Freitag, 30. Juni 2017

The Telescopes - As Light Return



 (sf) „Was ist das denn? Ist der CD-Player kaputt?“ So ungefähr war die Reaktion meiner Frau, als sie das Wohnzimmer betrat, wo ich gerade „As Light Return“, das neue Album von The Telescopes probehörte. Zu diesem Zeitpunkt (Mitte des Openers „You Can’t Reach What You Hunger“) war ich mir auch noch nicht ganz sicher, ob ihre Diagnose des Zustands unserer Stereoanlage zutreffend sein, jetzt weiß ich: Anlage okay, CD und Sound gehören so. Meine Frau wird sicher kein Fan der Band um Mastermind Stephen Lawrie, ich hingegen bin schon ein wenig fasziniert, wobei man sich schon darüber im Klaren sein muss, dass Freunde gepflegter Melodien hier nicht auf ihre Kosten kommen werden. Wer jedoch offen für Experimente und abgefahrene Songstrukturen ist: das ist genau Euer Ding!

Kreischendes Gitarren-Feedback schwillt an und schwillt ab, fräst sich durch dicht gewobene Schichten aus vielfach verzerrten Frequenzen. Obertöne schwirren hierhin und dorthin, überlagern einander und vereinigen sich auf einem Teppich aus Weißem Rauschen. Im Auge des Sturms ertönt Lawries Stimme, ruhig, wie abgespalten von all dem Getöse. Er stimmt seinen leisen, fast Trance-artigen Gesang an, beinahe überwältigt vom Sound der Instrumente. Die Worte sind kaum zu verstehen. „Ich möchte eigentlich jedes Mal eine Hörerfahrung erschaffen, die den Bereich des Üblichen erweitert. So wie ich es sehe, gibt es keine Eindeutigkeit. Diese Welt ist mehrdeutig, und das spiegelt sich auch in meinen Inspirationen wider. Die Eindrücke, die daraus entstehen, erlangen für jeden Zuhörer eine eigene, individuelle Bedeutung.“

„As Light Return“ – so lautet der Titel des neunten Albums der Telescopes. Die Band, 1987 von Lawrie gegründet, hat im Lauf der Zeit unterschiedliche Phasen durchlaufen. Die Liste der Mitglieder und der engen Vertrauten ist lang. Doch das einzige wirklich konstante Mitglied der Telescopes ist Stephen Lawrie persönlich. An diesem Album – aufgenommen im bekannten Riverside Music Complex in Glasgow – sind zum Beispiel wieder einmal Mitglieder der Band St Deluxe als tatkräftige Unterstützer beteiligt. So ist der permanente Wechsel mittlerweile zum Bestandteil des Konzeptes geworden. „Es verändert sich von Live-Performance zu Live-Performance und bei fast jeder Aufnahme. Im Moment arbeite ich an einem Album, wo ich alles selbst mache. Ich spiele viele Live-Shows mit dem Schlagzeuger und dem Bassisten der Koolaid Electric Company, und dann nehmen wir uns unterschiedliche Gitarristen dazu, manchmal nur einen, manchmal können es aber auch bis zu acht sein. Aber gelegentlich spiele ich auch mit einer völlig anderen Besetzung oder trete ganz alleine auf, akustisch oder mit einer Noise-Show.“

Wie schon das 2015er-Album „Hidden Fields“ erscheint auch „As Light Return“ beim Hamburger Label Tapete Records und klingt ähnlich ausgewogen wie sein Vorgänger. Es mäandert souverän zwischen Song-basierten Noise-Strukturen und ungezügeltem Impressionismus. Dennoch bietet es Hörerlebnisse, wie es sie bislang im Werk der Telescopes nicht gab – und auch sonst dürfte so experimentelle Klänge eher selten sein. „Jedes meiner Alben unterscheidet sich von den anderen, jedes ist einzigartig und unvergleichlich. Man könnte vielleicht sagen, dass das Haus der Telescopes viele Zimmer hat, und dass dieses Album – genau wie das letzte – nicht nur auf ein Zimmer beschränkt ist. Vielmehr wirft es gewissermaßen einen Blick in jeden Raum. Allerdings sind die Themen, trotz des optimistisch klingenden Albumtitels, dieses Mal sehr viel düsterer als auf Hidden Fields.“ Tracks wie „You Can’t Reach What You Hunger“, „Hand Full Of Ashes“ oder das vierzehn Minuten lange Schlussstück mit dem Titel “Handfull Of Ashes” (Achtung, Verwechslungsgefahr!), sie alle scheinen eine intuitive Weisheit zu vermitteln, die der Hörer zunächst einmal entschlüsseln muss. „Mein Interesse gilt vor allem der menschlichen Natur. Es kommt vor, dass ich mich mit einem ganz bestimmten Thema befasse, um darüber zu schreiben, und dann feststelle, dass der Grundgedanke sich im Prinzip auch auf völlig andere Themen anwenden lässt. Ich könnte jeden einzelnen Song auseinandernehmen und die Gedanken hinter jeder Textzeile und jeder musikalischen Entscheidung erläutern, aber das wäre ein zu großer Eingriff in die persönliche Beziehung der Hörer zu den Stücken. Das wäre mir zu nüchtern.“

Seit dreißig Jahren folgt Stephen Lawrie seiner einzigartigen, künstlerischen Vision, und er tut dies heute mit einer Klarheit wie nie zuvor. „Anfang der Neunziger hatten die Leute in meiner Umgebung vor allem eines im Sinn: Nämlich, ob mein nächster Song ein Hit wird oder nicht. Aus heutiger Sicht ist natürlich klar, dass es den Telescopes niemals darum gegangen ist, aber damals hat mich das ziemlich abgelenkt, und es hat eine ganze Zeit gedauert, bis ich diesen Anspruch abschütteln konnte. In der Zwischenzeit habe ich gelernt, das, was mich wirklich inspiriert, die Quelle meiner schöpferischen Energie, im Blick zu behalten, und zwar ohne Kompromisse.“

Diese Songs scheren sich nicht um Konventionalitäten. Diese Musik besitzt eine unmittelbare Kraft. Der Hörer betritt ein riesiges Sound-Universum und kann darin seine eigenen, persönlichen Koordinaten wählen. „Wenn wir die Dinge um uns herum verbessern wollen, dann müssen wir sie zunächst von innen heraus verbessern.“

„As Light Return“ – Songs aus der verheerenden Leere. Muss man mögen. Kann man mögen. Auch wenns einem mitunter schon arg schwer gemacht wird…


 


Donnerstag, 22. Juni 2017

Ich knie nieder: Tall Ships' Album "Impressions"

Quelle: soundcloud.com
(ms) Diese Geschichte nahm seinen Lauf im Winter vor fünf Jahren. Dort spielten die großen Nada Surf - ich werde sie immer verehren - in Bochum. Der Weg war nicht zu weit, ich war da und genoss einen unvergesslichen Abend. Das lag aber nicht nur den den drei Übersympathen aus New York.
Vier andere spielten dabei die größere Rolle. Sie kommen aus Brighton und nennen sich Tall Ships. Sucht man die Band bei Google, findet man seitenweise große Segelschiffe: logisch. Als Musiknerd erkundigt man sich natürlich, was die Vorband aus dem Königreich so kann und ich fand das Lied mit dem einprägsamen Titel "T = 0". Es ist bis heute eines der wuchtigsten Songs, die ich je gehört habe. Stöbert man bei ihrer Musik ein wenig weiter, denkt man schnell an die Editors, die zu jener Zeit einen ähnlichen Stil verfolgten. Aus Nostalgiegründen legte ich vor kurzem ihr aktuelles Werk "In Dream" nochmal ein und habe mich gewundert, wie wenig es mir gibt. Der Glanz von "Smokers Outside The Hospital Doors" oder "Munich" ist längst verblasst. In diese Lücke rücken Tall Ships ein ohne es sicher je gewollt zu haben. Und - ich lehne mich jetzt weit aus dem Fenster - überstrahlen mit ihrem neuen Album "Impressions" vieles, das die Editors je herausgebracht haben.
Fünf Jahre haben die vier Briten sich Zeit gelassen, um an ihrem zweiten Werk zu schrauben. Jeder Tag war es wert, den sie daran gearbeitet haben. Es sind zwar "nur" neun Songs dabei herausgekommen, die in ihre Momenten hingegen so sehr glänzen, vor Energie strotzen und phasenweise irre nah ans Herz gehen.
Die damalige Vorband habe ich irgendwie zwischendurch aus den Augen und den Ohren verloren, wie es so oft passiert. Anfang des Jahres stolperte ich über die Ankündigung des Zweitlings und die Vorfreude stieg und stieg: Veröffentlichung Ende März, zwei Wochen Lieferzeit, noch mehr Zeit um in die Melodien einzutauchen und das Ergebnis dessen nun endlich in Worte zu fassen. Gut Ding hat Weile.
So sammeln sich auf den neun Stücken Textfragmente, die sich ohne Weiteres eignen, sich auf prominente Stellen am Körper zu tätowieren, man wird es nicht bereuen.
"Lucille" ist so ein herrlich melancholisches Lied über das Ende einer Beziehung und der Protagonist zerbricht beinahe an der anschließenden Einsamkeit. Doch das Herzstück ist "Meditations On Loss". Was für ein Hit, was für ein Song. Es behandelt die Auseinandersetzung mit Versprechen, die einem spirituelle oder religiöse Angebote machen und erinnert inhaltlich an Kettcars Bonmot "Ich mag den Gedanken an etwas zu glauben, doch ich bin nicht gläubig". Die Kraft im Refrain ist kaum auszuhalten und gepaart wird dies mit einem bildgewaltigen Video; es ist ohne Umschweife (und wie hier ja unschwer zu erkennen ist) ein heißer Kandidat meiner Top-5-Song-für-immer. Allein dafür und für den herrlich treibenden Bass lohnt die Anschaffung von "Impressions".
Der Bruch zum Lied danach ist groß, inhaltlich und auch musikalisch. Denn es geht ruhig mit sphärischen Klangwänden und einem langsam pulsierenden Schlagzeug um den Tod, den Verlust eines lieben Menschen, eine bewegende Beerdigung. Enden tut das Album mit einer Hymne auf das Leben, "Day by Day": "'Cos With Only One Life There Is No Room For Regrets."
Ich bin hin und weg, völlig erlegen, seit Langem nicht so gepackt worden von einer Platte. Vielen Dank dafür, Tall Ships!








Dienstag, 20. Juni 2017

Entspannt durch die Hitze mit: Soft Ride

Soft Ride. Foto: Linn Frøkedal.
(ms) "In Städten mit Häfen haben die Menschen noch Hoffnung", sagte einst der von uns sehr geschätzte Bernd Begemann. Und es stimmt: Städte an einem See oder am Meer sogar - oder etwas provinzieller - mit einem Flüsschen bieten unglaublich viel mehr Lebensqualität als jene ohne. Also erscheint es als unglaublich logisch, eben dort die sehr warmen bis heißen Tage in der Freizeit zu verbringen und genießen. Was braucht es noch?! Klar, die richtigen Leute, mit denen man diese Momente vollends genießen kann. Ins kühle Nass zu springen, um sich die lohnenswerte Abkühlung zu gönnen - das funktioniert auch herausragend an künstlich angelegten Kanälen, auch wenn es da mehr geduldet als erlaubt ist: Egal! Die Frage "Wer bringt den Grill mit?" kommt dann ganz von allein und alle sind dem Grillmitbringer extrem dankbar, dass er sich erbarmt hat. Die herumlungernde Meute will immerhin gesättigt werden. Damit haben wir schon die wesentlichen Kriterien für den perfekten Tag.
Fehlt noch was?! Genau!
Die richtige Musik.
Und die kommt in diesem Sommer aus dem hohen Norden, aus Norwegen. Von Soft Ride. Dahinter stecken Arne Hakôn Tjelle und Øystein Braut, die mit ihren je eigenen Bands schon lokal erfolgreich waren, sogar hier mit Kakkmaddafakka auf Tour gewesen sind. Nun haben sie sich zusammengetan und ein brutal entspanntes Album aufgenommen, das auf den Namen "Burgundy" hört. Darauf sammeln sich zehn Tracks, die nicht nur zum Faulenzen in der Sonne anregen, sondern dazu bestimmt sind. Als ob sie genau für diesen Moment kreiert worden sind. Es sind im Wesentlichen Lieder, die Folk, Pop, Country und leicht psychedelische Elemente miteinander vereinen. Es ist ein Soft Ride, ganz gemächlich, ganz wunderbar.
Erste Erfolge haben sie in Oslo und Bergen bereits verzeichnet und in ausverkauften Häusern gespielt. Nun wollen sie die skandinavisch schlagenden Herzen hierzulande erobern. Mit Songs wie "Won't Stop", "Light The Laterns" oder "The Sun In Her Eyes" gelingt es ihnen ohne Komplikationen.
Ja, sie mögen etwas eingängig klingen, doch machen Braut und Tjelle dies zu ihrer Stärke und ziehen die sonnen-trunkene Hörerschaft in ihren Bann: Funktioniert hervorragend!
Es erscheint diesen Freitag bei Apollon Records.
Holt es Euch und genießt weiter den Sommer!



Montag, 19. Juni 2017

Ein Wochenende Eskapismus: Traumzeit Festival 2017

Amander Palmer und Edward Ka-Spel: Herausragend. Foto: luserlounge
(ms) Der Besuch eines Festivals ist auch immer eine persönliche Geschichte und diese wird nicht objektiv ausfallen; zum Glück aller Beteiligten. In den letzten vier Jahren war ich also schon beim Traumzeit Festival im Landschaftspark Nord in Duisburg; eine Stadt, die wegen Stadtteilen wie Marxloh, immer in etwas düsterem Licht erscheint.
An diesem Wochenende im Juni hat nicht nur das Wetter sehr gut mitgespielt, um das Gelände in eine faszinierende Flaniermeile zu verwandeln, sondern auch die zum Teil außergewöhnlich guten Bands und das sehr entspannte Publikum. Dieses wurde bei dieser Ausgabe vom äußerst feinen Händchen der Bookingabteilung so stark angezogen wie in den letzten Jahren kaum. Dafür verantwortlich waren unter anderem die Auftritte von Tom Odell, Milky Chance, Alice Merton, Amander Palmer und Edward Ka-Spel und dem allerletzten Gig der Kilians, die aus dem wenig entfernten Dinslaken kommen. So waren der Samstag und Sonntag ausverkauft. Das freut den Verfasser besonders, der in den letzten beiden Jahren den Eindruck nicht loswurde, dass die Besucherzahlen sinken würden.
Im zweiten Jahr hintereinander wurde nun die Kraftzentrale nicht bespielt und dafür auf dem Cowperplatz eine Bühne installiert, was sich als gute Idee herausstellte, insbesondere bei den höheren Temperaturen draußen zu bleiben. Denn bei einzelnen Gigs in der Gebläsehalle wurde es auch schnell warm.
Änderung in der Organisation und im Booking haben dem Traumzeit Festival ein tolles neues Gesicht verpasst und noch andere Besucherkreise angelockt, die es mit viel Applaus, stillem Zuhören, ausgiebigem Tanz und dem Einlassen auf Unbekanntes zurückgezahlt haben. Namen wie Mario Batkovic, The Lytics, Mammal Hands oder Fererico Albanese sind im Vorhinein sicher nicht allen geläufig gewesen. Da es kaum Überschneidungen der Spielzeiten gab, blieb viel wertvolle Zeit, sich treiben zu lassen und Neues kennenzulernen.
So fassen wir die wichtigsten Erkenntnisse des Wochenendes zusammen:

  • Wenn der Knappenchor Homberg mit einem geschätzten Durchschnittsalter von 81 aus voller Kehle das Steigerlied singt und dafür ausartenden Applaus bekommen, können Tränen in die Augen steigen.
  • Woher hat Jesper Munk denn diese abgefahren geniale, verrauchte Tom Waits-ähnliche Stimme? Trotz gerissener Seite hat er mit seiner Band und schierem Können zu begeistern gewusst!
  • Absolutes Highlight: Helgi Jonsson und Tina Dico in der Geläsehalle! Schwer für diesen Auftritt Worte zu finden: Gefühlsdicht, fein, laut, perfekt harmonisch...? Alles richtig!
  • Persönlicher Glücksfall: Endlich mal Why? gesehen zu haben. Seit Jahren verfolge ich das Wirken von Yoni Wolf; das neue Album ist auf Platte äußerst schwer zugänglich, live waren sie genial. Sympathisch: Der Bassist trug ein Gleis22-T-Shirt!
  • Von Wegen Lisbeth sind ein übler Mix aus AnnenMayKantereit, Bilderbuch und Anajo. Ist klar, dass das funktioniert, nervt aber brutal!
  • Absolutes Highlight 2: Amander Palmer und Edward Ka-Spel. Ich kannte beide vorher nicht, die Dresden Dolls nur vom Namen her. Was sie zu zweit mit ihrem Violinisten fabriziert haben, ließ die Nackenhaare aufstellen, so düster, phänomenal, erstaunlich war die Performance.
  • Tom Odell bewies live, dass er kein One-Hit-Wonder ("Another Love") ist.
  • The Lytics aus Kanada waren der einzige HipHop-Act auf dem Festival und wussten sehr gut, wie man die Zuhörer in einer Dreiviertelstunde für sich gewinnen kann. Hut ab!
  • Giant Rooks: Dürfen die nach 18 Uhr überhaupt auftreten? Die sind gefühlt ja alle 16 oder 17. Dafür hat der Sänger aber eine extrem reife Stimme und die Freude auf ihren Gesichtern beim vollen Cowperplatz war nicht gespielt, der Auftritt sehr stark!
  • Bukahara: Jeder, der die Band schon mal gesehen hat, weiß was sie können. Der Mix aus Balkan- und arabischem Sound, gepaart mit tanzbarem Folk lässt die Masse eskalieren.
  • Stefan Honig hat mit Freunden sein einziges Solo-Konzert dieses Jahr gespielt, neues Material vorgestellt, sodass die Standing Ovations absolut logisch waren. Absolut sympathischer Typ, der das Spiel auf der Guitarlele zu perfektionieren und die Leute zu unterhalten weiß. Vielstimmiges Mitsingen bei "Golden Circle" und "Those Lost At Sea". Top!
  • Milky Chance boten zwar den Abschluss, doch andere Bands (s.o.) wussten mehr zu begeistern. Außerdem haben die Kasseler stark mit Effekten und Sounds aus der Dose gespielt: haben sie nicht nötig.
Oh man, Traumzeit Festival!
Auch an dem Tag danach bin ich noch ganz aus dem Häuschen und schwelge in den Eindrücken aus dem Industriepark. Die Organisatoren wissen zu überraschen mit den verpflichteten Acts. Und dass es trotz ausverkauft so entspannt vor den Bühnen zugegangen ist, zeigt ein gutes Gespür, was die Besucher wollen. Vielen Dank uns bis nächstes Jahr!

PS: An die etwa 10-Personen-starke Gruppe Anfang/Mitte zwanzig, die öfter schön mit Glitzer geschminkt waren: Vielen Dank, ihr ward super und konntet gut tanzen!

Blick auf die Cowperbühne bei Tom Odell. Foto: luserlounge.
Traumzeit. Festival der anderen Art. Foto: luserlounge.

Mittwoch, 14. Juni 2017

KMFDM - die Legende kehrt zurück!

(sf) "Industrial" klingt zugegebenermaßen nicht sonderlich sexy, aber wenn man die Musik von KMFDM beschreiben möchte, kommt man daran nicht vorbei. Und noch mehr: KMFDM waren und sind genreprägend, verlörpern Industrial wie kaum ein anderer Act und hauchen der Musikrichtung immer wieder neues Leben ein. Seit 1984 ist der Deutsche Sascha Konietzko der Kopf der Band, die sich jedoch ausdrücklich als internationale Gruppierung definiert und nun, 33 Jahre nach Bandgründung, mit der YEAH!-EP wieder zum Rundumschlag ausholt.

Wenn ich (Geburtsjahr 1978) an Rockmusik denke, waren KMFDM eigentlich immer da, wenn auch nie so, dass ich mir da was gekauft hätte. Zu Beginn waren es vor allem die Remixes der Band, die meine Aufmerksam auf sich zogen: White Zombie, Living Colour, Metallica, Rammstein und viele andere profitierten von der Kreativität des Ensembles, doch auch der eigene Output wurde zunehmend interessant für meine Ohren und wusste zu gefallen. Nichtsdestotrotz verlor ich KMFDM irgendwann komplett aus den Augen, von der zwischenzeitlichen Trennung (1999 - 2002) und Reunion erfuhr ich erst bei der Recherche für diesen Artikel, ebenso fand ich heraus, dass ich in der Zwischenzeit einige Songs der Band gehört hatte (und geil fand), von denen ich gar nicht wusste, dass sie von KMFDM sind. Wieder was gelernt...


Copyright: earMUSIC / Franz Schepers
Und nun also die YEAH!-EP mit zwei neuen Songs, zwei Remixes und einer Überarbeitung des 2002er-Tracks "Attak". Als ich die Ankündigung der EP im luserlounge-Postfach entdeckte war sofort klar: das Ding muss her, da müssen die Kollegen darauf verzichten! Was soll ich sagen? Der Ego-Trip hat sich ja mal sowas von gelohnt!

Wenn man eine gewisse Affinität zu Industrial hat, fesselt einen der erste Track "Hell Yeah" praktisch ab der ersten Sekunde, wobei ich direkt nachschieben möchte, dass die "Lord of the Lost"-Version (Track 3) die "Album Version" aber mal gaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaanz easy in den Schatten stellt. Hallelujah, was ein Brett!

"Freak Flag", gesungen von Lucia Cifarelli, fällt dagegen leicht aber, ist aber als Hymne für alle Freaks, Außenseiter und Einzelgänger dennoch sehr hörenswert und äußerst markant.

Nicht zu vergessen ist das ikonische Coverartwork, das von Aidan Hughes (auch als BRUTE! bekannt) gestaltet wurde und nur einen kleinen Ausschnitt des Gesamtwerkes wiedergibt, das zur Albumveröffentlichung im August enthüllt werden wird.

Wer KMFDM dieses Jahr live sehen möchte, dem seien diese Termine ans Herz gelegt:



10.08.2017 Brutal Assault Festival (CZ)
12.08.2017 M’Era Luna Festival (GER)
05.09.2017 Newcastle – Think Thank (UK)
06.09.2017 Glasgow – St. Lukes (UK)
07.09.2017 Manchester – Ruby Lounge (UK)
08.09.2017 Birmingham – O2 Institute (UK)
09.09.2017 London – O2 Academy Islington (UK)
10.09.2017 Bristol – Fleece (UK)
 

 

Freitag, 9. Juni 2017

Rock in Vienna - Der Montag

Die Toten Hosen auf der Donauinsel mit großer Lichtshow. Foto: luserlounge
(ms) Das Rock In Vienna ist die österreichische Ausgabe der etwas künstlich hochgezogenen und aus dem Boden gestampften Festivals Rockavaria (München) und Rock im Revier (Gelsenkirchen). Die letztgenannten liefen in ihren ersten beiden Jahren so unverschämt gut, dass sie 2017 nicht mehr stattfanden. Schon vor zwei Jahren sickerten Berichte an die Öffentlichkeit, dass der Veranstalter, die DEAG, auf einem großen Schuldenberg nach der Verpflichtung von Metallica sitzt, die für zwei Gigs fast 7 Millionen Dollar sehen wollten und wohl auch sahen.
Auf der Donauinsel, im grünen Herzen Wiens, wurde das Festival jedoch dieses Jahr am langen Pfingstwochenende fortgesetzt und die Bookingabteilung hat einiges von Rock am Ring bzw. Rock im Park geholt. Wo letztes Wochenende Silbermond, Kings of Leon oder Macklemore gespielt haben, traten in den letzten Jahren tatsächlich Kiss und Rammstein auf. Eine klare Rückwärtsbewegung von ca. 50.000 Tagesgästen auf 15.000. Nur Die Toten Hosen ließen am Montag gut 25.000 Menschen zur einzigen Bühne am Wasser pilgern. Wir waren auch da.

Zur Organisation: Diese hatte einige Vor- und Nachteile. So konnte man gegen 15 Uhr relativ entspannt das Gelände durch einen zentralen Eingang betreten. Wer früh da war, kam zeitig durch, ob es später Engpässe gab: Keine Ahnung. Es gab ausreichend zu Essen und Trinken, jedoch für zünftige Preise: Ein großes Bier für 5€ plus Pfand ließ kurz stocken, aber was will man machen?! Die Sonne brannte und grillte die gut gelaunten Zuschauer, dafür gab es freie Trinkwasserstellen: Gute Angelegenheit. Diese waren jedoch direkt an den einzigen sanitären Anlagen angebracht. Das hieß: Später, als es schon voll war, mussten alle in die gleiche Richtung, um kurz Wasser zu lassen. Dieser massive Andrang hat genervt, da es hinter dem Klo-Einlass zügig und entspannt zur Sache ging.
Entspannt konnte man auch während der größeren Bands am Abend immer noch problemlos in die dritte oder vierte Reihe schlendern. Das hab ich vorher auf anderen Festivals noch nie erlebt. Wiener Eigenart und Freundlichkeit oder der entsprechenden Leere geschuldet?

Zur Musik: Zugegeben, von den ersten beiden Bands - The Living End und Clutch - haben wir nichts mitbekommen, da wir zwei bier- und redselige Humoristen aus der Steiermark getroffen haben und uns ein wenig verquatscht haben.
Los ging es für uns also mit Marteria und wir hatten Bock. Nur war es erstaunlich wie wenig Leute vor der Bühne standen. Diesen Eindruck konnte man Marten aus den Augen ablesen, der dafür mit einem feinen Best-Of diejenigen belohnt hat, die in der Sonne schwitzten. Und nicht nur Arnim Teutoburg-Weiß ließ es sich nehmen für einen Song zu featuren, Campino tanzte bei den letzten 20 Sekunden auch noch mit auf der Bühne. Es war wie ein kleines Klassentreffen dreier großer deutscher Bands in Wien. Dass Marteria den Leuten, die vorne standen dennoch eine gute Zeit verschaffen wollte, hat er umgesetzt und die Menge in Bewegung gesetzt.
Weiter ging es mit den Beatsteaks. Die sind auch nach über 20 Jahren Bandgeschichte nicht kaputt zu kriegen und lieferten einen astreinen Gig ab: Hut ab! Währenddessen haben wir der Wiener Jugend gezeigt, wie man friedlich und ausgelassen Pogo tanzt. Neben "Let Me In", "Summer", "Jane Became Insane" oder dem Evergreen "I Don't Care As Long As You Sing" spielten sie auch Neues vom im September erscheinenden Album "Yours". Läuft bei denen!
Den Abschluss und Besuchermagnet bildeten Die Toten Hosen. Zu einer riesen Lichtshow betraten die Punksenioren die Bühne und lieferten eine einstudierte Show ab. Mit zwei Stunden hatten sie eine doppelt so lange Spielzeit wie Marteria und die Beatsteaks jeweils und ritten durch die eigene Discographie bis zum aktuellen Album. Es gab politische Ansagen und ein paar Plattitüden. Diese ließen ab einem bestimmten Punk langweilen, da es im reinen Stadionrock mündete. Eine Band, die man als Musikliebhaber und Festivalgänger eventuell live gesehen haben muss, ein Mal reicht jedoch.

So endete ein heißer, kostspieliger Tag mit einer entspannten Heimfahrt, schweren Beinen und heiseren Kehlen.
Den Wienerinnen und Wienern sei zu wünschen, dass das Festival in den kommenden Jahren modifiziert stattfinden mag, falls die Veranstalter noch Geld haben.

Dienstag, 6. Juni 2017

Lola Marsh - Rosen aus Israel

(sf) LOLA MARSH aus Tel Aviv gehören zu den spannendsten Newcomern des Jahres, denn dank ihrer Stimme fällt Yael Shoshana Cohen in jene Kategorie von Sängerinnen, die ein Publikum augenblicklich in ihren Bann ziehen kann. Schon 2016 entdeckten viele diese Ausnahmestimme auf der Debüt-EP “You’re Mine“, womit das Duo, dessen zweite Hälfte auf den Namen Gil Landau hört, bereits zu einem der Indie/Pop/Folk-Geheimtipps des vergangenen Jahres avancierte. Ihr Debütalbum “Remember Roses” erscheint am 09.06. und wir haben schonmal reingehört.

Angekündigt von ihrer neuen Single “Wishing Girl“, einer sommerlichen Hymne, die von einer extrem ansteckenden Melodie und lässigem Pfeifen getragen wird, gelingt es den beiden Künstlern aus Israel auf Albumlänge, nicht nur reifer und inspirierter zu klingen, sondern sich zugleich von zu dominanten Einflüssen oder Referenzen - sei es nun Bon Iver oder Fleet Foxes, Nick Drake oder Sufjan Stevens - frei zu machen. Entstanden ist so der perfekte Soundtrack für den beginnenden Sommer: Das von ihnen beiden geschriebene “Remember Roses“ – schon der Titel ist ein Trip in die eigene Vergangenheit, denn diese Rosen entstammen aus dem Rosengarten, den es früher im Elternhaus  der Sängerin gab – ist vor allem lässig, romantisch, dezent nostalgisch und zudem ziemlich sweet. Es ist ein Album, in dessen 11 Songs es immer wieder um Freundschaft und Liebe, aber auch um die eigenen Ängste geht, die es beim Heranwachsen auch mal zu bezwingen galt.

Wie schlüssig der Erstling klingt, ist dabei ganz klar der einzigartigen Chemie zwischen Yael und Gil geschuldet: Dass sie extrem vertraut wirken, verwundert schon weniger, wenn man bedenkt, dass die beiden früher Mal ein Paar waren: „Die gemeinsame Arbeit war schon immer eine der wichtigsten Inspirationsquellen für uns“, sagen LOLA MARSH. Es ist eine wirklich einzigartige Chemie, eine gelebte Harmonie, die sich ganz direkt auf die Harmonien und Melodien in der Musik zu übertragen scheint, auf die eingängigen Refrains und Arrangements, die “Remember Roses“ so spielerisch-schön wirken lassen. Auch bereits veröffentlichte Tracks wie “You’re Mine“ oder “Sirens“ reihen sich perfekt in  die Gesamtheit des Debütalbums ein, womit LOLA MARSH eindrucksvoll belegen, wie sehr sie als Künstler in den letzten Jahren gereift sind.

Indem sie eine extrem breite Stilpalette präsentieren und trotz aller Leichtigkeit nie den nötigen Tiefgang vermissen lassen, hat ihr Songwriting oftmals etwas Episches – als ob die Songs für Kinofilme geschrieben wären, und wir als Zuhörer in der Traumwelt eines Films sitzen, durch den uns die wendige Stimme von Yael Shoshana Cohen, die übrigens problemlos als Penelope Cruz-Double durchgehen würde, führt. Inmitten der verträumten Atmosphäre finden sich echte Hitkandidaten (“Morning Bells“ mit seiner unwiderstehlichen Melodie), und insgesamt oszilliert der Erstling zwischen nächtlichen Balladen (“The Wind“) und massiveren, vertonten Achterbahnfahrten (wie ihrem persönlichen Lieblingstrack “She’s A Rainbow“, der von Moody Blues’ “Nights In White Satin“ inspiriert ist).

„Die vielen Farben von ‘Remember Roses’ passen einfach perfekt zu uns“, sagen Yael und Gil wie aus einem Mund. Sieht ganz danach aus, als sei für den orchestralen Folk-Pop von LOLA MARSH in diesem Frühling die perfekte Blütezeit gekommen – dabei werden die Blüten uns gewiss noch länger begleiten als bloß bis zum nächsten Winter...  

Tourdaten:
11.08.2017   Feldkirch - Poolbar Festival
23.10.2017   Berlin – Heimathafen
25.10.2017   Bielefled – Forum
26.10.2017   Hamburg – Knust
27.10.2017   Köln – Stadtgarten
28.10.2017   München – Manic Street Parade Festival
 
 
 
 

Samstag, 3. Juni 2017

Sivert Høyem - Live at Acropolis

Neid an alle, die da waren. Foto: Afroditi Zagana
(ms) Livealben sind immer ein zweischneidiges Schwert, die oft einen bitteren Beigeschmack haben. Denn allzu häufig versprühen sie den Eindruck, dass hier schnell ein Best-Of zusammengebastelt wurde, um die Einnahmekasse etwas aufzustocken. Und mindestens der Best-Of-Charakter kann kaum geleugnet werden. Wenn man das als Musiker nun nicht intendiert, was ist dann der Antrieb, ein Livealbum zu veröffentlichen oder sogar mit DVD zu versehen?!
Sivert Høyem hat mehrere sehr gute Gründe genau das zu tun.
Erstens ist er ein verdammt guter Musiker mit einer Stimme, die jeden Mann und jede Frau im Nu zum Schmachten bringt (der Verfasser schließt sich dabei ein).
Zweitens ist er seit Jahren im Geschäft, erst mit Madrugada und seit Jahren auch Solo.
Doch drittens ist der entscheidende Punkt: Er hat sich für sein Live-Album, das kommenden Freitag erscheinen wird, eine Location ausgesucht, wo einige seiner Kollegen sicher neidisch drauf sind. Es ist keine normale Halle, kein Theater im klassischen Sinn (oder eben doch?!), nein: Es ist die Akropolis in Athen!
Allein die Erlaubnis zu bekommen, dort zwei Konzerte vor insgesamt 10.000 Menschen zu spielen ist nicht ohne weiteres zu bekommen. Zudem ist er Schwede und brauchte die entsprechende Unterstützung vor Ort. Die hat er sich über Jahre fleißig aufgebaut, sodass beide Gigs ausverkauft waren.



Wenn man nun einen kleinen Eindruck von der Umgebung und der Kulisse hat (siehe Video), wird der Hörer noch schneller in den Bann dieser faszinierenden Performance gerissen. Streicher haben den opulenten Høyem-Sound auf eine noch dichtere Ebene gehoben.
In seinen Ansagen hört man zudem eine wahre und innige Freude darüber, diese beiden Konzerte spielen zu dürfen. Dabei begibt er sich auf eine Reise durch die eigene Discographie, da er zur hörbaren Begeisterung vieler Zuschauer auch einige Madrugada-Songs spielt. Doch auch die grandiosen Lieder seiner letzten Solo-Platte "Lioness" kommen nicht zu kurz, sodass der Best-Of-Charakter tatsächlich erfüllt wird.
Bei einer Live-Aufnahme spielt der Ton natürlich nochmal eine ganz eigene, wichtige Rolle und man kann vor den Mischern und anderen Zuständigen nur den Hut ziehen: Klasse gemacht!
Zu empfehlen ist es sicherlich, dieses Album draußen laut bei einem guten Wein oder einem herrlichen Bier zu genießen. Dafür wurde es aufgezeichnet!