(Ms) Natürlich ist es total unfair und alle Erkenntnisse des Zusammenlebens sprechen dagegen, aber der Tristan Brusch sieht doch schon so wahnsinnig aus, oder? Dieses breite, mitunter diabolische Grinsen. Diese irre Wandelbarkeit. Mal mit wallendem, lockigem Haar. Dann wieder strohblond. Mal mit Schnäuzer, mal ohne. Und wenn er dann anfängt seine Lieder zu singen, könnte man schon fast Angst bekommen. Es wäre irgendwie nachvollziehbar.
Tristan Brusch also. Kennengelernt habe ich ihn erst durch seine Zusammenarbeit mit Mine. Da fiel er direkt schon mit seiner markanten Stimme auf. Am Rest ist sein letztes Solo-Album, das er vor zwei Jahren veröffentlichte. Es ist beeindruckend persönlich mitunter. Aber immer wieder auch total schräg, irgendwie unterhaltsam. Man könnte meinen, es sei unkonventionell. Aber an was gemessen?! Denn ein wirklich griffiger Vergleich zu seiner Musik fällt mir nun wirklich nicht ein. Und gerade das macht es ungeheuer spannend! Tristan Brusch bewegt sich mit seiner Musik irgendwo zwischen Indiepop, Jazz und Chanson. Aber vor allem spielt alles in seiner ganz eigenen Welt ab. Auch textlich. Und das beweist er erneut auf seinem kommenden Album. Logischerweise heißt es Am Wahn und erscheint am 24. März. Der in Berlin lebende Sohn zweier Musiker zeigt darauf, was die deutsche Sprache alles kann und dass die Musik nicht immer glasklar und aufpoliert erklingen muss.
Charakteristisch an all den Liedern auf diesem Album ist die Art der Aufnahme. Es scheint alles ein bisschen gedämpft zu sein, wie durch ein altes Radio schallend. Das Klavier auf Wahnsinn Mich Zu Lieben, dem ersten Stück der Platte, klingt so, als ob es aus einem Saloon aufgegriffen wurde. Der Titel des ersten Stücks lässt sehr gut darauf schließen, worum es auf den gut 38 Minuten gehen wird. Es ist ein Konzeptalbum über wirre Beziehungen. Toxische mitunter. Viel schöner finde ich ja den Begriff Amour Fou. Die verrückte Liebe, die sich jeglicher Logik entledigt. Die, die auch wehtun kann, aber halt auch den Rausch feiert. Ist man erstmal in dieser Art der Beziehung gefangen, fragt man sich, wen man denn noch um Rat fragen kann. Den lieben Gott etwa? Auf Oh Lord findet dies (wenn auch nur am Rande und im Titel) statt. Wie genial dieses Lied arrangiert ist… hier knallt die Oboe. Ehrlich. Und der Sänger sucht jemanden, der ihm verzeihen kann. Und jemandem, der einem überhaupt mal erklären kann, wie das auf dieser Welt funktioniert. Ist das Pop? Jazz? Klezmer? Egal, es geht hervorragend auf!
Bei der Information, dass Kein Problem ein Duett mit Annett Louisan ist, musste ich erstmal stutzen. Diesen Namen hätte ich hier nie erwartet. Doch die Art, wie sie zusammen singen, sich ergänzen wie ein Echo, passt genau! Die Hingabe aus dem Text, dringt durch ihren Art des Gesangs exakt durch - genial!
Eins der großen Highlights ist Seifenblasen Platzen Nie. Vor allem durch das Vokabular, das Tristan Brusch nutzt. Er hat keine Scham die Wörter Orgasmus oder ficken in den Mund zu nehmen. Viel mehr passen sie genau zur Musik und seiner tiefen, eindringlichen Stimme. Apropos Musik: Hier ein paar Streicher, dort Bläser. Auf dieser Platte wird schon groß aufgefahren. Und Folgendes mag ein wenig unfair klingen, da ich die anderen Musiker kaum kenne. Aber bei vielen Stücken spielt Felix Weigt Bass. Ein Nimmermüder seiner Zunft. Er spielte schon mit Marcus Wiebusch oder in der Höchsten Eisenbahn oder auf dem aktuellen Lambert-Album. Wahnsinn. Zeigt auch, dass Tristan Brusch sich seine Mitmusiker sehr gut aussucht, um diesen Klang so zu erzeugen und wirken zu lassen.
Mirage ist der nächste Knaller. Eine Zirkusnummer. Ein dramatisches Stück in Text und Musik. Ist das alles nur eine Illusion?! Darum geht es hier. Vielleicht ist all die gefühlte Liebe und Zuneigung ja gar nicht da gewesen. Wie ein billiger Trick löst sie sich in Luft auf - und tut weh. Das hier ist große Kunst, das ist ziemlich genial! Doch es geht auch andächtig, melancholisch zu auf diesem Album. Wieder Eine Nacht ist so eine Nummer. Eine Nacht träumen oder eine, die den Anschein hat, niemals aufzuhören, weil man sich quält. Tristan Brusch weiß sehr gut, wie eine Geschichte zu erzählen ist. Er findet die treffenden Worte und weiß genau, wie sie am besten durch Musik in Szene zu setzen ist. Klasse!
Monster ist dann noch so ein Kracher, der unter die Haut geht. Eindringlich, dicht, sehr energetisch. Auch Baggersee, kurz vor Ende diesen unglaublichen Albums, ist ein wunderbarer Traum! Einfach Sonnenschein, Sommer, nackt sein, leicht sein und ein wenig verrückt obendrein.
Tristan Brusch ist mit diesem wundervollen Album auf jeden Fall am Wahn angekommen. Natürlich ist das hier ein Liebesalbum. Aber eben eines, das seine krassesten Ausprägungen dichterisch toll in Szene setzt. Brusch ist ein wahrer Lyriker, ein Schelm obendrein und jemand, der mit diesen ungewöhnlichen Arrangements ein wahres Alleinstellungsmerkmal schafft. Dieses Album ist unterhaltsam, geht unter die Haut, verblüfft, swingt und macht auch irgendwie Angst. Genial, das ist Kunst!
(Sb/ms) Unfassbar, wie gerne ich mich berieseln lasse. Einfach so da sitzen oder liegen und ein wenig seichte Unterhaltung auf mich gleiten lassen. Denn, ganz ehrlich, es müssen nicht immer nur harte Fakten und belastende Reportagen sein, mit denen man sich in der Freizeit beschäftigen muss. Überhaupt nicht. Das Schöne am Berieselnlassen: Es kann so facettenreich sein. Der Normalzustand findet sicher auf dem Sofa statt, doch auch außerhalb der eigenen Bude ist das möglich. Und so ging es letzte Woche Freitag ins Puppentheater. Klingt nach Kinderkram, ist aber hohe, wunderbare Kunst, wenn man das Richtige erwischt. Und egal wo man wohnt, ins Theater Laboratorium ins kleine, verschlafene Oldenburg sollte jeder mal gehen. Allein das Gebäude ist großartig, wie eine alte Scheune, nur halt als Theater. Ein urgemütliches Foyer zum Ankommen und für die Pausen. Dahinter der liebevolle Saal, auf dessen Bühne so allerhand stattfindet. Doch egal, welches Stück gezeigt wird, Kopf des Theaters, Pavel Möller-Lück, haucht jeder Figur so unendlich viel Leben und Liebe ein, dass es kaum auszuhalten ist. Dabei sprengt er auch jegliche Grenzen. Wir sahen die „Bremer Stadtmusikanten“, doch mit dem Original hatte das gar nichts mehr zu tun. Doch es war heiter und berieselte aufs Beste! Also: Alle in den Nordwesten!
Grandbrothers
(Ms) Wenn mich jemand nach dem Sinn des Lebens fragen würde, wäre meine Antwort: Maßloser Genuss. Etwas anderes fällt mir wirklich nicht ein. Ich halte auch nur wenig andere Dinge für sinnvoll, um dieses eine Leben zu gestalten. Für mich persönlich bedeutet Genuss in erster Linie, vor Bühnen zu stehen und musikalische Kunst zu bestaunen. Viele unterschiedliche Dinge durfte ich schon erleben, fast alles war wirklich toll und traumhaft. Doch es gibt immer wieder ein paar Ausreißer nach oben, weil es nochmal spezieller ist. Vor eineinhalb Jahren sah ich Grandbrothers live in Rotterdam. Das gehört in diese Kategorie des Speziellen. Ich habe nicht verstanden, was Erol und Lukas da auf der Bühne an, um, mit, durch das Klavier machen. Es hat mich aufs Tiefste fasziniert. Es ist die pure Schönheit und zugleich ungeheuer tanzbar. Natürlich muss solche Musik in besonderen Orten gespielt werden. Dass im weitesten Sinne elektronische Popkonzerte überhaupt im Kölner Dom stattfinden, war mir bislang fremd. Nun gut. Letztes Jahr war das Düsseldorfer Duo dort, um zu spielen. Oder was sie dort auch immer gemacht haben. Zum Glück wurde das Ganze von arte gefilmt (s.u.). Letztens lief dieses Konzert bei mir daheim und ich habe die Kinnlade nicht mehr runter bekommen. Das ist so bestechend gut arrangiert. Von vorne bis hinten. Zum Einen ist es toll gefilmt. Zum Anderen finde ich die Steuerung des Lichts bei dieser Aufnahme brillant! Es passt nicht nur perfekt zur Musik, sondern - und so weit gehe ich gern - denke, dass es die Wirkung der Musik noch krasser verstärkt! Wie gerne wäre ich dabei gewesen, was für ein einzigartiges Erlebnis. Doch nicht nur das. Im Kölner Dom haben sie auch ihr neues Album eingespielt. Late Reflections erscheint am 14. April und könnte atemberaubend werden. Wir werden berichten!
Juli Gilde
(Ms) Ach, du liebe Melancholie. Ich bin ja so froh, dass deine Hochzeit in meinem Leben schon länger vorbei ist. Es war ein so herrliches Gefühl, in dem ich mich gerne zum Ende der Schulzeit und zu Beginn des Studiums gesuhlt habe. Ein bisschen Weltschmerz, ein bisschen Liebeskummer und die Frage, was mit diesem Leben so anzufangen ist. Trotz romantischer Verklärung war es auch immer schön, wenn so eine Phase vorbei ist. Ob Juli Gilde in ihrem neuen Lied Wann Fängt Es Wieder An Aufzuhören auch genau davon singt, ist nicht ganz klar, aber so interpretiere ich es. In jedem Fall geht es um die Sehnsucht, dass irgendein Tief aufhört. So herrlich ist auch die sanfte Instrumentierung dieses kleinen Liedes, ganz zart mit einer genau richtigen Portion Schwere, sodass dieses Lied, das nicht zwingend für Fröhlichkeit sorgt, einen als Hörer doch nicht runterzieht, sodass in all dieser Tragik auch etwas Schönes bleibt. Denn genau das ist ihre Musik, sie ist sehr fein und sehr schön! Der Song ist Teil ihrer neuen EP Euphorie & Panik, die am 14. April erscheinen wird. Dazu spielt sie auch einige Konzerte. Ich kann mir gut vorstellen, dass die kleinen Läden, in denen sie spielt, genau das richtige ist, damit ihre Musik glänzen kann.
11.03.23 Heidelberg - schöner Lügen Festival 21.04.23 Bad Doberan - Kornhaus 22.04.23 Flensburg - Volksbad 23.04.23 Münster - Pension Schmidt 24.04.23 Berlin – Kulturbrauerei (Maschinenhaus) 27.04.23 Köln - Die Wohngemeinschaft 28.04.23 Frankfurt – Ponyhof 29.04.23 Bremen – Horner Eck 05.05.23 Erlangen - Unter einem Dach Festival 06.05.23 Schorndorf – Manufaktur 10.06.23 Mannheim - DASDING Festival
Minua
(Ms) Wie und vor allem wann genau ist es passiert, dass diese vielen ruhigen Töne in den (im weitesten Sinne) popkulturellen Bereich eingedrungen sind? Und wer ist dafür verantwortlich? Es ist ja nicht so, dass es Musik wie etwa von Nils Frahm oder Olafur Arnalds vorher nie gegeben hat, im Gegenteil. Sie war nur woanders beheimatet, eher in der reinen Klassik. Und auch in ihren Räumlichkeiten, den Orchestersälen, Martineen der Musikschulen oder Kirchen. Wie kamen sie in die Clubs und anderen Spielorte? Ich weiß es nicht. Mit dem Ensemble Minua geht diese Bewegung noch einen weiteren Schritt. Denn das, was sie machen, kling in meinen Ohren zuerst nach Kammermusik. Durch die Instrumentierung teils andächtig, melancholisch oder gar mittelalterlich, aber vor allem sehr kunstvoll. Dass hinter der Musik viel Wissen steckt, ist spürbar. Kein Wunder, denn Fabian Willmann, Luka Aron und Kristinn Kristinsson haben sich im Jazzkonservatorium Basel kennengelernt. Am 14. April erscheint ihr neues Mini-Album mit sechs Stücken über das Label von eben jenem Nils Frahm, Leiter. Irradiance ist sehr ruhig, sehr rund, sehr warm und unglaublich stimmig. Viele unterschiedliche Töne sind darauf zu hören, von der Gitarre, übers Cembalo bis zum Euphonium (was für ein wunderbares Wort für dieses, der Tuba ähnlichen Instruments). Ja, der Musik des Trios liegt eine gewisse Schwere inne, aber auch viel Schönheit, das ist nicht zu leugnen. Und so ist dieses kleine Album ein weiterer Schritt, wie der popkulturellen Bereich immer zarter und feinfühliger wird.
Lambert
(Ms) Und erneut sind wir bei instrumentaler Musik. Wird der einstige Indierockblog etwa langsam von der Neoklassik und all ihren Ausläufern und Verwandten unterlaufen?! Wer weiß… Ist aber auch egal, denn es geht doch immer ums Selbige: Gute Musik, die packend ist. Töne und Melodien, die etwas in sich wohnen haben, das berührt und aufhorchen lässt. In diesem Metier mischt Lambert schon seit einigen Jahren mit. Den maskierten Pianisten habe ich vor einiger Zeit mal im tollen Gleis22 in Münster live gesehen und war äußerst angetan. Umso freudiger war ich, als sein neues Album vergangene Woche erschien. All This Time heißt es und es ist ein Beweis, dass Corona noch lange nicht vorbei ist. Nein, nein, Lambert ist gesund und tourt fleißig. Doch diese Platte ist auch ein Ergebnis der Lockdown-Zeitspanne. Er wollte wieder zurück zu seinen Wurzeln, und das ist der Jazz. Immerhin hat er dies am Klavier studiert. Doch All This Time ist keine reine Jazz-Platte geworden. Es geht auch ins Elektronische und durchaus Poppige und Experimentelle. Eine starke Kombination auf diesen zehn Stücken. Seit er 2014 sein erstes Album veröffentlicht hat, ging es fast im Jahrestakt mit Neuem weiter, einzig 2020 kam keine neue Musik in Plattenformat raus. Jazz wiederum kann man nur so schwer alleine spielen. Daher hat er seinen alten Schlagzeugfreund Luca Marini und Felix Weigt am Bass hinzugezogen. Live kann man sich hier davon demnächst überzeugen:
04.04. - Oberhausen, Ebertbad
05.04. - Tilburg, Paradox
06.04. - Rotterdam, Lantaren Venster
07.04. - Amsterdam, Concertgebrouw
28.04. - Bremen, Jassahead Clubnight
06.05. - Seifhennersdorf, Bechstein Manufaktur
09.06. - Hamburg, Elbphilharmonie
Boy & Bear
(Ms) Der Blick aus dem Fenster hat sich diese Woche sehr gelohnt, Schnee und Sonne haben sich hier im Norden minütlich abgewechselt. Dennoch seltsam. Dann mal ein Blick in die Nachrichten, am besten gleich wieder aus machen. Obendrein schlummert irgendein Virus in mir, der mich lahm legt. Kaum etwas geht. Wie also mal entspannt abschalten?! Es braucht eine Musik, die ich mit geschlossenen Augen hören mag und die mich kurz woanders hin katapultiert. Sie sollte nicht besonders komplex oder anstrengend sein, das passt alles nicht. Seicht aber dennoch nicht zu langweilig. Und schon bin ich bei Boy & Bear und ihrer neuen Single Apex gelandet, zu der es seit dieser Woche ein schönes Video von ihren Auftritten gibt. Eher zufällig sah ich sie letztes Jahr in Köln, ich kannte die Band vorher gar nicht. Ein guter Freund lud mich ein und wir hatten einen sehr entspannten, schwungvollen Abend. Nicht zu hektisch, genau richtig. So ist die Musik dieser Band. Nicht wirklich aufregend, aber irgendwie streichelt sie sanft die Seele. Das tut gut. Ihr neues, nach sich selbst benanntes Album erscheint am 26. Mai!
Duesenjaeger
(Ms) Wie genau das ganze geschah, weiß ich nicht mehr. Auch einen genauen Zeitpunkt kann ich nicht benennen. Aber vor ein paar Jahren wurde ich Hals über Kopf in den Punkrock eingetaucht. Vor allem Bands wie Turbostaat und Pascow laufen seitdem bei mir in extremer Regelmäßigkeit und Lautstärke. Nicht weit davon entfernt ist die Osnabrücker Band Duesenjaeger (schön mit ausgeschriebenen Umlauten, herrlich)! Eben dort, auf der Maiwoche im vergangenen Jahr sah ich sie, wie sie eine Bühne nach allen Regeln der Kunst dem Erdboden gleich gemacht haben. Herrlich! Die Boxen schepperten, sehr viele textsichere Menschen waren zu sehen. Herrlich, herrlich, herrlich! Das blieb in Erinnerung und daher freue ich mich, dass es demnächst neue Musik der Band gibt. Ihr Album Die Gespenster Und Der Schnee erscheint am 12. Mai. Dazu gibt es seit dieser Woche das Lied Mitnight Crisis zu hören, das schön nach vorne prescht. Das Video dazu ist deshalb so genial, weil es ziemlich gut die Stimmung des Textes einfängt. Beides zusammen kann hier sofort genossen werden und merkt euch die Termine der Tour, es könnte herrlich werden!
(Ms) Es gibt halt diese Meldungen im Musikgeschäft, die mein Herz kurz stillstehen lassen. Dazu gehört fast alles was die Gruppe Sigur Rós betrifft. Okay, ihre ganzen Re-Releases, die sie in den letzten Jahren auf dem Markt geschmissen haben und absonderlich teuer Spezialeditionen berühren mich wenig. Auch seltsames Merchandise wie Kerzen oder so Duftstäbe brauche ich nicht. Was ich von dieser Band allerdings brauche, und das hat tatsächlich eine überlebenswichtige Funktion, ist ihre Musik. Und zwar in regelmäßigen Abständen, laut aufgedreht und nah am Herzen. Und nun kam gestern folgende Nachricht hineingeflattert: Im Juni soll es ein neues Album geben. Nach wahnsinnigen zehn Jahren! Was für eine unglaubliche Nachricht! Und sie ist noch nicht beendet. Denn die Isländer gehen mit einem 41-köpfigen Orchester auf Tour, in Europa gibt es drei und Nordamerika ein paar mehr Termine. Erreichbar sind London, Amsterdam und Hamburg. In letzterer Stadt sogar in der sagenumwobenen Elbphilharmonie! Doch beim Versuch, direkt Karten kaufen zu wollen, sah ich: ausverkauft. Und da diese Gruppe in meinem Kopf den Verstand aussetzt, sah ich mich wenige Minuten später mit zwei Karten für Amsterdam in der Hand.
Ja, es muss nicht immer alles logisch sein. Zudem sah ich Sigur Rós letztes Jahr zwei Mal innerhalb weniger Tage. Aber das ist mir alles vollkommen egal. Die Musik, die sie seit Jahren spielen, ist für mich das absolute Non-Plus-Ultra, insbesondere live. Und wenn sie dann mit Orchester in einem außerordentlichen Saal spielen, dann muss ich dabei sein. Scheiß auf all den Rest! Ich bin gespannt wie ein Flitzbogen. Auf dieses Konzerterlebnis und auf ihre neue Musik!
(Ms) Dieser Abend stand unter keinem guten Stern. Am 6. Oktober sollte dieses Konzert eigentlich stattfinden, doch die schleppenden Vorverkäufe haben die Veranstalter dazu gezwungen, alles umzuplanen. Dabei war die Idee so genial! Das Team der Oldenburger Kulturetage wollte Abwechslung auf die Bühne bringen und in einer Konzertreihe je zwei Bands aus zwei Bundesländen auftreten lassen. Immer die Zahl zwei, daher heißt die Reihe DÖ! Irgendwie gut! Doch an diesem Samstag wurden aus zwei nur noch einer, denn leider musste Kid Be Kid ihren Auftritt krankheitsbedingt absagen. Sehr schade, denn ich hätte gern erlebt, wie sich zwei recht unterschiedliche Projekte an einem Abend ergänzen. So blieben Woods Of Birnam mehr Zeit zur Verfügung. Und die Band um Christian Friedel hat sie sehr, sehr gut genutzt. Das war ein tolles Erlebnis.
Doch, wie gesagt, der Abend stand unter keinem guten Stern. Die Kulturetage fasst gut 1000 Leute. Am Samstag war der Raum bestuhlt, und immerhin die Hälfte hätte kommen können. Hätte. Es waren tatsächlich nur 40 bis 50 Leute da. Das ist bitter für die Veranstalter, seltsam für die Band, die auf einen fast leeren Raum schaut und auch komisch, wenn man da drin ist. Ist die Band tatsächlich so unbekannt, das so wenig Menschen kommen? Hat die Konzertreihe zu wenig Beachtung gefunden? Sind 20€ für viele Leute zu viel für einen Musikabend? Die Gründe könnten vielfältig sein, wer weiß…
Aber! Aber, die Menschen, die nun dort waren, haben tolle eineinhalb Stunden erleben dürfen. Allein die Wartezeit bis zum Konzert wurde toll genutzt. Auf der Bühne standen drei alte Radios, die zeitweise aufblinkten. Zudem war ein permanentes Windgeräusch zu vernehmen und hin und wieder flüsterte uns eine Stimme Worte zu. Sie kommen sicherlich aus dem aktuellen Theaterprogramm der Band, Dorian. So heißt auch das aktuelle, tolle Album. Dies muss man wissen: Woods Of Birnam ist eine Band, die mit dem Dresdener Schauspiel verbunden ist. Christian Friedel, Sänger und Kopf der Band, ist dort Schauspieler (aber auch beispielsweise aus Babylon Berlin bekannt), die anderen Musiker arbeiten ebenfalls dort und sind mit Enno Bunger und Polarkreis18 verbandelt.
Als die Wartezeit vorbei war, erstrahlten wunderbare Lieder nacheinander. Die Arrangements waren alle unglaublich rund, die Band sehr, sehr gut eingespielt, der Klang hervorragend und das Licht entfachte ebenfalls eine beeindruckende Wirkung. Ja, das war alles ziemlich toll aufeinander abgestimmt. Und ging auf. Im Vordergrund standen die aktuellen Dorian-Songs, doch auch ältere Stücke von MacBeth oder How To Hear A Painting wurden gespielt. So genau kenne ich die einzelnen Lieder leider auch nicht, sodass es mir schwer fällt, sie zu benennen. Doch das ist vielleicht auch ein wenig egal. Denn es geht hauptsächlich um die Atmosphäre, die sie erschufen. Es war dicht, sehr dynamisch. Viele Stücke hatten einen wundervoll warmen Klang. Zu anderen wiederum musste auf jeden Fall getanzt werden. Und das haben die wenigen Menschen vor Ort dann auch einfach getan, im Sitzen macht so ein Konzert ja auch wirklich wenig Spaß. Ständig habe ich gehofft, dass die Band den Abend auch genießen konnte und sich die Enttäuschung über den Rahmen nicht zu sehr durchgesetzt hat.
So bleibt die Frage: Wie kann man den Rahmenbedingungen entgegenwirken? Verlegen in einen anderen Spielort? Mehr Werbung machen? Ich weiß es nicht.
Doch eine Sache weiß ich ganz bestimmt: Woods Of Birnam sind live eine wahnsinnige Band, das macht ungeheuer viel Spaß und einigen Menschen war der musikalische Genuss des Abends im Gesicht anzusehen. Und darum geht es doch. Oder?
(sb/ms) Vor ein oder zwei Jahren habe ich mein Netflix-Abo gekündigt, ich brauchte es schlicht und einfach nicht mehr. Außerdem hat mich das Angebot nach vier, fünf wirklich guten Serien nicht mehr gepackt. Doch manchmal braucht der Mensch gute TV-Unterhaltung. Seitdem stöbere ich stets in den Mediatheken von ARD, ZDF oder arte und bin erstaunt, wie viele gute Serien dort schlummern. Für lau! Momentan bin ich extrem angetan von der Serie Bonn, die auf der ARD läuft. Ich mag es sehr, wenn historische Ereignisse so aufbereitet werden, zwischen Information, Bildung und Entertainment. In der sechsteiligen Serie geht es um die Geheimdienstarbeit der 50er Jahre, insbesondere um die Personen Otto John, der später der erste Präsident des Verfassungsschutzes wurde, und Reinhard Gehlen, aus dessen Organisation der Bundesnachrichtendienst hervorging. Und die große Frage steht im Raum zu dieser Zeit: Wer arbeitet in solchen wichtigen Gremien wenige Jahre nach Kriegsende? Und welche Ziele verfolgen sie? Persönliche oder Höhere? Ich will nichts vorwegnehmen und nur sagen, dass das extrem spannend und zugleich hochgradig schockierend ist, was damals passierte!
GoGo Penguin
(Ms) Instrumentale Musik hat oft mehr Faszination als, wenn sie von Text dominiert ist, finde ich. Klar, ich mag gut erzählte Geschichten sehr, ich singe sie liebend gern versunken oder laut skandierend mit und erfreue mich an jedem Wort. Doch Text hat ein begrenztes Level an Interpratationsspielraum. Klar, wenn man sich Lieder von Turbostaat oder Fortuna Ehrenfeld anhört, kann man lange rätseln, doch man orientiert sich immer an den selben Worten. Hört man beispielsweise Friday Film Special, die neue Single von. GoGo Penguin, ist es völlig offen, welche Bilder und Assoziationen ich dort hineinprojiziere. Ich sehe mich beim Hören des Tracks in einem Urlaubsmorgen, ausgeschlafen, erholt und bereit für ein kleines Abenteuer. So lässig ist für mich die Klavier- und Basslinie. Das entspannt mich sofort und ich käme nie auf die Ideen hinter dem Lied. Die Band schrieb dieses Lied als Reminiszenz an den instrumentalen HipHop-Sound der 80er, zugleich ist der Titel eine Erinnerung an eine Kinderfilmreihe zur selben Zeit. Zwei Fliegen mit einer Klappe also. Herrlich, was oft alles in instrumentaler Musik drin steckt, wie viele Deutungsebenen es gibt. Mehr Geschichten folgen dann auf dem Album Everything Is Going To Be OK, das am 14. April erscheinen wird.
Therapy?
(sb) Das mit den Lieblingsbands ist ja immer so eine Sache. Wenn was Neues angekündigt wird, ist man voller Vorfreude und Erwartungen. Mal werden sie erfüllt, mal ist man dann enttäuscht. Die Band meines Vertrauens ist bekanntlich Therapy? - seit 30 Jahren im Herzen, seit vielen Jahren unter der Haut. Heute wurde nun das neue Album Hard Cold Fire angekündigt, das am 05.05. erscheinen wird. Vorab gibt es die Single Joy, die die Nordiren bereits auf ihrer Tour 2022 zum Besten gaben. Wenn das Album in dem Stil weitermacht, wirds geil. Die Voraussetzungen sind gut, denn produziert wird das gute Stück von Chris Sheldon, der damals auch schon für das erfolgreichste T?-Album Troublegum verantwortlich zeichnete. Kann es kaum erwarten!
Kaiserin
(sb) Ich zitiere mal eben die Selbstbeschreibung von Kaiserin:
"Beschrieben als Deutschlands leidenschaftlichste Rock'n'Roll Band steht
Kaiserin für eine Vision von hochenergetischem Punk, mitreißenden Motown
Beats, Killer-Pop-Melodien und dem gewissen Etwas. Mit Anmut und
Eleganz, einer Sexiness und fiebrigem Wahnsinn, der der unfassbar
ausrechenbar gewordenen deutschen Musikwelt die Zunge rausstreckt."
Klar, das Ganze ist ein bisschen überspitzt, aber die Grundessenz passt schon. Ein Hauch von Wanda, nur halt nicht aus Wien. Ende März soll die neue Single, im Laufe des Jahres dann das Album. Bis dahin müsst Ihr Euch mit den bisher erschienen Tracks begnügen, zum Beispiel München Glockenbach. Bei mir ist es zwar eher der Stadtteil Giesing, der die Sehnsucht weckt, aber wer wird denn kritisch sein....
RPWL
(sb) Freising, Heimat. Umso größer ist jedes Mal die Freude, wenn Post vom Label "gentle art of music" hier bei mir reinflattert. Und das nicht nur aus nostalgischen Gründen, sondern weil da einfach tolle Musik veröffentlicht wird. Ob nun Kalle Wallner solo oder zusammen mit seiner Band RPWL - das ist schon ziemlich perfekt, was da abgeliefert wird. RPWL starteten einst als Tribute-Band für Pink Floyd, heutzutage sind sicherlich das musikalische Aushängeschild Freisings und touren mit ihren Songs durch die ganze Welt. Auch Crime Scene (VÖ: 17.03) ist wieder ein Konzeptalbum und beschäftigt sich, wie der Name schon vermuten lässt, mit dem Bösen, dem Morbiden, den Abgründen des menschlichen Verhaltensspektrums. Instrumental wie immer top und textlich auf den Punkt - da gibt es nichts auszusetzen. Sie können es einfach - und das schon sehr lange!
Live hier:
30.03. Stuttgart, clubCANN
31.03. Bonn, Harmonie
09.04. Pratteln (CH), Z7
10.04. Dortmund, Piano
16.04. Reichenbach, Artrock Festival
18.04. Berlin, Maschinenhaus
19.04. Hamburg, Knust
20.04. Isernhagen, Blues-Garage
21.04. Rüsselsheim, Das Rind
22.04. Freising, Lindenkeller
Los Fastidios
(sb) Los Fastidios gelten als einer der wichtigsten antifaschistischen Oi- und Streetpunk-Bands Italiens. Genau so habe ich das Quintett vor zig Jahren kennen- und schätzen gelernt. So weit, so gut. Während die Band aus Verona zu Beginn ihrer Karriere auf Italienisch sangen, sind sie seit fast zehn Jahren zunehmend auf Englisch unterwegs. Das gibt Minuspunkte bei der B-Note - zumindest bei mir, weil die Authentizität ein bisschen leidet und es einfach nicht so gut klingt. Das ist aber natürlich Geschmackssache und ändert nichts daran, dass Los Fastidios eine geile Band und auch live ein Erlebnis sind.
Auf ihrer neuen EP Revolt präsentieren die Italiener acht neue Tracks, u.a. das Yazoo-Cover Only You.
Portugal. The Man
(Ms) Sie sind wieder da und die Vorfreude ist enorm. Seit fast zwanzig Jahren bestehen Portugal. The Man und haben mehrmals Coolness neu definiert. Als ich sie zum ersten Mal sah - es muss 2008 oder 2009 gewesen sein - waren es komplett wilde Shows, die die Band angeliefert hat. Es war laut und schräg aber immer voller Groove. Ein irrer, schneller Mix. Im Laufe der Zeit haben sie ihren eigenen Sound ziemlich stark geändert, die Gitarren knallen nicht mehr so hart, insgesamt ist es nicht mehr so exzessiv. Spätestens seit Woodstock hat eine neue Zeitrechnung begonnen. Sowohl vom Klang als auch vom Erfolg. Zu Feel It Still muss man eigentlich nicht mehr viel sagen. Seitdem besteht die Band aus ihren jetzigen Mitgliedern, es folgten ein paar Singles, aber erst jetzt die Ankündigung eines ganz neuen Albums: Chris Black Changed My Life. Am 23. Juni erscheint die Platte, die einem wichtigen Freund der Band gewidmet ist, der tragischerweise kürzlich verstarb und deren Verlust die Gruppe in ihren Grundfesten erschütterte. Kurz habe ich gehofft, dass es nochmal so wird wie beispielsweise zu Church Mouth, aber ich denke, dass diese Kapitel geschlossen sind. Dummy ist die erste Single, die seit Kurzem zu hören ist und damit ist klar: Es bleibt beim unsagbar lässigen Groove, bei cooler Popmusik, die viele Ohren ansprechen wird. Ja, auch meine. Nur ist das für mich nun eine neue Band, die ich anders bewerten muss, die alten Maßstäbe gelten nicht mehr. Daher freue ich mich auf die neue Scheibe und vielleicht kommen sie dann ja auch hierzulande auf Tour!
(Ms) Wenn ich irgendwo „Komm raus aus deiner Komfortzone“ oder andere leistungstreibende Slogans lese, die im Endeffekt oft nur Gewinnmaximierung in sich tragen, dann wird mir flau im Magen. Der Zwang dahinter stört mich so sehr. Gewinnmaximierung jedoch auch.
Worauf ich hinaus will: Ich mag Komfort. Sehr. Gemütlichkeit muss sein. Alles schön entspannt, bitte. Ich möchte mich nicht selbst dazu zwingen, mich verkrampft mit etwas auseinander zu setzen, wofür ich gar nicht offen bin. Je mehr ich das versuche, desto kräftiger verschließe ich mich.
Ist es daher nicht umso schöner, wenn das automatisch passiert? So ganz fließend, ohne groß darüber nachzudenken. Natürlich sind Änderungen gut, doch am besten sind sie, wenn sie einfach so passieren, am besten ohne erkennbaren Grund, einfach, weil es sich gut und richtig anfühlt.
So geht mir das in den letzten Jahren beim Musikhören. Vor zehn Jahren war ich sicher viel dogmatischer in der Auswahl dessen, was ich höre. Und auch darin, wofür ich mich öffne. Damals war alles gut, wo eine Gitarre und Gesang dominiert haben. Ziemlich eng in der Ansicht, das weiß ich, aber so war das nun mal. Also: Das ändert sich seit einiger Zeit. Ich bin regelrecht neugierig geworden, was Neo-Klassik, Krautrock und elektronische Musik anbelangt. Oft schlummert darin ein Zauber, den ich viel besser spüren als ausdrücken kann. Mal ist es der andächtige Charakter, den ich schätze, mal möchte ich mich tanzend im Groove verlieren. Ob es dann auch mal bluesig, poppig oder jazzig werden kann, ist mir relativ egal. Hauptsache das Originelle in der Musik herrscht vor und es packt mich.
Ja, fließend soll es sein. Wie bei Niklas Paschburg und seinem neuen Album Panta Rhei, das am 17.März erscheinen wird. Auf diesem wunderbaren Album, fließen die 13 Stücke nur so ineinander über, oft ist der Übergang gar nicht zu vernehmen. In meinen Ohren könnte dies gut ein 40-minütiges Riesenwerk sein, nichts spräche dagegen, außer eine gewisse schwere Handhabung, wenn man einen bestimmten Part hören möchte.
Der Komponist, in Hamburg geboren, mittlerweile in Berlin beheimatet, hat vorher zwei andere Platten veröffentlicht. Auch sie standen jeweils unter einem bestimmten Motto. Nun soll alles fließen, wie Heraklit schon gesagt hat. Seine Musik war vorher stets vom Reisen inspiriert, nun ging das nicht, als Covid strenge Regeln mit sich brachte. Daher ist dieses Album eine Reise ins Innere des Musikers. Es beleuchtet die dunkeln und hellen Seiten den Menschlichen. Die, die ruhiger sind und die, die uns euphorisch tanzen lassen. Alle Facetten haben Raum auf diesem Album. Das macht es ziemlich faszinierend und einfach, sich darin wieder zu finden. Auch in der Auswahl der Klänge und Instrumente. Hier ist nichts festgelegt, analoge und digitale Klänge geben sich stets die Klinke in die Hand.
Auf drei Liedern wird gesungen, verbunden werden sie durch Instrumentale, die mal ruhiger, mal dramatischer und ernster sind. Stücke wie Sunrise, Zimt, Istria oder Flaneur sind herrliche Entspannungsinseln. Mit Delphi Walz zieht die Ernsthaftigkeit herein, Serafico ist eher melancholischer, auf Lunatic Circus und 21 Of June könnte man tanzen oder sterben, so dicht sind diese Stücke. Ihre Gemeinsamkeit ist der instrumentale Charakter. Extrem unterschiedlich sind all diese Lieder und genau das finde ich großartig. So eine große klangliche Vielfalt ist auf Alben anderer Neo-Klassik-(oder wie auch immer)-Künstler kaum zu hören.
Die drei Songs mit Gesang bleiben sicher ein wenig stärker haften, da sie schlichtweg mehr Ohrwurmcharakter haben. All The Secrets Left Untold mit Bianca Steck ist eine herrlich sanfte Pop-Nummer, die sehr gut zu den Entspannungsinseln passt. Neben der Stimme scheint immer wieder ein herrlich plätscherndes Klavier hindurch, beides fusioniert mit einem schwebenden Beat, der das Lied erhebt. Auf Every Morning (Night 6) singt Kaktus Einarsson. Lange Zeit breitet sich darin ein elektronisches Grundgerüst aus, wie ein sanfter Frühlingsmorgen mit leichtem Wind. Mit Einsetzen des Gesangs wird es ziemlich klarer elektronischer Pop, der sanft über die Seele streichelt. Damit endet dieses herrliche Album. Doch stop! Ein Lied fehlt noch. Es befindet sich knapp auf der Hälfte der Spieldauer und ist das absolute Highlight dieser Platte. Es ist Dark Side Of The Hill zusammen mit lùisa. Oh weh, wie schnell kann man sich eigentlich in ein Lied verlieben?! Der zarte Beginn, der schnell an Tempo aufgenimmt. Die vielen versteckten Soundschnipsel. Die kurze Auflösung mit einsetzendem Gesang, der mit dem Klavier gleich geht und auch wieder an Fahrt aufnimmt. Spannung wird aufgebaut. Ich drehe vorsitchtshalber schon mal lauter. Und dann knallt es, nach gut eineinhalb Minuten strahlt hier ein herausragender Track, der voller Dringlichkeit und Groove strotzt. Seit Tagen tanze ich dazu und er entfacht in mir ungeheuer gute Laune und wahnsinnig viel Lust, mich mal wieder in abenteuerlichen Nächten zu verlieren!
Panta Rhei. Hui, dies ist wirklich eine bemerkenswerte Scheibe! Wie leicht hier die ernsten, melancholischen Parts neben extrem fröhlichen und pulsierenden Passagen nebeneinander stehen, beeindruckt mich. Das klingt sehr, sehr rund und macht unheimlich viel Spaß! Eine sehr große Empfehlung!
(Ms) Als wir dann raus gingen, war die Begeisterung enorm. Das, was in den gut eineinhalb Stunden auf der Bühne im Bremer Lagerhaus passierte, war exakt so nicht vorherzusehen. Es war eine wilde, basslastige Party, ein Konzert mit höchst andächtigen Phasen, es wurde sehr viel gestaunt und noch mehr gelächelt. Der Grund ist ein ganz einfacher: Oehl ist momentan auf zweiter Tourwelle mit seinem Album Keine Blumen und hat am Samstag an der Weser Halt gemacht.
Doch begonnen hat der Abend ganz anders. Es ist Anfang März. Vor ein paar Wochen hoffte ich, dass langsam der Frühling kommt. Offenbar sträubt er sich noch ein wenig. Eiskalter Regen zog durch den Bremer Abend, das Kioskbier fror fast an der Hand fest. Zudem saß eine nervige Erkältung zwischen Hals und Rachenraum. Ein Glück, dass ich seit langer Zeit davon überzeugt bin, dass Musik therapeutische Effekte haben kann. Dieser Abend war ein weiteres, eindrucksvolles Beispiel. Nicht zwingend gesund, aber leicht schwebend ging es später heim.
Das Lagerhaus in Bremens Viertel war vor der Bühne dicht gefüllt, dahinter eher luftig, doch zwischen den strahlenden Menschen vor Ort herrschte eine sehr angenehme, freudige Atmosphäre. Den Abend eröffnete Paul Weber aus Köln. Nun ja. Ich hatte das Gefühl, seine Lieder schon zig Mal gehört zu haben. Von AnnenMayKantereit zum Beispiel, die mir getrost gestohlen bleiben können. Also: Er spielte ein paar nette Lieder, die mir persönlich aber nichts gaben.
Anders als das, was danach geschah. Oehl sah ich das erste Mal vor drei Jahren am gleichen Ort und einiges hat sich seitdem geändert. Wie das Bühnenbild. Es standen silberne Blumenlichter verteilt zwischen Keyboard, Schlagzeug und Mikrophonen. Als die Band dann die Bühne betrat, war eine Sache sofort zu sehen: Mein Gott, hatten die gute Laune! Den vier Akteuren um Ariel Oehl war anzusehen, dass sie sich enorm auf den Abend freuen, da scheint eine wunderbare Energie zu herrschen, wie toll! Das zog sich durchs ganze Konzert, diese fünf Menschen waren extrem gut aufeinander abgestimmt, alle ziemlich gut an ihren Instrumenten und traten als spielfreudige Einheit auf.
Mit dem Titelstück des aktuellen Albums ging es los, Keine Blumen. Und es gab eine zusätzliche Servicefunktion für die Besucher: Die Texte der Lieder wurden oben an der Bühne projiziert. Schlauer Schachzug, da es ja nicht immer ganz leicht ist, Ariel zu verstehen. So zart wie die Lieder oft auf Platte sind, haben sie live eine ganz andere Wucht entfacht, es war ein kräftiger, satter Sound und am Bass wurde nicht gespart. Schönland, Mängelexemplar, Weitergehen, die neuen Lieder haben sehr gut funktioniert live. Auch das tolle Duett Satt Werden mit der Gitarristin Mola ist hervorzuheben. Was mich an seiner Musik so begeistert, ist, dass sie mich ganz stark berührt. Nicht nur durch die Musik, sondern immer wieder durch diese extrem poetischen Texte. Oft weiß ich gar nicht, warum diese Worte mich so erfüllen und mir kurz einen Kloß in den Hals setzen. Aber dass das so ist, zeigt mir, wie toll seine Kunst ist, wie wirkungsvoll. Und das passierte auch bei den älteren Stücken wie Arbeit, Keine Angst, Wolken, Über Nacht oder Neue Wildniss.
Der Hauptteil des Abends war dann irgendwann beendet, glückselig zuschauend. Und für die Zugabe kamen sie auf die perfekte Idee. Sanft ohne volle Band, nur zu dritt, nah aneinander, Stimme, Akustikgitarre, Geige, kaum verstärkt haben sie Ruh und Keramik gespielt. Es war mucksmäuschenstill währenddessen und ich war sicher nicht der einzige mit Gänsehaut.
Was für ein vielseitiger, gefühlvoller Abend mit außergewöhnlicher, wunderschöner Musik. Oehl live, das sollte man sich unbedingt geben! Wir gingen begeistert heim!
(Sb/ms) Wo kaufe ich ein Ticket für das nächste Konzert? Das scheint, insbesondere nach der tollen Arte-Reportage, eine Frage zu sein, die an Dringlichkeit zunimmt. Dynamische Preisentwicklung ist natürlich ein genialer Geschäftszug, für alle Besuchenden aber ein ekeliger Trick der schamlosen Ausbeutung. Ticketmaster geht schon so vor, CTS Eventim wird vielleicht nachziehen und AEG (der dritte große Player auf dem Markt) schließt das auch nicht aus. Die Alternativen sind die kleinen, lokalen Anbieter, das ist klar. Doch manche Tickets haben die gar nicht im Angebot und vielleicht habe ich nicht immer die Zeit, zu deren Läden zu fahren. Also: eine weitere Alternative scheint angebracht zu sein. Heute Abend gehe ich zu Oehl ins Bremer Lagerhaus, auf das Konzert freue ich mich seit einiger Zeit, ein toller Künstler. Erst tags zuvor habe ich mir ein Ticket gekauft. Nicht bei Eventim oder Ticketmaster, sondern über eine App namens dice.fm. Es ist natürlich sehr schade, dass dieses Ticket ausschließlich elektronisch existiert, nichts, was man an die Pinnwand klatschen kann. Doch das Unternehmen, das aus London kommt, hat eine schöne Philosophie: den Versuch zu starten, keine Karten überteuert auf dem Zweitmarkt ergattern zu können. Wenn ich nicht hingehe, dann kann ich das Ticket über die App zurück geben, es existiert parallel eine Warteliste für andere Interessenten. Sonst könnte ich es nur Freunden überschreiben, soweit ich das erlesen habe. Wie das aber funktioniert - keine Ahnung. Offenbar scheint kein größerer Konzern dahinter zu stehen, sondern ein paar Tech- und Data-Nerds, die es gut meinen. Zudem kann ich über die Plattform auf Konzerte stoßen, die mich interessieren könnten, der gute alte Algorithmus. Also: Geben wir dem ganzen mal eine Chance.
Kapa Tult
(Ms) Das erste Date. Zwei Menschen sitzen sich gegenüber, verbringen ein paar Stunden miteinander. Man gibt ein bisschen was von sich preis, möchte sich selbstredend auch ein wenig gut verkaufen, vielleicht begehrlich wirken oder Begehrlichkeiten erwecken. Man kramt ein paar gute Geschichten raus, die immer schon für ein paar Lacher gesorgt haben. Doch dann wird dieses Zusammensein komplett unterschiedlich wahrgenommen. Ich will die Anerkennung und etwas für dich sein, aber du… du nicht zwingend. Wie bitter. Das ist doch irgendwie scheiße und ungerecht. Und genau darüber singen Kapa Tult (Ja, die Band heißt immer noch so) ein herrliches Lied: Kaffee Und Was Süßes. Der Track beginnt mit Stimme und sanfter Gitarrenbegleitung und entwickelt sich dann - genau wie die Emotionen im Text - zu einem nachvollziehbar enttäuschten Wutausbruch. Ich finde es immer wunderschön, zu hören, wie kreative Menschen es schaffen, so scheinbar kleine Situationen in Musik zu transformieren. Das macht die Vorfreude auf ihr Album Es Schmeckt Nicht, das am 23. Juni erscheint, umso größer!
Still Talk
(Ms) Ab welchem Punkt darf man eigentlich von Nostalgie sprechen? Gerade wenn man erst Anfang dreißig ist, wird das doch irgendwie schwierig, oder? Auf der anderen Seite: Wenn plötzlich ein Klang in die Ohren rauscht, die man selbst als Teenager wahrgenommen hat, dann darf man diese Vokabel doch nutzen, oder? Genau, finde ich auch. So ging es mir nämlich, als ich Headcheck von Still Talk dieser Tage zum ersten Mal hörte. Rebellischer Skatepunk à la Avril Lavigne macht sich auf einmal breit. Ich bin ganz ehrlich: Hätte ich das vor vier oder fünf Jahren gehört, hätte ich es sofort weggeklickt. Aber irgendwie finde ich es geil. Liegt es daran, dass die Freitagabende beispielsweise nicht mehr zwingend bis früh morgens in Kneipen oder Clubs durchgezecht werden?! Ich weiß es nicht, aber ich weiß, dass Musik immer ein kleines Geheimnis mit sich bringt, und das finde ich gut! Die Kölner Band hat letztes Jahr bereits eine EP herausgebracht. Diese Single ist nun die Ankündigung ihres ersten Albums, das dieses Jahr noch erscheinen wird, Titel und Datum folgen dann. Live kann man mit dieser Band auch die eigene Jugend ausleben, hier:
(Ms) Wie macht man sich als MusikerIn auf sich aufmerksam? Klar, da gibt es zahlreiche Mittel. In irgendeiner Weise krass zu sein, ist sicher der einfachste Weg, denn so wird über einen gesprochen. Oder es ist „einfach nur“ der geniale Sound einer Band, der sich wie ein Lauffeuer herumspricht. Hier haben wir nun einen Künstler, bei dem eventuell beides zutrifft: Yves Tumor. Der Amerikaner, der seit einiger Zeit in Turin lebt, macht auf jeden Fall mit seinem Äußeren auf sich aufmerksam. Schrill, bunt, extravagant, androgyn, knallig. Was nach großer Popwelt klingt, macht sich im Klang ganz anders bemerkbar. Auf seiner neuen Single Heaven Surrounds Us Like A Hood spielt er leicht psychedelischen Punk, der jedoch nicht wütend nach vorne drescht, sondern mit hoher Stimme verletzlich scheint. Natürlich gibt es zu seinem schicken Äußeren auch ein grelles Video, das sich in meinen Ohren zu einem schönen Widerspruch zur Musik entwickelt. So macht man auf sich aufmerksam. Finde ich stark, macht sehr, sehr neugierig, was sein neues Album Praise A Lord Who Chews But Which Does Not Consume anbelangt, das in zwei Wochen (17. März) erscheint. Hier wird die Ästhetik des Glitzerpops mit dem Sound des Indierocks zusammen gebracht - wenn das nicht spannend ist?!
Accidental Bird
(Ms) Wer jahrelang Musik hört, erkennt natürlich gewisse Stimmen aus einer großen Anzahl immer wieder heraus. Denn derart Markantes bleibt halt hängen, da haben sich irgendwelche Synapsen mal zusammen geschlossen. Doch wenn nicht nur die reine Stimme einen Wiedererkennungswert hat, sondern der gesamte Klang einer Band oder eines Projekts, dann ist mehr passiert. Dann hat sich diese Band auch irgendwo ins Herz hineingespielt. Durch ihre Melodien und ihr innewohnendes Alleinstellungsmerkmal. Das hat Stefan Honig mit seiner ehemaligen Band auf jeden Fall geschafft. Ein Honig-Song war schnell zu erkennen und das liegt nicht nur an seiner Stimme. Es liegt an der Art, wie er seine Lieder arrangiert. Da liegt eine eigene Handschrift in der Dramatik und der Art wie eine Melodie aufgebaut ist. Ich finde es wunderbar, dass er sich diesen Klang für sein neues Projekt Accidental Bird behalten hat. Trotz des neuen Namens fühlt es sich an, als ob man es seit Ewigkeiten kennt. Das tut richtig gut. Stefans Musik schwingt schon immer irgendwo zwischen Hoffnung, Liebe und Zusammenhalt. Das vermittelt diese Musik für mich. Auch Pools, die neue Single, die mit dieser feinen Live-Darbietung (s.u.) daherkommt, erweckt in mir diese Gefühle. Daher freue ich mich sehr, wenn das dazugehörige Album The Old News Shrug am 21. April beim Grand Hotel Van Cleef erscheinen wird. Dazu werden auch einige Konzerte gespielt. Ich habe Stefan häufiger live gesehen und lege allen den Besuch dieser Gigs ans Herz:
(Ms) Hach, das gute alte Verliebtsein. Es ist vielleicht eines der schönsten Gefühle, die der Mensch überhaupt fühlen kann. Dieses ununterbrochene Denken an genau diese andere Person, die einem gerade das Hirn krumm macht. Diese irren Glücksgefühle, die einen (scheinbar) unbesiegbar machen. Dieses wundervolle warme Lächeln im Gesicht, das andere irgendwann tierisch nervt. Aber egal, denn es ist halt voller Zauber! Manchmal hält es lange oder gar für immer. Wann anders ist es für kurze Zeit der intensiv. Und gerade diese kurze Intensität hat seine Tücken. Insbesondere wenn man klammheimlich weiß, dass es zu nichts führt. Dass die Anziehungskraft immens ist, aber diese Beziehung keinen Bestand haben wird. Gibt man das dann sofort auf oder fängt man an zu träumen? Ich denke, dass das erste vernünftig und das zweite menschlich ist. Und genau über diese kurze aber auch hoffnungslose Zeit haben die wunderbaren Steiner & Madlaina ein tolles, kleines, wirkungsvolles Lied geschrieben. Es heißt Unter Uns und wird Teil ihres neuen Albums sein. Risiko erscheint am 14. April und man darf sich über allerhand andere Liebeslieder freuen, sicher auch auf die, die gut ausgehen werden! Ich freue mich sehr!
Kaisers Orchestra
(Ms) Erste Geschichte zu dieser Band. Dafür müssen wir mal eben die Uhr tatsächlich achtzehn Jahre zurück drehen. Ich war ein Teenie, grün hinter den Ohren, die Passion zur Gitarrenmusik ist noch jung und ich müsste heute meinen Eltern viel mehr danken, als ich es tue. Denn: Was sind die für Wege gefahren?! Der bekloppte Sohn frönt seiner Leidenschaft und sie fahren. Was für liebe Menschen. Im Sommer 2005 brachten sie mich mit einem Freund nach Gelsenkirchen. Dort fand an einem Tag das sogenannte ‚Sport und Freunde Festival‘ statt. Was für eine irre Besetzung: Neben den Gastgebern, den Sportfreunden Stiller, spielten geniale Bands wie Nada Surf, Cosmic Casino, Boltzplatz Heroes, Monta, Die Sterne und auch Kaizers Orchestra aus Norwegen. Letztere waren sicher die seltsamste Band an diesem Tag. Zum Einen verstand man kein Wort, zum Anderen trug der Pianist Gasmaske und sie droschen immer wieder auf die markanten Ölfässer ein. Ein tolles Konzert, bleib stark im Gedächtnis hängen (By the way: Ein Ticket für den ganzen (!) Tag kostete 30€!). Danach kaufte ich mir ein paar Alben und die Faszination blieb. Bis zu ihrer Auflösung vor zehn Jahren. Zugegebenermaßen habe ich sie auch vorher schon etwas aus den Augen und Ohren verloren.
Zweite Geschichte zu dieser Band. Ja, es lässt sich schon erahnen. Kaizers Orchestra sind wieder da. Hierzulande waren sie nie eine große Nummer, der große Durchbruch blieb ihnen leider verwehrt. Im Gegensatz zu ihrer Heimat. Dort sind sie nicht weniger als absolute Giganten. Sie haben ein paar Hinweise verteilt, dass sie wieder spielen und satte 80.000 Tickets waren innerhalb von 14 Minuten ausverkauft. In dieser Größenordnung spielt diese Gruppe. Und noch krasser: Sie spielen vier Monate hintereinander im gleichen Venue. Je einen Monat in Stavanger, Oslo, Trondheim und Bergen. Gut 14 Konzerte pro Monat. Was für eine bekloppte Idee. Und wie herausragend sie aufgegangen ist! Dazu ging ein sehr sehenswerter Kurzfilm online (s.u.). Zusätzlich erscheinen all ihre Alben in überarbeiteter Version auf Vinyl! Je zwei alle zwei Monate in Deutschland. Ich wünsche mir nichts weniger, dass sie im kommenden Jahr mit einer neuen Platte hier auf Tour gehen. Daumen drücken Für die dritte Geschichte mit dieser Band.