(sb) "Dieses Ausnahme-Label ist weit
entfernt von einer dumpfen Verwaltungsmaschine. ... Sie befördern
außergewöhnliche Musikgeschichten ans Licht und retten manchen musikalischen
Schatz vor dem Vergessen." Recht viel treffender als Die Zeit kann man das
Wirken des Labels Trikont aus dem Münchner Stadtteil Giesing kaum beschreiben,
denn das Sammelsurium unterschiedlichster Genres und Sprachen, die sich in
diesem sympathischen Mikrokosmos vereinen und doch den ganzen Erdball
umspannen, ist abwechslungsreich, einzigartig und extrem unterhaltsam.
Unweit des sagenumwobenen Grünwalder
Stadions, der Heimat der Münchner Löwen, im Hinterhof des Beisls "Schau ma
moi" residiert Trikont und feiert dieses Jahr seinen 50. Geburtstag. Das
Label hat sich auf die Fahnen geschrieben, "Musik von unten" zu
veröffentlichen, die fernab der herrschenden Expertenkultur der kommerziellen
Glätte entgegenwirken soll. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass daraus
nicht Großes entstehen kann: Ton Steine Scherben, Hans Söllner und zuletzt auch
LaBrassBanda haben ihren Weg gemacht und konnten/können sich sogar über
Charts-Platzierungen freuen. Wobei "freuen" in vielen Fällen wohl
sogar das falsche Verb ist, denn Erfolg wird hier nicht geplant und ganz sicher
auch anders definiert als durch Plattenverkäufe. "Eine Insel im Sumpf"
nennt die Süddeutsche Zeitung das Label nicht zu Unrecht, die familiäre
Atmosphäre dort durfte ich selber schon bei einem Besuch in der Kistlerstraße
am Rande eines Spiels des TSV 1860 erleben.
Mittlerweile hat Trikont ca. 500 Alben
diverser Musiker und Bands veröffentlicht und die Vielfalt ist ebenso
abgefahren wie genial: ob bairische Mundart, Chanson, Brass, äthiopischer Jazz
oder ukrainischer Reggae - bei Trikont gibt es (fast) nichts, was es nicht
gibt.
Pünktlich zum Jubiläum erschient nun der Sampler
"Our Own Voices - Expose Yourself To Trikont. Vol. 6" und lässt die
Geschichte des Musikverlages auf 3 CDs eindrucksvoll Revue passieren. Selbst
die BBC kommt um Trikont nicht herum und bescheidet dem Giesinger Label
"Trikont Compilations are breathtaking. Songs plucked by
experts, by men and women with golden ears." Einer davon dürfte Achim Bergmann gewesen
sein, seines Zeichens Herz, Seele und Hirn des Unternehmens und ein Mann mit
Prinzipien und einer eindeutigen linksorientierten Positionierung, was das
Ganze natürlich nochmal deutlich angenehmer macht. Für seine Ansichten steht
und kämpft Bergmann, auch wenn es weh tut - wie zuletzt auf der Frankfurter
Buchmesse, wo er Opfer eines gewalttätigen Angriffs wurde.
Doch zurück zur Musik und zur anstehenden
Compilation: CD 1 beinhaltet 14 Highlights aus den Jahren 2016 und 2017, die
anderen beiden Scheiben widmen sich dem Blick in die Vergangenheit. Vertreten
sind u.a. Kofelgschroa aus Oberammergau, Attwenger und die Neigungsgruppe Sex,
Gewalt & Gute Laune aus Wien, Hans Söllner aus Bad Reichenhall, Lydia
Daher, Bernadette La Hengst und Textor & Renz aus Berlin, der legendäre
Meister des Swing Coco Schumann, ebenfalls aus Berlin, Mrs. Zwirbl, die Express
Brass Band, Cafe Unterzucker und Coconami aus München, Embryo natürlich, Eric
Pfeil aus Köln. Mit dabei auch Rocko Schamoni, Heinz Strunk, Universal
Gonzalez, M.A.Numminen, Ringsgwandl, Funny van Dannen, Daniel Johnston, Michael
Hurley, Chuck Perkins, Hasemanns Töchter um nur mal einige zu nennen.
Dass einem bei so einer Vielfalt völlig
unterschiedlicher Stile nicht jeder einzelne Track gefällt, liegt auf der Hand,
aber als Ausgangspunkt für die weitere Entdeckungsreise in den schier
unendlichen Trikont-Kosmos eignet sich der Sampler hervorragend und ist nicht
nur deswegen sehr empfehlenswert.
Wer zudem mehr über das Label, seine
Historie, seine Ideen und Anschauungen erfahren möchte, dem sei zudem das Buch
"Die Trikont-Story - Musik, Krawall und andere schöne Künste" ans
Herz gelegt. Erzählt wird die Geschichte alternativer Musik, Kultur,
Politik und Ökonomie seit Ende der Sechzigerjahre. Nicht im Großen und Ganzen,
sondern im Kleinen und Feinen. Passt. Auch auf der Bühne begeht Trikont seinen Geburtstag, wenn auch leider nur in München und Berlin (siehe Ankündigung). Wenn Ihr die Chance habt, dann geht da hin!
(ms) Gähn: Ein neues Album von Feine Sahne Fischfilet. Eine Band, die ich auf Scheitern & Verstehen noch ziemlich abgefeiert habe, erzeugt jetzt nicht mal eine zuckende Augenbraue mit dieser Ankündigung von Sturm und Dreck für den 12.01.
Woran liegt es?
Vielleicht an dem blöden Titel.
Es liegt zumindest nicht daran, dass die Band immer größer und größer geworden ist, im kommenden Jahr in großen Hallen spielen wird und man deren down-to-earth-Attitüde vermisst, nein. Die zeigen sie ja sehr intensiv und mit Nachdruck durch ihre Auftritte auf kleinsten Festivals irgendwo in der Pampa als auch mit der guten Aktion "Noch nicht komplett im Arsch". Sehr ehrenwerte Sache, die man - auch nicht aus MeckPomm kommend - zumindest gedanklich unterstützen kann.
Am ehesten würde ich die Lustlosigkeit der Albumankündigung mit etwas bezeichnen, das ich hier einfach mal den Deichkind-Effekt nenne. Sollten die eine neue Scheibe veröffentlichen, würde mich das auch echt kalt lassen. Die sind live so unfassbar langweilig geworden, ziehen eine einstudierte Show ab, verlangen dafür horrende Preise und rufen allenfalls ein Schulterzucken hervor. Genauso ist es bei Feine Sahne Fischfilet.
Dieses Jahr auf dem Deichbrand haben sie natürlich geile Stimmung gemacht, ist klar und halt auch deren Aufgabe. Aber sie verkommen neben ein paar flachen Anti-AfD- und Anti-Nazi-Sprüchen zunehmend zu einer austauschbaren Partyband. Da wird gegrölt, Pfeffi in Massen gesoffen und ein paar Stimmungsansagen durch die Luft posaunt, während Monchi sich durchs Publikum tragen wird. Gähn. Schon Bleiben oder Gehen verstaubt zusehend im Plattenregal, war wenig überzeugend. Und so wird - wenn kein Wunder geschieht - auch die neue Scheibe werden. Es paar harte Riffs, diverse Refrains, die zum mitsingen geeignet sind, ein paar linke Parolen, ein bisschen Wehmut, ein paar Emotionen und Weiterkämpfen-Ansagen zu denen dann live Pyro gezündet wird. So berechenbar, so ... Gähn! Es ist halt auch nur Punkrock: Ein Genre, das nie mit innovativem Potential geglänzt hat.
Nur ein bisschen Hoffnung schimmert durch diese Ankündigung. Denn das musikalische Mastermind Tobias Kuhn hat die 12 Stücke produziert. Von uns wird er als Monta und Sänger von Miles bis in alle Ewigkeit verehrt. Beten wir also, dass er aus der Band einiges herausgekitzelt hat.
(sb) Kelly Jones hat eine der markantesten und charakteristischsten Stimmen im Rockbusiness, ist ein begnadeter Sänger und Songschreiber und nicht zuletzt Frontmann der Band STEREOPHONICS, die am 27.10. ihr neues Album Scream Above The Sounds veröffentlichte. Es ist mir ein Rätsel, warum es die Waliser in den deutschen Albumcharts bislang nicht über Rang 35 hinaus geschafft haben. Wobei: ein Blick in eben jene Charts legt den Verdacht nahe, dass ein Großteil unserer Mitbürger lieber atemlos durch die Nacht schunkeln als qualitativ hochwertige Musik zu hören und auch zu kaufen.
Wie dem auch sei: wir schreiben 2017 und die STEREOPHONICS wagen einen neuen Anlauf. Im UK sind die Waliser natürlich ungleich erfolgreicher - mit Ausnahme des Debütalbums Words Get Around aus dem Jahr 1997 erreichten alle Studioalben der Band die Nr. 1 der Charts und unterstrichen jedes Mal von Neuem den Status, den Jones und Konsorten im Königreich genießen. Auch Scream Above The Sounds dürfte ein heißer Kandidat für den Platz an der Sonne sein und das nicht zu unrecht.
Getragen wird das Album natürlich einmal mehr von Jones unverwechselbarer Stimme, die bei manchen Tracks jedoch überraschenderweise durch die üppige Instrumentalisierung etwas in den Hintergrund gedrängt wird. Beim ersten Anhören von Scream Above The Sounds wirkte das etwas befremdlich, doch je öfter ich mir das Album zu Gemüte führe, desto angenehmer finde ich es, ist es doch ein Zeichen dafür, dass man sich nicht nur auf das Ausnahmetalent Jones verlassen möchte.
Dennoch möchte ich Euch den Erwerb der Deluxe-Variante des nunmehr zehnten Studioalbums der Waliser ans Herz legen, denn neben einigen Highlights (v.a. All In One Night) auf der regulären Edition beinhaltet diese das eigentliche Sahnestückchen: die Akustik-Version von Caught By The Wind ist einfach richtig heißer Shice und Jones at his best! Oh mein Gott, diese Stimme...
Anfang kommenden Jahres spielen die STEREOPHONICS drei Konzerte in Deutschland:
29.01.2018: Hamburg, Docks
06.02.2018: München, Backstage Werk
08.02.2018: Berlin, Astra
(ms) Der Herbst ist da. Und wie. Letzte Woche noch war es gar kein Problem in Shirt und Hemd, einige Mädels sogar im (Spät-)Sommerkleid, das gute Wetter zu genießen. Passend mit dem Einzug der AfD in den Bundestag und den aberwitzigen Versuchen ihren Mann als Vize-Bundestagspräsidenten zu installieren, begann es zu regnen, sich grau zu zuziehen, sodass es an manchen Tagen gar nicht wirklich hell wird. Aber hey, es ist Ende Oktober, alles cool, alles normal, alles gut so.
Beinahe gleichzeitig meinte ein Radiovogel plötzlich aus dem Fernmelder, dass in zwei Monaten Weihnachten sei: Oh, Schreck. Klar, im Supermarktregal stapeln sich Lebkuchen und Spekulatius, doch das W-Wort muss noch nicht in den Mund genommen werden, geschweige denn gefragt werden, was man sich denn wünschen würde.
Gute Musik. Das sollte die einzige Antwort sein, wir haben da was für euch!
Xul Zolar
Sie sind endlich da. Und es ist auch endlich da. Xul Zolar aus Köln, die Band mit dem hinreißend kryptischen Namen und der energiegeladenen elektronisch-sphärischen Musik. Lange fragte man sich, ob sie überhaupt noch ein Album fertigstellen werden oder für immer die ominöse Band bleiben, die ausschließlich EPs und Singles veröffentlichen wird. Doch nun kommen die guten Nachrichten: Am 19. Januar erscheint Fear Talk auf ihrem eigenen Label Asmara. Das könnte insgesamt schon ziemlich fett werden. Hier gibt's die erste Videosingleauskopplung.
Als Support von der befreundeten Band Woman spielen sie bald noch hier:
24.11 - Köln, Artheater
01.12 - Essen, Hotel Shanghai
05.12 - Hamburg, Uebel und Gefährlich
06.12 - Berlin, Kantine am Berghain
07.12 - Leipzig, Kulturzentrum So&So
08.12 - Stuttgart, Keller Klub
09.12 - Frankfurt, Lotte Lindenberg
Hello Piedpiper
Fabio Bacchet ist wieder unterwegs alias Hello Piedpiper. Mit ganzer Band spielt er eine schöne Tour im kommenden Spätherbst. Dass sein aktuelles Album The Raucous Tide eine außergewöhnlich starke Produktion ist, haben wir euch schon im Frühjahr verraten. Nun dürfen sie erneut auf den Bühnen dieser Republik unter Beweis stellen, wie toll sie auch live an ihren Instrumenten sind. Aus eigener Erfahrung können wir sagen, dass man da unbedingt hingehen sollte.
05.11. Köln - Studio 672 (Solo - Support für Jonas David)
07.11. Grevenbroich - Villa Erckens (Solo)
08.11. Nürnberg - Club Stereo
09.11. Wien (AT) - Kramladen
10.11. Wien (AT) - Melodica Festival Vienna
11.11. Freiburg - Swamp
12.11. München - Milla
13.11. Bamberg - Freiraum
JAGUWAR
Es soll ja tatsächlich Bands geben, die ihren eigenen Namen nur groß schreiben. Steht dahinter noch eine geheime Abkürzung, will man etwas Mystisches damit übermitteln oder findet man den Namen selbst einfach so genial, dass nur Majuskeln ihn so zur Geltung bringen können?
Egal. JAGUWAR aus Berlin bringen im kommenden Jahr (12. Januar) ihr Debutalbum ans Tageslicht. Es ist ein Mix aus Poprock, Britpop und elektronischen Elementen. Das Ergebnis hört auf den Namen Ringthing mit dem sie dann selbstverständlich auf weitläufige Tour gehen werden:
(ms) Wir müssen spekulieren.
Lange haben Sam Vance-Law und Emma Greenfield Cherilyn MacNeil aka Dear Reader live und im Studio begleitet. Gerade Sams Stimme war dabei oft ausschlaggebend, eine Intensität, die so nicht mal eben ersetzt werden kann. Der bringt nun kommendes Jahr ein Solo-Album heraus, mit toller Ankündigung. Das ist auf jeden Fall ein guter Grund, warum er in letzter Zeit viel zu tun hatte, bei Emma wissen wir das nicht genau. So.
Die Aufgabe für Cherilyn war also klar: Sie musste sich neue Musiker suchen, mit denen sie das aktuelle Album Day Fever einspielt und auf die Bühnen bringt. Beides hat sie - wie unschwer zu erwarten war - hervorragend geschafft, denn Day Fever ist klanglich anders als ihr Material zuvor, nach dem dritten oder vierten Hören eröffnet sich jedoch ein Album voller Raffinesse und Schönheit. Mit Olga (Drums), Evelyn (Synthies, Keyboard) und Stell (Bass, E-Cello, Synthies) stehen neben der Sängerin drei absolute klasse Musiker mit auf der Bühne (Nerdwissen: bei der Albumproduktion waren sie nicht dabei).
Am Montag Abend haben Dear Reader also in neuer, starker Besetzung ihr letztes Konzert der Herbsttour in Bochum gespielt. Wir waren da und mal wieder begeistert. Der Verfasser hat Cherilyn nun mit unterschiedlichen Mitmusikern schon zum neunten Mal live gesehen, und da sich die Zusammensetzung auf der Bühne ab und an ändert, sind die Konzerte stets von einem anderen Sound geprägt. Neben den Tönen, die von der Bühne kamen, waren auch andere zu hören. Denn das Studio 108 im Bahnhof Langendreer ist, wie unschwer zu vermuten ist, unmittelbar unter den Schienen des Ruhrgebiets gelegen. Hin und wieder waren also vorbeifahrende Züge zu spüren gewesen.
Eingestimmt hat an diesem Abend die Amerikanerin Kendy Gable. Allein mit ihrer unsagbar starken, wunderbaren Stimme und mit Gitarre konnte sie die vorbildlich aufmerksamen Zuhörer begeistern. Auch ohne Mikrophon nahm ihre Stimme das schöne Venue ein: Stark! Zwischendurch musste man aufpassen, wann man das Bier öffnen sollte (Plopp-Verschluss!), weil es so still war.
Nicht lange danach haben die vier Hauptprotagonisten die Bühne geentert. Eigentlich muss man nicht viel darüber schreiben, wie gut und schön und rund und toll es war. Denn wer Dear Reader schon mal live gesehen hat, weiß das. Mit ihrer ungeheuren Sympathie und dem hohen musikalischen Können bestreiten sie jedes ihrer Konzerte und wissen so regelmäßig zu überzeugen. Kaum verwunderlich (s.o.) war es auch, dass sie das neue Album beinahe komplett gespielt haben. Doch auch "Klassiker" wie Bend, Down Under Mining, Camel oder dem vor Schönheit platzenden Victory wurden gespielt. Der Höhepunkt war - logischerweise - die Livedarbietung von Nothing Melodious, das auf dem neuen Album schon so herrlich glänzt!
Nach dieser Tour durch Tschechien, Schweiz, England, Luxemburg, Österreich, Italien und Deutschland machen sie sicherlich eine Pause, die sie sich gegönnt haben.
Auf die nächste Tour-Ankündigung freuen wir uns natürlich wie Bolle!
Bild: Booklet "Around The World" (bearbeitet mit Prisma)
(sb) So, jetzt trennt sich die Spreu vom Weizen oder anders ausgedrückt: der feuchte Traum der Bayernpartei wird wahr und der Freistaat verabschiedet sich vom Rest Deutschlands. Als Autor dieses Artikels muss ich wohl so realistisch sein und der Wahrheit ins Auge blicken, dass ein Großteil unserer Leser nun wegklickt, da es um eine Band geht, die ihre Texte schon immer auf Bairisch darbietet und von der Mehrheit der Menschen nördlich des Weißwurstäquators nicht verstanden wird. Aber HALT! Nicht so schnell! Denn wenn eine Band es schafft, sich über solche sprachlichen Grenzen hinwegzusetzen, dann ist es wohl LaBrassBanda vom schönen Chiemsee. Anders sind ausverkaufte Hallen in ganz Deutschland wohl kaum zu erklären und selbst auf ihrer Welttournee zu Beginn des Jahres überzeugten die Oberbayern nicht nur musikalisch, sondern als Botschafter ihres Lebensgefühls.
Zum 10-jährigen Jubiläum füllten LaBrassBanda mal so eben die Münchner Olympiahalle und brachten ihr aktuelles Album "Around The World" auf die Bühne. Machen wir es kurz: das Album ist schon überragend, aber was die Herren aus Übersee live veranstalten, ist jedes Mal wieder genial und man sollte sich das nicht entgehen lassen. Der Brass-Sound nimmt einen live nochmal deutlich intensiver mit und Stefan Dettl gelingt es mit seiner sympathischen Art, jeden noch so tanzfaulen Zeitgenossen zum Bewegen der Hüften zu animieren. Geht auch gar nicht anders - und ja, ich spreche aus Erfahrung...
Mit Live-Alben ist das ja prinzipiell immer so ne Sache, denn zum Einen ist es eine schöne Erinnerung an selbst Erlebtes, zum Anderen aber fängt eine CD nie das ein, was wirklich vor sich gegangen ist und so ist es auch bei "Around The World Live - 10 Jahre LaBrassBanda", erschienen am vergangenen Freitag. Per se passt alles: Songauswahl, Aufnahme, Produktion und natürlich die Qualität der Musik selber.
Bild: labrassbanda.com
Dennoch rate ich dringend zum Kauf der DVD, denn dort sind nicht nur satte 11 Tracks mehr drauf, sondern eben auch die optische Umsetzung des Ganzen auf der Bühne. LaBrassBanda wirken tatsächlich noch deutlich authentischer, wenn man sie barfuß und in ihren Lederhosen sieht, wie sie da auf der riesigen Bühne der Olympiahalle stehen und manchmal gar nicht glauben können, wohin sie ihr musikalischer Weg geführt hat.
Dass sie nicht jedes Mal vor einem so großen Publikum spielen, liegt dabei auf der Hand - und ist auch so gewollt. Diverse absolvierte Touren durch Bierzelte stellen den groben Kontrast zur Olympiahalle dar und dokumentieren eindrucksvoll die Liebe der Bayern zu dem, was sie tun. Die Interaktion mit ihren Fans ist ein zentraler Bestandteil jeder LBB-Show - ob sie nun in Aying, Meckenbeuren, Düsseldorf oder Tokio stattfindet.
Und so kommen wir direkt zum eigentlich Highlight des Live-Releases: die Tourdoku! 90 Minuten lang begleiten wir LaBrassBanda quer durch die Welt und besuchen folgende Städte: Truchtlaching, Ho-Chi-Minh-City, Hong Kong, Tokio, Sydney, Wellington, Honolulu, San Francisco, Houston, Mexico City, Rio de Janeiro, Fortaleza, Lissabon, Marrakesch und zu guter Letzt München. Überall flogen ihnen die Herzen nur so zu und das, obwohl sie außerhalb Deutschlands als komplette Nobodies auftraten. Alleine diese überaus sympathische Dokumentation lohnt die Anschaffung der DVD und danach sollte bei denjenigen, die der bairischen Sprache nicht ohnehin mächtig sind, ein Intensivsprachkurs Pflicht sein.
Servus und pfiat Eich!
Ach ja, auf Tour sind LaBrassBanda natürlich auch noch...
(ms) Haha. 42. Ja. Die Antwort auf alles. Die abgegriffendste Popkultur-Referenz. Das muss wirklich nicht ausgeführt werden.
Viel mehr stellt sich ja die Frage, ob der 13. Oktober 2017 in die Musikgeschichte eingehen wird; und zwar als Glückstag. Was für drei Wahnsinnsalben sind da an einem Tag erschienen, über die wir fleißig berichtet haben: William Patrick, Mine & Fatoni, Kettcar. Lange Zeit habe ich in diesem Jahr nicht daran geglaubt, dass noch einmal so richtige Klassealben ans Tageslicht kommen. Doch es ist definitiv der Fall. Und wenn wir, Weihnachten näher kommend, wieder darüber nachdenken, welches denn nun das Album des Jahres wird, dann wird die Auswahl dieses Mal wirklich wirklich schwer. Zum Glück bleibt noch Zeit. Bis dahin präsentieren wir euch in unserer losen Reihe das Beste der Woche.
Manches davon kommt von unserer Seite noch. Konkrete Beispiele: Gestern haben auch unsere Lieblinge aus Österreich Olympique und der fleischgewordene Livewahninn LaBrassBanda ihre neuen Alben veröffentlicht.
Zugezogen Maskulin
Grim104 und Testo haben wieder zugeschlagen. Gestern erschien ihr zweites (oder drittes, je nach Zählung) Album mit dem Titel Alle gegen Alle. Klar, sie gehören zu den zynischen Politrappern wie Antilopen Gang oder Audio88 und Yassin, es könnte aber dennoch ein großes Spektakel werden! Gerade weil die beiden sich so schön unterscheiden und dennoch miteinander auskommen. Ja, ihre Konzerte sind kranke Feste. Zwei Auskopplungen haben sie schon draußen und im nächsten Frühjahr folgt eine große Tour. Auf Album und die Gigs sind wir sehr gespannt. So klingt das dann:
The Baboon Show
Sie sind ja sowieso eine der besten Live-Bands, wenn es um kantigen Rock und gute Unterhaltung geht. Nun bringen The Baboon Show aus Schweden kommendes Jahr (16.02) endlich ein neues Album raus, es hört auf den Namen Radio Rebelde. Hier zeigen wir euch die erste Single: schöne Eingängigkeit, kraftvoller Gesang und Gitarrensolo; so soll es sein. Good to know: Der Song ist eine Interpretation des Stückes Greppet hårdnar der aus Göteborg stammenden linken Working-Class Band Knutna Nävar, die in den 1970ern sehr aktiv war.
21.03. Hannover - Faust 22.03. Berlin - SO36 24.03. Leipzig - Conne Island 25.03. Dresden - GrooveStation 27.03. CZ - Praha - Rock Cafe 28.03. Wien - Arena 29.03. Lindau - Club Vaudeville 31.03. Zürich - Dynamo 01.04. Freiburg - Walfisch 02.04. München - Kranhalle im Feierwerk 04.04. Wiesbaden - Schlachthof 05.04. Köln - Gebäude 9 06.04. Bremen - Lagerhaus 07.04. Hamburg - Uebel & Gefährlich
Waving The Guns
Milli Dance und Admiral Adonis gehen wieder auf Tour. Den Geilheitsgrad dessen muss man eigentlich gar nicht groß umschreiben, es ist Pflicht, Waving The Guns live zu sehen. Denn neben dem Hang auch mal Pyro zu zünden, fackeln sie auf der Bühne ein Rapfeuerwerk ab, das sich sehen lassen kann; oder hören eben. Ihr aktuelles Album Eine Hand bricht die andere haben wir besprochen und gelobt. Hier machen sie Halt:
(sb) Zweieinhalb unendlich lang anmutende Jahre ließen OLYMPIQUE die Musikwelt auf den Nachfolger ihres überragenden Debütalbums Crystal Palace warten, doch nun ist es endlich so weit: am Freitag erschien Chron und es scheint, als haben sich die Salzburger zumindest teilweise neu erfunden. Geblieben ist definitiv das Bombastische, das Streben nach dem ganz Großen, denn bei jedem einzelnen der zwölf Tracks merkt man, dass sich OLYMPIQUE nicht mit halben Sachen zufrieden geben.
Die instrumentalen Arrangements schreien geradezu nach großen Bühnen, das Songwriting ist gewohnt (kann man das auf einem zweiten Album überhaupt schon sagen?) brillant und die Stimme von Sänger Fabian Woschnagg besticht sowohl durch ihre ungemeine Vielseitigkeit, als auch durch eine Tiefe, die man einem Mittzwanziger so an vielen Stellen gar nicht zutraut.
Ja, OLYMPIQUE haben sich verdammt viel Zeit gelassen mit ihrem Nachfolgealbum, doch das war auch genauso angekündigt worden und es hat sich gelohnt. Die Songs sind von A-Z wohl durchdacht, sehr energetisch und werden ihre volle Wirkung vermutlich erst live zur Geltung bringen. Ich bin immer wieder erstaunt, mit welcher Perfektion und Liebe zum Detail die Band zu Werke geht, um ihre Songs produzieren.
Apropos Band: nach dem Ausstieg des Gründungsmitglieds Leo Scheichenost, der mittlerweile als Graphic Designer beachtliche Erfolge feiert, wurde die Stammbesetzung auf vier Leute ausgebaut, inzwischen besteht der harte Kern jedoch nur noch aus Sänger Woschnagg und Drummer Nino Ebner.
Dazu gesellen sich im Studio beispielsweise so namhafte Musiker wie der Jazzpianist Philipp Nykrin, live wird das Duo durch zwei weitere Musiker ergänzt. Man darf gespannt sein, wie OLYMPIQUE ihre Songs präsentieren werden, denn in der Vergangenheit war das stets eine geniale Mixtur aus akustischen und visuellen Reizen, wurde doch der Bühnenhintergrund für aufwändige Videoinstallationen genutzt.
Chron besticht durch sein durchgehend hohes Niveau, die beiden ersten Singles R.O.F. und True Love bieten jedoch einen schönen Einblick in das, was den Hörer erwartet. Zugegebenermaßen fehlen die ganz großen Einzelhits des Debütalbums (Lebanon verdient sich dieses Prädikat noch am ehesten), aber wie will man The Reason I Came, Ivory, No Estate To Remind oder mein persönliches Highlight Lullaby auch reproduzieren oder gar toppen? Ich nehme an, das war auch gar nicht das Ziel der Salzburger, denn das wäre vermessen. Vielmehr besinnen sie sich zwar ihrer bereits genannten Stärken, stellen aber das Gesamtwerk in den Vordergrund, halten ihre Texte bewusst vage und lassen Chron so zu einem Album werden, das auch Raum für Phantasien lässt, ohne den Hörer auch nur eine Sekunde lang loszulassen. Tendenziell eher ruhigere Songs wie So Far Gone oder Warlord stellen die stimmliche Komponente eher in den Vordergrund und wenn es um Rock geht, darf sich Ebner an seinen Drums ordentlich austoben. Money klingt mitunter sogar ein bisschen soulig - eine ungemein sexy Melange, die OLYMPIQUE da angerührt haben.
Mein Tipp an Euch: KAUFPFLICHT!
Und natürlich gehen Fabi, Nino und Konsorten demnächst auch auf Tour, was Ihr Euch nicht entgehen lassen solltet. Wir werden auf jeden Fall vom Tourauftakt in Dornbirn berichten.
(bf) Hach, Conrad Sohm, alter
Brutkasten für genialste Konzerterinnerungen und ein beständiges Piepen im Ohr,
wenn man dampfend dank durchnässter Kleidung draußen auf ein Taxi wartet und
sich mit den Umstehenden versichert, dass man das wirklich gerade zusammen
erlebt hat.
An diesem Mittwochabend ist
die Vorfreude groß und die Erwartungshaltung der Leute entsprechend, waren wir
doch schon vor 4 Jahren Zeugen eines genialen Auftritts der Original Ostler aus
Karl-Marx-Stadt. Dazwischen auf einigen Festivals in der Umgebung gerockt,
jetzt wieder mit einem neuem Album am Start im feuchten Traum jedes
Musikfanatikers mitten im Wald hoch über Dornbirn.
Eigentlich nie enttäuscht
worden, auch diesmal war das nicht der Fall. Im Gegenteil, bereits die perfekt
selektierte Vorband begeisterte beim Reinhören in der Konzertvorbereitung und
hat live nur so vom Hocker gehauen. Wie Felix bei der Ansage schon erklärt, wurden
Kraftklub größeren Zuschauergruppen über Supportauftritte bei den Beatsteaks bekannt,
und auch die Jungs selbst haben ein gutes Näschen für gute Sachen.
Foto: Florian Lackner
Die beiden Berliner Täubchen
von Gurr hauen geradlinigen, unkomplizierten Garage Punkrock raus, bei dem Stillstehen
grundsätzlich nicht geht. Die Verbindung zum Publikum ist gleich da, auch wenn
es zum sich einige Male andeutenden Mosh Pit noch nicht kommen mag. Speziell Diamonds und das deutschsprachige Walnuss bleiben hängen, die 11 Lieder
auf dem Debütalbum gehen flüssig den Gehörgang runter und lassen einen mitswingen
wie eine gehende immer headbangende Taube - Ready for Takeoff, Ladies! J
Kurz darauf wird die Nacht
uns endlich genommen, kommen Kraftklub unter großem Jubel auf die Bühne, und
auch bei den neuen Stücken, die vielleicht nicht immer so kantig und direkt wie
auf den früheren Platten, aber nicht weniger intensiv sind, geht das Publikum
gut mit. Stillstand nicht vorhanden. Die Klassiker werden recht gut mit Neuem
gemischt, auch wenn man ein paar alte Lieder (Ritalin, Ich will nicht nach
Berlin, Mein Leben, Liebe) im Set doch vermisst.
Fenster, Am Ende und Chemie Chemie Ya stechen in der Live Performance wohl am besten aus
dem neuen Album raus.
Auch zum aktuellen
Politikgeschehen gab es vor und nach Schüsse
in die Luft mehr Taten als Worte, folgte doch gleich darauf das Ärzte-Cover
Schrei nach Liebe. Schön, wichtig und
richtig!
Persönliches Highlight
allerdings war das Cover gemeinsam mit Gurr (an Schlagzeug und Gesang) von
Blur's Song 2.
In diesem Sinne - in einer
Mischung aus Circle Pits, Dauerpogo, Stagedives und ganz viel Wooohoooo - Keine Nacht für Niemand bei dieser
Formation ist keine leere Versprechung!
(ms) Warum eine Besprechung eines schönen Albums nicht mal mit einem schlechten Witz anfangen:
Wie heißt diese Band jetzt?
- Wy.
Wie?!
- Wy.
Aha.
Na gut...
Ist sicherlich ein Kalauer, der nur auf deutsch funktioniert (denn why oder Wü wird der Bandname nun wirklich nicht ausgesprochen). Was sich Ebba Ågren und Michel Gustafsson dabei gedacht haben, bleibt ihr Geheimnis. Und ihr Debutalbum ist alles andere als okay. Es ist viel mehr, mit vielen Schichten behaftet und oft traumwandlerisch. Ebba und Michel sind seit langer Zeit ein Paar - sehr interessantes Musikerthema - und nachdem sie schon letztes Jahr ihre EP mit dem Namen Never Was ans Tageslicht beförderten, erscheint die Langspielplatte Okay diesen Freitag via Hybris und Better Call Rob.
Grob beschrieben machen die beiden eleganten Electro-Pop. Für eine feinere Analyse müssen einzele Songs herangezogen werden. Im Opener Indolence ist schon der hohe, aber stabile Falsettgesang auffällig; er begleitet einen Großteil des Albums. Dazu passt die ruhige, mystische und dezente Begleitung aus Gitarre, Bass und Schlagzeug. Wie?! Zu zweit?! Ja, bei der Aufnahme schon; live wird das Schlagwerk durch ein entsprechendes Programm ersetzt. Die letzte halbe Minute des Songs nimmt richtig Fahrt auf, bricht heraus mit den breiten Klangströmen, die dann auch wieder aufgelöst werden. What would I ever do (s.o.) ist poppiger und greifbarer und daher eine logische Auswahl zur Single. Doch: Was kann man singletauglich dem Hörer zumuten, muss es zwingend (oder tendenziell) ins Radio passen?! Eine Frage, die spannend ist aber wo anders erörtert werden muss. Hate to fall asleep zeigt, dass es nicht nur musikalisch sondern auch textlich ein fein ausdifferenziertes Album ist. In den gesanglich tieferen (oder hier eher normalen) Lagen entfacht Ebbas Stimme viel mehr Dynamik als in den (schwindelerregenden) Höhen. Und wenn jemand gleich Lana Del Rey sagt, gehört derjenige bestraft, denn deren aktuelles Album Lust for life ist so gähnend langweilig, dass es kaum auszuhalten ist. Die Synthie-Phasen im Refrain von Don't call, die träumerisch-sphärischen Takte sind das, was das Werk wirklich stark machen.
Leider gibt es auch ein paar Schwächen. Die sehr ruhigen Lieder wie Kind, 10 p.m. oder ein Großteil von Gone wild warten nur darauf, dass sie zuende gehen. Sie nehmen der Platte ihre Energie und den Drive.
Daher ist es kein durchgehendes Meisterwerk, aber ein wirklich schönes, breit gefächertes Album, das an einigen Stellen laut aufgedreht zum Tanzen animieren kann.
Sie spielen bald ein Konzert in Berlin, weitere Daten für das kommende Jahr sind in Planung.
(sb) Oh Island, was hast Du der Musikwelt nicht schon für großartige Acts beschert? Sigur Rós, Björk, Of Monsters And Men, Rökkurró, 1860, Kaleo, GusGus und das ist nur die Speerspitze des kreativen Outputs der Insel knapp südlich des nördlichen Polarkreises. Und wenn wir schon bei GusGus sind, dann schlage ich doch direkt mal die Brücke zu deren ehemaligem Bandmitglied und Frontmann HÖGNI, der am 20.10. sein Debütalbum "Two Trains" veröffentlichen wird. Während sich GusGus in den Bereichen Techno, Elektro aber auch Soul verorten lassen, kann sich Högni zwar keinesfalls von elektronischen Klängen loseisen, setzt aber weitestgehend auf klassisches Songwriting mit melancholischer Grundfarbe. Man verfällt ja schnell in Stereotypen ("die Isländer halt"...), aber stellenweise muss man Sigur Rós als Referenz halt doch heranziehen. Nichtsdestotrotz gelingt Högni mit "Two Trains" ein ebenso spannender wie gelungener Spagat zwischen moderner und klassisch-traditionell anmutender Musik, was sicher auch dem Konzept geschuldet ist, dem das Album zugrunde liegt.
Inmitten der Zerstörung auf dem Festland transportierten die zwei Lokomotiven Minør und Pionér von 1913-1917 Wagenladungen an Stein und Kies für den Bau des Hafens von Reykjavík an die Küste Islands. Die zwei metallischen Giganten läuteten ein neues Zeitalter für das Land ein. Doch bereits kurz nach Ende der Arbeiten am Hafen wurden die beiden Loks geparkt und fuhren seither nie wieder. Heute erinnern sie uns nur noch an das Grandeur einer längst vergangenen Zukunft. Es sind die einzigen Züge, die je die isländische Landschaft schmückten.
Die Musik auf "Two Trains" umarmt den Geist der ursprünglichen, europäischen Avantgarde und beruft sich auf ihre Konzepte, mit ihren tuckernden Rhythmen, dem metallischen Klirren und den brütenden Choral-Arrangements (männliche Chöre sind ein distinktiv isländisches Phänomen, das auf die nationale/romantische Politik des 19. und 20. Jahrhunderts zurückzuführen ist), während die Texte von unheilvollen Wolken am vom Krieg beherrschten, östlichen Horizont und von Frachtwagons voll Kies und Träumen erzählen.
Künstlerfoto: Albumcover: Beats International
Alles in allem hat Högni ein Werk geschaffen, das mich einerseits fasziniert, andererseits aber auch verstört. Insbesondere die angesprochenen Chöre wirken aus der Zeit gefallen und kontrastieren die ausgefeilten Soundstrukturen so grob, dass ich sie als störend empfinde. Sehr schade, da die eigentlichen Songs durch die Bank richtig geil arrangiert sind. Und wenn man sich dann noch das Äußere (siehe die Bilder im Artikel) von Högni in Kombination mit der mitunter extrem verletzlichen Stimme vorstellt, kann man erahnen, wie viele Emotionen der Isländer in dieses Album gepackt hat.
Mein Tipp: auf jeden Mal bei Spotify oder so reinhören und dann bei Gefallen (und das kann durchaus passieren!) noch kaufen.
Man trinkt jetzt Wasser: Kettcar. Foto: Andreas Hornoff
(ms) Alle haben im Vorfeld geschrieben, dass Kettcar endlich wieder da seien. Das ist ja grob falsch. Manch einer hatte sogar die Befürchtung, dass sie nach ihrer Pause nicht wieder kommen würden. Das konnte ich mir erst recht nicht vorstellen. Eine Band wie Kettcar legt keinen schleichenden Abgang hin, sondern ein fulminantes Album mit dem Titel Ich vs. Wir, das diesen Freitag auf dem Haus- und Hof-Label Grand Hotel van Cleef erscheinen wird.
Es ist das Album, dass fünfeinhalb Jahre durchdacht wurde.
Was ist in der Zwischenzeit passiert?!
Marcus hat sein Solo-Album geschrieben, eingespielt und ist damit auf Tour gegangen. Reimer hat sich um das Label gekümmert und Lars Aal geräuchert. Doch Kettcar war immer präsent, sie haben in Bremen und Hamburg Konzerte gegeben, bei denen Marcus auch mal den Text vergessen hat. Was darf man von dem neuen Album also erwarten?
Mindestens drei Faktoren erfüllen sich hier:
1.) Wie sich Marcus auf Konfetti ausprobiert hat, schlägt sich auch auf der neuen Platte wieder.
2.) Die Songs sind wesentlich gesellschaftspolitischer als vorher. Zwischen den Runden war ein herausragendes Album in bester Kettcar-Manier mit Geschichten, die für jeden greifbar waren, Rettung vielleicht bis dato das beste Beziehungslied, das man zu hören bekam. Durch globale Entwicklungen (Russland, Türkei, USA, Großbritannien und auch AfD) sahen sich Marcus und Reimer sicher angestachelt, darauf einzugehen. Achja: Gleich ruft jemand ...but Alive, doch das ist Quatsch. Weil:
3.) Das Album ist wesentlich gitarrenlastiger als der Vorgänger. In irgendeinem Nachrichtenbeitrag wurde zu Zwischen den Runden ernsthaft behauptet, dass Kettcar im Schlager angekommen seien. Dieser derben Beleidigung musste man natürlich entgegnen. Es ist feinster Indierock mit mehr E- als Akustikgitarre als zuvor, aber kein 90er Politpunk, was ja auch ernsthaft keiner mehr möchte. Dafür ist man zu reflektiert, zu gut informiert, braucht keine Pauschalisierungen, kann besser argumentieren, ansonsten ist man halt bei Egotronic oder Feine Sahne Fischfilet.
Schauen wir uns die einzelnen Stücke mal an: Ankunftshalle: Das Album beginnt mit typischem Kettcar-Sound und ihrem guten, alten Storytelling, dass ein Bahnhof und ein Wiedersehen ein Ort und Gefühl ist, das verbindet, das jeder kennt, wenn man wieder vereint wird und die Menschen für einen Moment Menschen und "für einen Augenblick keine Meute sind". Guter Start! Wagenburg: Hier macht sich deutlich, dass der Klang ähnlich ist wie auf Sylt: Wuchtiger, manchmal komplizierter, einfach rockiger. Es geht soziologisch, psychologisch zu, Gruppendynamiken, Individualität und die Verbindung zum Albumtitel mit der Eröffnung der politisch-gesellschaftlichen Inhaltsebene: AfD, Pegida, Reichsbürger, Chemtrailer, Populisten, Verschwörungstheoretiker, die sich in ihrer Argumentationen in die Wagenburg zurückziehen, ein militärisches Mittel, das aus der Defensive agiert. Doch der Song ist kein Dagegen, es ist ein Beobachten und Schildern. Benzin und Kartoffelchips: Es schleicht sich hier der Eindruck ein, dass es ein Song ist, der es vormals nicht so recht auf eine Platte geschafft hat und hier nun den Raum findet. Nein, kein Lückenfüller, aber insgesamt einer der schwächeren. Sommer '89 (Er schnitt Löcher in den Zaun): Es die vorab gefeierte Single und mit/nach Der Tag wird kommen das schwerwiegendste und wichtigste Lied, das Marcus Wiebusch je geschrieben hat. In Verbindung mit dem Video ist es ein Garant für Gänsehaut, stockenden Atem und Tränen. Ich würde gerne wissen, wie es auf betroffene ehemalige DDR-Bürger wirkt. Klar, die Parallele von '89 zu '15/'16 ist gewagt, fokussiert jedoch offen die Arbeit von Fluchthelfern. Die Straßen unseres Viertels: Für den "Na na na"-Gesang am Anfang muss es eine Strafe geben, das ist ganz schlimm. Jedoch: Hier wird gnadenlos reflektiert und auf die Filterblase eingegangen, in der wir vegetarischen Akademiker uns befinden. Selbst die ZEIT hat das letztens der Band vorgeworfen, hier ist das musikalische Gegenargument. Ein wichtiges Lied! Auf den billigen Plätzen: Back to the roots. Ein unumwunden gutes Lied, das jedoch nicht so richtig im Kopf hängen bleibt. Trostbrücke Süd: Nach Landungsbrücken raus und Schrilles, buntes Hamburg ist es der nächste große Hamburg-Song der Band, dieses Mal aus der Feder von Reimer. Es ist das ruhigste Lied der Platte und so so schön. Hörend findet man sich wieder in einer Bus- oder U/S-Bahnfahrt am frühen Morgen. Hier wurde groß getextet mit einem immensen Gespür für das Zwischenmenschliche, Greifbare und gefühlvoll Nachvollziehbare. Mannschaftsaufstellung: Uhi. Wird es hier antideutsch?! Der Refrain lässt es erahnen, aber ich vermute es ist keine Meinung der Band, sondern eine weitere gute Story. Es ist ein knallhartes, aufmerksames AfD-Portrait und stellt klar, dass jede ihrer Provokationen geplant, durchdacht, inszeniert sind. Am Ende doch die Frage: Muss dieses Lied sein? Oder ist es am richtigen Ort, um als Diskussionsstoff zu taugen? Das Gegenteil der Angst: Ein gesellschaftliches und nicht befindlichkeitsfixiertes Mutmacherlied. Mit der Stimme eines Irren: Dümpelt das Album etwa aus?! Nein, nicht mit einer Zeile wie dieser: "Wenn man Grenzen, die man zieht, von oben immer nur als Linie sieht." Den Revolver entsichern: Das Lied ist so breit und fein und tief, dass ich nur sagen will, dass das Schlussplädoyer für sich steht. Danke dafür.
Ja, die Erwartungen - insbesondere nach der ersten Single - waren groß. Sie werden erfüllt. Ob sie übertrumpft werden, muss jeder für sich entscheiden. "Den Zeitgeist erkennen" klingt so abgegriffen, doch Kettcar haben genau das geschafft und gemacht.
Insgesamt wird es vielleicht nicht mein Lieblingsalbum der Band, doch die Wichtigkeit dessen ist offensichtlich. Texte im Gitarrenpop sind wieder relevant.
Hier sind Kettcar kommendes Jahr live zu bestaunen (wir sehen uns in Dortmund und Hamburg):
(ms) "Wenn Sie nicht mit ihrem Mann schlafen, dann wird es eine andere tun." Das hat die bekannteste Scheidungsanwältin Amerikas letztens in einem sehr lesenswerten Interview mit dem ZEITmagazin gesagt. Das klingt hart, ehrlich und sie hat genügend Erfahrung, um genau das zu behaupten. Wahrscheinlich wissen auch viele Getrennte, dass das wahr sein kann. Über die Hochs und die vielen Tiefs einer Beziehung weiß Laura Wasser sicherlich so gut wie kaum jemand anders Bescheid. Und jetzt kommen Mine und Fatoni um die Ecke und bringen diesen Freitag ihr gemeinsames Album "Alle Liebe nachträglich" auf den Markt und machen der Anwältin mächtig Konkurrenz. Hier kommen nicht nur zwei kluge Texter zusammen, sondern auch ein Haufen an schlauen, bitterbösen, wahren und treffenden Gedanken und Zeilen zum Zusammenleben, Streiten, wieder Vertragen, Auseinanderleben und Verlieben zweier Menschen.
Mine: bürgerlich Jasmin Stocker, hat Musik studiert, schon mit Fatoni gearbeitet und zwei eigene tolle Alben veröffentlicht.
Fatoni: bürgerlich Anton Schneider, hat nicht studiert, macht seit er denken kann Rap, brachte dieses Frühjahr zuletzt sein "Im Modus"-Mixtape raus.
Gemeinsam haben sie gut zwei Jahre an diesem Anwärter für das Album des Jahres gearbeitet (Nein, es ist wirklich nicht übertrieben). Bemerkenswert dabei ist, dass sie das oft an zwei unterschiedlichen Orten getan haben.
Direkt am Anfang kann unumwunden behauptet werden, dass sie dabei die Unterstützung von Tristan Brusch (Mehr) oder Danger Dan (Aua) gar nicht hätten gebraucht, denn die Platte spricht in jedem Takt musikalisch und textlich für sich!
Anders als bei anderen Duo-Produktionen (beispielsweise Minor Alps) singen Fatoni und Mine selten zusammen. Sie ist für die Gesangparts und viele Refrains zuständig und er geht seiner unbändigen Fähigkeit nach, auch mal hölzerne Reimketten gekonnt unterzubringen.
Mit Romcom startet dieses Werk vielleicht mit dem besten Track, dem "Klischeebeziehungsstreit", der ewigen was-gucken-wir-heute-abend-Lethargie plus die allergrößte Frage: Wollen wir gemeinsam Kinder groß ziehen?! Und das alles nur in viereinhalb Minuten: Hut ab! Andersweitig (Mehr) geht es auch um nicht erwiderte oder einseitige Liebe, was den einen irritieren kann und den anderen zu großem Schmerz führt. Der Titeltrack und gleichzeitig die erste Single lässt eine alte Liebe revu passieren mit den schönen und unschönen Momenten, die gut- und wehtun können, wenn man sich daran erinnert. Entsprechend schwer melancholisch mit großem Streicherarrangement ist der Song ausgestattet. Diese klanglichen Finessen gehen auf Mines Konto (Studium, Erfahrung etc.), und dafür gehört ihr ein Denkmal gebaut.
Auf so einem Konzeptalbum gehört natürlich auch ein Liebeslied, die rosarote Brille erscheint hier als Schminke. Zum Ende hin wird es immer stärker (ja, ich schwärme, ist klar, geht aber auch gar nicht anders). Fundament ist m.E. das musikalische Highlight mit der herrlich eingängigen Keyboard-Line; dazu textlich das krachende Ende einer gemeinsamen Zeit mit der Zeile: "Schlampe darf dich wirklich nur einer nennen, du miese Schlampe." Ja, es darf auch mal derbe zugehen. Aber: Erstklassiges Hitpotential. Traummann schlägt die Brücke zum obrigen Zitat, Mine entfaltet hier ihr enormes Talent für Melodien und Soundfinesse. Schließlich singt sie auf Mon Coeur auch noch französisch im Refrain: extraordinnaire!
Alle Liebe nachträglich ist ein außergewöhnlich kluges Album, das textlich sorgfältig, musikalisch mannigfaltig und insgesamt halt kaum zu schlagen ist.
Wir sind ja lange schon große Fans von Fatoni (und das hier ist weitestgehend erstklassige Popmusik), jetzt sind wir es auf jeden Fall auch von Mine und wenn die beiden auf Tour gehen, wird ein Spektakel entfacht. Das ist hier zu bestaunen:
05.12. - Musikzentrum Hannover, Hannover
06.12. - Uebel und Gefährlich, Hamburg
07.12. - Luxor, Köln
08.12. - Kulturzentrum Lagerhaus, Bremen
09.12. - FZW, Dortmund
10.12. - Schlachthof, Wiesbaden
12.12. - Skaters Palace, Münster
13.12. - Columbia Theater, Berlin
14.12. - Kulturzentrum E-Werk, Erlangen
15.12. - Conne Island, Leipzig
16.12. - Ampere, München
17.12. - Im Wizemann, Stuttgart
(sb) William Patrick - da muss man sich auch erstmal dran gewöhnen, wenn man den Mann Zeit seines Lebens (zumindest gefühlt) nur als Billy Corgan kannte. Na, klingelts? Richtig, das ist niemand anderes als das Mastermind und die Stimme der Smashing Pumpkins. Nach seinem 2005er Werk "TheFutureEmbrace" veröffentlicht der mittlerweile 50-Jährige aus Chicago am 13.10. sein zweites Soloalbum, das auf den ungewöhnlichen Namen "Ogilala" hört.
Selten war ich so gespannt auf einen Release und selten bin ich mit so wenig Erwartungen an ein Album herangetreten wie in diesem Fall. Der Grund ist ganz einfach: in meiner Jugend war ich ein riesiger Fan der Pumpkins, habe sie zweimal live in München gesehen (1995 im legendären Terminal 1, 1997 in der Olympiahalle) und konnte nicht genug von der Band bekommen. Es gibt wenige Alben, die ich in meinem Leben so oft gehört habe wie "Siamese Dream" und vor allem "Mellon Collie and the Infinite Sadness", Songs wie "Today", "Bullet With Butterfly Wings", "Tonight, Tonight" oder "Ava Adore" haben mich bis heute begleitet.
Warum also diese ausgeprägte Skepsis? Zum Einen haben mich die letzten Alben der Smashing Pumkins extrem abgeschreckt (von der ursprünglichen Besetzung sind eh nur noch Corgan und mittlerweile wieder Drummer Jimmy Chamberlain übrig), zum Anderen konnte ich mich zu keiner Zeit mit Billys Solo-Debüt anfreunden. Drumcomputer, Syntheziser und langweilige Belanglosigkeit - das war nicht der Corgan, den ich kannte und der in Zeiten der Generation X stilprägend war.
Photo: Alpha Pan
Und nun also "Ogilala"... Für den Titel für den bescheuertsten Albumnamen des Jahres hat sich Corgan schon mal in eine aussichtsreiche Position gebracht, aber Gott sei Dank kommt es darauf ja nicht an. Ich gebe zu: meine Nervosität beim ersten Anhören der Scheibe war sehr ausgeprägt, doch schon nach den ersten paar Tönen war sie gewichen. Zu schön, zu sanft, zu verletzlich waren die Klänge, die den Boxen schmeichelten und ja, es war Begeisterung vom ersten Song ("Zowie") an.
Produzentenlegende Rick Rubin legte Hand an bei den elf Tracks, die wie aus einem Guss herüberkommen, ein überaus stimmiges Gesamtbild zeichnen und getrost als Meisterwerk bezeichnet werden dürfen. Der Zorn vergangener Tage scheint verflogen, die Melancholie ist zurückkehrt, aber auch hoffnungspendende Melodien und Texte hat Grammy-Gewinner Corgan auf "Ogilala" gezaubert.
“So lange wie ich zurückdenken kann, konnte ich den Unterschied
zwischen Songs, die ich für mich schrieb und Songs, die ich für welche
Band auch immer schrieb, nie genau erklären. Und das ist noch immer so,
denn sie fühlen sich alle sehr persönlich für mich an, egal aus welcher
Zeit oder Ära. Der einzige Unterschied bei den Songs für Ogilala ist,
dass sie wenig Verzierung benötigten”, erklärt Corgan. “Nachdem
ich die Songs für Gesang und Gitarre geschrieben hatte, habe ich mich
in Ricks Hände begeben und ihm die Entwicklung der Musik überlassen.
Normalerweise hätte ich mehr getan und mehr an der Produktion
geschraubt, aber stattdessen hat Rick mir die Bürde auferlegt, Live-Aufnahmen auf einem molekularem Level abzuliefern. Der Rest war einfach
nur eine Reaktion.”
Tracks wie "Amarinthe" und "Manarynne" treiben einem ob ihrer puren Schönheit die Tränen in die Augen und lassen Klassiker wie "Disarm" oder das deutlich unbekanntere (aber bessere!) "Soothe" vergessen.
Liebe Leser der luserlounge, lasst Euch dieses Album nicht entgehen - Ihr werdet es nicht bereuen!
(ms) Es stellt sich schnell diese eine Frage: Sind die beiden ein Paar? Wenn ja: Wie ist es wohl, wenn man sowieso extrem viel Zeit miteinander verbringt, wohl möglich zusammen lebt, den Abwasch organisieren muss, daran denken, neues Klopapier zu kaufen, die Schwiegereltern nett zu finden und ab und an auf deren Hund aufpassen muss? Wie fest muss also das Band zwischen zwei Menschen sein, um das auszuhalten, sogar Spaß daran zu haben und Energie zu finden, zusammen Musik zu machen. Das ist ja ohnehin ein Vorgang, der dafür programmiert ist, sich in die Haare zu kriegen, der Streit um die richtige Melodie, den passenden Rhythmus ist vorprogrammiert oder die Frage: "Wie meinst du denn jetzt diese Zeile, die du geschrieben hast?! Ist das eher so allgemein oder meinst du etwa mich?!" Da wird also ein großes Kapitel aufgemacht.
Jedoch anders herum genauso: Ist man nicht zusammen und macht zusammen Musik und befindet sich gleichzeitig in einer Beziehung: Wie ist es dann?! Da muss zweifelsohne sehr viel Vertrauen im Spiel sein. Doch vielleicht ist das hier auch alles nur Mutmaßung, vielleicht sind sie gar nicht hetero, vielleicht sind es einfach Sandkastenfreude und diese Art zusammen zu arbeiten das Selbstverständlichste der Welt?!
Also: Unbedarft sein.
Und genauso unbedarft sollte man an das wundervolle Album Dear Balance von Bender & Schillinger gehen. Doch es sei jedem Hörer versprochen, dass man es sehr schnell sehr gut finden wird. Acht Lieder und nicht mal eine halbe Stunde Zeit hat jeder, um sich darin zu verlieben, alle anderen sind Banausen. Ja, manchmal ist es so einfach. Linda Bender und Chris Schillinger haben sich Zeit genommen für ihr drittes Album und das ist in vielen Takten zu spüren. Zu zweit haben sie alle Instrumente eingespielt, was auch live zu bestaunen ist, ja man kommt aus dem Sog kaum heraus, wenn sie erst einmal loslegen.
Der Opener Mountains and Valleys gibt zügig vor, wie fein und austariert die Musik ist, die Linda und Chris schaffen. Sanfte Gitarren, angenehme Percussion und der schöne Wechsel von Solo- und Duettgesang. Es sind die Grundmanifestationen, die man mittlerweile bei Angus & Julia Stone vermisst. Transition zeigt, dass sie auch zügig können, ein Song, zu dem man sich augenschließend im Traum bewegen möchte; ohne Kitsch, ohne rosa Brille, denn zum Schluss geht es richtig ab. Harbour ist übrigens genau der Song, den man aktuell im Radio vermisst (das ist keine Übertreibung!): große Klasse, da sind jegliche Umschreibungen zu wenig, um den Klang einzufangen. Lovelession experimentiert auch mit dem Sound: Synthieklänge, die Gitarre als Rhythmusinstrument, Chorgesang im Hintergrund, zwischenzeitlich können auch die Füße nicht still stehen.
Ja, dieses feine, kleine Album ist sehr groß. Da stecke Liebe zum Detail drin und viel musikalisches Know-How. Bald sind Chris und Linda wieder auf Tour und aus eigener Erfahrung können wir behaupten: Der Besuch ist ein Fest zum Schmusen, Tanzen, Schwelgen.
28.10.17 – Koblenz, Café Hahn
01.12.17 – Neustadt an der Weinstraße, Villa Böhm
07.12.17 – Wiesbaden, Kesselhaus
08.12.17 – Worms, Lincoln Theater
15.12.17 – Köln, Junge Club
16.12.17 – Karlsruhe, Kohi
(mb) Die neuen Austropop-Helden WANDA veröffentlichen an diesem Freitag
ihr drittes Studioalbum „Niente“. Eine Band, die so schnell gehyped wurde, dass
es ihr selbst wohl schon unheimlich war. Nicht nur die Heavy Rotations auf den
Radiosender, auch die ekstatische Performance auf der Bühne sprach sich schnell
herum. Jeder hörte es, jeder wollte und will die Wiener sehen. Die Band ist
quasi fast ununterbrochen drei Jahre lang unterwegs gewesen. Das spiegelt sich
auch im neuen Album „Niente“ sehr stark wider.
Der neue Longplayer ist äußerst selbst referentiell
und spielt sich – augenscheinlich – in der Zeit vor dem ersten Album ab. Es ist
ein Konzeptalbum, das musikalisch mit größeren, ja fast opulenten Arrangements
garniert wurde, die dem Sound merklich guttun. Am Klang erkennt man WANDA
dennoch sofort wieder. Wenngleich weniger rotzig, dafür orchestrierter und
aufgeräumter. Die textliche Verschrobenheit ist auch nichts Neues, Sänger Marco
Wanda überlässt die Deutungshoheit seit jeher dem Hörer. Natürlich angenehm Wienerisch
singt er so daher - um einen Referenzrahmen beim Hörer zu stiften und um Metaphern
vergangener Erinnerungen zu kreieren.
Aber in Wahrheit ist die Platte eine düstere
Konsequenz der letzten Jahre. Ein Erklärungsversuch.
„Niente“ eröffnet mit „Weiter, Weiter“. Ein Stück, ganz typisch orchestriert, handelt vom
getriebenen Gegenwarts-Ich, welches auf der Suche nach der Unbekümmertheit
vergangener Tage ist. Man nehme die Zeile „immer
brauch ich mehr und mehr, immer leichter wird es schwer und schwer“. Die
Angst wird größer – „alles wirft mich aus
der Bahn“. In der Hoffnung, dass das alltägliche Hetzen bald ein Ende hat
und man aus dem Hamsterrad raus kann – „vielleicht
dauert´s nimmer lang, vielleicht fängt es von vorne an, irgendwann“.
Bild: Universal Music
Anschließend nehmen die beiden sehr soliden Single-Auskopplungen
„Columbo“ und „0043“ einen Platz ein, die die Sehnsucht an vergangene
Kindheitserinnerungen wieder aufleben lassen. Mit „Lieb sein“ folgt ein nerviger, völliger unnötiger Track, der mit
der kindlich gesungenen Art einfach herausradiert gehört. In „Wenn du schläfst“ wird die
Vergänglichkeit thematisiert, die glücklichen Momente zuhause - damals und
jetzt. Das Ganze wird kontrastiert vom ständigen getrieben sein „oh wieso geht’s immer weiter“.
Textlich verankert man sich anschließend in der
Adoleszenz. Die Themen kreisen um Jugend, Liebe und das sorglose Umhertreiben.
Mit „Lascia mi fare“ findet sich auch
definitiv ein Hit, kein „Bologna“,
aber derart eingängig arrangiert und unbeschwert.
In das „Ende
der Kindheit“ wird das ernste, steife und zum Teil auch falsche Auftreten
der Erwachsenen diskreditiert, ohne es jemals in den Mund zu nehmen. Wie fast
bei jedem Song, schwingt hier die Bedeutung zwischen den Zeilen.
Mit „Cafe
Kreisky“ spielen WANDA mit dem Gefühl der Veränderung und Auseinanderlebens,
während sie in „Einfacher Bua“
Unsicherheit und die Illusion des Heranwachsendens darstellen, um sich dann für
die ästhetische Selbstverwirklichung und gegen das verantwortungsbewusste,
konforme Handeln entscheiden. Es scheint fast so, als hätte man für den Moment
seinen Frieden mit sich und seinen Entscheidungen gemacht.
„Ein letztes Wienerlied“ steht in guter
Gesellschaft zum Kanon der existierenden Wienerlieder, mit der Bitte um
Aufnahme in diesen. Der Track fällt komplett aus dem Rahmen, ist durch den
prominenten Einsatz des Pianos und des kunstvollen Gesangs fast schon
avantgardistisch - und dadurch im klaren Widerspruch zu sonstigen WANDA Seligkeit
Scharmützel.
Das Album endet plakativ mit dem Titel „Ich sterbe“. Zum wiederholten Male
bleibt hier wieder das Ungesagte wichtig. Die Zeile „Alle Häuser haben etwas Weißes an“, hat etwas Unbeflecktes, Reines.
Die Band war unentwegt unterwegs, das zehrt an den Kräften des Gegenwarts-Ich.
Man versucht den dionysischen Lebensstil, die Sünden der schweiß- und
alkoholgetränkten Abende abzuschütteln. „Mein
Herz aus Marzipan fängt zu brennen an“ bestätigt den reinen Kern, der
schauderhaft verkommt. Man kann nur hoffen, dass die fünf Wiener noch nicht
genug haben. „Aber ist es nicht bequem, schöne Menschen anschauen zu gehen“ ist
ein stummer Schrei danach, mal nicht im Mittelpunkt zu stehen, sondern sich
passiv und lustvoll dem Geschehen hinzugeben. Einfach mal ungestört durchatmen
zu können.
Also wie ist das neue WANDA Album dann?
Für mich ist es die persönlichste, ehrlichste und
verletzlichste Platte, die WANDA mit „Niente“
geschaffen haben. Das Konzeptalbum wirkt stringent,
authentisch (es war sonst schon sehr viel Pathos im Spiel) und genügsam. Es ist
ihr bisher stärkstes Album.
Bleibt zu hoffen, dass sie weiterhin Bock auf den
Trubel haben.
So leid es mir tut WANDA, aber ihr seid musikalisch
und textlich definitiv erwachsen geworden.