(sb/ms) Mal wieder eine Geschichte aus dem Alltag: Um kurz vor sieben komme ich morgens am Ort an, wo ich arbeite, schwinge mich auf's Rad und düse zum Ziel. Auf dem Weg passiere ich geschlossene Geschäfte, müde Menschen, dunkle Straßen und angehende Lichter in Wohnungen. Unter anderem führt mein Weg an der örtlichen Sparkasse vorbei. Hinter der Filiale ist ein angemessen großer Parkplatz, damit genügend Menschen Geld abheben, einen Kredit beantragen oder ein Konto eröffnen können. Ungern fahre ich in den letzten Tagen genau dort vorbei, da ich die absolute Ruhe, die morgens herrscht, sehr genieße. Dieses sehr lange, intensive Durchatmen, bevor es los geht. Doch der Hausmeister (o.ä.) der Sparkassenfiliale hat etwas gegen diesen meinen entspannten Gemütszustand. Früh, sehr früh scheint er in den Raum zu gehen, wo er die Gerätschaften für die äußeren Grünanlagen aufbewahrt, holt das Höllengerät da heraus und stapft in die frühe Dunkelheit. Mit Elan (so stelle ich es mir zumindest vor) drückt er den Knopf der Büchse der Pandora und dann ist es nur noch laut. Elendig laut. Nervig laut. Dann schwingt er mit geübten Bewegungen einen einhändig zu bedienenden Laubbläser von rechts nach links, damit sich bloß niemand auf dem Geldparkplatz den Knöchel bricht. Eltern haften für ihre Kinder. Argh! Gruselig. Dieses markerschütternde Dröhnen dieses unendlich doofen Geräts am frühen Morgen. Lieber Mitmensch: Lass das sein. Blase doch, wenn alle anderen Menschen wach sind. Bitte. Bitte. Bitte.
Doch hier geht es um Musik. Die dröhnt auch nicht. Außer man möchte es. Luserlounge. Freitag. Selektion.
Nils Frahm (ms) Wenn bestimmte Namen Neues ankündigen, macht das einfach neugierig. Nils Frahm gehört definitiv dazu. Ein harmonischer Klangtüftler sondergleichen. Mit scheinbar einfachsten Mitteln lässt er nach und nach Soundbilder entstehen, die wundervoll die Seele beruhigen. Nun wird er endlich wieder ein Album veröffentlichen, das auf den Namen Tipping With Nils Frahm heißt und am 3. Dezember erscheinen wird, also kommende Woche bereits! Die physische Version folgt dann im Januar. Ganz ehrlich gesagt, habe ich diese Versetzung von unterschiedlichen Veröffentlichungswegen nicht so richtig verstanden. Soll es wirklich schon vor Weihnachten hörbar sein? Nun gut... Das wirklich Tolle ist, dass passend zum Album auch ein Konzertfilm erscheinen wird, den man sich dann selbstredend online anschauen kann. In den letzten zwei Jahren, direkt nach Erscheinen von All Melody, seinem letzten bemerkenswerten Album, tourte er eine Menge durch die angesehenen Hallen weltweit und löste tosende Begegnungen aus. Ja, ihm dabei zuzusehen, wie er seine Lieder aufbaut, an allerhand Knöpfen dreht und Tasten drückt, das wird nicht langweilig. Einen wirklich lohnenswerten Eindruck aus diesem Film und dem dazugehörigen Klang bietet Fudamental Values, satte 14 Minuten kann man Frahm bei der Arbeit zusehen. Und was sind die entscheidenden Werte? Klar: Ruhe, Kreativität, Genuss, Spiritualität, Musik. Ab dafür!
A Burial At Sea (ms) Das Wichtige im Musikgeschäft ist ja, durchaus einer gewissen Spielweise, einem Wiedererkennungseffekt treu zu bleiben und sich gleichzeitig von anderen Akteuren seines Genres abzugrenzen. Oft eine ganz schöne Herausforderung. So stelle ich mir das zumindest vor. Nicht beliebig sein und dennoch nicht vollkommen abzudrehen. Das haben A Burial At Sea ziemlich gut gemeistert. Vergangenen Freitag erschien das neue Album der Briten, das sie der Einfachheit halber nach sich selbst benannt haben. EF oder neànder machen auch wuchtigen instrumentalen (Post)Rock, sind aber deutlich vom Klang zu trennen. Was A Burial At Sea auszeichnet: Zum Einen verwenden sie extrem klug den Einsatz von Trompetenklängen. Oft wechselt sie sich mit den häufig dominierenden Gitarren ab. Dann wechseln sie oft die Elemente innerhalb eines einzigen Liedes. Es entstehen unvorhergesehene, kurze Pausen. Dann ziehen sie erneut das Tempo an, ehe sie wieder die Richtung des Liedes ändern. Eine klare Richtschnur ist nicht immer zu erkennen, macht aber nix. So bleibt es spannend genau an den Stellen, wenn man denkt, hier könnte ein wenig Abwechslung gut tun. Ob das genauso intendiert ist oder ein Effekt des Zufalls ist... ich weiß es nicht. Die neun Tracks der Platte sind Beweis genug, dass ihre Idee sehr stimmig aufgeht! Zudem haben sie zu D'Accord ein irres Knet-Video anfertigen lassen. Sehenswert, weil vollkommen schräg und irre.
TV Smith
(sb) Er ist eine Legende, keine Frage. TV Smith zählt mittlerweile 64 Lenze, aber müde ist er noch lange nicht. Dass die Auswirkungen den Corona-Pandemie dem Briten zu schaffen gemacht haben, ist jedoch nicht von der Hand zu weisen und spiegeln sich auf auf seinem neuen Album Lockdown Holiday (VÖ: heute!) wider. Nachdenklich, bitterböse und pendelnd zwischen Niedergeschlagenheit und Kampfgeist - als Stimme der Gesellschaft funktioniert TV Smith bestens und klingt dabei mitunter sehr ähnlich wie der Kollege Billy Bragg, was ja alles andere als negativ zu bewerten ist. Aber wer seit den 70er Jahren auf der Bühne steht und als Mitbegründer des Punk gilt, der hat schon ganz andere Situationen gemeistert und Kraft und Inspiration daraus geschöpft.
Minimal Schlager feat Eddie Argos & Laura Lee
(ms) Eigentlich ist das, worum es hier geht, ja das absolute Grauen: Moderne Weihnachtslieder. Mir persönlich reichen die guten alten Klassiker, auch gerne WHAM!, das gebe ich unumwunden zu. Doch es gibt so gute, schräge Kombinationen an KünstlerInnen, dass es nicht nur überzeugt, sondern auch tanzbar ist. Zum Glück machen Minimal Schlager andere Musik als ihre Name nahe legt. Vielmehr tüftelt das Duo an zurück gelehnten Disco-Beats der 80er, um sie ins Heute zu transferieren. Wenn dann noch Laura Lee von Gurr und der von uns verehrte Eddie Argos (Art Brut!) mit im Boot sitzen, um ein Weihnachtslied zu singen, muss man berichten. Ein satter, aber nicht überstrapazierter Bass dominiert Fireworks, den gemeinsamen Track. Hier beweist sich Argos mal wieder als besserer Sprecher als Sänger. Laura Lee befördert durch ihren Gesangspart das Lied auf eine angenehm poppige Art. Da das gemeinsame Abfeiern in einem Club momentan ja nicht drin ist, folgender, einfacher Tipp: Das Lied zu Hause laut drehen, den Glühwein aufsetzen und auf Socken tanzen! Ab geht's!
Marcel Gein
(sb) Puh, schwierig. Wie soll ich das neue Album von Marcel Gein denn nun bewerten? Für mich ist das gaaaaaaaaaaanz nah dran an PeterLicht und mir fehlt die erhoffte Tiefe oder vielmehr: der Zugang zu seiner Welt. Klar, Good Morning Erlenbach (VÖ: 04.12.) geht gut ins Ohr, läuft wunderbar nebenher, aber ich kann mir nur schwer vorstellen, in welcher Stimmung ich sein müsste, um mir das öfter und bewusster anzuhören. Es ist durchaus bewundernswert, wie der Dauer-Tourer seine Geschichten in Worte und Melodien verpackt, es gelingt mir jedoch nicht, den Einstieg zu finden, an die Stories anzuknüpfen und Teil des Ganzen zu werden. Bitte nicht falsch verstehen: Ich werfe das dem Sänger keineswegs vor, es führt jedoch dazu, dass ich im Endeffekt wenig Begeisterung aufbringen kann. Leider.
FEE.
(sb) Ich kann Wir Sind Helden nicht mehr hören und Judith Holofernes pack ich seit jeher nicht. Muss ich aber auch nicht, denn mit FEE. tritt nun eine junge Künstlerin in ihre Fußstapfen, die mit ihrem Ungestüm, Anflügen von Naivität, aber auch Selbstironie und unerwarteter Abgeklärtheit eine Attitüde transportiert, die die deutsche Poplandschaft bestens vertragen kann. Ich bin ehrlich: Ich wollte mir Nachtluft (VÖ: 04.12.) eigentlich gar nicht hören, die ersten Snippets sprachen mich nicht an. Nun bin ich aber sehr froh, dass ich dem Album trotzdem eine Chance gab, denn die variantenreiche Musik der Künstlerin offenbart ein enormes Potenzial, das noch lange nicht ausgeschöpft ist. Eine Stimme, die von rotzig bis zutiefst sensibel alles kann, ein abwechslungsreiches Songwriting - wir werden noch viel von FEE. hören, da leg ich mich fest.
Val Sinestra
(ms) Ja, wir neigen zunehmend zu den ruhigen, klavierbasierten Tönen. Doch man kann nicht immer nur inne halten. Man muss ja auch mal ausbrechen. So, so liebend gern völlige Verausgabung vor einer Bühne in einem kleinen Club, in dem der Schweiß von der Decke und durch das T-Shirt tropft, die Boxen ballern, das Bier erfrischt und direkt wieder ausgeschwitzt wird, die Dynamik im Pulk einen auf eine andere Ebene katapultiert und nach dem Gig fühlt man sich wie nach einem Triathlon, den man untrainiert begangen hat. Dazu passt Val Sinestra so richtig, richtig gut. Hört man ihre neue Platte, die selbstverständlich auch Zerlegung heißt und heute (A) erscheint, möchte man am liebsten jemanden umpogen. Doch die Wohnzimmerwand gibt nur ungern nach. Das ist harter Punkrock mit Tempo, Druck und Bock! Klare politische Kante, schönes Abfertigen von Modeerscheinungen, schepperndes Schlagzeug, rotzige Gitarre und tanzender Bass. So soll es sein. Amen.
tunng (ms) Vor ein paar Jahren besuchte ich das Bestattungsmuseum auf dem Wiener Zentralfriedhof. Ein bizarrer, wundervoller, sehr sehenswerter Ort. Die Geschichte der Bestattung, unterschiedliche Särge. Viel gab es zu sehen. Und das natürlich komplett im Dunklen, so, dass man gerade den Weg finden und sich alles durchlesen konnte. Ja, die Österreicher haben eine besondere Verbindung zum Tod. Viele literarische Zeugen gibt es dafür, von Thomas Bernhard bis Josef Winkler. Eine Band aus UK hat nun den Österreichern ihre morbide Passion gestohlen: tunng. Anfang des Monats veröffentlichte das Sextett ein bemerkenswertes Album, das sie Dead Club nannten: Ein Konzeptalbum über den Tod. Und die Themen der Lieder sind nicht mal eben so bei den Haaren herbei philosophiert in innig-kreativen Momenten mit der Muse. Sondern sie haben recherchiert, mit Experten gesprochen, Todesrituale studiert und sogar eine Reihe an Podcasts veröffentlicht. Man könnte nun annehmen, dass es wirklich dunkel, höchst melancholisch und depressiv zugeht. Weit gefehlt! In der Mitte des Sounds stehen unterschiedliche Synthesizer, ein bisschen Rhythmus, ein bisschen Gitarre und ganz viel, sehr harmonische Tüftelei, die ein tolles, Gesamtklangergebnis erzeugt! Hier ist mal wieder so eine richtig ungewöhnliche Perle des Art-Rock selektiert, die auch in diesem Text viel zu kurz kommt. Also: Hingehört!
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