Interpret: Prinz Pi
Album: Kompass Ohne Norden
Trotz
der Liebe zur Musik kaufe ich mir sehr selten Musik, schlicht und
ergreifend aus dem Grund, dass ich es mir als arme Studentin nicht
leisten kann mir jedes Album zu holen, das ich gut finde. Wenn dann doch
mal eins gekauft wird, dann nur nach langer und reiflicher Überlegung,
ob genau dieses Album auch dasjenige ist, was ich von allen gerade am
liebsten hätte.
Als ich letzten Dezember „Unser Platz“ von Prinz
Pi gehört hab, wusste ich zuerst nicht so richtig, was ich damit
anfangen sollte. Schöne Musik, aber irgendwie komischer Flow. Für einen
Rapper ziemlich schlecht gerappt. Dann hab ich es nochmal gehört und
versucht es nicht als Rap-Song sondern als Gedicht zu begreifen – und
war sofort verzaubert! Ein wunderschöner Song voller Pathos und Poesie
über eine Liebe, die sich über alles hinwegsetzt, zu zweit gegen den
Rest der Welt.
Als dann ein paar Monate später das Album „Kompass
Ohne Norden“ rauskam, habe ich mir das Snippet angehört und musste
keine Sekunde länger überlegen: ich hab es mir sofort bestellt. So
überzeugt war ich. Bei jedem der Lieder hatte ich das Gefühl, der
Künstler liest aus meinem Herzen vor wie aus einem Buch. Da war die
Widmung in der CD-Hülle fast ein bisschen ironisch: „Für all jene, die
sich fragen, ob ich meine Texte nur für sie geschrieben habe: Ja habe
ich. Jeden einzelnen.“
Das Album ist tiefgründig wie kaum ein
anderes, voller Selbst- und Sozialkritik, und dabei immer intelligent
und charmant. Friedrich Kautz ist ein sehr aufmerksamer Beobachter
unserer „Moderne(n) Zeiten“, die so voller Widersprüche sind. Dabei
nimmt er aber auch immer wieder Bezug auf sich selbst und ist dabei so
offen und ehrlich, dass man das Gefühl bekommt, man wäre sein engster
Vertrauter. Mit seinem Hadern, der Suche nach seinem Platz in der
Gesellschaft und der Orientierungslosigkeit in seinem Leben, diesem „Wer
bin ich überhaupt und wo gehöre ich hin“ und vor allem „Wann fängt es
denn endlich an, das richtige Leben, von dem alle immer reden“, spricht
er mir direkt aus der Seele und wird zum Sprecher der Generation „30 ist
das neue 20“. Der bittersüße Abschied von der Jugend, und doch
irgendwie noch nicht im Erwachsenen-Dasein angekommen zu sein, dieses
Gefühl der Verlorenheit und des innigen Wunsches irgendwo anzukommen.
Und spätestens bei der Zeile „Jeder von uns denkt das gleiche: Keiner,
der mich versteht! Keiner, der ist wie ich..“ dachte ich mir: wow, doch
es gibt jemanden da draußen, der mich versteht und ich höre gerade sein
Album!
Mit einer unglaublichen Bildgewalt und Sprachgewandtheit
malt Prinz Pi seine Lieder wie Gemälde, in sich stimmig und doch fügen
sie sich auch in ein Gesamtkonzept, wie die Bilder in einer Galerie, und
so düster manche Songs auch sind, irgendwie bleibt immer ein
Lichtblick.
Doch auch musikalisch hat die Platte einiges zu
bieten und man hat das Gefühl jeder Song wurde mit viel Liebe zum Detail
gestaltet und arrangiert. Voller Poesie und Leidenschaft überzeugt
Prinz Pi mit jedem Track und stellt einmal mehr unter Beweis, dass
Deutschrap so viel mehr sein kann als Gangstarap a la Bushido. Tut euch
selbst den Gefallen, hört rein und lasst euch begeistern!
Singles.
Interpret: Max Herre Album: Hallo, Welt!
Titel: Fremde
Eigentlich
bin ich kein Max Herre Fan. Ich weiß nicht wirklich warum, aber
irgendwie mochte ich ihn nie besonders. Ich glaube, ich mag seine Stimme
nicht so gern. Sein Song „Fremde“ aber hat mich sofort beim ersten Mal
hören gepackt. Diese Fragilität und Verletzlichkeit, ein Umherirren im
ungerechten Universum, das Nicht-wissen, wo man hingehört und doch oder
eigentlich ja gerade deshalb diese fast schon zerreißende Sehnsucht, das
Heimweh nach etwas, das man da draußen
vermutet, ohne genau zu
wissen, wie es aussehen könnte. Einfach weitermachen, weiterreisen,
irgendwann wird schon etwas kommen. Was auch immer es sein mag.
Sehnsucht nach der Zukunft, Heimweh nach der Fremde. Für mich ist der
Song irgendwie ein Versuch mit der Welt und dem Leben an sich ins Reine
zu kommen, so verwirrend und ungerecht diese oft sein mögen. Wenn alles
Zufall ist, nichts wirklich einem Gesetz folgt, ist auch alles drin.
Genau darin besteht die Hoffnung, die einen antreibt doch immer weiter
zu machen, egal wie oft oder wie sehr man sich in einer Sackgasse sieht.
Ich geh meinen Weg bis ans Ende… Und somit macht der Song irgendwie Mut
ohne dabei auf die Kacke zu hauen. Ganz leise und vorsichtig und ohne
ein schillerndes „Alles wird gut“, die stille Zuversicht: Das Leben ist
ein Labyrinth und manchmal unglaublich beängstigend und oft fühlt man
sich entsetzlich verloren. Aber irgendwo landet man immer. Ganz egal wer
man ist, es wird sich immer etwas ergeben woran man festhalten kann.
Der Rest liegt bei einem selbst.
Interpret: Jennifer Rostock
Album: Schlaflos
Titel: Ein Schmerz und eine Kehle
Als
ich die erste Single-Auskopplung des neuen Jennifer-Rostock-Albums zum
ersten Mal gehört habe, fand ich es etwas befremdlich: Ist Jennifer
Weist jetzt unter die Rapper gegangen? Dann aber hab ich näher
hingehört, zugehört, auf den Text geachtet. Ein Lied über zwei
mitgenommene Seelen, die ihr Leben lang gekämpft haben, wofür oder
wogegen auch immer, die keinen Ausweg kennen und dabei geradezu
unberechenbar sind, und deren einziger Trost es ist, einander zu haben.
Der Text ist dabei gnadenlos ehrlich und ungeschminkt und doch
voller Doppeldeutigkeiten und Wortspiele, die Platz für eine
individuelle Interpretation lassen. Raum fürs Schönreden aber lässt er
nicht. Das Karma ist korrupt, das Drama ist zum Schreien, aber: Wenn du
schreist, schreist du nicht allein!
Genau das ist es, was mich an
diesem Song so überzeugt. Kein „Alles wird gut“, kein „Wird doch nicht
so schlimm sein“, nein: Es ist schrecklich, es wird vielleicht auch
nicht besser, aber mit dem Leid, dem Schmerz ist man nicht allein. Es
gibt da draußen noch andere, die auch so fühlen, die wissen, wie es ist.
Und genau darin besteht die Hoffnung. Nicht darin, das Schlechte zu
verleugnen oder das Unveränderbare verzweifelt ändern zu wollen, sondern
gerade darin es anzuerkennen, damit leben zu lernen und in anderen
Trost zu finden, die die eigenen Gefühle begreifen können, die mitfühlen
und mitleiden.
Und somit wird das rosige Ideal von „Ein Herz und
eine Seele“ ins Gegenteil verkehrt: Ein Schmerz und eine Kehle. Dabei
bleibt die Verbindung aber die gleiche oder ist vielleicht sogar noch
stärker. Denn geteiltes Leid schweißt zusammen und wer zusammen etwas
durchgemacht hat, wächst auch daran. Und vielleicht hält „Ein Schmerz
und eine Kehle“ der ungerechten Welt sogar besser stand als das
poetische und ideelle „Ein Herz und eine Seele“.
Interpret: Fabian Reichelt & Jaycoux Jr.
Album: Loslassen (Bring Back the Love)
Titel: Loslassen (Tube & Berger Remix)
Eigentlich
bin ich der totale Textmensch und meist sind mir die Texte von Songs
sogar wichtiger als die Melodie. Eine Ausnahme gibt es allerdings, bei
der ich auch gerne auf einen Text verzichte, nämlich bei elektronischer
Musik. Ein guter Beat kann mich genauso berührend wie ein ehrlicher
Text. Deshalb war ich von diesem Track besonders angetan. Als ich ihn
zum ersten Mal in einem Mixtape gehört hab, hab ich sofort aufgehorcht;
irgendwie hatte der Beat was, das mich sofort angesprochen hat.
Irgendwie leicht und doch mit Tiefgang. Als ich dann merkte, dass der
Track auch noch Text hatte, und zwar nicht nur irgendeinen blabla-Text
sondern einen richtig guten, war ich hin und weg! Ein mitreißender Beat
gepaart mit deutscher Poesie.
Der Text handelt, wie so viele vor
ihm, von der Liebe, oder eigentlich von dem, was passiert, wenn sie
nicht reicht. Das „Wir lassen es dauern solange es dauert, wir tun
nichts dafür und nichts dagegen“, das anfangs so unglaublich romantisch
ist und doch letztendlich so verhängnisvoll. Denn dass die Zukunft nicht
wartet, sondern irgendwann eintritt, weiß eigentlich jeder, doch wir
sind so unglaublich gut darin, diese unangenehme Tatsache zu verdrängen,
dass sie uns dann, wenn sie unausweichlich wird, mit voller Härte
trifft. Die Tickets vom Hier ins Nirgendwo machen deutlich, wie klar
doch eigentlich der Ausgang dieser Beziehung war, die wohl mehr ein
Festhalten aneinander war, als etwas stabiles, das die Zeiten
überdauert, und das obwohl am Anfang das Ziel so klar zu sehen war. Die
Zeit holt uns ein, wenn wir uns nicht beeilen. Es geht um
Selbsttäuschung, um Blendung, doch wer sagt, dass eine Liebe, die
nirgends hinführt, keine echte Liebe ist? Fabian Reichelt beschreibt auf
unglaublich poetische Weise zwei Menschen, die sich für den Moment
alles bedeuten, die es immer wieder zueinander zieht und die scheinbar
wehrlos gegen diese höhere Macht sind, die es ihnen so unglaublich
schwer macht loszulassen, trotz der Vernunft, trotz des Wissens, dass es
einfach nicht geht, wider jeglichem Verstand. Und doch ist der Ausgang
irgendwie ungewiss. Zwar heißt es „Ich lasse dich los und fang von vorne
an“, doch dann dieser kleine, unscheinbare Satz zum Schluss: Weil es
weitergeht… Im ersten Moment klingt das nach dem üblichen abgedroschenen
„Das Leben geht weiter“. Doch was weitergeht bleibt offen und wer weiß,
ob sich die beiden nicht irgendwann wieder begegnen.