurde aufgebrochen und komplett ausgeräumt. Arschloch, Wixer, Hurensohn.

Freitag, 23. Juli 2021

KW 29, 2021: Die luserlounge selektiert

Quelle: br.de
(sb/ms) Um Pflanzen kann ich mich extrem schlecht kümmern. Ich habe überhaupt kein Händchen dafür. Das tut mir immer so wahnsinnig leid, wenn sie mal wieder den Kopf hängen lassen. Letztens musste ich zwei entsorgen, die schon wie zu lange auf meinem Balkon verweilten, ohne auch nur im entferntesten von mir gepflegt zu werden. Zwei haben es bislang ganz solide hier geschafft. Ich vermute aber auch stark, dass sie so gezüchtet worden sind, dass Menschen ohne grüne Daumen, also wie ich, durchaus im Stande sind, sie am Leben zu halten. Nun kommt ein weiteres Problem dazu. Mir wurde eine kleine grüne Pflanze geschenkt. Ich habe auch überhaupt keine Ahnung, wie die alle heißen. Ganz, ganz große Bildungs- und Pflegelücke. Umtopfen ist der erste Schritt zur Lebenserhaltung, glaube ich. Und dann: Mal schauen. Ich habe die böse Vermutung, dass ich eine ihr Verwandte schon mal... überpflegt habe. Starte ich also ein neues Experiment. Grüner Daumen 2021. Die letzte große Herausforderung!

Zum Glück sind wir ein Musik- und kein Pflanzenblog. Von Klang haben wir Ahnung. Hier der Beweis:
 
Colin Hay
(sb) Es ist ja nicht so, dass man Colin Hay nicht kennen könnte. Als Sänger der Band Men At Work landete er mit "Down Under" Anfang der 80er Jahre einen Welthit, der noch heute regelmäßig im Radio zu hören ist. Den Jüngeren sind eventuell diese Zeilen geläufig:

I can't get to sleep
I think about the implications
Of diving in too deep
And possibly the complications

Especially at night
I worry over situations
I know I'll be alright
Perhaps it's just imagination

Day after day it reappears
Night after night my heartbeat shows the fear
Ghosts appear and fade away“

 
Serienaffine Menschen dürften das schon mal gehört haben, zumindest wenn sie Scrubs gesehen haben. Ganz, ganz großartig! Und dennoch hat es Colin Hay als Solokünstler nie so wirklich ins Rampenlicht geschafft - zumindest nicht in Deutschland. Am 06.08. veröffentlicht der Künstler nun sein neues Album I Just Don’t Know What To Do With Myself und liefert darauf zehn großartige Coverversionen ab. Klar, das ist Mainstream, aber von der angenehmen Sorte. Ich wage mal die Prognose, dass auch diese Scheibe nicht für den ganz großen Durchbruch sorgen wird, was aber weniger daran liegt, dass die Qualität nicht stimmt, sondern eher daran, dass der inzwischen 68-Jährige gar keinen Wert darauf legt, die ganz große Masse zu erreichen. Für mich als Beatles-Fan ragt das Cover von Norwegian Wood heraus - ohnehin einer meiner Lieblingstracks der Fab Four. Auch Blind Faith, Del Amitri, Dusty Springfield, Faces, Gerry & the Pacemakers, Glen Campbell, Jimmy Cliff und The Kinks dürfen sich über äußert gelungene Remakes ihrer Klassiker freuen.

 
Vlimmer
(ms) Zugegeben ist Darkwave überhaupt nicht das Genre, was regelmäßig durch meine Wohnung ballert. Doch wenn ich Post von Alex aka Vlimmer bekomme, dann wackeln hier zumeist die Wände. Diese dunkle Energie, die mir den Atem nimmt, ist faszinierend. Als ob die Wände näher kommen und der Sauerstoff langsam weniger wird. Diese Wirkung muss Musik erstmal entfachen. Nach einer völlig wahnsinnigen achtzehnteiligen EP-Serie, bringt Alex nun sein erstes Vlimmer-Album heraus, das Nebenkörper heißen wird. Fensteraus ist die erste Single, die mich in den genannten Zustand versetzt hat. Klar, das brauche ich nicht jeden Tag, aber es hat einen derart starken Effekt, das ich mich dem gerne hingebe, es vereinnahmt mich. Pausenlos, verzerrt, dicht, düster, beinahe belastend, aber in einem kunstvoll genießerischen Rahmen! Wie wird das erst in Albumlänge wirken? Kaum auszumalen, aber ich freue mich ungemein drauf!


Mono
(ms) Mono kleckern nicht, sie klotzen hart! Seit 22 Jahren machen die JapanerInnen opulente, dramatische, cineastische alternative Rockmusik. In dieser Zeit haben sie elf (in Zahlen 11!) Studioalben veröffentlicht und erst kürzlich hauten sie ein neues Live-Album raus. Das ist schon ein enormer Output, ein Zeugnis von purer kreativer Schaffenskraft. Enorm. Nicht nur diese Fakten lassen mich beeindruckt zurück, sondern auch oft die Länge der einzelnen Stücke. Riptide ist der Vorbote vom nächsten Streich. Pilgrimage Of The Soul erscheint am 17. September und die erste Single kommt mit einem fast zehnminütigen Video daher. Das ist krass. Das ist sehr gut. Vor allem, weil das Video als solches so einvernehmend ist. Traurig, dramatisch, ausweglos, perfekt mit der Musik in Szene gesetzt. Tatsächlich tendiere ich dazu, zu sagen, dass das Video wesentlich näher geht als die Musik. Daher wünsche ich mir für das kommende Album, dass es zu jedem Stück ein Video gibt, das im gleichen Kosmos spielt. Wie gerne würde ich wissen, wie der Typ in diese Situation gekommen ist, wie die Gesellschaft dort tickt, wie es seinem Kind geht und was das eigentlich für maskierte Menschen sind. Vielleicht geht mein Wunsch nicht in Erfüllung, dann drehe ich im Kopf zum kommenden Album halt meinen eigenen Film.


Ghost Pony
(ms) Die Art und Weise, wie ich Musik höre, beeinflusst auf jeden Fall auch deren Wahrnehmung. Hören über Kopfhörer ist immer wesentlich eindringlicher, als wenn sie 'nur' aus den Boxen kommt. Beim Berliner Trio Ghost Pony ist das eine gute Intuition gewesen, da ihr Sound auf positive Weise beklemmend ist. Der Klang ist durchaus dunkel und geheimnisvoll angehaucht. In den vorherigen Singles beschäftigten sie sich unter anderem mit sexueller Belästigung, da ist der Klang schon sehr gut gewählt. Auch Andy Wants To Be A Star ist klanglich wesentlich besser als das Video, sorry. Soweit ich den Text verstehe, schafft Andy das Starsein nicht. Trotz Insta- und TikTok-Selbstdarstellung ist es natürlich ein absolut legitimer Wunsch, Star werden zu wollen und das Rampenlicht zu genießen. Den wenigsten ist es vergönnt. Viele brechen vorher ein oder stürzen ab. So romantisch der Mittelpunkt auch sein mag, ist es doch ein verdammt hartes und verlustreiches Geschäft. Ghost Pony haben am Mittwoch ihr selbst betiteltes Album veröffentlicht, das unbedingt zu empfehlen ist!


Blurry Future
(ms) In den ersten zwanzig, dreißig Sekunden musste ich hier sofort an Eminem denken. Macht der eigentlich noch Musik? Dann setzt diese unglaublich geile Gitarre ein und das Stück Guess What von Blurry Future verwandelt sich in einen mittelfingerzeigenden Crossovertrack vom Allerfeinsten. Er besticht durchaus durch seine Kurzweil, keine zweieinhalb Minuten geht das hier und haut mir komplett auf die Zwölf! Das Duo wird im kommenden Frühjahr sein erstes Album veröffentlichen und ist mit Vorschusslorbeeren verziert. So gewannen sie den Hamburger Musikpreis Krach & Getöse vor drei Jahren kurz nachdem sie sich überhaupt erst gegründet haben. Charlotte und Marlon haben einen eigenen Sound entwickelt und das könnte auf Albumlänge wirklich, wirklich bestechend sein! Lassen wir uns überraschen.


Duchamp
(ms) Bock auf Oldschool-Punkrock? Kein Problem! Hier kommt eine Kombination, die genau das lebt, Punkrock strömt durch ihre Venen, pumpt durch den Körper, Geist, das ganze Leben. Logischerweise muss das auch irgendwo raus. Gibt es also einen Grund, warum das erste Video auf einem Clubklo gedreht worden ist? Ich vermute eher nicht. Also, worum geht es bei Duchamp? Klar, das sind Newcomer, aber auch alte Hasen. Teile der Donots, Schrottgrenze, Adam Angst und Pale sind das! Ingo Knollmann, Benni Thiel, Christian Kruse, Peter Tiedeken. Sie machen Punkrock, wie er in den Lehrbüchern steht. Kompromisslos, pausenlos, voller Energie, einfach alles raus. Die einzelnen Bands sind durchaus ein wenig vom alten, kernigen Punkrock abgedriftet, aber selbstredend immer noch saustark. Klar, dass dieser alte Geist in ihnen wohnt und ein Medium braucht. Es wird Slingshot Anthems heißen und bereits in vier Wochen erscheinen (VÖ: 20. August!). Die alten Herren sind halt nicht zu bremsen. Saugut! Ab geht's:

Donnerstag, 22. Juli 2021

Alex Mayr - Park

Foto: Sarah Ungan
(ms) Zeit. Zeit war für viele Menschen in den vergangenen eineinhalb Jahren genug da. Ihr wisst schon. Zum Glück gibt es viele Kreative, die sie produktiv und mit hörbar phantastischem, ästhetischem Ergebnis nutzen können. Anfang 2020, als noch alles ganz normal war, veröffentlichte Alex Mayr ihr letztes, wundervolles Album Wann Fangen Wir An. Gut 18 Monate später kommt schon der Nachfolger. Park heißt das Album, das am 9. Juli schienen ist. Ein Ort, der für Mayr zuletzt das logische Areal des Hingehens und Zeitvertreibs war, als sonst nicht so viel möglich war. Ein C.- und Konzeptalbum also. 

Auch für diese Platte hat sie mit ihrem Drummer Konrad Henkelüdeke und dem großartigen Konstantin Gropper zusammen gearbeitet, was - wie beim Vorgänger - extrem gut aufging. Sehr gut hör- und spürbar in Dramatik und zum Teil sehr gut eingesetzter Opulenz, die in keinem einzigen Takt drüber zu sein scheint. 

Das sind Elemente, die sich also auf beiden Alben finden. Ich finde es großartig, dass sie 'einfach' auf diesem Weg weitermacht. Auf Park gesellen sich auf andere Stilrichtungen neben den Artpop, den sie verinnerlicht hat. Beispielsweise ein etwas retrohafter Pop, wie ihn unter anderem Sofia Portanet praktiziert. Das alles ergänzt sich auf den elf Stücken ganz hervorragend. Auch thematisch bleibt sie sich treu: Liebe, Vergangenheit, Wurzeln, Schräges, Träume und Humor.
Nun ist oft zu hören, dass das zweite Album das schwerste sei. Ich bin kein professioneller Musiker. Es kann also durchaus sein. Manch eineR werkelt jahrelang am Debut und sieht sich dann gezwungen nachlegen zu müssen. Ich denke jedoch, wenn sich die Musizierenden auf ihre Stärken berufen und diese gut kennen, dass es dann gar nicht so schwer ist, Album Nr. 2 zu entwickeln und einzuspielen.
Bei Alex Mayr war ich nach dem Hören der ersten Singles etwas skeptisch, ob sie mich nochmal so begeistern kann wie bei Wann Fangen Wir An. Ich bin sehr froh, dass sie es mit einer zauberhaften Wucht geschafft hat, mich erneut baff zurück zu lassen. Park hält das hohe Niveau des Vorgängers und verfeinert die Höhepunkt in Musik und Text an vielen kleinen Stellen. Und was eventuell noch wichtiger ist: Ihr ist es (erneut) gelungen, die überraschenden Momente genau richtig zu portionieren und einzusetzen!

Die Park-Metapher wird mit Eingang perfekt zu Beginn in Szene gesetzt. Gezupfte Gitarre, ein bisschen Bass, klare Stimme. Bis Sekunde 46. Ein Donner tritt auf. Ein wunderbarer, sehr harmonischer Bruch. "Wenn ich gehe, geh ich / wenn ich lebe, leb ich." Dies ist ein sehr dynamischer und abwechslungsreicher Beginn, quatsch, Eingang zu dieser Platte also. Das macht direkt Lust auf mehr. Aufs Eintauchen in ein wundervolles Album! Auf Alle macht sie sich von Konventionen frei. Ein Gedanke, der mich extrem anspricht, weil ich mich in der Haltung wiederfinde. Gesellschaftslemminge. Weil alle das machen, beispielsweise Hausbau, ist das halt gut und deshalb machen wir das auch. Ganz schön einschränkend. Hier wird der Rhythmus durch feine Klatscher ergänzt. Generell die Musik: Sie ist hier in ihren Details so fein. Der tanzende Bass, der mit dem Schlagzeug im Gleichschritt geht. Sehr geschickt, sehr gut.

Der Portanet-Pop tritt mit Margaritas an dieser Stelle auf. Zuerst fand ich das Lakonische in diesem Track gepaart mit dem Hall in der Gitarre ja zu platt. Aber dann kam es. Dann kam der Effekt. Er beschwingt in brutaler Zurückhaltung. Vermutung: Das Tambourin im Refrain war Groppers Idee. Schwelgen in schönem Glückstaumel, für den man auch einen Kater in Kauf nimmt. Flüchtige, romantische Begegnungen, die einfach nur im Hier und Jetzt stattfinden. Traumhaft!
Alex Mayr hat an der Popakademie Mannheim Sounddesign studiert. Das Western-Pfeifen als Start auf Zeit passt absolut dazu! Und dann der passende Gesamtsound mit markanter Gitarre und treibendem Schlagzeug. Einer der vielen Beweise, dass das hier kein normaler Pop ist. Beim letzten Mal habe ich Alex Mayr mit Mine vergleichen. Das hier ist viel besser und runder im Text und Arrangement als bei Mines aktuellem Album. Die Hektik der Gesellschaft wird hier mit opulenten Bläsern aufs Korn genommen. Packende Dramatik mit edlem, knallendem Sound! Was für ein Stück! Phantastisch! 

Chanson und Melancholie kann sie auch. Auf Allein ist sie sanft, leise, klar. Es muss nicht immer an jeder Ecke den neuen Höhepunkt in klanglichen Überraschungen geben. Auch das ein absolutes Zeichen klugen Songwritings.
Statue ist erneut Retropop, der mit hier sehr gut gefällt. Humor ist eine feine Sache in der Musik. Und Alex Mayr beweist es erneut. Auf dem Vorgänger gab es eine Liebeshymne auf ein altes Shirt. Auch wenn dieser Track durchaus wunderschönen Pathos aufweist, ist es natürlich auch schmunzelnd, wenn sie die Parkstatue im Text mit Leben versieht und ans Meer schickt.
Es ist immer wieder so fein, wie sie direkt mit ihren Geschichten einsteigt. "Er holt sie ab im Cabrio" singt sie auf Geisterbahn, da ist alles klar. Eine schaurige Kirmesgeschichte, dessen Ende sich der Cabriofahrer wohl anders vorgestellt hat. Ein Lied, das insbesondere textlich genossen werden muss. Das ist schon sehr cineastisch, sarkastisch, wunderbar! Dazu wünsche ich mir das kommende Video!

Ohrfeige: Ohja! Ich bin ganz entzückt und enorm angetan und total baff, wie sie zum Ende des Albums nochmal knallhart direkte Gesellschaftskritik raushaut. Es geht um Ignoranz gegenüber Menschen, Natur, Regelungen. Und diese lässt Mayr absolut nachvollziehbar ideenlos zurück. Nazis, Internettrolle und Internetaktivisten, ach-so-gute-Ratschläge der Yoga-Heinis. Puh. Einmal ein- und ausatmen. Der spoken-word-Teil kommt richtig gut. Alex Mayr. Enorm! Doch irgendwie muss man es nicht nur aushalten, sondern auch dagegen an arbeiten. Dass das letzte Stück Ausgang heißt, ist natürlich klug gemacht vom Albumaufbau her. Kaum zu glauben, dass nach dem extrem ruhigen Start dieses Liedes noch so ein brutales Feature kommt. Ein Lied, das voller wahrer, unkitschiger Zeilen strotzt! Frech, dass Alex Mayr uns Hörende mit so einem Brett aus diesem Album hinaus begleitet. Frech, frech, frech, grandios!

Das zweite Album also. Alex Mayr hat es mit Leichtigkeit gemeistert! Was für eine facettenreiche, kluge, humorvolle, einfallsreiche Künstlerin! Das kann man sich zum Glück bald hier anschauen:

30.07.21 Mannheim - Seebühne Luisenpark
06.08.21 Lüneburg - Kulturforum/Konzertscheune
07.08.21 Magdeburg - Moritzhof
08.08.21 Mainz - Fenster zum Hof
11.08.21 Mannheim - Delta Konzerte Sommerbühne (supporting Maeckes)
12.08.21 Bremen - Golden City Hafenbar (wir sehen uns hier!)
14.08.21 Oberhausen - Gdanska
15.08.21 Stuttgart - ClubCANN
26.08.21 Paderborn – Paderborner Kultursommer
29.08.21 Mannheim - 5. Zeltfestival Rhein-Neckar (supporting Olli Schulz)
03.09.21 Mannheim - Maifeld Derby 
04.09.21 Hannover - Komm raus! (freier Eintritt)

Montag, 19. Juli 2021

Live in Osnabrück: Mädness und Döll


Quelle: 16bars.de
(ms) Zehn Monate sind vergangen. Sie waren lang und zäh und entbehrlich. Vor allem waren sie viel zu leise. Der Besuch und das Erleben von Konzerten sind meine Motoren. Die Vorfreude fängt schon bei Bekanntgabe der Termine an, zieht sich über den Ticketverkauf und wird dann so richtig heiß, wenn der jeweilige Gig immer näher rückt.

Da ist das aktuelle Album von Mädness ziemlich hart abfeiere, war klar, dass ich mir das live geben muss. Ein großes Glück, dass er momentan mit seinem Bruder Döll auf Tour und Osnabrück insbesondere am Wochenende gut erreichbar ist. Tatsächlich kannte ich von Döll gar nichts. So tief im Rap-Business bin ich halt nicht verankert. Daher besorgte ich mir noch deren gemeinsames Album als Kompromiss und Vorbereitung. Und siehe da: Auch das überzeugt vom ersten Takt bis zum letzten Beat.

Der Hafensommer in Osnabrück liegt logischerweise am Hafen. Will sagen: Weit draußen, aber sehr ruhig und in unfassbar entspannter Atmosphäre. Kleine Biertischgarnituren säumten das Feld. Doch es bleibt ein Rätsel, warum vor Ort Beck's ausgeschenkt wird.
Most aus Osnabrück hat den Abend eröffnet. Es hat mich nicht gepackt. So ist es dann ja auch manchmal.
Als Mädness dann die Bühne betrat, war ich sofort da. Richtig Bock. All die Laster aus den vergangenen Tagen waren sofort passé und ich voll im Moment. Seine Art zu rappen ist einfach brutal gelassen und ziemlich klug. Dass Rap mich auch emotional berühren kann, wurde an diesem Abend bewiesen. Sehr geil, Mädness. Auch für ihn war es eine seltsame Zeit. Es war erst der zweite Auftritt mit seinem neuen Material und es war ersichtlich, dass er Bock hatte. Nach einem halbstündigen Set übernahm sein Bruder. Döll rappt spürbar härter und gerade dieser Kontrast war so bestechend, dass es wieder rund war. Sein Solomaterial kenne ich, wie gesagt, nicht. Aber ich werde es nachkaufen, da er mich schnell überzeugt hat und er behaupten kann neben Dende eine reibeiserne Stimme zu haben. Das war auch schnell im Publikum zu merken. Ab dem ersten Mädness-Track standen die Menschen an ihren Tischen, tanzten und bewegten die Rap-Arme. Logischerweise traten beide gemeinsam nach Dölls halber Solo-Stunde auf. Ich Und Mein Bruder ist ein enorm facettenreiches Rapalbum und das haben sie stark auf die Bühne gebracht. Auch wenn mir selbst die Tanzenergie fehlte, war ich komplett drin. Der Gig als solcher als auch der generelle Besuch eines Konzerts nach so langer Zeit war ein wohltuendes Ereignis, das mich lehrte, aufmerksamer im Rap zu sein!

Mädness und Döll. Döll und Mädness. Ich und mein Bruder. Mein Bruder und ich. Sehr gut live, wenn auch etwas zu kurz!

Samstag, 17. Juli 2021

KW 28, 2021: Die luserlounge selektiert

Quelle: gaz.wiki
(sb/ms) Es ist das weiße Blatt Papier, was auch die Blogger ideenlos zurück lässt. Tausend Dinge könnte ich hier niederschreiben, doch sie wären alle recht negativ angehaucht. Auf C. habe ich gar keinen Bock. Über die verheerenden Unwetter habe ich mich privat ausgetauscht und das ist nun auch kein Thema, das besonders die Laune pusht oder unterhaltsam ist. Eine schräge Begegnung aus der Woche gab es auch nicht, da sie voll mit Arbeit war. Und darüber will ich hier erst recht nicht berichten. Kommende Woche fängt die zweite Bundesliga endlich wieder an, aber hier geht es ja um Musik. Der Sommer ist da, aber über's Wetter zu schreiben ist nun wirklich der endgültige Beweis für fehlende Kreativität. Urlaubspläne sind Privatsache und gehören auch nicht hier hin. Und über Konzerte, die ich besuchen werde, berichte ich eh in einem jeweils eigenen Beitrag nach erfolgtem Besuch. Ach! So ein Glück, die ersten Zeilen sind voll, helfen aber auch wirklich niemandem weiter.

Was uns allen weiterhilft, ist Musik! Darüber berichten wir. Luserlounge hier. Selektiert!

Tristan Brusch
(ms) Der Herbst ist eh meine Lieblingsjahreszeit. Hitze mag ich nicht. Pulliwetter ist ideal. Zudem wird diesen Herbst etwas ganz erstaunliches passieren. Dann erscheint am 8. Oktober das neue Album Am Rest von Tristan Brusch. Zwei Stücke sind daraus bereits schon zu hören und beide lassen mich völlig verblüfft zurück, da ich so etwas noch nicht gehört habe. Der Abschaum ist das Lied, was seit Kurzem zu hören ist. Zum Einen bin ich unsagbar angetan von seiner Aufmerksamkeit den allerkleinsten Situationen im Alltag gegenüber, die er in seine Texte einbaut. Das finde ich selbst in meinem Alltag immer schön, ganz kleine Ausschnitte zu beobachten. Zum Anderen hat er die Gabe, sein wirres Ich oder einem Lyrischen Dinge singen zu lassen, die sowohl sonderbar als auch total normal erscheinen. Bin ich tatsächlich anders wie die andern? Und wer gehört zu den anderen dazu? Was zeichnet mein Anderssein aus? Darum geht's in diesem herrlichen Lied, das amüsiert und ganz dezent verstört. 

Moritz Krämer
(ms) Unperfektsein ist wahnsinnig sympathisch. Ist so. Auch im musikalischen Sinne. Wenn Moritz Krämer so ein bisschen schnodderig und brüchig singt, finde ich das sehr angenehm und aufrecht. Immer etwas zugänglicher, als wenn sein Eisenbahn-Kollege Francesco Wilking leicht abgehoben plaudert. Nachdem Krämer also seinen vergangenen Vertrag erfüllt hat und fleißig mit der höchsten aller Eisenbahnen unterwegs war, ist es wieder Zeit für ein Soloalbum. Es heißt Die Traurigen Hummer und erscheint am 1. Oktober selbstredend wieder bei Tapete Records. Die verstehen eh was von geschmackvoller Musik! Ist das Werk eine Anlehnung an David Foster Wallace?! Wohl kaum. Bodenständig klingt halt so abgedroschen, aber so ließe sich seine Musik durchaus beschreiben. Beweisen ist nicht nur ein unglaublich schönes, extrem harmonisches Lied, sondern zeigt eine tolle Metaebene. Er selbst muss auch nichts beweisen und tut es dennoch mit seinem speziellen, unbeeindrucktem Songwriting. Sehr schön, sehr rund, wohltuend!

Gisbert zu Knyphausen & Kai Schumacher
(ms) Steile These: Franz Schubert ist der poppigste Klassiker, den es gibt. Denn wie und von wem er rezipiert und interpretiert wird, lässt keinen anderen Schluss zu. Beweisführung: Vor einigen Jahren sah ich Konstantin Gropper und Michael Wollny im tollen Dortmunder Konzerthaus, wie sie gemeinsam Schuberts Winterreise intoniert haben. Ein wundervolles Erlebnis! Gisbert zu Knyphausen und Kai Schumacher sind auch fasziniert vom Lyriker! Am 10. September veröffentlichen die beiden das Album Lass Irre Hunde Heulen mit ihren Arrangements zu Schuberts Texten. Seit dieser Woche ist ein weiteres Lied mit einem schier wunderschönen Video dazu erschienen: Nähe Des Geliebten. Ja, ein herrlich verträumtes und romantisches Liebeslied, das die beiden nicht nur auditiv, sondern auch visuell eindrucksvoll darbieten!

Malta Mina
(ms) E.T. habe ich tatsächlich noch nie gesehen. Lohnt sich der Film? Ungewohntes aus fernen Galaxien mag ich generell gern in filmischer Umsetzung. Gerade schaue ich die Serie Katla, wo auch Dinge passieren, die nicht irdischen Ursprungs sein können. Die Alien-Reihe finde ich auch grandios. Dass Sebastian von Malta Mina ähnlich tickt, ist seit einigen Songs, die er veröffentlicht, ganz klar. Das All, alles was da draußen und schwer zu begreifen ist, fasziniert ihn wohl. Wie würde es fremden Wesen gehen, die durch unsere Städte spazieren? Das ist die Idee hinter Foreigner, seiner aktuellen Single. Die ruhigen und filigranen Synthie-Sounds des Liedes geben ihm genau die passende musikalische Atmosphäre. Eleni Zafiriadou macht den Klang mit ihrer Stimme noch runder. Die eine Hälfte von Sea + Air spaziert mit Sebastian durch die Stadt, woraus ein wahnsinnig stimmungsvolles Video geworden ist, da sie nur von hinten zu sehen sind und sich offensichtlich unterhalten. Eine extrem gelungene Kombination aus Bild und Ton!

Mola
(ms) Ein Liebeslied muss nicht zwingend hochromantisch und voller himmlischer Geigen sein. Ein Lied über die Liebe ist nicht zwingend monothematisch. Auch ein Trennungslied kann ein Liebeslied sein. Auch ein Verzweiflungslied kann ein Liebeslied seid. Mola springt genau in diesen sehr weiten Definitionsbereich des Liebeslieds. Auch eine komplette Momentaufnahme einer Armour Fou kann ja durchaus ein Liebeslied sein. Ob es so eine Verbindung ist, von der sie auf All singt, weiß ich nicht. Was feststeht, ist, dass es ein großer Zwischenraum ist zwischen komplett verliebt und am Boden zerstört. Gerade, wenn unklar ist, wohin die möglicherweise romantische Reise geht, kann der Moment ja durchaus genossen werden. Darum geht es in dem Track auch, der irgendwo zwischen Soul und Pop liegt. Das Stück hat zum Glück noch eine weitere Bedeutungsebene dank des Gastes, der rappt: Fatoni! Am besten selber hören. Und irgendwie freut es mich ganz doll, dass Fatoni hier ein toller Part gelungen ist, nach dem ich das gemeinsame Album mit Edgar Wasser doch ganz, ganz furchtbar fand.

 

Freitag, 9. Juli 2021

KW 27, 2021: Die luserlounge selektiert!

Quelle: facebook.com/club27tuebingen
(sb/ms) Ein moralisches Dilemma begleitete mich in den letzten Tagen. Eines Nachmittags fuhr ich mit der Bahn heim und nahm einen Platz, wo ich den Sitz umklappen musste. Der klemmte allerdings. Das lag an einem Gegenstand, der dahinter gerutscht ist. Ein Buch. Aufregende Zeiten von Naoise Dolan. Ich nahm es in die Hände, sah weit und breit niemanden, der es suchte. Die Person schien bereits ausgestiegen zu sein. Frage: Mitnehmen oder da lassen? Klauen oder nicht? Rettung oder Diebstahl? Zwischen den Polen lag nun der Konflikt. Ich nahm es mit, denn der Klappentext klang so unheimlich vielversprechend. Es geht um eine junge Frau, die aus Irland nach Hongkong ging, um dort Englisch zu unterrichten. Sie lernte einen Banker kennen, zog bei ihm ein. Beide führten eine unverbindliche Beziehung zwischen Wohnen und Sex. Dann musste er geschäftlich weg und sie lernte eine Dame kennen, verliebt sich in sie, sie schlafen miteinander. Er kommt zurück. Was passiert?! Klar, das hat mich neugierig gemacht. Aber das Schicksal schlug zu, als ich die letzte Seite umschlug. Was für ein gähnend langweiliges Buch! Sollte ich es geklaut haben, war der Inhalt die Strafe einer höheren Macht. Und ja, ich kann Bücher nicht einfach weglegen, muss sie zu Ende lesen. Wahnsinnig uninspiriert geschrieben und mit einem ätzend öden Ende. Sie machte mit ihr Schluss und ging mit ihm nach Deutschland. Bumms. Aus. Mööp. Wer druckt denn so einen Schrott?! Naja. Ich mag darüber nicht urteilen...

Wir urteilen über Musik. Dazu sind wir in unserer Freizeit berufen. Die ist momentan knapp, daher eine überschaubare, aber herzliche Selektion!


Vial
(ms) Über dieses Schreibhobby bin ich wirklich sehr glücklich, denn es gibt mir die Möglichkeit Musik zu entdecken, auf die ich sonst niemals stoßen würde, weil sie einfach nicht auf meinem eingeschränkten Radar auftauchen würde. Das ist phantastisch. Vial gehören dieser Tage dazu. Ob das nun Indiepunk ist, wie es mir beschrieben wird, mag ich dennoch bezweifeln. Klar, Kategorien sind irgendwie Quatsch, aber man kommt nicht umher. Was Vial machen geht meines Erachtens darüber hinaus. Roadkill hat schon die Aggressivität und das Tempo von Punk. Doch der Track entwickelt sich so gut, dass er durchaus psychedelische Elemente aufweist. Am 30. Juli veröffentlicht das Quartett aus Minneapolis das Album Loudmouth und es könnte richtig, richtig gut werden. Wild, energiegeladen, atemlos, voller Tatendrang! Yes!

 
Enny
(sb) "Ich war gefangen zwischen dem plötzlichen Ticken der Altersuhr und dem Gefühl der Unerfülltheit in einem Nine-to-Five-Job. Die Songs spiegeln nicht nur meinen Weg wider, meinen Job zu kündigen, um Musik zu machen, sondern auch jeden, der daran beteiligt war, dieses Projekt zum Leben zu erwecken. (...) Ich hoffe, dass jeder, der sich das Album anhört, die Liebe und Sorgfalt spüren kann, die in die Entwicklung dieser Songs geflossen ist."

Ja, liebe Enny, diese Leidenschaft ist deutlich zu spüren. Under 25, die Debüt-EP der Britin (VÖ: 16.07), ist einer der Releases, an denen man eigentlich nicht vorbeikommt. Es ist erstaunlich, wie es der Künstlerin gelingt, Intensität mit Beiläufigkeit zu paaren und so eine Natürlichkeit zu transportieren, die ergreifend ist. Mein erster Gedanke: Das ist der Vibe von Mike Skinner in weiblich und zu seinen guten Zeiten! Da werden wir sicher dranbleiben und wünschen der jungen Frau aus Südlondon alles Gute.


Brandt Brauer Frick
(ms) Crossover war seit jeher ein total bescheuerter Begriff. Es würde nicht annährend das beschreiben, was das Trio Brand Brauer Frick seit vielen Jahren macht, kreiert, schafft. Das hier ist in keinem Fall so etwas wie Neoklassik. Wenn es kein Crossover ist, was denn dann?! Experimentelle klassische Elektronik? Puh, ganz schwer einzuschätzen. Und genau diese diffizile Kategorisierung beweist, dass hier Genies am Werk sind. Im wahrsten Sinne. Sie schaffen etwas völlig Neues, nie Dagewesenes. Klar, das kann auf Dauer auch anstrengend werden, doch genau das ist ihre Form der Kunst. 3535 Memory heißt die neue Veröffentlichung der Musiker, eine Live-EP mit acht Stücken, fast schon zu lang für eine EP, aber nun gut. Sie ist eine Hommage an sich selbst. Seit zehn Jahren stehen sie in unzähligen Ländern mit verschiedensten GastmusikerInnen auf der Bühne und verzaubern die Zuhörerschaft. Dies ist nun das Klangzeugnis davon. Allein die Auskopplung Ocean Drive zeigt schon, was sie können, was sie tun: Beeindrucken!


Ásgeir
(ms) Bevor ich im vergangenen Jahr Ásgeir in Hamburg sah, dachte ich lange Zeit, dass ich ihn dann zum ersten Mal sehe. Allein die Frage zeigt, dass ich langsam aber sicher den inneren Überblick über Gesehenes verliere. Zum Glück notiere ich mir alle besuchten Konzerte und habe herausgefunden, dass ich ihn bereits mal in Duisburg sah. An der Elbe erfuhr ich jedoch, dass der Name wie 'Ausgier' ausgesprochen wird. Nun: Der muskulöse, schüchterne Isländer veröffentlicht bald eine neue EP, die The Sky Is Painted Gray heißt. Die Vermutung stimmt, es wird melancholisch zugehen. Das beweist schon die erste Single: Sunday Drive. Es lohnt sich, ihm zuzuhören und diesen Schicksalsschlag eines Familienausflugs mit anzuhören. Auf diesem Stück beweist er sich von seiner ganz zarten, leisen Seite: Er singt zum Klavier, mehr ist nicht zu hören. Da zeigt sich seine Stärke! Wunderschön und traurig.


Nothing But Thieves
(ms) Irgendetwas liegt in der musikalischen Luft, dass viele Bands und InterpretInnen dazu neigen lässt, vermehrt EPs statt ganze Alben zu veröffentlichen. Nein, kein Urteil. Wenn Songs zusammen gekommen sind, die raus müssen, dann müssen sie halt raus. Vielleicht ist die EP auch das wahre Format. Manch Album wirkt ja ungemein bemüht und dann enthalten sie Füllstücke, die eine EP gar nicht braucht. Auch Nothing But Thieves veröffentlichen am 23. Juli, also in zwei Wochen, solch ein Format Namens Moral Panic II. Das klingt ja gerade zu gemacht für die kleine Einleitung oben. Auf der neu ausgekoppelten Single Miracle, Baby klingen sie wie ein sehr gelungener Mix aus großem Pop und einer etwas langsameren Lightversion von Muse. Ziemlich gut, es weiß zu gefallen. Auch die Serviceleistung aus dem Video mag ich: Das Mitlesen des Textes, das beim reinen Hören doch etwas schwierig sein könnte.

Donnerstag, 8. Juli 2021

Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen - Gschichterln Aus Dem Park Café

Foto: Heiko Franz

(ms) Beim sechsten Studioalbum noch richtig einen aufs Dach setzen! Diesen raffinierten Schachzug vermögen nur die wenigsten Bands erfolgreich zu praktizieren. Das Geheimnis von Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen (entweder DLDGG oder live als "Liga, Liga, Liga" skandiert mit langem 'i' und kurzem 'a') ist der Doppelklatscher! Selbstredend lehne ich mich mit dieser kühnen Behauptung weit aus dem Fenster. Doch in dieser hohen Dichte und mit so einem ohrwurmträchtigen Flow haben die Herren noch nie im Rhythmus geklatscht. Zwei Mal schnell hintereinander an genau der richtigen Stelle. Das ist, nein, das muss der Schlüssel zum Erfolg sein. Denn am 9. Juli (diesen Freitag) schlagen die gut Angezogenen wieder zu und veröffentlichen natürlich auf Tapete Records - der Chef sitzt hier immerhin an den Tasten - ein neues Album. Gschichterln Aus Dem Park Café. Was wie eine neue Anekdote aus dem Süden klingt, sind höchst scharfsinnige Beobachtungen mitten aus Altona. Das Gute liegt halt so nah.

Banausen behaupten natürlich schon seit jeher, dass DLDGG und Superpunk einfach immer das gleiche gemacht haben. Doch: weit gefehlt! Warum die Gentlemen einen extrem sicheren Platz in meinen Hörriten haben, ist einfach: Es gibt nur ganz, ganz wenige Bands, die derart unterhaltsam Musik machen, ohne dass es peinlich wird oder vollkommen drüber ist. Musik gewordene Kurzweil mit handwerklichem Know-How und der richtigen Einstellung: Bloß nicht alles zu ernst nehmen. Nie war die Liga leichtfüßiger und beschwingter unterwegs als auf diesem Album! Kleine Songs, großes Herz, Geschichten für die Ewigkeit! Und der Doppelklatscher! Also, los gehts: Rock'n'Roll, Northern Soul, ganz egal... LIGA, LIGA, LIGA!!!

Direkt bei den ersten Takten habe ich tierisch Bock: Tempo, Tambourin, Saxophon, Klavier, Chor, Groove! All das begleitet eine wahre Hymne auf Zwanie Jonson (Yo, Zwanie!), der selbst demnächst ein neues Album veröffentlicht. Für Zwanies Werk bin ich zu wenig Hamburger und auch zu jung, doch nach kurzer Recherche wird klar: Er ist nicht nur ein wichtiger Handlanger für die Liga, sondern auch ein ganz feiner Musiker!
Kommen wir zum Punkt der Leichtigkeit: DLDGG war noch nie so weise und locker wie auf dieser Platte. Houston, Wir haben Kein Problem. Ja, so gaga und wahr ist es nun mal. Lebensempfehlung der Liga: Locker und sanft durch den Alltag schweben, einfach gute Sachen machen. Fertig. Das ist die richtige Einstellung und die bejahende Antwort auf Karl Kraus' Frage, ob es ein Leben vor dem Tod gibt. Auch Es Ist Nett Nett Zu Sein bringt diesen Schwung nach Hause. Es ist absolut richtig, was die Herren hier singen. 'Nett' war noch nie die kleine Schwester von 'scheiße'. Hagen Rether hat mal ganz richtig geäußert: Sonst hieße sie ja Scheißele. Bitte. Carsten Friedrichs, was bist du also für ein Teufelskerl?! Ein Texter, der sich vor jeglichem pseudointellektuellem Schrott frei macht, sich dagegen wehrt. Locker und leicht sein zu einer knallharten Pfiff-Hookline. Stark!

Männer Mit Schönen Haaren. Erstens bedanke ich mich für das Kompliment. Zweitens ist es das erste Lied mit dem angekündigten Doppelklatscher! Ja, Stil ist seit jeher wichtig. Für alle. Doch insbesondere für die Liga. Eitel ist hier keiner. Chic muss auch keine Frage des Geldbeutels sein. Daher kommt die nächste Hymne auf den Secondhand-Laden des DRK aus Hamburg, den Kilo Shop. Der ist tiptop! Liedtitel: Kilo Shop Mod Tip Top! Wer hier still sitzen bleibt... dem ist nicht mehr zu helfen! Was für ein ungeheuer toller Ohrwurm. Sehr nett an dieser Stelle!
Die klugen Tipps für ein leichtes Leben reißen auf dieser Platte nicht ab. Wer kennt es nicht: Eigentlich will ich nicht auf die Party, aber ich sehe mich irgendwie dazu verpflichtet. Hier wird weitergeholfen: Später Kommen, Früher Gehen! Ha, so einfach ist das! Auch hier schallt kein Anflug von Pathos durch die Zeilen. Das ist pfiffig und klug. Gerne würde ich wissen, wie es zum Text kam. Ich stelle mir vor, Carsten Friedrichs saß im Park Café und sammelte alle Worte, die auf '-ieren' enden. Zack - fertig ist der Text! Stark!
Ferien Für Immer. Beinahe sah es ja letztes Jahr danach aus! Der Smashhit ist bereits als tolle 7" erschienen und zeigt erneut: Der Doppelklatscher ist eine reine Rhythmusraffinesse! Fatalismus ist hier an der richtigen Stelle total angebracht: "Noch schnell ins Büro / Dann ist das halt so." Eben.

Selbstredend dürfen auf einem Liga-Album auch keine Instrumentals fehlen. Gewöhnliche Sur Mer und Kleines Wochenende bedienen alle textlosen TänzerInnen!
Hach, Liga! Ich knie erneut nieder! Kleine Geschichten, große Wahrheiten - und der Doppelklatscher. Vielleicht habe ich mich mit dieser kühnen Behauptung etwas weit aus dem Fenster gelegt. Aber: Hut ab! Sehr nett!

Sonntag, 4. Juli 2021

The Go! Team - Get Up Sequences Part One

 

(ms) Weniger Stress und Ernsthaftigkeit. Das ist sicherlich ein Wunsch, den viele Menschen zurecht hegen. Viele dieser negativen Einflüsse kommen von außen und sind mitunter unumgehbar, prasseln auf uns ein. Der Rest kommt von innen. So lege ich mir das zumindest zurecht. Wohl in dem Wissen, dass ich als weißer, akademischer, kinderloser Heterotyp um die dreißig mit einem sicheren, gut bezahlten Job absolut privilegiert bin und mitnichten für irgendeine Gruppe oder Mehrheit sprechen kann. Ja, so naiv bin ich, dass ich es trotzdem tue. Denn: Das neue Album von The Go! Team ist genau das Mittel gegen Stress und Ernsthaftigkeit, das vielen Menschen sicherlich gut tun kann. Medizin in musikalischer Form! Zudem sprechen wir hier von der Band nach Jethro Tull, die cool, mutig und nerdig genug sind, um ordentlich Querflöte zu spielen. Das hier ist Musik gewordene Leichtigkeit, die unbeschwert und sanft erst durchs Ohr und dann gezwungenermaßen bei den sich bewegenden Gliedmaßen seine Wirkung erzeugt.

Get Up Sequences Part One erschien am 2. Juli, beinhaltet zehn Songs, die gut eine halbe Stunde für Kurzweil sorgen. Wie befreit diese Gruppe auftritt ist allein daran zu erkennen, dass drei der zehn Stücke instrumental sind. Sie müssen gar nichts und wollen alles. Was für eine beneidenswerte Einstellung - gefällt mir auf Anhieb. Get The Seasons Work ist der Opener - ein treibendes, geil schleppendes Schlagzeug, Bläser voller guter Laune und Sommergefühl. Eine Flöte, die die Melodie übernimmt. Nehmen wir den Albumtitel ernst, ist das hier ein beschwingter Weckerton, zu dem ich mich gerne tanzend in den Tag stürze. Dann erschallt schon Cookie Scene - der Track, der mich erst so richtig auf die Band aufmerksam gemacht hat. Gesanglich bewegen sie sich irgendwo zwischen Pop, Soul und Sprechgesang. Musikalisch zwischen Funk, Pop, R'n'B, Indie und frühem Hip Hop. Dieses Stück ist so frech in seiner Unbeschwertheit und Coolness, kaum auszuhalten. Das macht einfach Spaß. Punkt. Auch Pow ist catchy ohne Ende. Dazu stehe ich gerne auf, tanze aus der Dusche, in die Küche, mit dem frischen Kaffee an den Frühstückstisch und belästige alle auf der Arbeit mit meiner unverschämt guten Laune. Dank The Go! Team.

So kurz und einfach ist es. Ein wundervoll eingängiges Album, das den ganzen Scheiß, den uns umgibt, für 32 Minuten außen vor lässt. Auch dadurch beweist sich Qualität.




Freitag, 2. Juli 2021

KW 26, 2021: Die luserlounge selektiert!

Quelle: station26brewing.co
(sb/ms) Warum sind Bahnhofsgegenden eigentlich immer so ein bisschen schäbig und verrucht? Der Bahnhof an sich ist schon häufig ein Ort, wo sich zwielichtige Personen sammeln und an den Straßenzügen, die sich direkt daran angrenzen, auch. Oder? Ich weiß nicht woran es liegt. Sind die Mieten dort günstig für allerhand Geschäfterei? Hm. Worauf ich hinaus will: Ich pendel täglich in die Arbeitsstadt und fahre früh morgens dort hindurch mit dem Rad. In der direkt ersten Straße nach/vor dem Bahnhof tummeln sich Imbisse, Friseure, Kramläden und seit neustem ein Bubbletea-Laden. Warum das denn in 2021?! Egal. Schräg gegenüber vom Bubbletea-Geschäft ist ein Imbiss. Drin war ich leider noch nicht, aber das sollte ich dringend mal machen, denn es scheint mir sehr sympathisch zu sein. Ehrliche Arbeit, wie man so schön zu sagen pflegt, wird da eventuell verrichtet. Morgens um kurz vor sieben fahre ich dort entlang. Drinnen, in diesem Imbiss auf der rechten Straßenseite, ist logischerweise noch kein Betrieb. Doch! Der Inhaber, Chef, Schichtleiter, whatever sitzt jeden Morgen zu dieser stillen Uhrzeit dort an einem Tischchen, das zur Straße hin gewendet ist und trinkt in aller Ruhe einen Kaffee. Irgendwie ist das schön. Wer weiß, was ihn an diesem Tag noch alles ereilen wird?! Hektik, ausbleibende Lieferungen, übergeperltes Frittenfett, ein defekter Kühlschrank. Aber der Herr sitzt morgens dort in aller Ruhe und schaut sich das Treiben vor seinem Fenster an. Sehr schön.

Unser Fenster ist die Musikbranche. Die Lauscher waren offen, wir haben selektiert! Voilà!

An Early Bird
(sb) Stefano De Stefano - was für ein großartiger Name, oder? Dennoch hat sich der Italiener ein Alias zugelegt und beglückt die Musikwelt am 02.07. als An Early Bird mit seinem neuen Album Diviner. Er ist ein Meister der leisen Töne, des gemäßigten Tempos, zum gewohnten Folk gesellen sich jedoch immer häufiger Pop-Elemente - und doch bleibt sich der Künstler aus Neapel treu. Diviner ist eine betörende Mischung aus verträumten langsamen und etwas schnelleren Liedern, die mit wunderschönen Harmonien, Leidenschaft, berührenden und bedeutungsvollen Texten und unglaublichen Emotionen aufwarten. Besonders beeindruckend ist dabei natürlich die Stimme des Musikers, die gelegentlich auch Gendergrenzen verwischt. Ganz stark!


Parcels
(ms) Oft ist zu lesen, dass das zweite Album das schwierigste sei. Das ist natürlich Quatsch. Es geht mal wieder um Erwartungen. Die Gruppe Parcels habe ich vor einigen Jahren beim wunderbaren Traumzeit Festival in Duisburg gesehen. Es war phantastisch, großartig, ein Fest der Leichtigkeit und des Tanzens. Ihre erste Platte war noch gar nicht erschienen, glaube ich. Kurze Zeit später habe ich sie mir gekauft und war heillos enttäuscht. Was für ein plattes Debut! Wo ist die Liveenergie hin?! Schade. Nun gibt es eine neue Single und ein neues Album wird auch kommen, Name und Datum stehen aus. Erst wollte ich es mir gar nicht erst anhören, weil keine Lust. Jetzt läuft Free entspannt nebenher und tut nicht weh. Das kann auch als 'schlecht' interpretiert gelten. Ist hier aber nicht der Fall. Das ist ein solider Song. Er plätschert angenehm, wird niemanden umhauen, ihm fehlt aber auch der Drive, oder? Nun, was also damit anfangen? Im Hintergrund für den Sommer laufen lassen? Okay, darauf würde ich mich einlassen. Musik ab:


Mano Le Tough
(ms) Wo liegt das Geniale, das uns beim Musikhören so gerne vom Hocker haut? Klar, viele Erklärungen. Eine könnte sein: Mut zur radikalen Sturheit! Im allerbesten Sinne. Ist ein catchy Beat erstmal gefunden, darf man ihn so schnell nicht ziehen lassen. Bumm-zack-bumm-zack! Einfach und clever. Ein bisschen Synthie-Spielerei, der ein oder andere sehr smoothe Gitarrenriff, abwechselnde Melodien, die sich die Klinke in die Hand geben und ein Gesang, der mit seiner Art und Weise ein wenig an Damon Albarn erinnert: so abgefuckt monoton, dass es schon wieder brillant ist. Die Rede ist hier von Mano Le Tough und seinem neuen Track Aye Aye Mi Mi. Funky Poprock, um die Landschaften an sich vorbei ziehen zu lassen. Das schwer Greifbare ist es erneut, was hier durchleuchtet. Wir sind sehr gespannt, was die Platte At The Moment bringt, die am 20. August erscheinen wird. Dieser Track ist schon mal vielversprechend!


Chaoze One 
(sb) Es hat ein bisschen gedauert, bis Chaoze One mich gepackt hat und ich habe mir tatsächlich Gedanken gemacht, woran das lag. Ich kam zu dem Schluss, dass es vermutlich die Heterogenität seiner Musik ist, die mir den Zugang zu Venti (VÖ: 16.07.) erschwert hat. Dennoch spürte ich sofort, dass da durchaus Potential vorhanden ist, um mir zu gefallen. Also immer wieder angehört und irgendwann hats "klick" gemacht. Ob es der Moment war, in dem ich mich dem Album endlich mal uneingeschränkt hingegeben habe? In dem ich mich durch nichts habe ablenken lassen? In dem ich erkannte, dass mich zwar nicht jeder Track begeistert, ich aber beeindruckt war von der Wahrhaftigkeit der Texte? In dem ich mir eingestand, dass gerade die Vielfältigkeit der Musikstile das ist, was Chaoze One ausmacht, weil der Künstler eben nicht darauf bedacht ist, unbedingt gefallen zu wollen, sondern das zu transportieren, was er zu sagen hat? Venti strotzt nur so vor Persönlichkeit, vor Echtheit, Ursprünglichkeit. Da das letzte musikalische Lebenszeichen von Chaoze One satte zwölf Jahre auf dem Buckel hat, vergisst man glatt, dass der Mannheimer kein unbeschriebenes Blatt ist. Seitdem war er jedoch politisch aktiv und trat gar als Buchautor in Erscheinung. Illustre Gäste wie Torsun von Egotronic, Mal Éléve und Shana Supreme runden ein klasse Album ab, das hoffentlich die Aufmerksamkeit erhalten wird, die es verdient.
 


Zwanie Jonson
(ms) Menschen, die ein eigenes Lied gewidmet bekommen, erlangen Strahlkraft, die wohlmöglich über sie selbst hinaus geht. Tatsächlich bin ich für das Werk von Zwanie Jonson nicht alt genug, kein Hamburger und dann doch nicht so tief in der Szene drin, als das ich sein Schaffen auch nur einigermaßen einordnen könnte. Doch das weiß ich: Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen besingen ihn auf ihrem kommenden Album (Augen auf!). Und das mag was heißen. Sind sie also auf einer Ebene mit Werner Enke? Möglich. Worum es geht: Zwanie Jonson, Hamburger Produzent und Schlagzeuger und zig verschiedenen Kombos, veröffentlicht am 6. August sein neues Solo-Album, das den Namen We Like It trägt. Das stimmt. Klug gewählter Titel. Was ist zu hören? Eine verdammt zurückgelehnte Mischung aus Easy Listening (im allerbesten Sinne!) und Northern Soul abgeschmeckt mit einer Prise hanseatischer Zurückhaltung. Der titelgebende Track ist bereits zu hören und sehen. Das perfekte Stück für einen Roadtrip, bei dem morgens noch nicht klar ist, wohin es abends geht! Das wird gut!


We Were Promised Jetpacks
(ms) Wir bleiben beim Thema Roadtrip. Hier könnte man jetzt eine Playliste bauen. Doch das finde ich persönlich total doof. Ich bin Albumhörer, nutze keinen Streamingdienst - logo, bis auf YouTube, ein bisschen muss man sich ja auch belügen, oder? Denn auch beim neuen Video von We Were Promised Jetpacks steigt das Fernweh. Das liegt nicht nur an der Visualisierung. Auch aus dem Klang ihrer neuen Single strömt ein großer Drang nach Draußen, Unterwegssein, Freiheit. Dies ist die gute, alte Indierockmusik, wie wir sie vor zwanzig Jahren schon geil fanden. Ist so, kann man ja auch genau so sagen. Fat Chance ist nicht nur ein astreiner Song, sondern auch die Ankündigung zum neuen Album Enjoy The View, das am 10. September erscheinen wird. Der Soundtrack für den Herbstroadtrip!? Wahrscheinlich!


Wavves
(ms) Alt genug zu sein, um sein eigenes Leben von außen zu betrachten und zu erkennen, dass ich nur mich allein retten kann. Könnte eine Midlife-Crisis-Erfahrung sein. Meine FreundInnen und ich sind alle um die 30, also nicht im klassischen Midlife-Crisis-Stadium, doch da passiert momentan auch was. Wir sind alle privilegiert, fast alle haben studiert und sind nun langsam im Job angekommen. Tja. Ist es das jetzt? Trauern wir jetzt der wilden Studienzeit hinterher und jetzt fängt buckeln an?! Puh, ich mag mich ungern damit abfinden. Nathan Williams ist Wavves und hat ein Album geschrieben, das die Erfahrungen aus dem ersten Satz hier sammelt. Das Gute daran: lyrisch wird es schon teils bedrückend und melancholisch auf Hideaway, doch die Musik ist das Gegenteil davon. Nein, kein euphorischer Dance-Quatsch, sondern nach vorne treibende (fast LoFi-ähnliche) Gitarrenmusik! Das gefällt hier sehr!


We Are Scientists
(ms) Dass das unfair ist, ist völlig klar. Aber so läuft es nun mal, oder? Eine Musikgruppe auf einen alten, aber dafür extrem guten Song zu reduzieren, ist genau das - super unfair. Für mich ist Nobody Move... aber die allererste Assoziation zu We Are Scientists. Mitschreiber sb sah sie vor fünf Jahren in der Provinz und schrieb darüber. Contact High ist der erste Track aus dem neuen Album Huffy, das am 8. Oktober erscheinen wird. Wir haben also einen ganzen Sommer Zeit für Vorfreude. Und auch für die Erkenntnis, dass sie es immer noch können. Aber hallo! Wie etwas weiter oben bereits geschrieben: guter, alter Indierock. Auch wenn mein Geschmack immer breiter und nicht mehr so beliebig geworden ist, ist dies noch genau die Musik, die begründet, warum ich leidenschaftlich vor einer Bühne stehe, staune, schwitze, Bier und gute Menschen genieße! So sieht es aus.

Donnerstag, 1. Juli 2021

Oehl - 100% Hoffnung

Foto: Tim Cavadini
(ms) 1. Wann bleibt Musik langfristig haften? Dafür gibt es mannigfaltige Gründe. Für mich habe ich in letzter Zeit einen besonders heraus gespürt: ein origineller, eigenständiger, im wahrsten Sinne genialer, schwer zu vergleichender Klang der Musik. Das wird für mich immer ausschlaggebender. Oehl verkörpern dies. Das Duo - Ariel Oehl und Hjörtur Hjörleifsson - ist für mich zu einer wahren Perle geworden. Zum Glück! Denn das muss ich als Freizeitschreiber dazu sagen: All die Musik, die wir zugespielt bekommen, kann ich mir gar nicht anhören. Oehl stachen da schnell heraus. Mit ihrer Ästhetik. Das ist ihre Musik: Kunst! Sie ist ganz schwer zu greifen und zu beschreiben. Artpop. Vollkommen selbstständig. Die wesentlichen Charakterzüge: Sanftheit, Wärme, angstfreier Pathos, lyrische Finesse. So bleibt Musik haften.
Und die Menschen dahinter auch. Wer Oehl live gesehen hat, weiß sofort, wie ursympathisch und unterhaltsam sie sind. Bei der verträumten und nun ernsthafter gewordenen Musik auf den erster Lauscher eventuell schwer vorstellbar.

2. Radikale Positivität. Nicht nur die vergangenen eineinhalb Jahre gaben reichlich Anlass, den Status Quo unserer Gesellschaft zu analysieren und hinterfragen. Schlecht bezahltes Personal in Pflege, Einzelhandel, medizinischer Versorgung. Eine gruselige Infrastruktur des Bildungssystems, das langsam und träge ist (ich weiß es, bin Teil davon). Eine vollkommen kranke und abartige Wirtschaftsweise. Mir wird regelmäßig schlecht, wenn ich das Wort 'Wirtschaftswachstumsgesetz' höre. Bah! Dazu: Kriege, Rassismus, Vertreibung, Hass, Ausgrenzung, Inhumanität. Doch! Das darf uns nie im Leben unterkriegen, nicht auf die Knie zwingen. Dann können wir uns ruckzuck in einem Schneckenhaus verkriechen und uns wieder hinaus schleichen, wenn die Katastrophe alles vernichtet hat. Bloß nie, nie, nie den Kopf in den Sand stecken. Auch wenn es kleine Schritte sind, sie bewirken etwas. Einkauf, Mobilität, Recycling, Ernährung, Urlaub. Wir müssen einfach nur anfangen und ein bisschen naiv bleiben. Und bitte das Wort 'Komfortzone' vermeiden - das ist doch selbstherrlicher Quatsch. Machen! Jetzt!

3. Die neue EP - oder das neue Mini-Album - von Oehl verbindet beides. Ein Beweis der Kunst und radikale Positivität. Daher auch der Titel: 100% Hoffnung! Ja, man! Zugegebenermaßen sind die fünf Tracks keine aufbauenden Seelenstreichler. Sie sind ebenso hart und gewissermaßen melancholisch. Doch sie richten den Blick nach vorne. Wenn sie über Arbeit singen, klingt es vom Titel her nach verstaubtem SPD-Parteitag. Mitnichten! Es ist eine Analyse des Daseins auf ihrem eigenen Klanggewand. Hinzu kommt das eigene Selbstverständnis von Kunst im Video. Denn trotz der Tragik unterstreicht es den menschlichen Puls in uns. Das Credo: Die Arbeit nicht zu wichtig nehmen, nicht so grau werden wie die Gebäude, in denen wir sitzen, denn dann würgt sie uns langsam (Arbeit II). Auch Keine Angst schwingt behände. Denn auch wenn die Zukunft sich ändern mag: Kopf hoch. Ja, dieses 'Kopf hoch' und 'nicht auf die Knie zwingen lassen' klingt wahnsinnig abgegriffen. Wenn wir uns von der Plattitüde lösen, finden wir vielleicht wieder den Sinn darin. Vollkommen neu sind Oehl auf 300.000 zu hören und erneut zu sehen! Vielleicht ist es das Lied, bei dem Ariel sich am weitesten von seinem Nuschelstil löst und klar spricht (sein Gesang ist ein weiteres dieser herausstechenden Elemente). Richten sich die anderen Themen eher aufs Große und Ganze, ist dieses Stück sehr konkret. Ariel erzählt einen Bankenskandal aus der österreichischen Provinz nach. So nah, verständnisvoll, lieb und aufrichtig. Siehe ich ihm im Video die Träne wegwischen, glaube ich ihm alles. Hart und so warm und rund zugleich.

4. Stop, mag mancher sagen. Das sind doch sechs statt fünf Stücke auf dem Minialbum. Ja, das ist korrekt. Doch der letzte Beitrag ist kein Lied. Auf 20 Minuten haben Oehl Sprachnachrichten vieler Fans und Weggefährten gesammelt und zusammen geschnitten. Zumeist junge Menschen sind zu hören, die auf ihr Leben, Arbeit, Zukunft, Familie blicken. Dabei bleibt mit die Kinnlade weit offen stehen. Darin sind derart viele kluge und berührende Worte zu hören, dass es mich sehr rührt. Das hier ist sehr gut, sehr klug, sehr nah am menschlichen Herz.

5. Oehl! Ein Album und nun zwei EPs. Sehr reif, erstaunlich gut! Derartige Texte und ein solcher Sound sind mir noch nie zu Ohren gekommen und ich lasse mich gerne von ihnen beschallen. Und nein, das hier ist kein Austropop, nur weil sie aus Österreich kommen. Das hat nichts mit Wanda, Bilderbuch, Olympique oder gar Voodoo Jürgens zu tun. Das ist mehr.