Freitag, 7. Januar 2022

KW 1, 2022: Die luserlounge selektiert

Bild: kindpng.com
(ms/sb) Treiben lassen. Das ist eines meiner Hobbys. Das geht jedoch nicht immer. Die ganz normale Woche hat leider wenig Zeitfenster, damit ich mich treiben lassen kann. Denn dafür gibt es Voraussetzungen: Stressfreiheit, Neugier, Ruhe, eine gute Begleitung, offene Augen und die ungeheure Lust zu staunen. Urlaube sind dazu ideal, aber auch irgendwie darauf angelegt. Also gewissermaßen kalkuliert. Es darf auch ungeplanter sein. Dieser Tage war ich in einer Großstadt, eigentlich sollte meine Herzensband dort spielen (aber, aber...). Der Ausflug fand trotzdem statt und ich ließ mich an die Hand nehmen und treiben. Weil ich wusste, dass es gut wird. So gibt es Orte fernab von Straßenlärm, Shoppinghöllen, S-Bahn-Stationen und Souvenirläden, die viel stärker in Erinnerung bleiben. So saßen wir dann in einem bezaubernden Café an der Elbe und schauten aufs Wasser und es war einfach grandios. Ein perfekter Moment. Keine stressende Straßengeräuschkulisse, keine blinkenden Schilder und Angebote, die verlocken sollen. Treiben lassen findet fernab des Trubels statt. Dort sind Momente zum Staunen und Zeit ist eine irrelevante Kategorie. Das geht auch in dieser komischen Zeit sehr gut. Frohes Neues.

Hier ist die erste Selektion des Jahres. Noch etwas übersichtlich. Aber trotzdem ziemlich super. Oder?
 
Pippo Pollina
(sb) Woohoo, da kommt direkt Urlaubsstimmung auf! Ich habe zwar keine Ahnung, wovon Pippo Pollina auf seinem neuen Album Canzoni Segrete (VÖ: heute!) singt, aber alleine der Klang lässt mich schon von Italien, lauen Sommernächten, Peroni und Meer träumen. Klischee olé! Aber was solls? In der Vergangenheit setzte sich Pollina thematisch häufig mit Machtmissbrauch und Korruption in seiner sizilianischen Heimat auseinander und ließ das Streben nach Frieden als zentrales Motiv in seine Musik einfließen. Auch diesmal gelingt es dem 58-jährigen Wahl-Schweizer wieder, seine Stimme ideal in Szene zu setzen und sie in perfekter Symbiose mit eingängigen Melodien treten zu lassen.
 
Ach ja: Da es sich laut PR-Meldung scheinbar so gehört, möchten wir darauf hinweisen, dass Pippo Polina der Vater von Faber und Madlaina (Steiner & Madlaina) ist. Aber das nur so am Rande... Was für ein toller Jahresauftakt!


Bianca Stücker
(ms) Vor sechs, sieben Jahren war es mir irgendwie wichtig zu betonen, dass Indie-Rock doch das allerstärkste ist. Dabei habe ich mich damals schon belogen, fällt mir ein. Leidenschaftlich habe ich parallel zu Nada Surf Mittelalterrock à la Schandmaul, In Extremo oder Corvus Corax gehört und stand mit einem Kilt um die Hüfte, einem Met in der Hand (selbstredend im Horn) vor Bühnen, auf denen es fast ausschließlich brannte. Der Hang zu folkloristisch dunkler Musik ist immer noch da. Mit Mittelalterrock hat Bianca Stücker wirklich nichts zu tun, aber ihre Musik weckt etwas in mir, das damals schon gepocht hat. Am 4. Februar veröffentlicht sie ihr Album De Alchemia und für mich kommt es zeitlich sehr gelegen. Denn: Das werden stressige Tage bei der Arbeit und dieses Album wird mich in eine andere Welt katapultieren. In eine Welt, in der alles möglich ist. Dort gibt es Zauberinnen, Trolle, Elfen, Magie, Unvorhergesehenes, Unvorstellbares. Genau das kann Musik halt auch. Insbesondere, wenn sie die Pfade der Hörgewohnheiten verlässt und eine Tür öffnet, die mir sonst in meinem Alltag verborgen bleiben würde. Bianca Stücker hat dabei die meisten Instrumente selbst eingespielt und ist auch sprachlich flexibel, sehr beeindruckend! Richtig gut. Vielen Dank!

 
Palace
(sb) „Ja, die meisten dieser Stücke handeln von komplexen Gefühlen, die Menschen nun mal haben. Und manchmal ist es eben ganz schön schwer, sie zu artikulieren. Bis wir also bei der Angst landeten: Sie wurde zu einer Art Aufhänger, um durch sie all diese Dinge herauslassen zu können.“ (Schlagzeuger Matt Hodges)
 
London, England, Zeit des Lockdowns. Statt zusammen im Studio zu arbeiten, sitzen die drei Bandmitglieder von Palace verstreut über die britische Metropole in ihren Wohnungen und arbeiten an neuen Tracks. Beklemmung. Wie gehts weiter? Und wann? Aus der Ungewissheit erwächst jedoch etwas völlig Neues: Zuversicht. Der zwangsläufige Arbeitsprozess verleiht den Musikern auch ganz ohne Energydrinks Flügel, befreit sie von ihren Zwängen. Das Ergebnis ist Shoals (VÖ: 21.01.), ein Album, das trotz der widrigen Umstände und der Angst als Leitmotiv hoffnungsfroh klingt und ein Gefühl der Lebendigkeit vermittelt.


Florence & The Machine
(ms) Wann sollen wir all die grandiose Musik hören? Wo ist der Raum und wann ist die Zeit, um wirklich weggeblasen zu werden? Wo ist die Ruhe, um aufmerksam zu lauschen? Manchmal braucht es Jahre, bis ich Gruppen entdecke, die schon lange da sind und dann erst einschlagen. Oder es braucht die richtigen Menschen, die einen darauf hinweisen. Das ist mir dieser Tage passiert. Wir saßen gemeinsam da und philosophierten über Stimmungen, Atmosphäre und Gänsehaut. Und dann wurde Florence & The Machine genannt. Habe ich einfach nie gehört. Nicht aus Ablehnung oder dergleichen. War einfach nicht auf dem Radar. Dort jedoch ist sie jetzt. Ganz mittig und blinkt dort wie nicht gescheit. Vielen muss ich von dieser Frau und ihrer Musik sicher nicht extra berichten, außer dass es außergewöhnlich direkt sein kann. Um schnell tief einzutauchen, brauchte ich ein eindrückliches Erlebnis. Und das ist ihr Auftritt in der Royal Albert Hall von 2012. Das ist definitiv nicht normal. Das ist derart herausragend, dass es mir bei jedem Hören eine unglaubliche Gänsehaut beschwert. Völlig umwerfend. Was für ein großartiges Arrangement, was für eine Präsenz auf der Bühne, was für eine Stimme. Ich bin baff und abgefixt.
PS: 'Selektiert' heißt nicht nur Aktuelles hören, vor allem Gutes.

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