Mittwoch, 12. November 2025

Naked Lunch - Lights (And A Slight Taste Of Death)

Foto: Appolonia T. Britzan
(Ms) Zerbrechlichkeit und Schönheit. Kaum eine Band steht für beide Attribute so stark wie Naked Lunch. Die Schönheit der Zerbrechlichkeit hat diese Gruppe so gut wie perfektioniert. Und es hat zwölf Jahre gedauert, bis sie uns wieder mit neuen Liedern beschenkt. Am 7. November erschien Lights (And A Slight Taste Of Death) und ist sicher die Platte der Österreicher, die am schwersten ins Ohr geht. Wenn sie da aber erstmal angekommen ist, dann offenbart sich ihr ganzer Glanz.

Zerbrechlich waren ihre Lieder immer schon. Die ruhigen und die wuchtigen. Und das lag nicht immer nur am oftmals recht melancholischen Arrangement. Vielmehr gelingt es Oliver Welter seit vielen Jahren mit seiner Stimme den Geist seiner Musik zu 100% rüberzubringen. Man könnte sich bestimmt darüber streiten, ob Oliver Welter ein guter Sänger ist. Da gibt es viele Fürs und Widers, die sich ins Feld führen lassen. Doch eventuell ist das für die Musik, die Naked Lunch seit Jahren so großartig macht, gar nicht mal so wichtig. Immer wieder bricht seine Stimme. Das muss sie auch. Sonst kommt der Inhalt, die Atmosphäre, die Tiefe und das Menschliche aus all ihren Liedern gar nicht so zur Geltung. Das Wacklige ist Programm. Und - machen wir uns mal nichts vor - auch ein großer Teil dessen, was uns zum Menschen macht. Das Berührt- und Verletztwerdenkönnen, die Zweifel. Und bei all der Tragik, die sich immer wieder in ihren Songs ausbreitet, bleibt eines immer unterm Strich: Hoffnung. Liebe. Zusammenhalt. Dankbarkeit. Das ist ein irrer Spagat. Er ist nicht leicht. Aber sie nehmen die Herausforderung an. Mit der neuen Platte ist es ein weiteres Mal geglückt - man muss sich nur drauf einlassen.

43 Minuten Spielzeit hat die neue Platte. 14 Tracks sind darauf enthalten. Einige haben etwa eine Minute Länge, dafür wirken andere umso ausgiebiger. To All And Everyone I Love ist der Opener. Zudem war es die erste Single, die in all ihrer Schönheit brilliert. Ein Kniefall vor allen, die das Leben schöner machen. Eine Danksagung an all die leuchtenden Momente, die ein Leben begleiten. Dies ist ein großes Beispiel, wie wunderbar Musik sein kann! Doch wie der Albumtitel schon vermuten lässt, ist es eine Sammlung an Texten, die zwischen ganz hoch und ganz tief schwankt. Licht und Dunkel. Positiv und negativ. Auf und ab. 12 Jahre hat es gedauert, bis diese Platte ans Tageslicht kam. Oliver Welter zweifelte oft, ob es Naked Lunch überhaupt noch braucht. Dann eine Krebserkrankung und die Geburt seines dritten Kindes. Wow - wie heftig kann es nur zugehen?! Diese Platte ist das Ergebnis genau dieser Zeit.
Das Melancholische und Fröhliche ist teils in einem Stück zu hören. Schleppend und dunkel beginnt We Could Be Beautiful. Nach drei Minuten, ziemlich genau nach der Hälfte, wird Moll zu Dur, wird aus beinahe zäh Lebendigkeit. Wird aus einem Tiefpunkt ein Hoffnugsschimmer und ein ganz wunderbares Lied, an dessen Ende noch Bläser erklingen - hui!
Blackbird ist noch so ein Stück, das ganz viele Ebenen einfängt. Eines, das in meinen Ohren schleichend zum Highlight geworden ist. Trotz (oder gerade wegen?) der immer wieder brüchigen Stimme. Auch wenn es kurios klingen mag, aber die Zeile „Maybe I‘m punished for being a rude man / maybe I did things wrong when I was much younger“ wird so unglaublich schön dargeboten. Anschließend tanzen die Syntheziser und Bläser bringen erneut viel Wärme ins Spiel. Es bleibt zwischendurch festzuhalten - diese neuen Stücke sind enorm stark arrangiert! So vielschichtige Musik gab es von Naked Lunch lange nicht! Auch scheinbar disharmonische Stücke wie If This Is The Last Song You Can Hear offenbaren in ihrem ganzen Soundgewitter viel Sinn für Ästhetik.
Eine weitere Stärke dieser Platte ist, dass es nie langweilig wird. Ich bin erstaunt, wie unfassbar gut die Lieder aneinandergereiht sind! Das ist ja auch eine Art der Kunst. I Saw, auch wieder etwas deftiger aufgebaut, besticht durch die prägnante Gitarre und dem großen musikalischen Lichtblick. Wer bei diesem Album nicht baff staunt, ist ein Banause! So ist auch kurz vor Schluss ein zartes Stück wie Love Don‘t Love Him Anymore purer Glanz! Dieses Chor-Arrangement… wundervoll!

Lights (And A Slight Taste Of Death) ist nichts anderes als ein Meisterwerk. Meine Ohren brauchten etwas Anlaufzeit, um all diese Schönheit auch wahrzunehmen. Ja, es bricht oft. Ja, es quietscht hier und da. Es ist nicht alles perfekt, schon gar nicht rund und glatt produziert. Und genau das ist der große Trumpf. In all dem Zerbrechlichen liegt so, so viel Menschliches. So ist diese Platte eine große Wohltat und hoffentlich noch lange nicht das Ende dieser Band. Sie spielt hier live:

17.01.26 Ebensee - Kino
22.01.26 Wien - Arena
23.01.26 Graz - PPC
29.01.26 Innsbruck - Treibhaus
30.01.26 Dornbirn - Spielboden
31.01 26 Salzburg - ARGEkultur
05.02.26 Leipzig - Naumanns
06.02.26 Berlin - Berghain Kantine
07.02.26 Hamburg - MS Stubnitz
04.03.26 München - Milla
05.03.26 Stuttgart - Merlin
06.03.26 Steyr - Röda
28.05.26 Klagenfurt Festival


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