Vor ein paar Wochen war ich auf dem Watt En Schlick Fest an der Nordsee und dort spielten zum Beispiel Dominik Hartz und Ennio. Vielleicht hätte ich das vor zehn Jahren, Anfang zwanzig, auch gut gefunden. Ein kurzer Blick aufs Publikum analysierte eine ähnliche Zielgruppe. Das, was ich zu hören bekam, war aber gruselig. Das war mir zu glatt, da steckte irgendwie kein Herz drin (zumindest habe ich es gefühlt) und musikalisch war es öde. Ennio hat Mando Diao gecovert. Also… was soll das denn?!
Was mir ein wenig fehlt, ist also frische Musik mit Energie, E-Gitarre, Leidenschaft und Texten, die mir aus dem Herzen sprechen. Wer tritt denn irgendwann in die Fußstapfen von Kettcar, Gisbert zu Knyphausen, Thees Uhlmann, Bosse, Niels Frevert und Co.?! Die Chancen stehen ganz gut, dass Michèl von Wussow einer derjenigen ist. Er ist 28 Jahre jung und veröffentlicht am 23. August sein zweites Album Traum B. Der Titel an sich packt gar nicht so sehr, wenn ich aber sehe, wie er auf dem Cover dargestellt ist, ist das richtig clever. Aus Trauma wird Traum B. So ist diese Platte eine Sammlung an Liedern, die der Alternative Raum schaffen. Was ist denn, wenn der selbst gewählte goldene Weg verblasst? Was, wenn die Pläne, die ich für mich geschmiedet habe, nicht funktionieren?! Soll ich den Kopf in den Sand stecken, resignieren und in Melancholie versinken?! Nein, nein und nochmals: Nein! Und ich finde es wahnsinnig erfrischend, dass das eine junge Stimme singt.
15 Tracks sind auf Traum B, minus einem Intro und einer Interlude, sind es dreizehn „ganze“ Lieder. Musikalisch sind die Arrangements scheinbar einfach, aber dennoch spannend gemacht. Denn momentan sind ja 80er-Beats und -Gitarren modern. Ein leichter Hall auf den Gitarren sind auch bei Michèl von Wussow zu hören, aber eben genauso viel, dass noch viel Platz für poppigen Rock da ist. Best of both worlds.
Ja, so ehrlich muss man sein: Die Musik an sich spielt sich nicht zwingend in den Vordergrund. Dies ist eine Platte, deren Herzstück die Texte sind. Bei weitem haut mich nicht alles vom Hocker, aber da sind einige Stücke, die mich ansprechen, ja, berühren. Der Titeltrack zum Beispiel, mit dem es losgeht und auch den thematisch roten Faden aufzieht. Schnell zu hören ist, wie viel Leidenschaft darin steckt, wenn er singt, ins Mikro sein ganzes Herz legt. Klar, zwischen den Zeilen sind einige Ratschläge enthalten, aber es ist erfrischend, dass sie nicht von oben herab klingen oder aus einem gebrochenen Geist erschallen. Am stärksten haben mich die ersten Zeilen von Geschichten Von Früher gepackt. Wie schwer es ist, das zu sagen, was mich beschäftigt. Das Gegenüber spürt das ja und ich will es dennoch aus irgendwelchen Gründen lieber mit mir ausmachen, anstatt mich anzuvertrauen. Das bringt nichts und in so deutlichen Worten habe ich es noch nie in Musik gehört!
Auf Für Dich schafft der Sänger einen sehr guten Balanceakt. Das Stück ist genauso persönlich wie politisch gemeint, denn der Zusammenhang lässt sich nicht wegdiskutieren. „Hass ist selbstrecht“ singt er darauf und das trifft den gesellschaftlichen Nagel auf den Kopf! So einfach kann es sein. Mit Mitte 20 Im Arsch ist die nächste Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Krisen. Erneut erzeugt mir seine Stimme eine Gänsehaut, so viel Dringlichkeit liegt darin. Das bewegt nicht einen Musiker, sondern einen Menschen von Grund auf und er singt davon! Und die Verse des Liedes möchte man am liebsten allen Parlamenten um die Ohren pfeffern!
Ein paar Stücke berühren mich auch so gar nicht. Aber das ist egal. Denn mir gefällt die Haltung hinter den Songs so sehr. 13 Stücke, die jede Verzweiflung in unumkehrbaren Optimismus verwandeln ohne in Durchhalteparolen zu versinken. Die Zeilen könnten noch alle ein bisschen mehr Kontur bekommen und auch die Musik wesentlich mehr Profil. Aber das geht alles in eine richtig gute Richtung. Eine Richtung, die mir Freude macht und auch Hoffnung, dass da noch viele gute Musiker sind, die etwas zu sagen haben. Michèl von Wussow gehört dazu und geht mit seiner Platte bald auf große Tour. Da sollten wir alle hin.
26.10. Rostock, Helgas Stadtpalast
27.10. Berlin, Frannz Club
29.10. Leipzig, Neues Schauspiel
30.10. München, Milla
01.11. Dortmund, Junkyard
02.11. Köln, Gebäude 9
03.11. Trier, Mergener Hof
04.11. Frankfurt am Main, Nachtleben
06.11. Münster, Sputnik Café
07.11. Hannover, Musikzentrum
08.11. Bremen, Tower
09.11. Braunschweig, Eule XO
10.11. Hamburg, Bahnhof Pauli
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