Das Spiel mit den Kontrasten in Perfektion. Foto: Mikael Eriksson |
Nach alter Tradition wurde das Alter Ego des Sängers erneut ausgetauscht. Auf Papa Emeritus III folgt nun Cardinal Copia. Trotz - oder gerade wegen - der aufgedeckten Identität geht das muntere Spiel um Verkleidung und Inszenierung weiter. Wer die Band mal live gesehen hat, weiß wie beeindruckend so ein Ghost-Konzert sein kann. Es ist eine irre Show, bei der man sich ab und an das Lachen verkneifen muss und doch von der wahnsinnigen musikalischen Qualität überzeugt wird.
Der Einfachheit halber präsentieren wir Euch ein kleines Track-by-Track-Listening oder -Writing (dieses neudeutsche Wirrwarr macht einen ja ganz irre im Head):
1. Ashes: Ein klassisches Intro zu einer Platte mit großen Erwartungen. Der Kinderchor mit dem tiefen Bass im Hintergrund ist schon der Hammer und erinnert an Höhepunkte eines guten Horrorfilmes. Das macht Laune, hier könnte ein Brett lauern. Mit dem Xylophon wird schon die Hook aus Rats vorweggenommen, was nicht dumm sondern ein klassisches musikalisches Element ist.
2. Rats: Die erste Single mit dem phantastischen Michael-Jackson-Gedächtnis-Video. Das Uptempo in der Rhythmusgitarre und im Schlagzeug ist super, hier entfernt sich die Band direkt mit dem ersten kompletten Song vom Metal der ersten beiden Alben. Denn Meliora war nicht mehr allzu hart, die Popestar-EP hat dem Wandel dann den Rest gegeben. Das hier ist jedoch keine negative Kritik und auch keine Schwermut (die anderen Platten kann man sich ja immer noch anhören). Es ist nur die Schilderung, dass Ghost als Gesamtprojekt nun im (Hard-)Rock mit vielen Popelementen angekommen sind und genau hier die Saga weiter an Fahrt aufnimmt. Stark!
3. Faith: Auch die Gitarrensounds aus den ersten Takten hat man so vorher noch nicht von den Schweden (oder wo die jetzigen Studiomusiker so herkommen) gehört. Eine Hommage an den 80er-Jahre-Hardrock? Auf jeden Fall! Es ist melodisch, insbesondere durch die Hintergrundgesänge und die eingängige Gitarre. Wie schon auf Square Hammer zeigt Tobias Forge hier sein Gespür für gute, ohrwurmträchtige Arrangements. Auch die nach unten verzerrten Stimmen zum Ende passen voll ins Bild.
4. See The Light: Kirchenorgeln mit Chor zu Beginn: Der wunderbare Hokuspokus geht weiter! Doch es wird ruhig, bis das Lied im Refrain an Energie gewinnt und sich die Klaviertöne vom andächtigen Begleiter zum maßgeblichen Melodieführer transformieren. Nun, irgendwas fehlt hier dennoch. Der Kontrast zwischen entspannter Strophe und vielschichtigem Refrain ist stark, kann aber stärker sein. Bei den breiten Keyboardsounds am Ende fragt man sich durchaus, was das soll. Alles nur Hommage und Ehrerbietung oder doch schon Kitsch?
5. Miasma: Die etwas schwerfällige Instrumentalisierung setzt sich hier fort. Und man wartet vergeblich auf den Gesang. Bei zehn Tracks - minus einen als Intro - also neun, kommt hier ein relativ langes Instrumentalstück, wo jeder Studiomusiker sich mal ausleben darf. Das ist meines Erachtens schon ein konzeptioneller Schwachpunkt. Es erweckt den Eindruck, dass dieses Album schnell fertiggestellt werden musste. Da kann man auch getrost auf das Saxophonsolo pfeifen.
6. Dance Macabre: Den insgesamt wenig überzeugenden Eindruck, der sich hier zurecht zwischen den Zeilen breit macht, wird hier zum Glück gebrochen. Das ist ein tolles Hardrock-Liebeslied mit einem catchy Refrain. Als zweite Single eine schlaue Wahl. Sicher gibt es auch hier die ein oder andere Anspielung, doch dafür reichen meine Kenntnisse im Rock/Hardrock/Metal-Bereich mit all seinen Nischen leider nicht aus.
7. Pro Memoria: Das Intro hier ist reife Filmmusik: episch, groß, heldenhaft. Doch auch hier geht es insgesamt ruhiger zu. Und spätestens bei diesem Song macht der Albumtitel absolut Sinn. Prequelle beinhaltet alle jene Einflüsse und Inspirationsquellen von Tobias Forge, die ihn bis zum heutigen weltweiten Erfolg gebracht haben. Sicherlich war der Arbeitstitel diesen Liedes Memento Mori (ergibt beim Hören Sinn).
8. Witch Image: Trotz Reaktion auf den Tod von Tom Petty - man möchte dem Album ja gerecht werden -, gibt es hier kaum Elemente, die sich vom Track vorher unterscheiden. Schlägt sich hier musikalische Ideenlosigkeit durch? Einzig die Querflöte ist irgendwie cool.
9. Helvetesfonster: Das Blasinstrument schlägt auch hier zu. Der Song erinnert phasenweise so heftig an Queens Bohemian Rhapsody, da weiß man nicht, ob es wehtut oder irre Spaß machen soll. Doch wieso noch ein Instrumental? Da bleiben nur noch sieben Lieder mit Gesang. Es bleibt nur eine Möglichkeit: Ghost werden als neuartiger Zirkus à la Cirque Soleil die kommende Tour bestreiten, es könnte auch ein Musical werden. Okay, es ist schon genial, so dermaßen offen und freizügig mit den unterschiedlichsten Kunstformen zu spielen oder spielen zu können. Doch ein großer fader Beigeschmack lähmt langsam die Geschmacksnerven.
10. Life Eternal: Zum Schluss gibt es noch einen weiteren breit und groß produzierten Song, der jedoch nicht im Ansatz mit den großen Rausschmeißern der Vorgänger mithalten kann. Deus In Absentia und Monstrance Clock sind einfach zwei irre starke Lieder. Ein Album mit großen Erwartungen und einem vielversprechenden Beginn endet hier leider extrem enttäuschend. Da mag man mir fehlende hardrockhistorische und querverweisliche Kenntnisse vorwerfen, Musik ist und bleibt Geschmackssache. Und das hier hätte viel, viel besser munden können.
Es ist durchaus schade, dass Prequelle so viele Schwächen aufweist.
Dennoch ist bei der Entwicklung der Band etwas enormes aufgefallen: Der Eindruck, dass Ghost mittelfristig eine riesige Rockband werden können. Was?! - mag man einwenden - das sind sie doch schon! Klar, sie sind Headliner bei Wacken und verkaufen größere Hallen aus. Doch hier ist eine Nummer größer gemeint. Einige Songs sind absolut fürs Radio geeignet, auch für die großen Pop-Sender. Die Superstar-Attitüde ist vielleicht sogar gewollt, möglicherweise wollen Ghost auf den großen Bekanntheitsolymp aufsteigen. Ozzy mag nicht mehr lange machen, wer weiß, wie es um die Gesundheit von Keith Richards steht... Die Welt braucht einen neuen Star: Cardinal Copia, Tobias Forge, Ghost! Diese Platte wird ihnen dabei auf jeden Fall helfen, da die Referenzen breit sind und sie sich nicht zu schade sind, Genregrenzen zu überschreiten.
Wir warten also im frühen Winter auf einen Weihnachtssong, kommendes Jahr Headliner bei Rock am Ring, Sziget, Roskilde, Band Aid. Und danach eine Welttour, die sich gewaschen hat, zehntausende werden in ausverkaufte Stadien pilgern, wo eine Rocky Ghostly Picture Show auf sie wartet!